Herzlich willkommen zu diesem Vortrag der etwas besonderen Art. Ich möchte nämlich in diesem Vortrag ein Gedicht interpretieren. Es ist ein sehr berühmtes Gedicht und dennoch möchte ich dazu beitragen, dass dieses Gedicht auf keinen Fall in Vergessenheit gerät. Ich habe dieses Gedicht öfters in der Hiob-Vorlesung, die ja jetzt schon im Wothaus dokumentiert ist, auch gegen Ende in die Vorlesung eingebaut als Brücke in das 20. Jahrhundert. Ich möchte zu diesem Gedicht noch vorneweg etwas ganz Persönliches sagen.
Ich habe mit diesem Gedicht etwas Besonderes erlebt, und zwar war ich vielleicht so 23 Jahre alt ungefähr. Ich studierte an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Mündt, also Lehrerstudium, und ich kam von der Pfingstlichen Bibelschule, ich war Schüler auf einer Pfingstlichen Bibelschule, und ging dann zum Lehrerstudium. Wir hatten in Schwäbisch-Mündt einen Bibelkreis, in den auch viele säkulare Leute hineinkamen und auch zum Glauben gefunden haben. Eine etwas ältere Studentin, die auch völlig säkular war, aber dann in diesem Bibelkreis eine Heimat gefunden hat, die hat mich mal gefragt, Siegfried, du kennst dich ja in der Bibel gut aus, das merkt man, hast du aber auch ein Verhältnis zur Lyrik?
Da war ich völlig waff und habe gesagt, eigentlich nein, gut, Goethe und Schiller, das hat mich nicht so vom Hocker gerissen. Und dann, sie war eine Deutschstudentin, die da auch wirklich sehr tief in der Lyrik verankert war. Die hat gesagt, ich lasse dir mal ein Gedicht vorlaufen, der Autor liest dieses Gedicht selber vor. Das war eine Schallplatte damals noch, und dann legte sie eine Schallplatte auf und Paul Celan las da selbst sein Gedicht Todesfuge. Ich habe nie vergessen, wie berührt ich war, wie erschüttert, wie ich war, so was von getroffen. Ich habe so als pfingstlicher Bibelschüler, der in dem Bibelkreis ziemlich sicher aufgetreten ist,
habe instinktiv gespürt, Siegfried, da kommt eine Welt auf dich zu, die du nicht kennst, die moderne Lyrik, und da gibt es Qualitäten, von der hast du bisher keine Ahnung gehabt. Vielleicht will ja der Zufall, dass diese Studentin, sie hieß Katharina, ich weiß nicht, wo sie dann gelandet ist, aber vielleicht hört sie das irgendwann mal, dann will ich dir sagen, liebe Katharina, da hast du bei mir ein Neuland aufgestoßen, das dann jahrelang mich beschäftigt hat. Ich habe mich dann mit Paul Celan weiterhin beschäftigt, mit Hilde Domin und ihrem Buch, wozu Lyrik heute, dann auch mit Else Lasker-Schüler und nicht zuletzt mit Nelly Sax.
Also diese moderne Lyrik, vor allem von jüdischen Autoren, wurde mir etwas sehr Wertvolles, das mein Tellerrand gesprengt hat und neu justiert hat. Und jetzt will ich so im höheren Alter nochmal auf dieses Gedicht zurückkommen, das für mich eine solche biografische Bedeutung hat. Es ist ein Gedicht gegen das Vergessen. Paul Celan, die Todesfuge. Ich möchte dieses Gedicht erst mal vortragen, ich glaube zweimal vortragen, weil es ist wirklich so, beim zweiten Mal hört man mehr wie beim ersten Mal. Und dann werde ich das Gedicht besprechen, ich mache sozusagen eine Exegese von diesem Gedicht.
Ich habe also jetzt heute keinen Bibeltext, sondern diesen Text. Und dann werde ich nach der Interpretation auch einiges zum Leben von Paul Celan, Kindheit, Jugend und wie er zu diesem Gedicht gekommen ist und wie es weitergegangen ist. Ich werde also nicht die ganze Biografie von Paul Celan jetzt nachher behandeln. Er ist ja relativ früh gestorben, mit 50 Jahren, 1970. 1920 ist er geboren. Und dann am Schluss will ich das Gedicht noch einmal vortragen. Ich fühle mich diesem Gedicht irgendwie sehr verbunden und will das Meine dazu tun, dass es neue Hörer und Hörerinnen-Schichten erreicht. Ich will vorneweg sagen, dieses Gedicht Todesfuge ist der Text, der deutsche Text,
der nach 1945 am meisten gelesen wird auf der ganzen Welt. Es gibt kein Gedicht im 20. und 21. Jahrhundert, das eine solche Verbreitung gefunden hat wie dieses Gedicht. Es hat ein Literaturprofessor einmal gesagt, dieses Gedicht ist ein Jahrhundertgedicht, vielleicht sogar das Jahrhundertgedicht. Allein ins Englische gibt es 18 Übersetzungen. Also 18 verschiedene Leute haben versucht, dieses Gedicht ins Englische zu übersetzen, weil das ist sehr schwer, aber es ist auch sonst in alle Kultursprachen übersetzt worden. Es ist also das berühmteste Gedicht deutscher Sprache nach 1945.
Jetzt will ich versuchen, dieses Gedicht euch vorzutragen. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie abends, wir trinken sie mittags und morgens, wir trinken sie nachts, wir trinken und trinken. Wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng. Ein Mann wohnt im Haus, der spielt mit den Schlangen, der schreibt, der schreibt, wenn es dunkelt nach Deutschland, dein goldenes Haar, Margarete. Er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne, er pfeift seine Rüden herbei,
er pfeift seine Juden hervor, lässt schaufeln ein Grab in der Erde, er befiehlt uns, spielt auf nun zum Tanz. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich morgens und mittags, wir trinken dich abends, wir trinken und trinken. Ein Mann wohnt im Haus, der spielt mit den Schlangen, der schreibt, der schreibt, wenn es dunkelt nach Deutschland, dein goldenes Haar, Margarete, dein aschenes Haar, Sulamit. Wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng. Er ruft, stecht tiefer ins Erdreich, ihr einen, ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf. Er greift nach dem Eisen im Gurt, er schwingt's, seine Augen sind blau.
Stecht tiefer die Spaten, ihr einen, und ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich mittags und morgens, wir trinken dich abends, wir trinken und trinken. Ein Mann wohnt im Haus, dein goldenes Haar, Margarete, er spielt mit den Schlangen. Er ruft, spielt süßer den Tod, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Er ruft, streicht dunkler die Geigen, dann steigt er als Rauch in die Luft, dann habt ihr ein Grab in den Wolken, da liegt man nicht eng. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich mittags, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Wir trinken dich abends und morgens, wir trinken und trinken,
der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Sein Auge ist blau, er trifft dich mit bleierner Kugel, er trifft dich genau. Ein Mann wohnt im Haus, dein goldenes Haar, Margarete, er hetzt seine Rüden auf uns, er schenkt uns ein Grab in der Luft. Er spielt mit den Schlangen und träumt, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Dein goldenes Haar, Margarete, dein aschenes Haar, Sulamit.
So weit ein erstes Kennenlernen, eine erste Begegnung mit diesem Gedicht. Es hat 36 Zeilen und es ist eine Art Fuge, das werden wir nachher gleich behandeln. Jetzt möchte ich euch dieses, ja ich will sagen einzigartige Gedicht, möchte ich euch noch einmal vortragen. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie abends, wir trinken sie mittags und morgens, wir trinken sie nachts, wir trinken und trinken, wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng. Ein Mann wohnt im Haus, der spielt mit den Schlangen, der schreibt,
der schreibt, wenn es dunkelt nach Deutschland, dein goldenes Haar, Margarete. Er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne, er pfeift seine Rüden herbei, er pfeift seine Juden hervor, lässt schaufeln ein Grab in der Erde, er befiehlt uns, spielt auf nun zum Tanz. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich morgens und mittags, wir trinken dich abends, wir trinken und trinken. Ein Mann wohnt im Haus, der spielt mit den Schlangen, der schreibt, der schreibt, wenn es dunkelt nach Deutschland, dein goldenes Haar, Margarete, dein aschenes Haar, Sulamit, wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng.
Er ruft, stecht tiefer ins Erdreich ihr einen, ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf, er greift nach dem Eisen im Gurt, er schwingt's, seine Augen sind blau, stecht tiefer die Spaten ihr einen, ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich mittags und morgens, wir trinken dich abends, wir trinken und trinken. Ein Mann wohnt im Haus, dein goldenes Haar, Margarete, er spielt mit den Schlangen, er ruft, spielt süßer den Tod, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Er ruft, streicht dunkler die Geigen, dann steigt ihr als Rauch in die Luft, dann habt ihr ein Grab in den Wolken, da liegt man nicht eng.
Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich mittags, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Wir trinken dich abends und morgens, wir trinken und trinken, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Sein Auge ist blau, er trifft dich mit bleierner Kugel, er trifft dich genau. Ein Mann wohnt im Haus, dein goldenes Haar, Margarete, er hetzt seine Rüden auf uns, er schenkt uns ein Grab in der Luft, er spielt mit den Schlangen und träumt, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Dein goldenes Haar, Margarete, dein aschenes Haar, Sulamit.
Jetzt möchte ich in einem ersten Schritt einige allgemeine Beobachtungen zu diesem Gedicht machen. Wir versuchen jetzt so Schritt für Schritt uns diesem einzigartigen Gedicht zu nähern. Ich beginne die Interpretation von diesem Gedicht mit der Überschrift von Thomas Fuge, der Todesfuge. Seine seltsame Überschrift ist ja ein Fachausdruck aus der Musik, die Fuge, und dass diese Überschrift sehr bewusst gewählt worden ist,
merkt man daran, dass das Gedicht tatsächlich den Charakter einer Fuge hat. Sondern in Worten. Die Fuge wird hier in Sprache überführt. Überlegen wir uns mal, was ist eine Fuge? Eine Fuge hat vor allem drei wichtige Merkmale. Das erste Merkmal einer Fuge besteht darin, dass sie mehrere Stimmen hat. Und diese Stimmen bleiben selbstständig, sie behalten ihre Eigenständigkeit bis zum Ende der Fuge. Die Fuge setzt ein mit einer ersten Stimme und mit einem ersten Thema. Diese erste Stimme ist grundlegend. Und etwas später kommt in der Fuge eine zweite Stimme. Die hat auch ein Thema. Es kann sein, dass bei der Fuge die zweite Stimme das gleiche oder ein ähnliches Thema hat wie die erste Stimme.
Dann nennt man es eine einfache Fuge. Aber es kann auch sein, dass die zweite Stimme ein Gegenthema wählt, kontrapunktisch. Und dann ist es eine Doppelfuge. Es gibt sogar Fugen, die drei Stimmen mit drei Themen durch die ganze Fuge eigenständig durchführen. Das ist sehr schwierig. Die Komposition einer Fuge gilt als sehr schwer. Also das sind diese zwei oder drei Stimmen. In diesem Gedicht liegt eine Doppelfuge vor. Zwei Hauptstimmen und dann kommt noch eine dritte Stimme dazu. Also das ist mal das erste Merkmal. Das zweite Merkmal ist, dass eine Fuge keine Pausen kennt.
Überhaupt keine Pause. Die Fuge geht von Anfang bis zum Ende durch. Das Wort Fuge kommt aus dem lateinischen Wort fuga. Und fuga bedeutet Flucht. Fugere bedeutet fliehen. Und das tut man ziemlich schnell in aller Regel. Und auf der Flucht oder beim Fliehen ist es sehr schlecht, wenn man anhält und irgendwie den Fluss stört. Das passt gar nicht zur Fuge. Also die Fuge ist in aller Regel ein relativ schnelles Tempo und sie läuft von Anfang bis Ende durch ohne eine einzige Pause. Und das hat Paul Celan hier auch in die Tat umgesetzt, in die Sprache umgesetzt. Nicht nur, dass er drei Stimmen selbstständig durch die ganze Fuge laufen lässt, das werden wir noch behandeln, sondern der Text dieses Gedichtes hat überhaupt keine Satzzeichen, keine Punkte, keine Komma.
Also diese Fuge läuft auch durch von Anfang bis Ende. Dann hat eine Fuge noch ein drittes wichtiges Merkmal. Eine Fuge lebt von den Wiederholungen. Das Thema wird wiederholt und nach dem Thema kommt eine kontrapunktische Durchführung. Das macht Celan auch. Und dann kommen freie Ergänzungen. Aber das Thema wird immer wieder markant wiederholt oder leicht abgeändert. Und andere Wiederholungen. Also eine Fuge ohne Wiederholungen ist undenkbar. Und auch dieses Gedicht lebt völlig von den Wiederholungen. Es sind eine Menge Wiederholungen, die drei Themen werden jeweils viermal ohne jede Abänderung wiederholt.
Also drei Themen, die jeweils viermal wiederholt werden. Das erste Thema der Hauptstimme heißt schwarze Milch der Frühe. Und dieser Ausdruck hält das ganze Gedicht zusammen. Es wird viermal wieder so eingeführt und das gliedert das Gedicht auch in vier Abschnitte. Also das methodische Hauptmittel, das in diesem Gedicht zu einer solchen Wirkung führt, sind die Wiederholungen. Jetzt stellt sich die Frage, warum greift Paul Celan auf eine Fugentechnik zurück? Ist ja sehr alt. Ich muss jetzt ein bisschen was zur Geschichte der Fuge sagen, weil das hat Celan natürlich alles sehr bewusst im Blickfeld.
Die Fuge als musikalische Form entsteht am Ende des Mittelalters und sie hat dann ihre Hochblüte in der Barockzeit. Jedem fällt sofort Johann Sebastian Bach ein. Er ist weltweit mit großem Abstand der Meister der Fuge. Niemand auf der Welt, niemand in Europa würde sich erkühnen, sich in der Fugentechnik mit Johann Sebastian Bach zu vergleichen. Bach hat das wohltemperierte Klavier geschrieben. Das sind 48 Fugen, 2 mal 24. Alles genau überlegt. Und dann hat er noch die Kunst der Fuge geschrieben. Das hat er leider nicht mehr vollenden können. Da sind so schätzungsweise ungefähr 20 Fugen drin. Also die Hochblüte der Fugenzeit ist die Barockzeit.
Das bedeutet, die Hochzeit der Fuge ist vor dem Zeitalter des Individualismus, vor der Aufklärung, vor dem Individualismus. Die Fuge ist noch keine Musikform im Individualismus. Deswegen gibt es auch später kaum mehr Fugen. Beethoven zum Beispiel, der hat sich gescheut. Die Fuge ist ihm viel zu reglementiert. Weil die Fuge ist eine halbe Mathematik und es gibt heute noch, eine Bekannte von mir promoviert in Musikwissenschaft an der Universität Leipzig über das wohltemperierte Klavier. Die hat daheim hunderte von Blättern, wo sie mit Farbe neue Verbindungen findet, die bisher noch nicht entdeckt wurden. Also in der Kunst der Fuge entdecken heute noch Musikwissenschaftler geheimnisvolle Zusammenhänge, die man letztlich nur über Mathematik und so erkennen kann.
Aber die Töne wirken. Es ist nicht so, dass es nur Theorie ist, sondern die Fugen Bachs haben eine eigentümliche tiefe Wirkung. Aber danach ist eigentlich aus mit der Fuge. Also Beethoven hat es mal probiert, aber er hat die Fuge nicht besonders leiden können. Aber so eine Hammerklaviersonate, das ist eine riesige Fuge. Das war es dann auch. Und auch die anderen neueren Komponisten Schubert, Schumann, Brahms und so weiter. Die haben alle mal eine Fuge geschrieben, weil sie wollten zeigen, dass sie es hinkriegen. Aber ihre Leidenschaft war nicht die Fuge. Die Fuge, das haben sie nur mal probiert, aber sie haben Sinfonien geschrieben. Bach schreibt noch keine Sinfonien. Es gibt dann später die Sonaten. Es gibt zwar auch in der Barockzeit Sonaten, aber die sind auch klein und sehr reglementiert.
Also das Wichtige ist, Paul Celan greift in diesem Gedicht weit in die Vergangenheit zurück auf eine musikalische Form, deren Zeit vorbei ist, deren Hochblüte Barockzeit war und die einen unglaublichen Meister in der Vollendung hatte, Johann Sebastian Bach. Warum macht Paul Celan das? Ich vermute, Paul Celan schreibt ja in diesem Gedicht von einem unvorstellbaren Grauen. Der Massenmord, der fabrikmäßig aufgezogene Massenmord an den europäischen Juden ist so ein Grauen, dass einem die Worte fehlen.
Es gab ja auch jahrzehntelang kein Wort für dieses Geschehen. Erst in den 70er Jahren kam durch einen Film das Wort Holocaust auf. Erst in den 70er Jahren. Und dann ein paar Jahre später, weil das Wort Holocaust sich nicht eigentlich gut eignet, kam das Wort Shoah auf. Aber vor den 70er Jahren hatte die menschliche Gesellschaft kein Wort für dieses unvorstellbare Grauen. Und Paul Celan, er war 24 Jahre alt, also dieses Gedicht schrieb. Das Gedicht wurde fertiggestellt im Mai 1945. Also mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist auch dieses Gedicht entstanden. Paul Celan will hier ein Gedicht schreiben über das unvorstellbare Grauen.
Und da, so vermute ich, spürt Paul Celan, das geht gar nicht. Ich kann nicht als Einzelkämpfer, als Subjekt mit meiner subjektivistischen Betroffenheit, kann ich gegen dieses Grauen gar nichts ausrichten. Celan sucht in dieser unvorstellbaren Welt, wo es keinen Halt mehr gibt, keine Humanität mehr gibt. Er versucht, irgendwas Objektives zu finden, auch als Schutz, dass er nicht nur subjektivistisch rangeht. Und da stößt er auf die Fuge. Die Fuge ist hoch reglementiert, die hat viele Standards, also Klagemotiv, weiß man schon, eine bestimmte Folge.
Also die Fuge besteht auch, so wie heute auch der moderne Jazz, hat so Standards, die man einfach, die muss man kennen, und die stecken alle in der Fuge drin. Das sind alles objektive Elemente aus der Tradition. Und die Regel der Fuge, dass man die drei Stimmen ganz nach den Regeln der Fuge ablaufen lässt, das ist für Paul Celan ein Schutz. Er erschützt sich in der Fuge. Wahnsinn. Also die Fuge, das ist jetzt für die Interpretation ganz wichtig, weil die Todesfuge, obwohl sie heute das berühmteste Gedicht deutscher Sprache ist, ist in den 50er Jahren auch von deutschen Literatur-Nachwuchsleuten abgelehnt worden. In einem wichtigen Tagung ist Paul Celan ausgelacht worden. Also die Todesfuge hat eine sehr ambivalente Wirkungsgeschichte. Man kann sogar sagen, die Wirkungsgeschichte der Todesfuge ist ein Abbild der politischen Geistesgeschichte der Bundesrepublik.
Wie diese Fuge behandelt wurde, Teile der deutschen Literaturkritik haben sich gegenüber diesem Gedicht blamiert bis auf die Knochen. Und deswegen, wenn man der Qualität dieses Textes gerecht werden will, muss man ganz bewusst auf die Fuge gehen. Fuge hat noch nicht zum Ziel eine größtmögliche Originalität. In der Musik kommt es eigentlich erst ab Beethoven. Selbst Mozart und Haydn sind noch ziemlich stark in der Reglementierung drin, Bach ganz tief, obwohl er diese Regelwerk zur Vollendung gebracht hat. Aber das Ziel der Fuge ist nicht optimale Originalität, sondern das Ziel der Fuge ist, dass das Regelwerk der Fuge meisterhaft eingehalten wird.
Das ist das Ziel. Man hat zum Beispiel festgestellt, dass der Ausdruck schwarze Milch nicht von Paul Celan stammt, sondern Rose Ausländer, eine auch jüdische Lyrikerin aus der Bukowina aus Czernowitz, das werde ich nachher in der Biografie bringen, die kannten sich gut. Rose Ausländer, die hat schon vor Paul Celan den Ausdruck schwarze Milch benutzt und auch sein Freund, enger Freund, Klassenkamerad, Immanuel Weissglas hat auch den Ausdruck schwarze Milch schon benutzt in Gedichten vor Paul Celan. Und jetzt hat also die deutsche Literaturkritik hämisch, banausisch, das ist ja alles Plaka, wie nennt man das, wenn man was übernimmt? Plagiat.
Das sind ja alles Plagiate. Nein, das sind keine Plagiate, sondern in der Fuge darf man zitieren, darf man Standards hereinbringen. Das ist eine Hommage, das ist eine Ehrerbietung. Paul Celan, der schätzte seinen Freund Immanuel Weissglas sehr, die haben jahrelang sich gegenseitig angeregt, sich ihre Gedichte gezeigt. Paul Celan hat gesagt, Immanuel, der Ausdruck schwarze Milch ist dermaßen optimal. Den kann ich verwenden in meiner Fuge, danke dafür. Und auch Hose Ausländer und auch Benjamin Immanuel Weissglas haben beide gesagt, das hat nichts mit Plagiat zu tun, denn unsere Gedichte, wo auch schwarze Milch vorkommt, laufen völlig anders.
Die Gedichte von Immanuel Weissglas waren noch sehr konventionell, aber Paul Celan in dieser Fuge eröffnet eine neue Epoche in der Lyrik. Und er hat auch sonst Zitate, zum Beispiel von Bach gibt es in irgendeinem Werk, Komm, süßer Tod. Oder er hat Zitate von Trakel, also in einer Fuge, er hat auch Zitate, verdeckte Zitate zur hebräischen Bibel, zur jüdischen Mystik. Also im Regelwerk der Fuge geht es nicht um optimale Originalität, ist gar nicht der Sinn einer Fuge, sondern bewährtes, Gutes packen wir in die Fuge rein und machen sie zum Teil in dieser Ganzheit der Fuge. Also dieses Gedicht kann man nur interpretieren von der Ganzheit der Fuge her, nicht von einzelnen Motiven.
Die bekommen alle ihren Ort, ihren formelhaften Charakter in diesem Gedicht. Also entscheidend für mich bei der Interpretation der Todesfuge ist, Paul Celan greift sehr bewusst zurück auf eine musikalische Technik, die beheimatet ist in der vorindividualistischen Zeit. Und er braucht das als Schutz, er freut sich, dass er ein bisschen was geregelt hat in diesem unfassbaren Grauen. Deswegen sucht er den Schutz der Fuge. Er will nicht nur subjektivistisch seine Betroffenheit äußern, da wäre was, was will man da machen.
Er will kein Einzelkämpfer sein. Er verbeugt sich vor all denen, von denen er jetzt motive in diese Fuge, die in ihrer Art völlig einzigartig ist. Aber er baut es ein. Er kommt als ein Mann, der nicht alleine dasteht, sondern der mit anderen zusammen es macht. Jetzt noch weitere so einführende Bemerkungen. Gehen wir mal zu den drei Stimmen. Die erste Stimme, die grundlegende, mit der das Gedicht beginnt, hat als Thema schwarze Milch der Frühe. Wir werden noch drauf kommen. Und dieses Thema wird viermal wiederholt und es gliedert das ganze Gedicht. Diese Leitmetapher schwarze Milch der Frühe hält das ganze Gedicht zusammen.
Und dann kommt nach diesem Thema eine kontrapunktische Durchführung, wie es in vielen Fugen auch ist, nämlich auch noch sehr formelhaft. Nach diesem Thema kommt immer Wir trinken dich abends, wir trinken dich mittags und morgens, wir trinken dich nachts, wir trinken und trinken. Das ist die kontrapunktische Durchführung. Die ändert sich ein klein bisschen, weil am Anfang heißt es Wir trinken Sie abends, die schwarze Milch. Wir trinken Sie abends, wir trinken Sie mittags und morgens, wir trinken Sie nachts. In der zweiten, zweiten Teil heißt es Wir trinken dich. Also jetzt ist man schon auf du. Also das ist die kontrapunktische Durchführung. Und dann gibt es die freien Ergänzungen in der Stimme 1. Das ist Wir schaufeln ein Grab in den Lüften. Da liegt man nicht eng.
Das ist eine freie Fortführung der Stimme. Und dann kommt nur noch als weitere Fortführung der hebräische Name Sulamit. Das ist also die Stimme 1. Sie hat relativ wenig Sprachmaterial. Sie hat allerdings das entscheidende Thema, das dem ganzen Gedicht die Stimmung und das Gepräge gibt. Und dann hat sie die ständig auch wiederholte mit leichten Abänderungen die kontrapunktische Durchführung. Wir trinken dich abends, mittags, morgens, nachts und wir trinken und trinken. Gut, das ist also die Wir-Stimme. Da ist ganz stark das Wort Wir. Bleiben wir mal bei diesem Wir. Also die Stimme 1 nennen wir jetzt mal die Wir-Stimme. Die Stimme 2 ist die Er-Stimme, der Lagerkommandant. Aber bleiben wir mal bei der Wir-Stimme.
Es heißt schwarze Milch der Frühe. Und jetzt Wir trinken Sie abends. Wir trinken Sie mittags und morgens. Wir trinken Sie nachts. Wir trinken und trinken. Also viermal kommt hier das Wir. Das ist schon ein starker Tobak. Wir trinken dich, wir trinken dich, wir trinken dich, wir trinken dich. Es wird aber nie genau gesagt, wer die Wir sind. Es wird nie expressis verbis, nie ausdrücklich gesagt. Obwohl man kann sicher sagen, es sind Juden. Es heißt ja auch dann in der ersten Versgruppe, man soll nicht Strophen sagen, das widerspricht der Fuge. Eine Fuge hat keine Strophen. Aber das Gedicht Todesfuge hat keine Strophen. Aber es hat schon eine gewisse Gliederung. Aber der Sprachfluss fließt ohne Satzzeichen und Kommas.
Gut, also auf jeden Fall die Wir-Stimme, obwohl das Wir ja viermal kommt, viermal vier, 16mal heißt es Wir, wird nie gesagt, wer das ist. Völlig klar ist, dass es Juden sind. Das heißt ja auch dann, er pfeift seine Juden hervor. Oder der Name Sulamit war auch in der Bukowina der typische Frauenname. Und auch im Hohen Lied im Alten Testament ist die Sulamit die Geliebte. Und wichtig ist noch, in der allegorischen Auslegung, in der jüdischen rabbinischen Theologie, wird das Hohen Lied allegorisch ausgelegt. Und da ist Sulamit ganz Israel. Israel ist die Braut und Gott ist der Bräutigam. Das ist sehr wichtig. Sulamit ist auch ganz Israel.
Also auf jeden Fall, er pfeift seine Juden hervor und Sulamit, es sind Juden. Und ganz klar ist auch, dass Paul Celan sich mit diesen Juden völlig identifiziert. Aber er gehört nicht zu diesen Wir. Paul Celan war nie in einem KZ. Als die deutsche Wehrmacht die Bukowina Rumänien eroberte, wurde sofort ein Ghetto eingerichtet. Und von den 40.000 Bewohnern von Czernowitz, ich komme dann später darauf, sind nur wenige Tausend Hang überlebt. Über 90 Prozent der Juden wurden in dem KZ umgebracht. Aber Paul Celan war damals 21, 22 Jahre alt. Mit dem konnte man noch Straßenbau machen. Er wurde inhaftiert in ein Zwangsarbeitslager, in dem er 18 Monate war.
Und dann hat die russische Armee, die Deutschen sind dann geflohen gegen Ende. Und die Überlebenden sind dann befreit worden. Also man kann schon sagen, Paul Celan ist ein Überlebender der Shoah. Das kann man schon sagen. Er musste auch einen gelben Stern tragen in diesem Zwangsarbeitslager, in dem er inhaftiert war. Aber dieses Zwangsarbeitslager war kein Vernichtungslager. Also Paul Celan hat die Stimme, spielt auf nun zum Tanz. Die hat er nie gehört. Er war nicht dort, wo so eine Stimme vorkam. Oder stecht tiefer ins Erdreich, ihr einen. Ihr anderen spielt weiter zum Tanz. Das gab es in seinem Zwangsarbeitslager nicht. Oder spielt süßer den Tod, streicht dunkler die Geigen. Nein, in dieser Welt war er nicht.
Aber er solidarisiert mit ihnen. Das merkt man auch darin, dass das ganze Gedicht aus der Perspektive der Wir formuliert ist. Er befiehlt uns, spielt auf nun zum Tanz. Es heißt nicht, er befiehlt ihnen. Nein, er befiehlt uns. Und auch er schenkt uns ein Grab in der Luft. Also dieses uns zeigt die Perspektive an. Die Perspektive gehört dieser ersten grundlegenden Stimme. Die hat das höchste Gewicht in diesem Gedicht. Aber wer sind diese Wir? Wenn dieses Gedicht im Mai 1945 fertiggestellt wurde, es gibt Hinweise von Freunden, dass er schon im Herbst 1944, wo er frei wurde, dass er mit diesem Gedicht angefangen hat.
Er hat sicher lange an dem Ding gefeilt. Und im Mai 1945 in Bukarest hat er es fertiggestellt. Also, das ist ein wichtiger Hinweis. Da waren ja alle Vernichtungslage bereits befreit. 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit. In der Bukowina, die wurden schon im Sommer 1944 befreit. Ja, wer sind die dann? Ja, man kann, muss jeder sich überlegen. Paul Celan sagt es nicht. Aber man kann sagen, es sind die Toten. Denn das Vernichtungsgeschehen war abgeschlossen. Es sind ja sehr wenige, 3, 4 % haben überlebt. Es ist wie, dass die Toten, die keine Stimme mehr haben, in diesem Gedicht eine Stimme bekommen. Es ist eine kollektive Erfahrung.
Das Gedicht könnte niemals im Ich-Stil stehen. Nein, es gibt diese kollektive Erfahrung. In den Vernichtungslagern bis zu den Verbrennungsöfen. Und sie steigen als Rauch in die Luft. Und nur wer dort war, und es sind ja Hunderttausende, die sind das Wir. Kein anderer kann sich da... Es geht in diesem Gedicht auch nicht um den Tod allgemein. Ja, wir leben alle zeitlich begrenzt. Wir reden ein Leben zum Tode. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um einen sehr speziellen Tod. Und in diesem Gedicht geht es auch nicht um ein menschliches Leiden. Der Mensch und die Völker leiden viel, völlig klar. Aber dieses Leiden ist ein besonderes Leiden. So was hat es noch nie gegeben. Und das darf man mit nichts vergleichen. Deswegen, diese Wir sind eine unaufspaltbare Gemeinschaft,
die man durch nichts aufspalten kann. Es sind diejenigen, die diese kollektive Erfahrung gemacht haben. Und nur die, die sind das Wir. Jetzt gehen wir zur zweiten Stimme. Das ist die Erststimme. Das Thema heißt, ein Mann wohnt im Haus. Nach dieser Wir-Stimme, also schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie, erst mal noch sie, abends. Wir trinken sie mittags und morgens. Wir trinken sie nachts. Wir trinken und trinken. Jetzt geht es noch mal weiter mit Wir. Wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da linkt man nicht eng. Das ist die Stimme 1. Jetzt kommt die Stimme 2, die Erststimme. Ein Mann wohnt im Haus. Also ganz abrupt, völliger Wechsel, ganz andere Welt. Ein Mann wohnt im Haus. Das ist alles normal, das kennen wir. Ein Mann wohnt im Haus, Wohnen ist was Schönes.
Die Wir, die wohnen ja nicht in ihren Baracken, in ihren Unterschlüpfen. Aber der Mann, der hat ein ganzes Haus. Hier ist irgendwie alles vertraut und normal. Und dann kommt die kontrapunktische Durchführung der Stimme 2. Er spielt, das ist auch noch normal. Man würde jetzt erwarten, er spielt Klavier oder er spielt Schach oder er spielt mit den Kindern. Es bleibt bis dahin, aber dann, er spielt mit den Schlangen. Das ist nicht normal. Aber in dieser Welt fängt es auch an, unnormal zu werden. Die Schlange ist das Böse nach der hebräischen Bibel. Er spielt mit den Bösen. Das ist eine unheimlich vermessene Haltung.
Und dann heißt es noch in der kontrapunktischen Durchführung, er spielt mit den Schlangen, er schreibt, er schreibt, ist wohl ein wiederholtes Schreiben, immer wenn es abends kommt, wird er romantisch, er schreibt, er schreibt, wenn es dunkelt nach Deutschland, dein goldenes Haar, Margarete. Offensichtlich hat er eine Geliebte in Deutschland. Der schreibt ihr, der Mann ist also durchaus romantisch. Er ist nicht auf das Böse festgelegt. Der Mann kann, der hat Gemült, der kann aulirisch, dein goldenes Haar, der kann poetisch werden. Er ist keine eiskalte Todesmaschine, das ist ein kultivierter Mensch. Aber dann heißt es, er schreibt es und tritt vor das Haus. Jetzt lässt er den Privatbereich zurück, er wird dienstlich.
Und es blitzen die Sterne, die leuchten nicht und sie strahlen nicht. Jetzt ist Schluss mit Romantik, sie blitzen. Übrigens gab es damals ein ganz berühmtes Lied, das sogar meine Eltern, die haben ja den Zweiten Weltkrieg schon als junge Erwachsene miterlebt, die kannten das Lied auch. Es gibt also ein ganz berühmtes, ursprünglich mal ein Operettenlied, das wurde aber dann zum Schlager, Heimat deine Sterne. Und das wurde das Lanzer Lied. Ich singe es euch mal vor, guckt es mal eben irgendwo, da kann man das noch googeln. Da gibt es wirklich noch Aufnahmen aus der Zeit. Also das Lied geht so. Und so weiter und so weiter. Also Heimat, deine Sterne, das steht da ganz sicher im Hintergrund. Und auch Margarete, dein goldenes Haar, Margarete. Gold ist ja auch hier schon lyrisch, aber es ist nicht nur eine Farbe,
es ist auch eine Würde, ein Status. Und Margarete war im Dritten Reich der deutsche Frauenname. Margarete. Und auch im Faust, die Geliebte von Faust, das heißt ja auch Margarete, wird dann abgekürzt Gretchen. Es gibt ja auch Hänsel und Gretel. Das geht alles zurück auf diesen Namen. Margarete, also der typisch deutsche Frauenname. Und dann heißt es und es blitzen die Sterne. Er pfeift seine Rüden herbei. Rüden sind Jagdhunde, große, scharf gemachte Jagdhunde, mit denen man auf die
Jagd geht, man denkt jetzt, man geht auf die Jagd. Er pfeift seine Rüden herbei. Und jetzt grammatisch ganz genau gleich. Er pfeift seine Juden hervor. Hau, die Maske fällt. Mit diesem einen Satz ist alles klar. Ja, die Maske fällt. Er pfeift, so wie er seine Rüden herbeipfeift, so pfeift er auch seine Juden. Sie sind sein Besitz. Sie stehen ihm zur Verfügung. Er pfeift sie hervor. Ja, aus ihren Baraken, aus ihren Unterkünften. Die bieten denen zwar überhaupt keinen Schutz, aber sie müssen ihren Mördern nicht dann nicht dauernd noch ins Gesicht sehen. Sie sind wenigstens da ein bisschen geschützt. Also das ist die erste und die zweite Stimme. Soweit mal. Die dritte Stimme will ich mal noch nicht bekannt geben.
Es gibt noch eine dritte Stimme. Jetzt bleiben wir noch bei diesen allgemeinen Vorbemerkungen. Also eine Fuge fließt zügig von Anfang bis Ende durch. Keine Pause. Wie kriegt es der Paul Celan sprachlich hin? Er hat ein Mittel gefunden. Ihr merkt, wenn ihr dieses Gedicht hört, dass das eine ganz schöne Wirkung hat. Aber es liegt an ganz bestimmten technischen Handwerkszeug, wie er das hinkriegt. Nämlich dieser Fluss der Fuge bekommt Paul Celan dadurch bekommt er das hin, dass er Daktilen verwendet. Daktilen. Daktilen meint man Folgendes. Immer eine Betonung und zwei unbetont. Sagen wir mal mond-süchtig. Das ist ein Daktilus.
Also Wörter oder auch ganze Wörter hintereinander, die immer in dem Takt sind. Betont, unbetont, unbetont. Ich will mal an dem Beispiel. Wir schaufeln ein Grab in den Lüften. Da liegt man nicht eng. Es ist ein meisterhafter Daktilus. Und zwar eigentlich müsste Paul Celan sagen Wir schaufeln ein Grab in der Luft. Denn es heißt ja nachher lässt schaufeln ein Grab in der Erde. Und das Pendant zur Erde ist die Luft. Es heißt ja auch in der vierten, im vierten Abschnitt. Er schenkt uns ein Grab in der Luft. Aber wenn Paul Celan hier Luft sagen würde, dann wäre der Daktilus kaputt. Wir schaufeln ein Grab in der Luft.
Geht nicht. Na sagt er eben Lüften. Wir schaufeln ein Grab in den Lüften. Da liegt man nicht eng. Ein Mann wohnt im Haus. Der schreit, der schreit, wenn es dunkelt nach Deutschland. Dein goldenes Haar Margarete. Irrsinnig. Aber das ganze Gedicht und das gibt diesen diesen Flusscharakter, dass dieses Gedicht so von Anfang bis Ende rollt es durch. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Also das Gedicht hat einen meisterhaften Rhythmus.
Und dann kann man noch sagen, das Gedicht steht im Präsens. Es könnte niemals im Interfekt stehen. Wir schaufelten ein Grab in der Luft. Der Tod war ein Meister. Nein, das Gedicht ist Präsens. Paul Celan will auf keinen Fall, dass das Gedicht abrutscht in irgendeine Art der Vergangenheit, sondern sobald man das Gedicht anfängt zu zitieren, bist du mittendrin im Geschehen. Du kannst dich nicht raushalten. Also dieses Gedicht ist ein Gedicht gegen das Vergessen. Wir dürfen das nie vergessen. Wir dürfen es niemals vergessen. Und dann ist auch wirklich von großer Meisterschaft dieses Gedicht ist nicht eine Reportage.
Es ist nicht eine Beschreibung. Hier wird nicht ein KZ beschrieben. Das ist nicht eins zu eins irgendwie die Wirklichkeit wiedergegeben, sondern es kommen so Begriffe wie KZ oder Konzentrationslager oder Gaskammer oder Krematorium oder solche Begriffe kommen gar nicht vor. Es kommen auch nicht Begriffe vor wie Auschwitz, Treblinka, Dachau und so weiter. Welches Lager das ist? Nein, also es ist keine Reportage, keine Beschreibung. Es geht um viel mehr. Paul Celan sucht eine Sprache, die in unserem Bewusstsein es bewirkt, dass wir dieses Geschehen nie wieder vergessen. Und das Allerstärkste an diesem Gedicht ist, es kommt keine einzige Anklage vor.
Keine Anklage. Es geht in diesem Gedicht um viel mehr wie eine Anklage. Es geht um viel mehr. Das waren die hinführenden Gesichtspunkte zu dem Gedicht. Jetzt will ich noch so in der Einzelexegese dem Gedicht jetzt noch mal Schritt für Schritt entlang gehen. Nehmen wir mal schwarze Milch der Frühe. Dieser Ausdruck schwarze Milch, den also Paul Celan dankbar aufgreift als Kompliment, als Hommage, das Lieber, Immanuel Weissglas, da hast du mir geholfen. Das ist also so, muss man das verstehen. Nicht Plagiat. Also schwarze Milch. Milch ist ja die Nahrung, die jeder Mensch als erstes bekommt. Niemand kann leben ohne Muttermilch.
Also das Wort Milch ist sowas von positiv besetzt. Und in Israel gibt es ja auch die Verheißung Ich führe euch in ein Land, wo Milch und Honig fließt, aber durch dieses Adjektiv Schwarz wird diese positive Wirkung vollkommen kaputtgeschlagen. Schwarze Milch ist ein Leben, das vom Tod zerfressen ist und das kein Mensch gerne trinkt, die trinken das ja nicht aus Bedürfnis. Das ist ja ein Teil der Folter. Und schwarze Milch. Wir trinken dich abends, morgens. Wir trinken dich unentwegt, heißt die Todesangst und die Todesdrohung, die ja jeden Tag da ist, nur nicht auffallen. Wenn du irgendwie auffallt, kannst du gleich abgeknallt werden. Also die Todesangst und die Todesbedrohung trinken die Tag und Nacht. Ja, es ist das Unfassliche.
Aber fragen wir uns auch der Frühe. Also zum Beispiel die Rose Ausländer und Immanuel Weissglas in ihren Gedichten. Da kommt nicht da kommt nur schwarze Milch, aber nicht schwarze Milch der Frühe. Ich vermute, dass der Paul Celan Folgendes meint. Er sagt es ja nicht. Aber Frühe kann hier keine Tageszeit sein, weil die hat er ja. Er nennt alle Tageszeiten nachts, morgens, mittags, abends. Also morgens, das ist die Frühe. Es geht bei der Frühe nicht um morgens. Da hat er ja selber ein Wort dafür. Aber früh hat noch eine ganz andere Bedeutung. Zum Beispiel sagen wir oft, das ist ein Frühstadium. Du befindest dich noch im Frühstadium oder so. Das hat ja nichts mit der Tageszeit zu tun. Oder bei Entbindungskliniken gibt es die Frühchen.
Die kommt viel zu früh auf die Welt, Wochen vorher. Und dann müssen sie im Krankenhaus hochgepettet werden. Die Frühchen. Jeder Mord in diesen Vernichtungslagern ist zu früh. Selbst wenn Frauen mit 85 umgebracht werden. Ja, wer weiß, wie viele Jahre sie noch hätten leben können, mit ihren Enkeln spielen können. Nur weil Menschen, die sich als arische Herrenrasse definieren, nur weil die entscheiden, wird das Leben dieser Menschen zu früh. Jeder Tod in den Vernichtungslagern. Eines können wir ganz sicher sagen, er kommt zu früh. Sie waren noch nicht so weit. Sie waren noch nicht drauf gefasst. Sie wollten noch nicht sterben. Das ist die schwarze Milch der Frühe. So, glaube ich, gibt es einen ganz tiefen Sinn.
Es kommt zu früh. Dann wir schaufeln ein Grab in den Lüften. Das Wort schaufeln, nein, machen wir erst mal trinken. Wir trinken sie abends, wir trinken sie mittags, morgens. Das Wort trinken ist biblischer Ausdruck. Der Zornesbecher. Jesus sagt mal, ich sehe meine Vater. Lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Das heißt so viel wie, ich will ihn nicht trinken. Also das Trinken ist ja kein Bedürfnis, sondern die müssen das schlucken. Tag für Tag trinken und trinken. Sie nehmen den Tod in sich auf. Der Tod ist ihnen sicher. Die leben sicher in dem Gefühl, die wissen ja nicht, dass dann mal eine Befreiung kam, die ja nur zwei Prozent erlebt haben. 98 Prozent sind gestorben. Und schaufeln, wir schaufeln ein Grab in den Lüften.
Als man, Silan war 18 Monate inhaftiert mit gelben Sternen in einem Zwangsarbeitslager. Er hat Straßenbau machen müssen. Und als er dann überlebt, frei wurde, hat man ihn mal gefragt, ja, was hast du denn da in den 18 Monaten machen müssen? Und dann antwortet Paul Silan, ich habe geschaufelt. Ich habe geschaufelt. Die Schaufel als Demütigung und sehr anstrengend. Schaufel mal 12 Stunden pro Tag. Da weißt du, was der Rücken zu leiden hat. 18 Monate sagt er, ich habe geschaufelt. Das ist diese erniedrigende Arbeit, wo jeder Hilfsarbeiter kann. Brauchen wir keine Ausbildung. Ich habe 18 Monate geschaufelt. Auch hier, wir schaufeln. Ja, die schaufeln nicht. Es heisst ja dann, lässt schaufeln ein Grab in der Erde.
Ja, die schaufeln selber nicht, sondern die lassen schaufeln. Ja, also wir schaufeln ein Grab in den Lüften. Ja, in den Lüften. Für einen Juden ist das ganz schlimm. Es gibt Religionen, wo Feuerbestattung kein Problem sind. Im Ganges werden die Leichen verbrannt. Üblich so und die Asche in den Ganges gestreut. Aber in der hebräischen Bibel heißt es, im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zur Erde zurückkehrst, von der du genommen bist. Denn Staub der Erde bist du. Und zum Staub der Erde sollst du wieder werden. Oder in der Auferstehungshoffnung Daniel 12,2 heißt es, die Menge derer, die im Staub der Erde schlafen, werden auferstehen.
Die Menge derer, die im Staub der Erde schlafen. Für einen Juden war das Minimum, ich möchte ein Grab in der Erde. Und viele Juden sind im Alter nach Palästina gefahren, weil sie in der Erde Palästinas, in Eretz, Israel, begraben sein wollen. Denn im Mittelpunkt der Verheißung steht das gelobte Land. Und das Land hat Erde. Im Jüdischen ist das ganz stark. Abraham hat in seinem ganzen Leben nur ein einziges Grundstück besessen. In Hebron hat er es gekauft. Warum? Dass er einen Grab hat für seine Frau. Er hat, les mal nach in 1. Mose 23, das ist das einzige, was Abraham besessen hat. Sonst war er ein herumstreunender Wagerbund. Ein umherirrender Aramäer war mein Vater. Ein Landstreicher, ein umherirrender.
Er hatte nur ein einziges Grundstück, damit er seine Frau in der Erde begraben kann. Und da liegt man nicht eng. Ich weiß nicht, ob Sie mal in Dachau oder Auschwitz, müssen Sie mal hin. Also in Dachau werden Sie erklärt bekommen, jeder hatte so ein Holzbrett, so ein Verhau, so eine kleine Holzschachtel, da lag er drin. Aber die Konzentrationslage wurden doppelt, dreifach, vierfach belegt. Es gab also KZs, da lagen in diesem Brettverhau vier Menschen nebeneinander, wie die Heringe. Die mussten sich auf Kommando umdrehen. Also einer musste sagen, jetzt drehen wir nach jeder Stunde, weil wenn du die ganze Nacht so liegst, sind deine Knochen so kaputt, dass du am nächsten Tag nicht mehr arbeiten kannst. Übrigens, die Eltern von Paul Celan sind beide in den Vernichtungslagern umgekommen.
Ein Bote hat gesagt, er hat seine Mutter sehr geliebt. Als seine Mutter arbeitsunfähig war, hat man sie durch Genickschuss erledigt. Er hat sich nicht verabschieden können von seinen Eltern. Er war bei seiner Freundin, kam dann heim, und da sah er die Wohnung versiegelt und niemand mehr da. Und sie kamen auch nie wieder. Da liegt man nicht eng. Ja, die Musik in den Konzentrationslagern lässt schaufeln ein Grab in der Erde. Er befiehlt uns, spielt auf nun zum Tanz. Dieses Gedicht, Todesfuge, ist eines der frühesten Gedichte über die Shoah. Vielleicht ist es das früheste Gedicht, das weiß man nicht genau, aber auf jeden Fall eines der frühesten, ja schon im Mai 1945. Der Weltkrieg ist ja gerade eben zu Ende gegangen.
Aber es ist das früheste Gedicht, wo die Musik eine starke Rolle spielt. Er hat nämlich von Heimkehren erfahren, dass es tatsächlich in vielen Vernichtungslagern Orchester gab, Gapellen gab. Die mussten auch bei Erschießungen Tango spielen. Oder bei dem Aus-Läs-Schaufeln ein Grab in der Erde. Das sind ja die Gräber, wo sie selber rein. Dann mussten sie sich ihre eigenen Massengräber schaffen. Erst als es gar nicht mehr möglich war, Massengräber für Millionen, der Aufwand ist viel zu groß, da ist man dann übergegangen, sie zu verbrennen. Weil die Massengräber waren alle voll. Dann steigt der als Rauch in die Luft. Also z.B. in Auschwitz hat die jüdische Geigerin Alma Rose, eine berühmte jüdische Geigerin, sie war die Leiterin des Mätchenorchesters in Auschwitz.
Und sie berichtet, dass der Lagerkommandant Kramer, der eine Zeit lang Chef in Auschwitz war, unter seiner Regie wurden 34.000 Juden ermordet, dass er nach seinem harten Berufsalltag abends gern zu ihnen kam und ihnen zuhörte. Und dann ging er wieder. Und sie berichtet, sie haben mal die Träumerei von Schumann gespielt. Und dann musste der Lagerkommandant Kramer weinen vor Rührung. Ja, das ist die Musik. Sie mussten auch noch Musik machen, dass ihre Erniedrigung auch wie ein Fest noch gefeiert wurde. Das war also dermaßen infam. Ich habe noch so ein paar Stellen drin, die man interpretieren muss. Zum Beispiel im vierten Abschnitt.
Also die Stimmen, Paul Celan verzahnt die Stimmen immer mehr. Und jetzt muss ich erst mal ein Geheimnis lüften, was ist die dritte Stimme? Die dritte Stimme kommt im ersten Abschnitt gar nicht vor, weder bei der Wir-Stimme noch bei der Er-Stimme. Erst im dritten Abschnitt heißt es, er ruft, spielt süßer den Tod. Und jetzt kommt die dritte Stimme. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Dieser Satz ist kein Befehl, weil der Kommandeur, der Kommandeur, der Kommandeur, der Kommandeur, der Kommandeur, außer bei der Margarete, da ist er so lyrisch, aber sonst pfeift er und befiehlt und ruft.
Also wir erleben diesen Lagerkommandanten nur als Befehlshaber, der mit Menschen umgeht wie mit Rüden. Aber hier kommt etwas ganz Neues, nicht im Befehlston. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Und dieser Satz, der hier im dritten Vers kommt, kommt im letzten Vers dreimal, also damit kommt er auch auf viermal, immer unverändert und nicht in dem Befehlston. Und er war ja die ersten zwei Verse gar nicht da, also er gehört nicht zur Er-Stimme. Also da heißt es, spielt süßer den Tod, und jetzt kommt die dritte Stimme. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Wir trinken schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts und mittags. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Wir trinken dich abends und morgens, wir trinken und trinken.
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Und ganz am Ende nochmal, also es kommt auch viermal, wie jedes Thema, unverändert, also ist es eine eigene Stimme, der Tod. Ja, und in der vierten Stimme wird der Tod zum ersten Mal identifiziert mit dem Lagerkommandanten. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, sein Auge ist blau. In der dritten Strophe heißt es, seine Augen sind blau. Aber jetzt wird die Augen in ein Zahl, in der zweiten Gruppe heißt es, er greift nach dem Eisen im Gurt, gemeint ist die Waffe, scharfe Jagdhunde und Waffe, das sind die beiden Signale des Lagerkommandanten. Er schwingt, also er will sie einsetzen, er will die Leute erschießen
und jetzt heißt es, seine Augen sind blau. Typisch deutsch, goldenes Haar, blaue Augen, aber jetzt in der vierten Strophe heißt es, sein Auge ist blau. Warum? Er zielt, er kneift ein Auge zu. Und die, die jetzt erschossen werden, sehen das eine Auge. Sein Auge ist blau. Und jetzt schießt er, jetzt kommt der einzige Reim. Er trifft dich mit bleierner Kugel, er trifft dich genau. Das ist der letzte Reim, den Paul Celan jemals schreiben wird, er wird keine Reime mehr schreiben, das ist die illusorische Welt und dieser Reim ist ja ganz banal, bewusst ganz banal, sein Auge ist blau, er trifft dich genau. Das kann schon ein Grundschüler, aber das macht er ganz bewusst. Das eine Auge sieht der,
der jetzt erschossen wird und die Kugel trifft dich mit deutscher Gründlichkeit. So genau wie dieser Reim ist, so genau trifft er dich. Der Reim steckt in diesem Gedicht wie die Kugel im Erschossenen. Also der Reim, der ist der Schuss, das ist der Schuss. Er trifft dich mit bleierner Kugel, er trifft dich genau. Und jetzt im Augenblick des Todes läuft das Leben noch mal ganz schnell ab. Ein Mann wohnt im Haus, dein goldenes Haarmargel hetzt seine Rüden und dann zum Schluss noch mal, er spielt mit den Schlangen und träumt. Paul Celan hat schon Sigmund Freud studiert, das Unbewusste hat er sehr bewusst wahrgenommen. Die Bedeutung der Träume ausdrückt das Unterbewusste, Unbewusste bis in die Träume hinein. Was träumt dieser Typ?
Der träumt, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Das ist er noch stolz drauf. Der träumt das auch noch. Bis ins Unbewusste ist er noch stolz. Dann ist es kaputt. Und dann am Ende dein goldenes Haarmargerete, die zwei einzigen Frauennamen, dein aschenes Haarsulamit, knallhart dagegen gesetzt, aber doch genau gleich, die hätten ja vielleicht Freundinnen werden können in anderen Zeiten. Aber jetzt, in diesen Zeiten. Ich will zum Schluss zum Leben von Paul Celan einige sagen. Paul Celan wurde im November 1920 in der Bukowina, erkläre ich gleich, und zwar in der Hauptstadt der Bukowina,
Czernowitz, wurde er geboren. Die Bukowina war bis zum Ersten Weltkrieg die östlichste Provinz der Welt. Die östlichste Provinz des großreichste Habsburger. Also diese Donaumonarchie, K&K-Monarchie, Österreich-ungarische Monarchie, das Habsburger Reich ging im Ersten Weltkrieg zugrunde. Es wurde aufgeteilt, ganz neu. Aber bis zum Ersten Weltkrieg war die Bukowina der östlichste Zipfel des Habsburger Reiches, es war sogar Kronland. Es gab enge Beziehungen zu Wien, obwohl das sehr weit im Osten ist. Nach der Bukowina kommt gleich die Ukraine. Heute gehört dieses Gebiet zur Ukraine, aber damals gehörte es zu den Habsburgern.
Es gab in Czernowitz, Czernowitz hatte ungefähr 120.000 Einwohner, 40.000 Juden ungefähr, 40.000 andere Deutschsprachige, 40.000 andere, alle möglichen Sprachen, Rumänen, Ungarn, Polen, Ukrainer, Jiddisch wurde auch gesprochen. Also in Czernowitz gab es sieben bis acht Sprachen. Und man musste schon zwei, drei auch wirklich können, um da klarzukommen. Ja, also die Universität in Czernowitz hieß Kaiser-Franz-Universität, gegründet von Kaiser Franz 1875. Die Grünanlage hieß Habsburger Hügel und es gab in Czernowitz eine Maria-Theresia-Gasse. Also ich will damit nur sagen, bis 1920, wo Paul Celan geboren wurde, war das habsburgisches Gebiet, es gab mehrere deutsche Tageszeitungen und in der Bukowina, das wurde dann zu Rumänien geschlagen ab 1919,
aber es war weiterhin, die Hauptsprache war Deutsch und es gab auch die Lyrik, die Literatur durch die Juden, es gab also eine blühende deutschsprachige Literatur und Lyrik-Szene in Czernowitz. In Czernowitz, hat mal einer gesagt, gab es mehr Buchhandlungen als Bäckereien. In Czernowitz lebten Menschen und Bücher. Und z.B. Paul Celan ist als kleiner, kleinerer Junge, so 8 oder 10 oder 12, ist er zu seiner Freundin Edith Horowitz, weil ihr Vater hatte die zweitgrößte, besaß die zweitgrößte Büchersammlung in ganz Czernowitz und das war ein Schlaraffenland für Paul Celan. Paul Celan war das einzige Kind deutschsprachiger Juden.
Die Eltern von Paul Celan gehörten nicht zur jüdischen Bildungsschicht oder Oberschicht. Sie hatten, wie man damals sagte, nur Volksschule besucht. Der Vater war eigentlich so ein Bautechniker, hatte eine Berufsausbildung, aber nach dem Ersten Weltkrieg hat er keine Arbeit mehr gefunden und wurde dann Vertreter, der sich mehr Recht als schlecht, also sehr ärmlich alles. Und die Mutter, die war sehr sozialpädagogisch, hat sich pflegerisch auch eingesetzt. Ja, und sie hatten, Paul Celan wohnte in einer 3-Zimmer-Mietwohnung in Czernowitz, 3-Zimmer-Mietwohnung, und in dieser Mietwohnung lebten 6 Personen. Der Großvater, der hatte ein Zimmer, dann 2 erwachsene, unverheiratete Schwestern, des Vaters, also 2 Tanten, die teilten sich ein Zimmer.
Und das 3. Zimmer hatten die Eltern von Paul Celan. Vater hieß Leo, Mutter hieß Friederike, und er hatte dort sein Bett. Erst mit 13 Jahren hat er zum ersten Mal ein eigenes Zimmer gehabt. Er war bis 13, schlief er in einem Gitterbett im Zimmer der Eltern. Eine der Tanten wanderte dann nach Israel aus, und der Großvater starb, und dann wurde es ein bisschen besser. Er ging zunächst auf einen Kindergarten und Grundschule, die privat war, aber das Schulgeld konnte der Vater dann nicht mehr bezahlen. Der Vater war ein sehr strenger Jude, orthodoxer Jude. Er schlug auch Paul sehr oft wegen Kleinigkeit. Wie das damals üblich war in den guten alten Zeiten. Man hat die Kinder geschlagen, auch wegen Nichtigkeiten. Und Paul war dadurch sehr verschüchtert. Er hatte kein gutes Verhältnis zu seinem Vater,
aber ein tiefes Verhältnis zu seiner Mutter. Die Mutter liebte die deutschen Dichter. So Bar Mitzvah, die jüdische Konfirmation, Bar Mitzvah mit 13, schenkte die Mutter ihrem Sohn eine Gesamtausgabe von Goethe. Bar Mitzvah, das ist nicht üblich. Also die Mutter, eine ganz einfache Frau, aber sehr belesen. Und der Junge las von Anfang an. Dann kam er, weil das Schulgeld nicht mehr reichte, in eine Zionistenschule. Der Vater war ein sehr strenger Jude, sehr gesetzlich. Er war Zionist und in dieser Zionistenschule war die Unterrichtssprache hebräisch. Die gibt es ja noch gar nicht so lange, weil die wurde ja so 1880, 1890 neu erfunden. Da war die Unterrichtssprache hebräisch. Und zionistische Lehrer. Und Paul hat es dem gar nicht gefallen.
Der Vater mit seiner strengen Religiosität hat ihm den Weg zur Religion ziemlich verschlossen. Nach der Bar Mitzvah hat Paul Söller nie wieder einen jüdischen Gottesdienst besucht. Er hatte irgendwie die Nase da ziemlich gestrichen voll. Und auch vom Zionismus, das hat er so als fanatisch erlebt. Deswegen Auswanderung nach Israel kam für ihn nicht in Frage. Er war deutsch, er wollte ein deutscher Dichter sein. Gut, dann kam er bis zum Abitur noch auf ein rumänisches Gymnasium mit rumänischer Unterrichtssprache. Und dann kam er in den letzten zwei Jahren auf ein Gymnasium mit deutscher Unterrichtssprache, wo die meisten Juden waren. Also er hat durch den Unterricht fließend rumänisch gelernt. Und er kann auch sehr gut hebräisch, zumindest konnte er jidisch verstehen. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Die Russen haben zunächst mal die Bukowina erobert,
die Universität geriet in sowjetische, stahlinsche Prägung. Das war also auch fürchterlich. Und dann besetzten die Deutschen die Bukowina. Und Paul wurde inhaftiert in diesem Zwangsarbeitslager und kam dann wieder raus. Dann war klar, dass die nördliche Bukowina Teil der Sowjetunion werden würde. Und die Universität in Czernowitz total stalinistisch wurde. Das ganze jüdische Leben war vernichtet. Und auch von den 40.000 Deutschen in Czernowitz wurden 25.000 durch Hitler zwangsumgesiegt ins Deutsche Reich. Und auch die anderen waren oft im Krieg gefallen. Also Czernowitz war nicht wiederzuerkennen. Es war hier nichts mehr möglich. Czernowitz wurde eine versunkene Welt. Und die Deutschen in Deutschland, die hatten in der Regel keine Ahnung
von der Bukowina. Es war auch ein bisschen anderes Deutsch wie in Deutschland. Und auch manche österreichischen Eindrücke. Weil Czernowitz war eine deutsche Sprachinsel, umgeben von Homänisch, Ungarisch, Polnisch, Ukrainisch und Jiddisch. Und die deutsche Sprache war etwas Kostbares. Man erfreute sich, wir reden Deutsch. In Deutschland ist ja alles ganz normal, dass wir Deutsch reden. Aber die deutsche Sprache in Czernowitz wurde hoch geachtet. Man fühlte sich glücklich. Und es sind ja mehrere berühmte Schriftsteller aus Czernowitz. Hose Ausländer. Benjamin Immanuel Weissglas und andere, die ja auch in Deutschland dann einen großen Namen hatten. Dann hat Paul Celan sich entschieden, Czernowitz zu verlassen. Aber das war seine Heimat.
Er hat nie wieder eine Heimat gefunden. Nie wieder. Er schreibt einmal später, ich wollte, ich wäre immer noch dort. Und es war eben eine Sprachinsel, die eine eigene Entwicklung hatte, die anders lief wie in Deutschland selber. Deswegen hatten dann später, wie redet denn der Deutsch? Die hatten dann so Fremdheitsgefühle. Die wussten seine Biografie gar nicht. Also Paul Celan ging dann nach Bukarest, weil es war klar, die nördliche Bukowina mit der Hauptstadt Czernowitz wird sowjetrussisch, da kann man nichts mehr machen. Und in Rumänien hat man den König wieder eingesetzt. Rumänisch war auch sehr faschistisch. Und der Hitler. Aber jetzt hat man den alten König wieder rekrutiert. Und da hat Paul Celan gedacht, der König ist vielleicht ein bisschen moderater. Der wird die Sache nicht so machen wie Stalin oder so.
Aber auch Bukarest wurde immer kommunistischer. So dass Paul Celan, er war zwei Jahre in Bukarest. Und es waren die ersten Jahre, wo er als junger Erwachsener, 24, 25 Jahre alt, jetzt konnte er endlich mal tun, was er will, ohne große Verfolgungsdruck. Es waren die ersten normalen Lebensjahre von Paul Celan. Und da schrieb er also unter anderem die Todesfuge im Mai 1945. Er war 24,5 Jahre alt. Also der ist schon ein herausragendes Talent. Die Todesfuge wurde dann ins Rumänische übersetzt. Und dort auch in irgendeiner Zeitschrift abgedruckt. Aber das ging alles unter. An Veröffentlichung in unserem Sinn konnte man im Mai 1945 gar nicht denken. Alles war kaputt, alle Verlage kaputt. Also es gab gar keine Öffentlichkeit, die jetzt Gedichte lesen wollte. Also er hat zunächst gar nicht an eine Veröffentlichung gedacht.
Aber in Bukarest gab es Leute, die lyrisch kompetent waren. Und die ihm gesagt haben, Paul, das Gedicht ist, das musst du gut, schreib es ein paar Mal ab, dass es nicht verloren geht. Und ein väterlicher Freund hat nach Wien geschrieben. Als man merkte, in Bukarest wird es auch immer kommunistischer, eine freie literarische Entwicklung ist nicht möglich, ging er nach Wien. Es heißt, man war in den Büchern, er übersiedelte nach Wien. Aber ich sage euch, das war lebensgefährlich, denn er war jetzt ein Republikflüchtling. Man hat die Grenzen nach Ungarn immer strenger bewacht. Es sind viele verhaftet worden, Juden, die nach Wien wollten. Und auch viele erschossen worden. Und Paul Celan war staatenlos, er war mittellos, er war arbeitslos.
Und als Dichter namenlos. Und so, er hat mit Schleusern, die er bezahlen musste, obwohl er kaum Geld hatte, die haben ihn dann, also es war lebensgefährlich, er kam dann im Dezember in Wien an, ging also freiwillig ins Flüchtlingslager. Er war ja ein politischer Flüchtling. Wien hatte damals noch vier Besatzungszonen und eine internationale Zone. Und man merkte sehr rasch, er war ein halbes Jahr in Wien, und sehr rasch eine Aufarbeitung des Dritten Reiches wird es in Wien nicht geben. Die alten Nazis, die Beamten, die Lehrer, die Professoren waren bereits wieder in Amt und Würden. Und so was wie Todesfuge will da keiner hören. Und er verliebte sich dort in die Ingeborg Bachmann, die bedeutendste Lyrikerin nach 45. Also der bedeutendste Lyriker und die bedeutendste Lyrikerin
haben sich in Wien als Flüchtlinge kennengelernt, sich ineinander verliebt und haben auch viel Schönes erlebt, viele Liebesgedichte aus dieser Zeit. Aber er merkt, Wien, da kann ich nicht bleiben, er versucht aber, einen ersten Gedichtband herauszubringen in einem Wiener Verlag, obwohl da gerade die Währungsreform war in Wien, 80% der Verlage haben Pankrott gemacht, aber er wollte unbedingt, er wollte seine Gedichte, er sagt immer wieder, ich suche einen Ort für mich und meine Gedichte. Und dann hat ein Freund Kontakt gehabt zu einem kleineren Wiener Verlag und da kam tatsächlich ein erster Gedichtband heraus, er hieß Der Sand aus den Urnen, 1948, im August. Da war aber Paul Celan schon nicht mehr in Wien,
er ging im Juli nach Paris. Aber als Paul Celan dann diesen Band vor sich sah, hat er sich geniert und geschämt, ein ganz billiger Bindung, ganz billiges Papier und dauernd Druckfehler, fürchterlich sinnentstellende Druckfehler. Es wurden von dem Band nur 20 Exemplare verkauft, 500 war die Auflage und Paul Celan ließ sie einstimmen, er hat sich geniert, also sein, sein, es ist so in Wien und es begann mit dem Einstampfen seines ersten Gedichtsbands, Der Sand aus den Urnen, 20 Exemplare wurden verkauft. Ja, und dann hat Paul Celan sich entschlossen nach Paris zu gehen, das war eine Entscheidung, vor allem gegen Deutschland. Bukowina wurde sowjetrussisch, Bukarest wurde kommunistisch, Wien wurde alles zugedeckt, keine Aufarbeitung, nach Deutschland vollkommen ausgeschlossen.
Das Land, das den Völkermord betrieben hat, das war indiskutabel. Und dann ging er nach Paris, dort hatte er früher einen Onkel gehabt, er war schon mal zweimal in Paris, so zu Ferien, hat es dort gut gefunden. Der Onkel ist inzwischen auch ermordet worden, und er ging dann in die Straße, dort wo der Onkel war, und hat dort eine Wohnung gefunden. Die ersten Jahre lebte er in einem Hotelzimmer, ganz billig, er wurde Fabrikarbeiter, er hat sich durchgeschlagen, in ärmlichsten Umständen, er bekam dann nach einiger Zeit, weil er auch fließend Französisch konnte, er hat an der Universität in Czernowitz Romanistik und Anlistik studiert, also er konnte sehr gut Französisch, Englisch, er konnte gut Russisch und Rumänisch und Deutsch, und da hat er jetzt irgendwie Übersetzungsarbeiten bekommen,
er hat sein Leben zu einem erheblichen Teil immer mehr durch Übersetzungstätigkeit, da war er dann ein Angestellter. 1952 heiratet er seine Giselle, die kam aus ganz reichem Hintergrund, ihre Eltern hatten ein Schloss, es waren Aristokraten, die in der Hitlerzeit sich ganz still verhalten hatten, also die gar nicht groß zerstört waren, und als sie hörten, dass ihre Tochter diesen arbeitslosen Dichterling hat, haben sie die Giselle verstoßen, sie wurde aus der Familie abgestoßen, sie hat nie ein Pfennig Geld bekommen, und sie zog jetzt zu Paulselan in das Hotelzimmer, da lebten sie 2, 3, 4 Jahre und haben im Dezember 1952 geheiratet.
Sie bekamen ein Jahr später einen Sohn, der starb aber nach wenigen Tagen, das hat sie fürchterlich getroffen, und ein Jahr später bekamen sie noch einmal einen Sohn, der hieß Erik, so wie meiner auch, der lebt heute noch, so dass sie einen Sohn haben. Aber ich will mit folgendem schließen, also dieses einzigartige Gedicht, kein Text der deutschen Sprache, hat eine solche Wirkung erzielt nach 1945, wie dieser Text, weder in der Lyrik noch in der Epik, ist einmalig. Ja, also in Bucharest gibt es eine rumänische Übersetzung, die ging unter, dann hat er sie in diesem komischen ersten Gedichtband, Sand aus den Urnen, dann hat er einstampfen lassen, er musste es immer, weil er war jetzt schon 48, 28 Jahre alt, dann 52, war er 32, er wollte endlich mal,
dass irgendwas von ihm erscheint, ein Dichter, der nicht veröffentlichtes, das geht ja nicht. Ja, und dann kam folgendes, die Gruppe 47, das war später, war das der Deutsche Schriftstellerverband, aber 1952 gab es noch gar keinen Deutschen Schriftstellerverband, es war die Gruppe der 47, da war auch Heinrich Böll dabei, Walter Jentz, viele bekannte Leute, die trafen sich in der Gruppe 47, die trafen sich jedes Jahr und haben auch immer einen Preis verliehen, bis jetzt hatten sie nur Leute, die Romane geschrieben haben, sie hatten also gar keine Lyriker, aber 1952 in Niendorf, das ist ein kleines Dorf in der Lübecker Bucht, dicht an der DDR-Grenze, da war Paul Celan zum ersten Mal in Deutschland, er ist bis dorthin nur durch Deutschland durchgefahren,
aber er ist nie nach Deutschland reingefahren, und dann im Mai oder Juni 1952 im Treffen der Gruppe 47 wurde er eingeladen, die Ingeborg Bachmann hat es hingekriegt, dass er eingeladen wurde, niemand hat den Namen Paul Celan jemals gehört, übrigens, die Ingeborg Bachmann hat ihn zweimal in Paris besucht, in den frühen Jahren, wo er also noch nicht verheiratet war, und auch Giselle noch gar nicht kannte, hat sie ihn zweimal besucht, und sie haben probiert, miteinander zu leben, aber sie haben es nicht hingekriegt, es hat irgendwie nicht geklappt, und die Ingeborg Bachmann hat es ganz lang darunter gelitten, ja, und dann hat also die Ingeborg Bachmann es, man hat beschlossen, wir hören jetzt auch Lyriker, eingeladen war die Ingeborg Bachmann, die schon einen gewissen Namen hatte, und Ilse Eichinger, auch eine der bedeutendsten Lyriker,
Lyrikerinnen der damaligen Zeit, und Paul Celan, die wurden eingeladen, und Paul Celan fuhr mit einer gewissen Hoffnung hin, und dann hat man erst die Romane besprochen, also die Autoren haben aus ihren eigenen Werken gelesen, und hat darüber diskutiert und so weiter, und dann kam Paul Celan ziemlich am Ende dran, und er hat diese Todesfuge vorgetragen, und er hat dann, wie gesagt, ein paar gelächter, einer sagte, hat dieser Sing-Sang wie in der Synagoge, und ein anderer, der Leiter sogar, sagte, seine Stimme erinnert mich an Goebbels, laut, Paul Celan hat fast die Fassung verloren, er ist dermaßen schwer verletzt worden, er hat ja später den Büchnerpreis,
die waren auch lyrisch inkompetent, ignoranten, waren selber zum Teil Wehrmachtsoldaten, jetzt will der, der Tod ist der Meister aus Deutschland, dem pfeifen wir mal was, also er wurde glatt geschnitten, ich weiß nicht, wie Heinrich Böll, er war dabei, also er wurde ausgelacht, allerdings bei der Preisverleihung bekam Paul Celan sechs Stimmen, es hat ihn ein bisschen getröstet, immerhin, von diesen 47, ja, aber es passierte in der tiefsten Nacht auch das Schönste, in dieser Sitzung der Gruppe 47 war der Cheflektor der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart, das ist ein Mercedes, unter den, so ein großer, renommierter Verlag, DVA, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart,
und der Cheflektor hat das alles, der ging halt hin, da entdeckt man vielleicht neue Talente, und als dann Paul Celan schrieb seiner Frau, ich gehe nie wieder hier hin, ich bin so verletzt und gedemütigt, sie haben keine Ahnung von Lyrik, Ignoranten haben mich ausgelacht, und dann bekommt er zwei, drei Wochen später ein Brief vom Cheflektor des Deutschen Verlagsanstalt, und diese Briefe sind alle erhalten, der schreibt, lieber Herr Celan, ich war zutiefst beeindruckt von Ihren Gedichten, und der Eindruck hält bis heute an. Ich möchte, ich habe mit meinem Verlag gesprochen, mein Verlag und ich, wir möchten Sie herzlich bitten, schicken Sie uns doch eine Auswahl Ihrer Manuskripte, wir werden ernsthaft prüfen, ob wir sie veröffentlichen.
Zwei, drei Tage später, Hannah Antischon, die Gedichte von Paul Celan, hat geschrieben, er wurde dann genommen, es wurde veröffentlicht, und er sah dann im Dezember 52 dieses Buch vor sich, sein erster Gedichtband, super gearbeitet, bestes Papier, beste Bindung, und er schreibt diesem Cheflektor, Herr Kohler hieß der, ich laufe seit ein paar Minuten um dieses Buch herum, ich getraue es nicht, es aufzumachen, ich bin so aufgeregt, gell, und dann schreibt er Ihnen, Sie haben die tiefste Sehnsucht meines Herzens erfüllt. Ja, und dieser Gedichtband hieß Mon und Gedächtnis, hatte Auflage 1500, und 500 wurden in der Vorweihnachtszeit
an die Freunde des Verlags als Geschenkband geschickt, 500, die das alle gelesen haben, das ist ja Geschenkband vom Verlag, und 1000 kamen dann 53 im Handel, 54 schon die nächste Auflage, das ist bei Lyrikbänden selten. Wieder ein Jahr später die dritte Auflage, und so geht es weiter, Mon und Gedächtnis hat 16 Auflagen erlebt, es gibt es nie wieder in der Lyrik, und heute hat der Verlag in den letzten Jahren nicht eine 17. Auflage rausgebracht, sondern eine Neuausgabe zu Ehren von Paul Celan. Ja, so kam das Gedicht dann doch noch an die Öffentlichkeit, und es wurde die Mitglieder der Gruppe 47 haben sich bis auf die Knochen plamiert. Ja, sie haben dann versucht, das so, aber es war schon peinlich, als sie merken, es wird das Jahrhundertgedicht,
und sie haben es ausgelacht. Also ich will damit sagen, das war nicht leicht für Paul Celan, sein Leben war nicht Honigsein, er war nicht ein er blieb weiterhin sehr krank, er hat weitere Bände herausgebracht, Sprachgitter, Lichtzwang, viele andere, er hat sich sprachlich in die Hände geschlossen, traumatisiert, er schrieb immer wieder Gedichte an seine Mutter, und er wurde nie wieder ruhig, er blieb heimatlos, und er hat seinem Leben selber ein Ende gesetzt, er hat sich von einer Sänebrücke in die Säne fallen lassen, mit ungefähr 50 Jahren, und seine Leiche wurde ein paar Tage später gefunden.
Deswegen, man weiß gar nicht ganz genau seinen Todestag. Er hat diese schweren Traumatisierungen nie losbekommen. Er war mal in Israel, im Jahr 69, ein Jahr vor seinem Tod, da sollte er unbedingt die Todesfuge vorlesen, er hat es aber nicht vorgelesen. Er hatte einen Vortrag vor dem jüdischen Schriftstellerverband, er wurde im Radio in der Stadt in der Stadt, und er traf alte Freunde aus Czernowitz, die nach Israel ausgewandert waren, aber er konnte mit dem Staat Israel, mit diesem militaristischen Staat nicht viel anfangen. Er blieb heimatlos, staatenlos, mittellos, weil auch diese 16 Auflagen, da wirst du trotzdem nicht reich, bei einem Gedichter verdienst du nicht so viel. Ja, also Paul Celan hat nie wieder, also ein Fugen,
er hat das Thema Fuge nie wieder aufgegriffen, er hat nie wieder das Wort Milch verwendet, nie wieder, und er hat nie wieder das Wort Deutschland verwendet, in keinem Gedicht. Das Frühwerk von Paul Celan besteht aus ungefähr 80 Gedichten, so bis 1945, und das Gesamtwerk besteht aus ungefähr 800 Gedichten, die er veröffentlicht hat, und da kam also nie wieder Fuge, nie wieder Milch und nie wieder Deutschland. Es gibt aber noch eine Menge Gedichte, die Paul Celan nicht veröffentlicht hat, und die jetzt im Nachlass herausgegeben werden, da weiß ich im Ausmaß nicht, wie es sich verhält. Weiß ich im Einzelnen nicht Bescheid. Ich wollte dazu beitragen, dass dieses Leben, dieses Schicksal,
dieses Talent Paul Celan nicht in Vergessenheit gerät. Und ich will zum Schluss noch mal sein Meisterarbeit, Todesfuge, will ich Ihnen noch mal vortragen. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie abends, wir trinken sie mittags und morgens, wir trinken sie nachts, wir trinken und trinken. Wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng. Ein Mann wohnt im Haus, der spielt mit den Schlangen, der schreibt, der schreibt, wenn es dunkelt nach Deutschland, dein goldenes Haar, Margarete.
Er schreibt es und tritt vor das Haus, und es blitzen die Sterne, er pfeift seine Rüden herbei, er pfeift seine Juden hervor, lässt schaufeln ein Grab in der Erde, er befiehlt uns, spielt auf nun zum Tanz. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich morgens und mittags, wir trinken dich abends, wir trinken und trinken. Ein Mann wohnt im Haus, der spielt mit den Schlangen, der schreibt, der schreibt, wenn es dunkelt nach Deutschland, dein goldenes Haar, Margarete, dein aschenes Haar, Sulamit. Er ruft, stecht tiefer ins Erdreich, ihr einen, ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf, er greift nach dem Eisen im Gurt,
er schwingt's, seine Augen sind blau, stecht tiefer die Spaten, ihr einen, ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich morgens und mittags, wir trinken dich abends, wir trinken und trinken. Ein Mann wohnt im Haus, dein goldenes Haar, Margarete, er spielt mit den Schlangen, er ruft, spielt süßer den Tod, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Er ruft, streicht dunkler die Geigen, dann steigt ihr als Rauch in die Luft, dann habt ihr ein Grab in den Wolken, da liegt man nicht eng. Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich mittags, der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
Wir trinken dich abends und morgens, wir trinken und trinken. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Sein Auge ist blau, er trifft dich mit bleierner Kugel, er trifft dich genau. Ein Mann wohnt im Haus, dein goldenes Haar, Margarete, er hetzt seine Rüden auf uns, er schenkt uns ein Grab in der Luft, er spielt mit den Schlangen und träumt, der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Dein goldenes Haar, Margarete, dein aschenes Haar, Sulaimit. Sulaimit.
Die Todesfuge | 11.8.1
Am 27. Januar 1945, kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs, befreiten russische Truppen das in Polen gelegene Konzentrationslager Auschwitz. Den russischen Soldaten bot sich ein Bild unvorstellbaren Grauens. Der 27. Januar ist zum Gedenktag geworden, nicht nur für die Erinnerung an Auschwitz, sondern für die Erinnerung an die Vernichtung jüdischer Menschen insgesamt. Im Blick auf diesen Gedenktag und seine Bedeutung für eine Kultur der Erinnerung beschäftigt sich Siegfried Zimmer in diesem Vortrag mit dem Gedicht »Todesfuge« von Paul Celan. Paul Celan hat dieses Gedicht im Mai 1945 verfasst.
Das Gedicht »Todesfuge« darf in mehrfacher Hinsicht als einzigartig bezeichnet werden. Das gilt sowohl für Form und Inhalt des Gedichts als auch für dessen Verbreitung. Kein anderes Gedicht deutscher Sprache hat nach 1945 eine solche Verbreitung gefunden. Zimmer nähert sich dem Gedicht schrittweise. Er wendet sich sowohl den grundsätzlichen Aspekten des Gedichts zu – beispielsweise dem Titel »Todesfuge« – als auch dessen eigentümlichen Rhythmus und den vielen sprachlichen Details. Zimmer erläutert die zahlreichen Bilder des Gedichts, die uns zunächst fremd sind. Wenn er dann am Ende seiner Interpretation das Gedicht noch einmal vorträgt, hört man es mit ganz anderen Ohren. Wohl kaum jemand, der Zimmers Interpretation der »Todesfuge« hört, wird dieses Gedicht jemals wieder vergessen können.
Zimmer geht es aber nicht nur um das Gedicht selbst, sondern auch um dessen Autor, den Juden Paul Celan (1920 -1970), sein Leben und sein Schicksal.
Das Gedicht »Todesfuge« stellt jeden von uns vor die Frage, wie wichtig ihm die Erinnerung an die Judenvernichtung (Shoa) ist, wie er mit dieser Erinnerung umgeht und was er aus ihr macht.