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Ich mache jetzt Fortsetzung in den acht Seligpreisungen. Gestern war so eine allgemeine Annäherung an grundsätzlichen Merkmale dieses berühmten Textes. Und die erste Seligpreisung, die habe ich behandelt im Vergleich zu diesen Lukas-Seligpreisungen. Ich will nochmal alle acht Seligpreisungen sagen. Und heute versuche ich, Seligpreisung zwei bis acht zu behandeln, setze aber ganz bestimmte Akzente. Also ich zitiere jetzt Matthäus 5, 3 bis 10.

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Zu beglückwünschen sind die Armen im Geist, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Zu beglückwünschen sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Zu beglückwünschen sind die Machtlosen, denn sie werden das Land erben. Zu beglückwünschen sind die Hungernden und Dürstenden nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. Zu beglückwünschen sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. Zu beglückwünschen sind die, die reines Herzen sind, denn sie werden Gott schauen. Zu beglückwünschen sind die Friedenschaffen, denn sie werden Söhne Gottes heißen. Zu beglückwünschen sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn das Reich Gottes gehört ihnen.

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Also wenden wir uns der zweiten Seligpreisung zu. Zu beglückwünschen sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Bei den lukanischen Seligpreisungen, die ja älter sind und dem Originalton Jesu viel näher kommen oder näher kommen, wobei ja die mathäische Weiterentwicklung enorm gut ist und sehr die Absichten Jesu auch trifft. Aber bei den lukanischen Verheißungen, das sind ja nur drei Seligpreisungen, zu beglückwünschen sind die Armen, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Und dann die zwei nächsten sind eigentlich eine Konkretion. Es geht immer um die Armen. Zu beglückwünschen sind die jetzt Hungernden, denn sie werden satt werden. Zu beglückwünschen sind die jetzt Weinenden, denn sie werden lachen.

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Also die erste Seligpreisung ist eine Art Überschrift über die beiden nächsten. Es geht immer um die gleichen Leute. Sie hungern aus Armut und die Menschen weinen aus Armut. Also der Begriff Arm ist eine Art Oberbegriff über die Begriffe Hungernde und Weinende. Das ist alles unter dem Oberbegriff Arm. Und so ist es bei Matthäus auch. Matthäus bleibt nämlich sehr nahe an Lukas, näher als man denkt. Die Trauernden sind auch Arme. Sie trauern aus Armut. Und die Machtlosen sind auch Arme. Arme sind machtlos. Und Arme hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, weil sie ihnen vorenthalten wird. Und deswegen hungern die. Also die Trauernden müssen wir zunächst einmal, um nicht frei ins Spekulieren zu kommen, müssen wir zunächst mal sehr nahe an den Armen im Geist interpretieren.

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Matthäus springt jetzt nicht irgendwie in eine ganz andere Gruppe. Es geht immer um die Gleichen. Also auch bei den Barmherzigen. Und dann kommen die reines Herzensinn. Das sind nicht ganz andere. Und dann auch noch die, die Frieden schaffen. Als ob einer sagen könnte, jetzt bin ich schon barmherzig, jetzt kann ich doch nicht auch noch Frieden schaffen. Das sollen andere machen. Nein, so ist das nicht gemeint. Das hängt alles, das ist eine einzige Ethik. Das, was Jesus für die richtige Lebenseinstellung, die dem Willen Gottes entspricht, die sind barmherzig. Damit reines Herzens. Die schaffen damit auch Frieden und sie werden um der Gerechtigkeit willend verfolgt. Das muss man ganz eng beieinander halten. Es geht also nicht um acht unterschiedliche Phänomene. Es geht um zwei Phänomene in der ersten Strophe und in der zweiten.

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Also die Trauernden zunächst mal als Arme interpretieren. Die Säuglingssterblichkeit in der Unterschicht ist zehnmal höher wie in der Oberschicht. Da tritt viel öfter ein Trauerfall ein. Trauernde ist schon sehr stark gemeint wegen einem Trauerfall. Das Wort Trauernde ist auch stärker als nur traurig. Es gäbe im Griechischen auch ein Wort für traurig. Zu beglückwünschen sind die Traurigen. Nein, das Wort steht nicht da, sondern die Trauernden. Das ist tiefer und mehr und umfassender als nur traurig. Also es geht schon in der Regel erst mal um Todesfälle und da muss man ganz nüchtern politisch materiell sagen, dass die Kindersterblichkeit in der Unterschicht, da jedes zweite Kind stirbt, dann aber auch die Lebenserwartung ist in der Unterschicht viel tiefer wie in der Oberschicht, aber auch die Krankheitsanfälligkeit.

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Man kann sich keinen Arzt leisten und so weiter. Das heißt, in der Unterschicht gibt es viel mehr Trauernde als in der Oberschicht. Also wir bleiben mal auf dieser Ebene. Ja, Trauernde, mit denen haben wir ganz schöne Probleme. Wenn ihr in eurer Umgebung, in eurem Freundeskreis, Verwandtenkreis eine trauernde habt oder einen trauernden oder eine trauernde Familie, man weiß gar nicht genau, wie geht man mit denen um. Wenn jemand wirklich in Trauer ist, da kommen wir an unsere Grenzen. Es gibt da eigentlich keine Rezepte. Wie rede ich denn mit jemandem, dessen Schüler in der Schule, dessen Mutter ist vorgestern gestorben und der kommt jetzt in meinen Bio-Unterricht, wie gehe ich denn jetzt mit dem um?

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Sind die Lehrer ganz unsicher? Sind wir alle, ich auch. Wer da nicht unsicher ist, mit dem stimmt sowieso was nicht. Wir kommen alle, es gibt kein Rezept. Wir sind alle überfordert, wie gehen wir angemessen mit einem trauernden Menschen um. Das bringt uns an unsere Grenzen. Da nützt die Bildung nicht arg viel. Gut, dann bleiben wir mal bei diesem Phänomen des Trauerns. Es ist ein Gefühl. Trauer ist ein Gefühl. Wir müssen mal darauf achten, welche Rolle die Emotionen in den Seligpreisungen spielen. Barmherzigkeit ist ein Gefühl. Die Seligpreisungen nehmen die Gefühle sehr ernst. Ich frage immer wieder an der PH bei bestimmten Seminaren die Studierenden.

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Also überlegt mal, jeder hat jetzt mal zwei, drei Minuten Zeit, überlegt mal folgende Frage. Was meint ihr, ist für den Glauben, für unseren christlichen Glauben, was ist für den Glauben am wichtigsten? Die Gefühle, der Wille oder das Denken? Das sind diese drei großen Ebenen in einer Person. Gefühl, Wille, Verstand oder so, wie man das auch sagt. Und jetzt ist es eine ganz grundlegende Frage, dass wir uns mal versuchen Rechenschaft zu geben. Was ist eigentlich für meinen Glauben, versucht euch da mal Abstand zu gewinnen, euch selber mal zu analysieren, soweit man das kann, was ist für meinen Glauben wichtiger? Die Gefühle, der Wille oder das Denken? Oder sind alle drei gleich wichtig? Nach 20 Jahren Erfahrung, pädagogische Hochschule Ludwigsburg, ich habe Hunderte und wahrscheinlich Tausende von Antworten mitbekommen,

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dominiert an der PH Ludwigsburg, ich glaube, das ist aber repräsentativ, dominiert der Wille. Der Wille ist wichtig. Ich muss es wollen. Ich habe mich für Jesus Christus entschieden. Das ist der Wille. Ja, ich muss dann die Studierenden immer enttäuschen und sage, alle großen Lehrer der Christenheit, ich halte mich da vor allem an Martin Luther, aber es lehrt nicht nur er, es lehrt auch Schleiermacher Thomas von Aguin, also alle großen Lehrer der Christenheit lehren, für den Glauben ist das Gefühl das Entscheidende. Das sagen immer die Studierenden, aber Herr Zimmer, das ist doch launisch, die Gefühle sind unsicher, die sind labil, mal oben, mal unten, die schwanken, man kann sich ja auch täuschen,

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da kann doch nicht die Gefühle, da sage ich, ja, das stimmt schon, die Gefühle sind labil, die können mal weggehen und sie können kommen, das weiß ich schon, das weiß auch Martin Luther, das weiß auch Schleiermacher, trotzdem, keine Unsicherheit aufkommen lassen. Das Entscheidende im christlichen Glauben, der christliche Glaube umfasst den ganzen Menschen, er umfasst Gefühl, Wille und Verstand, völlig klar, die sind aber nicht gleich wichtig, sondern das Wichtigste ist das Gefühl. Der Mensch fühlt erstmal, der Säugling, bevor er einen Willen hat und Verstand, senso ergo sum, ich fühle, also bin ich, das ist viel tiefer wie cogito ergo sum, ich denke, also bin ich, das stimmt auch, aber senso ergo sum ist viel tiefer. Du kannst zu Gott nur Ja sagen aufgrund von Gefühlen, weil du freudig bist, weil du erschüttert bist, weil du dankbar bist, nur Gefühle setzen uns in Stand, unseren Willen einzusetzen.

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Wenn du dich also in eine Studentin verknallst, dann sagt dieses Gefühl, also verliebt sein, verknallt sein ist ein Gefühl, dann sagt dieses Gefühl deinem Willen, du, hob dich mal an die ran. Und das Gefühl sagt deinem Verstand, denk dir mal was aus, wie ich mit deren Date ausmachen kann. Das heißt, es gibt keinen gefühlneutralen Willen, ach so, du bist Banker geworden, du sagst, war rein sachlich, rein sachlich, dann sage ich, ne, du wirst nicht Banker aus reinen Sachgründen, sondern du ergreifst jeden Beruf, ergreifen wir aus Gefühlsgründen. Warum bist du denkst, ach so, da verdient man gut und mit dem Geld kann man dann wieder, da kommen sofort Gefühle rein.

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Also ich will sagen, es gibt keinen gefühlneutralen Willen und es gibt keinen gefühlneutralen Verstand. Das Gefühl bewegt unser Denken in diese und in jene Richtung. Die Gefühle setzen unsere Ziele. Unser Wille kann sich gar kein Ziel setzen und unser Denken auch nicht. Sondern sie reagieren auf tiefe Gefühle der Neugierde, der Faszination, der Angst, der Dankbarkeit und so weiter. Also Trauer ist ein Gefühl und Gefühle sind äußerst wichtig. Keine Verachtung der Emotionen. Heute sagt man nicht nur, er hat einen Intelligenzquotienten, sondern es gibt also auch emotionale Intelligenz, die ist nichtdenkerisch. Das sind eben sensible Menschen.

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Du kannst ein Kind gefühlsmäßig nicht täuschen. Du kannst ein Kind anlügen, aber du kannst, ein Kind spürt, was Sache ist. Also Trauer ist ein sehr starkes Gefühl, ein enorm starkes Gefühl. Du bist nicht mehr Herr über dich selber. Wenn die Trauer über dich fällt, du gerätst in Trauer und dann bist du nicht mehr Herr deiner selbst. Die Trauer, möchte ich sogar behaupten, ist ein leidenschaftliches Gefühl. Die Leidenschaften sind sehr wichtig für uns Menschen. Die Trauer ist eine Leidenschaft. Ich meine jetzt nicht das Wort Leiden, das steckt jetzt auch mit drin, etymologisch, aber das denke ich jetzt gar nicht. Die Trauer ist ein leidenschaftliches Gefühl, übrigens wie die Barmherzigkeit auch. Barmherzigkeit ist eine Leidenschaft.

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Und jetzt bei der Trauer, inwiefern ist das ein leidenschaftliches Gefühl? Weil in der Trauer stürzt dich in so ein anderes Leben, wie du das vor einer Woche gar nicht für möglich gehalten hast. Es verändert alles, es taucht alles in andere Farben, weil du merkst jetzt, was dir fehlt. Die Trauer ist immer sehr selbstbezogen. Das ist nicht negativ gemeint. Also du bist eigentlich nicht traurig, weil derjenige gestorben ist. Ja, das schon auch. Aber das ist in zweiter Linie, du bist traurig, weil der, der gestorben ist, dir jetzt fehlt. Deswegen trauerst du. Also du betrauerst deinen Verlust, weil der andere oder die andere, die jetzt tot ist, zu deiner Lebendigkeit gehört hat. Sie war ein Teil deines Lebens. Und diese Lebendigkeit fehlt dir jetzt. Das ist eine Beeinträchtigung des Lebens. Und deswegen, die Leidenschaft in der Trauer drückt aus, wie sehr wir am glücklichen, zufriedenen Leben hängen.

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Wie kostbar glückliches Leben ist. Leben in der Fülle, sinnvolles Leben. Wie kostbar, das merken wir oft erst, wenn es fehlt. Solange es da ist, nehmen wir es selbstverständlich. Aber in der Trauer, die Trauer ist ein indirektes Loblied auf das Leben. Wie kostbar ist das Leben? Man kann übrigens das Wort auch übersetzen. Zu beglückwünschen sind die Klagenden. Das ist das gleiche Wort. Das sind wir auch nicht gewöhnt. Diesen dieses Bedeutungsfeld Trauern und Klagen ist dem orientalischen das gleiche Wort. Wir können also auch sagen, zu beglückwünschen sind die Klagenden. Viele Christen, vor allem so erweckte Christen, gehöre ich selber ja auch dazu.

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Ich meine das immer sehr freundschaftlich. Ich muss mich immer auch selber kritisieren. Ich bin auch nicht besser wie ihr. Ihr aber seid auch nicht besser wie ich. Also wir denken da zu wenig dran. Wir wundern uns, dass Jesus nicht sagt, zu beglückwünschen sind die Freudigen oder die Lobenden. Wenn man jetzt sagt, Jesus zu beglückwünschen sind die Klagenden. Wir lieben doch den Lobpreisgottesdienste. Ich habe mehrere Lobpreisgottesdienste in Winnenden gehalten. In Winnenden. Da muss man sich überlegen, was Lob ist, wenn die Eltern der getöteten Kinder von dem Amoklauf im Gottesdienst sitzen und die saßen im Gottesdienst. Halt da mal einen Lobpreisgottesdienst. Das heißt, diese zweite Seligpreisung stellt uns vor ein ganz grundsätzliche Frage. Wie verhalten sich Lob und Klage?

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Wie verhalten die sich wirklich zueinander? Und da will ich mal ein paar Thesen sagen. Nur das Lob Gottes ist gesund. Das nicht auf Kosten der Klage geht. Nur dieses Lob ist gesund. Sonst ist es eine Lobhudelei. Auch diese Worship-Texte, da wirst du ein bisschen im Gehirn dummelig. Dauernd immer nur royale Sprache, Majestät, Thron und so weiter. Sehr royal. Immer die Ehre Gottes ist ja okay. Und immer seine Größe, seine Macht. Und wir jubeln, wir loben. Wir machen jetzt 20 Minuten Lobpreis. Wo ist da die Klage? Also es ist eine ganz gefährliche Entwicklung, wenn Christen zu folgendem neigen. Lob ist was Gutes, Klage ist nur, das ist nicht so geistlich.

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Die Anfänger klagen noch, aber die Fortgeschrittenen, die loben. Und die blöden Juden mit ihrer Klagemauer, die klagen immer so. Aber wir loben. Es gab mal eine Schrift in der Württembergischen Landeskirche zur Erneuerung der Christenheit. Und diese Schrift begann mit folgendem Satz. Wir loben zu wenig, wir klagen zu viel. Nach diesen zwei Eingangsätzen habe ich diese Schrift in den Papierkorb geschmissen. Weil mir war ganz klar, was gescheites kann da nicht mehr kommen. Der Eingang ist sowas von daneben. Zwei Drittel aller Psalmen sind Klage-Psalmen, ein Drittel sind Lob-Psalmen. Und das ist genau richtig. Weil die Leidenden, die Armen, die klagen. Und das ist ihr Recht. In der Klage hat sich das Leid eine eigene Sprachform geschaffen.

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Der orientalische Mensch klagt laut, diese Klageweiber. Zetergeschrei, die gehen durch die Dorfstraße und schreien. Sie klagen auf den Dächern, auf dem Marktplatz, dass alle es hören. Weil das Schlimmste ist, wenn das Leid uns stumm macht. Dann bist du erledigt. Also wir klagen und wir kotzen das raus. Wir schreien, wir zerreißen das Kleid. Staub auf die, das nennt man Selbstminderungsrieden. Es zerreißt mir mein Herz, jetzt zerreiße ich mal mein Gewand. Irgendwie schafft das ein bisschen Luft. Also die Klage ist sehr wichtig. Die erste Reaktion auf Leid ist die Klage. Die Klage kann mehr helfen, wie blöder Trost. So frommes Gerede, das ärgert einen bloß noch mehr. Also eines bleibt den Armen und den Trauernden, die Klage.

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Sie klagen alles an Gott ran, die Klage-Psalmen. Da gibt es die Gott-Klage, die Ich-Klage, die Feind-Klage. So ist ein Klage-Psalm aufgebaut. Man klagt über seinen eigenen Alltag, man klagt über Gott, man klagt ihn an. Wie lange noch? Warum? Gut, also ich will nur sagen, solange wir die Klage geistlich verdächtigen, kann es keine Erneuerung der Christenheit geben. Weil wir die Klage verdächtigt haben. Lob ist für Fortgeschrittene und die Anfänger klagen. Ein bekannter Christ hat mal gesagt, jeden Tag ein Loblied mehr und eine Klage weniger. Nee, lieber Bruder, da bist du ganz schiefgewickelt. Weil die Leidenden müssen und dürfen klagen. Das ist ihr Recht. Wir müssen im Gottesdienst, in der Kirche, die Klage wiederentdecken. Wir müssen sie rehabilitieren.

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Dann werden die Leidenden und die Armen auch wieder eher kommen. Gut, also zu beglückwünschen sind die Klagenden, die Trauernden. Es gibt ein berühmtes Buch aus den 70er, 80er Jahren von einem Soziologen, Sozialwissenschaftler. Das Buch heißt Die Unfähigkeit zu trauern. Und der meint das völlig richtig. Es ist eine ganz tiefe Beobachtung, dass in der modernen Industriegesellschaft, in der Effektivitätsgesellschaft, wo alles rationalisiert wird, wo die Vernunft, die Ratio, die Effektivität, die Macher, die Drahtzieher, die Erfolgreichen, was willst du denn da mit Trauer? Das passt da überhaupt nicht rein. Die Coolen, die Erfolgreichen, die betont Sachlichen, die wissen gar nicht, wie Trauern geht. Wenn die mal in einen Trauerfall fallen, die können damit kaum... So Topmanager, die sind völlig überfordert, wenn sie mal trauern.

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Die wissen nicht, wie es geht. Aber Trauer ist etwas sehr Wichtiges. Trauern geht nur weg durch Trauern, durch nichts anderes. Trauern geht nur weg durch Trauern. Und Trauern hat seine ganz eigene Zeit. Die kriegst du in kein Zeitfenster. Die hat einen ganz eigenen Rhythmus. Und wenn du lange genug echt und tief getrauert hast, geht die Trauer langsam wieder weg. Aber das kannst du nicht beschleunigen. Und indem du unfähig bist zu trauern, kannst du damit gar nicht mehr umgehen. Also, das ist schon hochinteressant, dass Jesus als zweiten Akzent die Trauernden jetzt so ins Spiel bringt. Und damit aber auch das Trösten. Nur Trauernde können getröstet werden.

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Wenn du nicht trauerst, kannst du auch nicht getröstet werden. Also, die Unfähigen zum Trauern, die kannst du auch nicht trösten. Die tun so, als ob alles weitergeht, die Firma geht weiter. The party must go on. Und Trauern, ihr habt gar keine Zeit, die muss morgens ins Büro usw. Also, das Phänomen Trauer passt bei uns gar nicht mehr richtig rein. Und deswegen verlieren wir auch die Erfahrung des Tröstens. Das ist eine der schönsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann, wenn er wahrhaft getröstet wird. Also, nicht billige Vertröstung, ein Riesenunterschied. Ich will euch mal folgende These sagen. Wie geistlich ihr seid, also, welche innere Qualität ihr als Christen habt, dafür gibt es einen Maßstab. Und der ist der tiefste und der realistischste.

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Wie geistlich du bist, zeigt sich daran, wie gut du trösten kannst. Ich sage dir nämlich, trösten ist nicht einfach. Es ist nicht billig. Einen Menschen, der geknickt ist, die Macht der Trauer übersichtigt und nicht einfach losschütteln kannst, hier einen echten Trost zu bringen, das zeigt, wie geistlich du bist. Martin Luther lehrt, wir Christen haben alle ein Amt gemeinsam. Das ist das Trostamt. Wir sind alle berufen, Trauernde zu trösten. Aber nicht, ihnen die Trauer auszureden. Sondern ein Trauer geht nur weg durch Trauern. Aber man kann sie trotzdem versuchen zu trösten. Ich war mal in der Schweiz bei den kleinen Schwestern Jesu. Das sind katholische Nonnen, die in der Pädagogik,

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im Kindergarten oder in der Grundschule tätig sind. Und da sagte mal eine 80-jährige Nonne zu mir, die jahrzehntelang Grundschulerfahrung hat, Umgang mit Kindern. Und die sagte mal zu mir, Bruder Siegfried, fühlte ich mich sehr geehrt, dass eine 80-jährige Nonne zu mir sagt, Bruder Siegfried, ich weiß heute noch, wie ich mich geehrt fühlte. Und dann sagt diese 80-jährige Nonne, weißt du, Bruder Siegfried, früher, als ich noch jünger war, wenn da so ein Trauerfall im Kindergarten oder in der Grundschule war, sagt man, die Mutter ist gestorben. Da habe ich jahrelang gesagt, du, ich bete für dich. Ich bete jetzt regelmäßig für dich. Da sagt die 80-jährige Nonne, das sage ich aber schon Jahre nicht mehr. Das ist mir zu billig. Natürlich bete ich im Hintergrund für diese Kinder, aber das sage ich denen nicht groß. Weißt du, was ich heute einem Kind sage, das in Trauer zu mir kommt? Ich sage dem Kind, du hast jetzt eine schwere Zeit vor dir.

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Das wird jetzt eine harte Zeit für dich. Und das kann Jahre gehen. Aber es wird der Tag kommen, wo du Licht am Ende vom Tunnel siehst. Das ist echter Trost. Zu sagen, ich bete für dich, das ist billige Vertröstung. Da hat diese katholische Nonne einen echten Reifungsschub erlebt. Soweit einige Gedanken zu der Seligpreisung zu beglückwünschen sind, die Trauernden, denn sie werden getröstet. Wann und wie lässt Jesus immer offen? Er ist kein Hellseher. Jesus hat eine prophetische Grundgewissheit. Bei allen Propheten in der Bibel zeigt sich eine Zukunftsgewissheit. Nehmen wir mal Amos, aber es ist bei allen Propheten so. Er hatte eine grundlegende Gewissheit, das Gericht Gottes kommt.

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Samaria, das Nordreich, Israel, wird untergehen, weil Gott das Gericht beschlossen hat. Aber Amos wusste nicht, wann und er wusste nicht, durch wen. Es waren die Assyrer. Aber das Wort Assyrer kommt im ganzen Amos-Buch niemals vor. Das wusste Amos nicht. Amos ist also kein Hellseher. Was ist der Unterschied zwischen einer prophetischen Gewissheit und Hellseherei? Hellseherei will ganz detaillierte Wissensmacht über die Zukunft. Werde ich diese Schlacht gewinnen? Wenn ich in vier Wochen diesen geschäftlichen Vertrag abschließe, ist das ein guter Zeitpunkt. Man will Macht über die Zukunft. Man will Herrschaftswissen, dass man für seine eigenen Interessen und zu seinem eigenen Vorteil ummünzen kann. Das ist in diesem Orakelwissen, Hellseherei.

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Nein, die Propheten sind keine Hellseher. Sie wissen nicht genau die Zukunft, aber sie haben eine grundlegende Gewissheit. Und das äußert sich in den Seligpreisungen auch. Wann werden sie getröstet? Wie genau wird das sein? Nein, sie werden getröstet werden. Jesus gibt auch hier keine Rezepte und er betätigt sich nicht als Hellseher, der detailliertes Vorauswissen über die Zukunft hat. Gut, jetzt kommt die dritte Seligpreisung. Selig, zu beglückwünschen, sind die Machtlosen, denn sie werden das Land erden. Ich sage euch, das ist eine Aussage. Erst einmal wieder die Machtlosen nahe an den Armen. In jeder Strophe ist die erste Zeile, wie auch bei Lukas, die Überschrift, die gilt für alle drei Nachfolgenden. Die drei Nachfolgenden sind nur Konkretionen.

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Also die Armen, die Entwurzelten, Arm heißt ja noch unter der Unterschicht, die Entwurzelten, die sind natürlich auch machtlos. Dieses Wort, das hier steht, heißt praeus als Adjektiv und die praeis, das ist das Substantiv in Plural. Wie muss man das übersetzen? Es ist lange Zeit übersetzt worden, die sanftmütigen. So übersetzt ist Luther. Es gibt auch heute noch viele Bibelübersetzungen, die das so übersetzen. Das ist nach wie vor die dominierende Übersetzung, die ist aber nicht richtig. Das Wort praeus hat im Griechischen zwei Bedeutungen. Also es gibt es im Deutschen auch, sagen wir mal, das Wort Tor hat im Deutschen drei Bedeutungen. Es kann eine Tür sein, ein Tor, es kann im Fußball ein Tor sein und es kann das Gegenteil von einem Weisen sein, der Weise und der Tor, der Nar.

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Also so kann ein Wort verschiedene Ebenen haben und das bei praeus auch. Also praeus bedeutet durchaus in vielen Fällen sanftmütig, milde. Aber in der Mehrzahl der Fälle, in der deutlichen Mehrzahl der Fälle, bedeutet es Ohnmacht, machtlos und das ist auch hier gemeint. Und zwar kann man das einmal statistisch gesehen, ist das die häufigere Bedeutung im Griechischen. Sie passt auch viel besser zu den Armen. Wieso sollen die Armen milde und sanftmütig sein? Die können auch jähzornig sein und die haben auch ihre Ecken, aber sie sind machtlos. Das ist eine objektive Tatsache. Also es passt viel besser zu der ersten Strophe. Aber es gibt zwei weitere deutliche Hinweise, da muss man aber auch die Übersetzung korrigieren. Nämlich Matthäus ist der einzige Evangelist, der dieses Wort praeus noch zweimal verwendet.

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In den anderen Evangelien kommt das Wort gar nicht vor. Es kommt sonst noch einige wenige Male im Neuen Testament vor, aber in den Evangelien nur bei Matthäus und bei ihm dreimal. Die zweite Stelle ist Matthäus 11, der sogenannte Heilandsruf. Sagt Jesus, kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Ich bin sanftmütig, wird übersetzt auch hier praeus mit sanftmütig und von Herzen demütig. Also es ist alles so tugendhaft übersetzt. Das entspricht nicht dem mathäischen Denken und nehmt auf euch mein Joch, denn mein Joch ist sanft, kann man hier sagen, und leicht. Es ist nicht drückend schwer. Nein, man kann auch hier nicht sagen sanftmütig, sondern Jesus sagt hier, ich bin ein Machtloser. Kommt her zu mir alle, ich gehöre nicht zu den Mächtigen dieser Welt.

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Ich bin keiner der Herren, die dann Macht haben, die sie auch anwenden und die Zugang zu Waffen haben. Nur die Mächtigen haben ja auch die Waffen. Nein, ich bin ein Machtloser und deswegen das Wort Joch ist nämlich ein Begriff aus der Herrschaft der Mächtigen. Die zwingen uns unter unser Joch und das Joch lastet schwer auf mir. Die Herrschaft der Herren dieser Welt, in deren Joch ich gespannt bin. Aber weil Jesus ein Machtloser ist und das heißt auch nicht demütig, sondern ich verstehe mich selbst als ein Niederherr. Also das ist viel sozialgeschichtlich, viel treffender übersetzt. Kommt her zu mir alle, denn ich bin kein Mächtiger, ich gehöre nicht zu den Herren dieser Welt. Bei mir braucht ihr keine Angst haben, dass ich euch unterdrücke. Ich bin kein Herr, der unterdrückt. Ihr habt gar keine Macht zum Unterdrücken.

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Und ich bin ein Niederherr. Ich verstehe mich als ein einfacher Mensch. Das ist gemeint. Und deswegen, jetzt passt diese Rede bei Joch. Und deswegen Leute, bei mir braucht ihr keine Sorge haben, dass ihr unter ein drückendes Joch gerät. Also auch hier ist pra eus besser zu übersetzen mit machtlos. Und dann gibt es eine dritte Stelle, wo es noch viel eindeutiger ist. Matthäus 21 Einzug von Jesus nach Jerusalem. Er reitet auf einem Esel. Reitet er nach Jerusalem hinein. Also es ist eine messianische Zeichenhandlung. Der Messias König, der Messias ist ja biblisch gesehen immer ein König. Der Messias König sagt, verdammt noch mal, das soll doch jetzt der Einzug vom Messias König sein. Jetzt reitet er auf dem Esel. Jesus ist niemals auf einem Pferd geritten.

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Niemals. Er hat niemals ein Pferd bestiegen. Das ist kein Zufall. Weil das Ross ist ein Herreninstrument militärisch. Die Berittenen. Nein, Jesus ist kein Berittener. Der kommt auf einem Esel. Und jetzt in diesem Zusammenhang wird ein Satz aus Sacharia zitiert. Siehe, der König kommt, ein sanftmütiger. Wieso einer, der vom Esel reitet, ist doch nicht sanftmütig. Aber er ist machtlos. Denn der Esel ist das Tier der kleinen Leute. Jesus reitet nicht mit Kavallerie hoch zu Ross. Nein, ganz bewusst hat er den Esel extra suchen lassen. Sein Jünger geht in dieses Dorf, bett Fage. Da wird er diesen Esel bringen. Jesus hat sehr bewusst einen Esel genommen. Da hat er sich drauf gehockt, wie alle Kleinbauern.

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Esel hat jeder Kleinbauer. Und Jesus auch. Er ist in seinem Inneren ein Niederer. Er versteht sich als einfacher Mensch, der zu den einfachen Menschen gehört. Auch hier muss diese Sacharia übersetzt werden. Siehe, ein König kommt, ein machtloser König. Das ist der Clou. Es muss hier heißen der Machtlose. Manche übersetzen die Gewaltlosen. Das ist richtig. Warum sind die Gewaltlos? Weil sie keine Macht über Gewalt haben. Mit Gewalt ist schon gemeint, militärische Gewalt, Waffengewalt. Es ist nicht nur ein Boxkampf gemeint. Das können natürlich Machtlose auch. Mit Macht ist gesellschaftlich, finanziell, wirtschaftlich, militärische Macht gemeint. Wenn ein Machtloser, der ist auch gewaltlos, er hat gar nicht die Möglichkeit Gewalt anzuwenden.

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Das Gewaltlos ist also nicht ethisch gemeint, sondern er kann es gar nicht. Er kann auch niemanden unterdrücken. Er hat gar nicht die Möglichkeit zum Unterdrücken. Es fehlen ihm die Mittel. Das ist gemeint. Zu beglücken sind die Machtlosen. Es gibt viele Machtlose auf dieser Erde. Und das Reich Gottes ist nicht so, dass sie sagt, Armut und Reichtum, das ist geistlich nicht so wichtig, ob Macht oder Machtlos. Das ist doch christlich nicht so wichtig. Wir sind doch alle Sünder. Diese naive, unpolitische Verharmlosung der Bergpredigt. Nein, das Reich Gottes behandelt nicht alle Menschen gleich. Das Reich Gottes ist nicht neutral. Es unterscheidet sehr deutlich zwischen zu beglückwünschen, seid ihr Armen, und dann kommt die Wehrufe ein bisschen später. Wehe euch reichen, ihr habt euren Trost dahin.

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Wehe, die ihr jetzt satt seid, ihr werdet hungern. Und wehe, die ihr jetzt lacht, ihr werdet weinen. Das ist doch ein Unterschied. Zu einem Menschen Beglückwünschung und zu den anderen Wehrufe. Also im Reich Gottes wird es schon sehr unterschieden zwischen Täter und Opfer. Zwischen Mächtigen und Machtlosen und zwischen Armen und Reichen. Dieser Unterschied ist geistlich von entscheidender Bedeutung. Es heißt ja auch mal bei Paulus, wenn die Mächtigen dieser Welt, in 1. Korinther 2 sagt er das, wenn die Mächtigen dieser Welt, man kann auch übersetzen die Machthaber dieser Welt oder die Herren dieser Welt, wenn die Mächtigen dieser Welt Jesus in seiner Weisheit erkannt hätten, dann hätten sie ihn nicht gekreuzigt. Also wer hat Jesus gekreuzigt?

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Nicht alle Sünder. Das ist ein völliger Quatsch. Sondern die Herren dieser Welt, die Drahtzieher. Damals eben im obersten Spitze der römischen Besatzungsmacht mit den Mächtigen Leuten im Hohen Rat. Nicht alle 71 Mitglieder des Hohen Rats waren mächtig. Aber es gab schon so eine Art geschäftsführender Ausschuss. Das waren 5 bis 8 Leute, die hatten die Macht. Und die in Verbindung mit dem römischen Militär, denen ist klar geworden, wir müssen den Mann aus dem Verkehr ziehen. Der passt überhaupt nicht in unsere Sicht der Dinge und in unsere Interessen. Also in den Seligpreisungen ist eine sehr kritische Sicht der Macht. Man sagt ja auch politologisch Macht deformiert. Die Mächtigsten sind ja bei uns nicht die demokratisch gewählten Politiker,

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Angela Merkel oder andere demokratisch Gewählte. Die Mächtigen sind die Konzerne, die Banken und andere, die Wall Street. Es sind 27 Leute mit Billionen von Dollar und bringen die Erde an den Rand. Das sind die Mächtigen. Demokratisch gewählte Politiker haben auch ganz schön Macht. Aber das wird sich noch zeigen, ob sie wirklich die Geldgier und die Erfolgsgier und die Ausbeutung der Länder in Afrika, Öl-Kompanie, ganze Länder sind ölverseucht in Afrika. Also wir müssen schon unterscheiden, alle Menschen sind Sünder, ja, ja, das weiß ich schon. Aber jetzt bitte nicht naiv und unpolitisch. Es gibt die Mächtigen und es gibt die Machtlosen. Und wenn du da hier nicht klipp und klar unterscheidest, dann kann man dir auch, also christlich ist das nicht. Gut, jetzt diese Machtlosen, ist jetzt sehr interessant.

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Ich muss mir ein bisschen sputen. Es heißt jetzt nicht, zu beglückwünschen sind die Machtlosen, also Jesus sagt ja, zu beglückwünschen sind die jetzt Hungern, sie werden satt werden, die Weinenden, sie werden lachen. Das ist also ein richtig schöner Umschlag. Man könnte ja auch sagen, zu beglückwünschen sind die Machtlosen, sie werden die Mächtigen werden. Ne, also das steht hier nicht. Es heißt ja auch bei den Armen nicht, zu beglückwünschen sind die Armen, sie werden reich werden. Das heißt es nicht. Die Hungern werden satt werden, die Weinenden werden lachen, aber die Armen werden nicht reich werden. Reichtum und Macht sind kein Wert im Reich Gottes. Sie sind kein Ziel. Es gibt zum Beispiel von Jesus, im Neuen Testament schon, aber bei Jesus nicht. Jesus hat niemals einen einzigen positiven Satz über den Reichtum gesagt.

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Obwohl man doch mit Reichtum viel Gutes machen kann. Ich habe mal in der Stiftskirche einen Vortrag gehalten vor ein paar hundert Leuten über den reichen Kornbauer und meldet sich hinten eine Stuttgarterin, die ich nicht kenne. Herr Zimmer, ich bin sehr reich. Was kann ich mit meinem Geld Gutes tun? Fragt die Frau. Man muss ja auch schon nachdenken, sage ich jetzt vor 400 Leuten oder so. Dann habe ich gesagt, die Frage ist super, ich gratuliere, ich beglückwünsche Sie zu dieser Frage. Wenden Sie sich an, ich selber kann Ihnen das so schnell nicht sagen, aber dass das jetzt aufgebrochen ist bei Ihnen, das ist wirklich ein Zeichen des Reiches Gottes. Ich habe also ihr empfohlen, sich an bestimmte Leute zu wenden und sich zu informieren und dann mit ihrem Geld viel Gutes tun kann man. Sagt aber Jesus nicht, das weiß er bestimmt auch, aber er sagt niemals einen positiven Satz über den Reichtum. Er sagt immer, der ungerechte Mammon. Ihr könnt nicht dem Mammon dienen und Gott.

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Es geht nicht. Einen von beiden werdet ihr verraten. Also die Machtlosen heißt jetzt nicht, sie werden die Macht kriegen, sondern sie werden das Land besitzen. Das ist eine eigenartige, aber ich liebe diesen Satz. Ich bin schon allein Christ geworden wegen diesem Satz. Der reicht für mich. Da merke ich, der Typ ist sowas von gut. Weil Grundbesitz, Land, das ist die reale Grundlage des Lebens. Israel hat Landverheißungen gehabt, weil du brauchst Land, wenn du autarik und mündig und selbstständig, stabil, Lebensgrundlage ist, Grund und Boden und Land. Man kann schon auch übersetzen, sie werden das Land besitzen, aber das Wort wird ganz bewusst vermieden. Gemeint ist mit Land, ursprünglich das Land Israel, Eretz Israel, aber auf der Materiostufe ist das schon die ganze Erde gemeint.

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Nicht mehr nationalistisch Israel. Aber das Wort Land ist für Juden ein hoch brisantes, das Schönste, was es gibt, ist das gelobte Land. Man kann diesen Satz durchaus für unsere Wahrnehmung zurecht übersetzen, denn sie werden die Erde besitzen. Das Wort Besitzen wird hier vermieden, denn kein Mensch besitzt Land in der Bibel. Das Land, die Erde gehört Gott, sein Eigentum. Es gibt keinen Besitz an Land, sondern Gott schafft für uns Land und Erde und wir beerben ihn. Also ein Erbe ist ja einer, der selber nichts dafür tut. Das ist die feinste und schnellste Art, zu viel Geld zu bekommen. Das ist für uns sehr umstritten, weil die 2% Reichsten der Bundesrepublik haben 80% des Vermögens. 2% haben 80%.

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Und die 98% teilen sich den Rest. Und im Moment weiß ich von Fachleuten, die Milliardäre legen jetzt wieder Land an, weil die ganzen Geldflüsse immer unsicherer werden. Jetzt kaufen sie wieder Land, weil das letztlich doch nicht zu unterschätzen ist. Aber in der Antike war das noch viel stärker. Die Landbesitzer, die Großgrundbesitzer, die Latifundienbesitzer, die hatten auch Macht und Herrschaft. Das hängt zusammen. Jetzt kommt der Simon. Simon, bist du da? Komm mal zu mir. Ich möchte mal jetzt einen Exkurs machen, der ist mir eingefallen heute Morgen. Und zwar, Simon liest gleich mal einen Text vor. Ich tue ihn kurz einführen. Ich will mal zur Aktualisierung dieser dritten Seligpreisung, dass sich die Besitzverhältnisse,

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ihr Milliardäre, ihr Wallstreet-Leute, ihr Konzernchefs, ihr Bankchefs, hört gut zu, die Besitzverhältnisse auf der Erde werden sich noch drastisch ändern. Und ich will das mal vergleichen mit einem Satz, den ich im Landkreis Reutlingen vor einigen Jahren mal gelesen habe. Da war eine Burgruine. Es kommt euch jetzt vor, wie wenn ihr etwas ganz anderes macht, aber es gehört ganz zentral dazu. Es gibt viele Burgen in Süddeutschland, hier ja auch. Und das Landratsamt Reutlingen hat also zu jeder Burgruine eine Tafel anfertigen lassen, so Geschichtsbewusstsein fördern, weil die Wanderer, Familien am Sonntag, Nachmittag bis zu einer der wenigen Möglichkeiten, Geschichtsbewusstsein zu bekommen, da steht so eine Tafel über eine Burgruine. So eine Tafel ist klein, da passt nicht viel drauf.

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Da schreibt man nur das Wichtigste drauf. Und jetzt ist eine typische Tafel vom Landratsamt Reutlingen, aber von jedem Landratsamt in Deutschland, über das Geschichtsbewusstsein und das Eigentumsdenken unserer heutigen Landratsämter. Also hört euch mal diese Tafel an und ich werde sie dann kurz analysieren und dann sehen wir weiter. Burg Bicheshausen, erbaut Ende des 13. Jahrhunderts von Konrad von Gundelfingen. Mitte des 14. Jahrhunderts Übergang an die Truchssessen von Margolzheim. 1510 Eigentum des Dreisch von Budlar. 1545 Eigentum des Wolf von Vollberg. 1552 Eigentum des Georg von Helfenstein. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts verfällt die Burg.

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1627 kommt die Burgruine an das Haus Fürstenberg. 1923 geht sie in Privatbesitz über. 1973 bis 1975 Erwerb und Instandsetzung der Ruine durch den Landkreis Reutlingen. Dankeschön. Also das ist heute ein normales Geschichtsbewusstsein, auch vom Landratsamt Reutlingen. Hier werden 800 Jahre Geschichte in acht Abschnitte, ist immer nur Eigentum. Erbaut von, wie hieß der Typ, der so fleißig war? Erbaut von? Konrad von Gundelfingen. Konrad von Gundelfingen, ich sag euch, der war aber fleißig. Der hat da eine ganze Burg erbaut. Da hat der Jahrzehnte schaffen müssen. Nein, der hat natürlich keinen Handgriff gemacht. Die Burg wurde erbaut von über 1000 Bauern in erzwungener Fronarbeit,

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die gleichzeitig ihre eigene Ernte vernachlässigen mussten. Keine Burg ist freiwillig erbaut worden. Wie viele Tote, wie viele Knochenbrüche. Auf der Burg Bichishausen gab es weit über 100 Vergewaltigungen von Mägden. Nein, auf der Burgruine steht nur das Wichtigste. Und das Wichtigste ist der Besitz. Geschichte ist der Wechsel von Eigentümern. Wie haben denn die Eigentümer die Burg? Die haben sie erobert. Wie viele Tote? Nein, das interessiert alles nicht. Dann war wohl das Eigentum von ihm. Dann gingen sie über in das Haus Fürstenburg. Das ist alles nur Besitz. Das Wichtigste in unserer Gesellschaft ist die Eigentum. Privateigentum und Besitz. Und dann instand gesetzt durch den Landkreis Reutlingen. Das ist aber ein fleissiger Landkreis. Wer hat denn da wirklich gearbeitet?

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Aber viel wichtiger, wer lebt denn überhaupt auf der Burg? Wie viele Knechte, wie viele Köchungen, wie viele Waldarbeiter, wie viele Jäger, wie viele Peitschenhiebe. Über 100 öffentliche Auspeitschungen auf der Burg Bichishausen. Nein, das interessiert alles nicht. Wie leben die Leute, wie lieben die Leute, wie sterben sie? Die Feste, die verschiedenen Berufe. Wie viele Leute haben da gelebt? Das interessiert alles nicht. Besitz. Es ist Besitz von Hugo, von Fallers, Dingsbums. Und dann ist es Besitz. Haben die überhaupt auf der Burg gelebt? Es interessiert auch nicht. Es ist einfach, dem gehört es. Wenn man das sieht, heutige Landratsämter, was für eine Geschichtsfälschung. Das Leben auf der Burg, die Menschen auf der Burg, wie viele Berufe, wie viele Kinder, wie viel Tanz, wie viele Feste,

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interessiert kein Schwein. Geschichte ist nur Wechsel von Eigentümern und Besitz. Ja, das Landratsamt Reutlingen wird sich wundern, dass den Machtlosen die Erde zum Erbe von Gott übergeben wird. Die werden sie auch nicht besitzen, denn niemand von uns besitzt die Erde. Die gehört Gott. Aber den Machtlosen wird er sie zum Erbe geben. Das wird ein Juhaissassá werden. Ich muss mich jetzt ein bisschen kürzen. Die vierte Seligpreisung, die hungern und dursten nach Gerechtigkeit. Jetzt kommt dieser zentrale Begriff Gerechtigkeit. Im Worthaus wird demnächst ein Vortrag von mir über Gerechtigkeit kommen. Deswegen fasse ich mich da jetzt ganz kurz, sonst nehme ich dem viel Zeit weg. Gerechtigkeit ist bei Matthäus ganz zentral.

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Heute Abend werde ich das Thema der Bergpredigt behandeln und dann die Ich-aber-sage-euch-Sprüche. Der Thema der Bergpredigt lautet, denkt nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Wer ein Jota, ein Häkchen vom Gesetz und dem Propheten ändert, der wird der Kleinste heißen im Gottesreich. Und dann sagt Jesus, wenn eure Gerechtigkeit nicht weitaus reichhaltiger ist, nicht besser, es ist die gleiche Gerechtigkeit. Wir Christen haben keine bessere Gerechtigkeit als Juden. Es gibt nur eine. Also die Übersetzung bessere Gerechtigkeit von Luther ist ganz schrecklich falsch. Es ist die gleiche Gerechtigkeit, aber Jesus sagt, meine Nachfolger müssten da eigentlich tiefer drinstecken in der Gerechtigkeit. Die Skala nach oben ist offen.

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Wenn eure Gerechtigkeit nicht weitaus üppiger ist als die der Pharisäer und Schriftgelehrten, kommt ihr nicht ins Reich der Himmel. Also es geht um die Gerechtigkeit. Trachtet am ehesten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Das Reich Gottes ist ein gerechtes Reich. Ich will nur ganz kurz sagen, hier scheiden sich auch sehr viele Geister. Die europäische Gerechtigkeitsvorstellung ist sehr anders als die biblische. In der europäischen normalen Gerechtigkeitsvorstellung, die aus dem griechisch-römischen Denken kommt, ist die Gerechtigkeit knallhart eiskalt. Eine vage Justitia unterschwert die Vage. Die Vage will sagen, Gerechtigkeit ist objektiv, neutral, sorgfältig, präzise. Aber kann man eine Vage erschüttern? Kann eine Vage emotional betroffen sein? Nein, kann sie nicht. Die Gerechtigkeit im europäischen hat schon ein gewisses Niveau. Es ist viel besser als die Wildkühe- und Wetterlesswirtschaft.

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Aber die Gefahr dieser Justitia-Denken ist, dass die Gerechtigkeit hartkalt ist. Sie gibt dem, was der verdient, und dem, was der verdient. Den korrekten, den tadellosen, den eifrigen, guten Staatsbürgern bekommt Lob und Belohnung. Die, die die Gesetze nicht halten, die haben Dreck am Stecken, bekommen Gefängnisstrafe und Tatel. Die Gerechtigkeit teilt aus jedem das Seine, was er verdient. Wenn Gott so gerecht im Weltgericht sein sollte, dann sehen wir alle ganz alt aus. Aber Gott sei Dank, so hat man den Leuten Angst gemacht. Jahrhunderte lang. Nein, die Gerechtigkeit, Zedaka, in der Bibel, ist eine Tat der Barmherzigkeit. Gerechtigkeit in der Bibel heißt, integriere die Ausgesonderten, die man hinausgestoßen hat. Hol sie wieder zurück. Die abgewerteten Werte wieder auf.

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Die Verletzten heile sie. Das ist Zedaka. Also Zedaka in der Bibel ist eine durch und durch positive Größe. Niemand muss vor der Gerechtigkeit Gottes Angst haben. Denn die Gerechtigkeit Gottes ist eine Gestalt seiner Liebe. Aber diese Art der Gerechtigkeit wird den Armen vorenthalten. Deswegen hungern und dürsten sie danach. Jetzt 2. Strophe. Zu beglückwünschen sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. Ich gebe mal einen Überblick über die 2. Strophe. Denn das ist das, was Jesus unter Ethik versteht. Er hat kein Programm, das ist kein System. Aber er setzt 4 Blitzlichter. Grundlegend ist die Barmherzigkeit. Die Barmherzigen sind auch reines Herzens. Sie schaffen Frieden und werden oft um der Gerechtigkeit willen verfolgt.

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Denn die Barmherzigen greifen schon ein. Barmherzigkeit kann politisch sehr gefährlich sein. Denn die Art von Barmherzigkeit gegenüber den Ausbeuteten, Unterdrückten lieben die Herren der Welt gar nicht. Frieden und Gerechtigkeit sind die 2 letzten. Das sind die beiden höchsten Werte in der Bibel. Ich habe von einem sehr bekannten, sehr konservativen Prediger mal einen Vortrag gehört über die christlichen Werte. Ich habe fast kotzen müssen. Mir ist wirklich fast physisch schlecht geworden. Er hielt diesen Vortrag 2 Wochen nachdem der Armutsbericht der Bundesrepublik erschienen ist. Meint ihr, dass er ein Wort zu diesem Thema gesagt hat? Das ist aber das wichtigste Thema Jesu, Phänomen Armut und Reichtum. Das ist bei Jesus zentral. Darüber verliert er kein Wort. Vorähnlicher Geschlechtsverkehr ist schlecht.

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Ehescheidung ist schlecht. Schwul und lesbisch ist man nicht. Das war ein Vortrag über die christlichen Werte. Dieser liebenswürdige Mensch, der viel Verwirrung in die Welt setzt. Was sind die beiden höchsten Werte in der Bibel? Frieden und Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist der höchste Lebenswert im ganzen Alten- und Neuen Testament. Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für Frieden. Es heißt in einem Psalm, Gerechtigkeit, Söder K. und Frieden, Schalom, küssen sich. Die hängen eng zusammen. Gerechtigkeit ist der Weg zum Frieden, zu Schalom. Schalom bedeutet viel mehr als Frieden. Viel mehr. Das muss ich noch erklären. Die zweite Hälfte setzt die Grundlage von allem menschlichen Verhalten. Das ist die Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit ist eine Frage des Herzens.

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Deswegen muss gleich das Herz kommen. Dann kommen die zwei höchsten Lebenswerte der Bibel. Frieden und Gerechtigkeit. Das ist schon sehr bewusst, ganz kompakt in vier Sätzen das Entscheidende. Ehe, Familie ist durchaus wichtig in der Bibel. Die Sippe, es ist ja nicht Familie wie wir sie kennen. Das ist eine Grosssippe. Schon wichtig. Aber die entscheidenden Werte sind Gerechtigkeit und Frieden. Und rückt die Bitte von heute an in Zukunft in den christlichen Versammlungen nach vorne. Das ist Ethik. Gerechtigkeit und Frieden. Und nicht vorehelicher Sex. Ist auch eine wichtige Frage. Wir können darüber auch diskutieren. Gibt es ja einen Vortrag von mir. Aber Gerechtigkeit und Frieden ist entscheidend. Falls ihr ein bisschen biblisch werden wollt. Gut, jetzt gehen wir mal zur Barmherzigkeit.

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Mitleid, heute würden wir auch sagen Empathie oder Compassion, sind so neuere Ausdrücke, die schon auch ein Gespür haben, wie Barmherzigkeit wichtig ist. Aber es wird heute stark in dem Wort Empathie vermittelt. Ist ja auch gut so. Also Mitleid ist nicht mehr, das ist auch ein bisschen ein komisches Wort. Aber ich sage jetzt mal so, dass ein Mensch mitleiden soll, Mitleid haben soll, lehren eigentlich fast alle Kulturen. Ohne das geht es nicht. Dazu fällt die Gesellschaft. Also das ist jetzt nicht speziell biblisch. Dass man rücksichtsvoll und nicht rücksichtslos sein soll, ist in der Weisheit der Völker völlig klar. Aber die Bibel hat ein ganz eigenes Wort entwickelt. Es ist ein hebräisch, ein eigentümliches Wort gibt es nur im Hebräischen. Barmherzigkeit heißt im Hebräischen Rachamin. Rachamin. Und das ist ein besonderes Wort.

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Nämlich, es gibt ein Wort für Bauch, vor allem die Bauchdecke, die ist ja bei mir auch gut ausgeprägt. Und unterhalb dieser Bauchdecke, da ist Rachamin. Also Rachamin ist alles, es ist nur Bauch. Es geht um den Bauch. Die Gefühle, die Emotionen sitzen im Bauch, nicht im Kopf. Also es kommt auf dein Bauchgefühl an. Also Rachamin, Barmherzigkeit kommt von Rechem. Und Rechem heisst eigentlich Eingeweide oder Gedärm. Also würde kaum einer sagen, dass das geistlich wichtig ist. Ist ja mehr Igitt, Igitt, Dickdarm, Dündarm, was hat denn das mit Religion zu tun? Ja, ungeheuer viel. Weil Rechem ist also die Eingeweide, würden wir sagen. Oder das Gedärm. Es kann manchmal auch den Mutterschoß meinen.

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Also alles diese sensible, die Weichteile da unten. Das ist Rechem. Und von diesem Rechem kommt Rachamin, Barmherzigkeit. Das ist so gemeint, Barmherzigkeit spürst du dann. Und zwar immer spontan. Das ist ein Affekt. Da kannst du gar nichts planen. Da kannst du gar nicht kühl, sachlich bleiben. Das geht nicht. Du kannst Barmherzigkeit nicht planen. Das kommt immer überfallartig. Es haut dir aufs Gedärm. Im Deutschen gibt es so eine Redewendung, das schlägt mir auf die Nieren. Das geht ein bisschen in die Richtung. Oder es schlägt mir auf den Magen. Also gemeint ist ein Schmerz, ein Gefühl, das dir richtig wehtut. Es schmerzt dich. Du erleidest dieses Gefühl passiv. Es haut dir aufs Gedärm. Du siehst einen verzweifelten Menschen, einen geschundenen Menschen, einen gefolterten Menschen,

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einen ausgeplünderten Menschen, eine weggejagte Frau. Und das schlägt dir aufs Gedärm. Das ist barmherzig. Der barmherzige Samariter, Samaritano, da kommt erst mal ein Priester, ein Profi der Religion, starkes Auserwählungsbewusstsein. Da kommt ein Levite, auch noch mal Religionsvertreter, die sehen den Überfallen und gehen weiter. Jetzt kommt ein Samaritano, der sieht ihn auch. Die Ausgangslage ist genau gleich. Aber jetzt haut es ihm aufs Gedärm. Er wurde von Barmherzigkeit durchschüttelt. Und jetzt handelt er. Das Erste in der Ethik ist nicht, dass du handelst, sondern dass es dir aufs Gedärm haut, dass du erst mal etwas erleidest, nämlich den Schmerz der Barmherzigkeit. Und dann wirst du handeln. Man hat in der Bibelwissenschaft immer deutlicher erkannt, dass Barmherzigkeit die zentrale Eigenschaft Gottes ist.

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Das will ich ganz kurz sagen, weil das ist ungeheuer wichtig. Das ist auch die erste Seeligpreisung in der zweiten Strophe. Und in der zweiten Strophe geht es jetzt ums praktische Handeln. In der ersten Strophe geht es um Wahrnehmen, dass Menschen in einer bescheuerten Lage sind, an der sie selber nicht schuld sind und die keiner sich raussucht. Aber es gibt viele Menschen, die in so einer Lage sind. Das musst du erst mal ernst nehmen und wahrnehmen an erster Stelle. Das ist das A vom ABC. Und jetzt kommt das B. Was heißt das für unser Handeln? Das heißt erst mal, es haut dir aufs Gedärm. Und man muss sich wirklich fragen, es gibt Leute, die sehen irgendwie Leid und die haben eine Regenmantelhaut, das tropft bei denen ab. Und dann kommt ein anderer, sieht genau den gleichen Leid und es schleckt ihm aufs Gedärm. Er hat Erbarmen und er greift ein.

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Woher dieser Unterschied letztlich kommt, ist ein tiefes Geheimnis. Also der eine geht unberührt weiter und der andere wird zutiefst berührt. Also jetzt, warum ist die Barmherzigkeit so zentral? Ich will euch das entscheidende biblwissenschaftliche Argument sagen, dass ihr es in eurem Blickfeld habt. In der Thora gibt es zentral, im Zentrum der Thora, im zweiten Buch Mose, Exodus, gibt es drei entscheidende Namensgebungen Gottes. Also Gott selber stellt sich nach Darstellung dieser Thoratexte selber dreimal namentlich vor. Dreimal. Die berühmteste Stelle ist der brennende Dornbusch. Da sagt Gott, ich bin der, ich bin da für dich. Ja wehe, da kommt das Wort ja wehe. In dieser ersten Namensoffenbarung, die am bekanntesten ist und die ganz stark im Vordergrund steht bei uns Christen, aber ich sage euch, im Judentum wird viel deutlicher gesehen,

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es gibt drei Namensoffenbarungen. In Exodus 3, das ist der brennende Dornbusch, in Exodus 33, das ist das Kapitel nach dem Abfall an Betung des goldenen Stiers, das ist Exodus 32, da gerät Israel in eine schwerste Krise, sodass Mose die beiden Gesetzestafeln kaputthaut und sagt, jetzt ist alles kaputt, was kann jetzt noch kommen? Aber nach diesem tiefen Absturz an Betung des goldenen Kalbes, in Kapitel 32, kommt Kapitel 33 und 34. Da sagt Gott, jetzt schreibst du die Tafeln halt nochmal. Es geht irgendwie weiter. Und in diesen Kapiteln, 33 und 34, stellt Gott sich nochmal selber vor. Und die Stellen müsst ihr kennen. Also in Exodus 3, da sagt Gott, ja ich bin Jahwe, ich bin der, ich bin da. Da sagt er auch, ich bin der Gott Abraham, es ist ja auch der Gott Jakobs.

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Also Namenoffenbarungen. Aber die Barmherzigkeit des Rachamim ist schon in der ersten Stelle ganz stark da. Denn Gott öffnet seinen Mund noch vor der Namensoffenbarung. Das erste, was er zu Mose sagt, ist folgendes. Ich habe das Stöhnen der hebräischen Fronarbeiter gehört. Und ich habe ihr Schreien über die Peitschenschwinger, nein ich habe ihr gehört und gesehen. Und ich kenne ihre Schmerzen. Das ist Rachamim. Also das Wort Rachamim steht nicht ausdrücklich bei der ersten Namensoffenbarung, aber es steht zentral bei der zweiten und dritten. Dann bei Exodus 33, da ist Mose ganz kaputt, nach diesem Absturz, Abfall von Gott. Und da sagt er, du ich würde dich gerne mal sehen, sagt er zu Gott. Da sagt Gott, ja das geht nicht. Kein Mensch, der mich sieht, wird am Leben bleiben.

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Aber in den Seligpreisen nachher, die werden Gott schauen. Das ist schon enorm. Da sagt aber Gott, also gut ich gehe an dir vorbei und dann darfst du meinen Rücken sehen. Aber mein Angesicht kannst du nicht sehen. Da wärst du sofort tot. Gut, also es ist ein ganz tiefer Text nach diesem Absturz. Nochmal zweite Chance, Neuanfang. Der ist so wichtig wie der erste Anfang. Und dann stellt Gott sich zweimal vor. Exodus 33 Vers 19 sagt Gott, stellt er sich folgendermaßen vor. Das ist ein Name. Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Und wessen ich mich erbarme, dem erbarme ich mich. Das ist Rachamim, Barmherzigkeit. Jetzt dürft ihr diesen Satz nicht so verstehen. Er klingt für uns komisch, er ist aber anders gemeint. Er ist nicht gemeint, das ist der willkürliche Gott. Dem einen erbarmt er sich und dem anderen nicht. Nein, er ist grundsätzlich der gnädige und barmherzige Gott.

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Sondern dieser Satz will nur sagen, du, wenn ich barmherzig bin und gnädig und das bin ich, darfst du nicht meinen, das sei so eine kumpelhafte Selbstverständlichkeit. Gott ist halt so ein Weichei. Gott ist so ein bisschen soft, der nimmt dir nichts ernst. Bloß nicht. Und deswegen wird die Barmherzigkeit als ein souveräner Hoheitsakt hier betont, auf den wir keinen Anspruch haben und der nicht einfach selbstverständlich ist. Und deswegen wird das so hoheitlich ausgedrückt. Aber er meint, er ist zu allen Menschen. Wem ich ist also nicht differenzierend gemeint. Friede auf Erden, den Menschen des göttlichen Wohlgefallens. Ja, und welche haben es nicht? Nein, das sind alle Menschen gemeint. Also es gibt eine Begräschung, denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten. Ja, und den anderen? Wir haben immer gleich so Gegenpol. Das ist aber in der Erzähl-Logik gar nicht gemeint. Es will nur ausdrücken, wie wichtig das ist.

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Also Gott stellt sich vor, ich bin gnädig und ich bin barmherzig. Und das tue ich als mein Hoheitsrecht. Und jetzt in Exodus 34 stellt Gott sich nochmal vor, das ist die dritte Namens-Offenbarung. Und theologisch gibt es nichts wichtigeres, als wenn Gott sich selber vorstellt. Das ist das Höchste, was es gibt. Und in Exodus 34, Vers 6 heißt es, ich bin barmherzig und gnädig und von reicher Güte und Treue. Das ist die dritte Namens-Offenbarung. Er ist der, der gnädig oder hier ist sogar barmherzig an erster Stelle. Ich bin barmherzig und gnädig und reich an Güte und Treue. Und diese dritte Namens-Offenbarung wird in der jüdischen Theologie entscheidend. Die hat noch mehr, fast mehr Wirkung, wie Exodus 3. Sie kommt zigfach in der Bibel vor.

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Allein in den Psalmen wird Exodus 34, Vers 6, 10, 20, 30 Mal zitiert. Es ist wie ein Credo, wie ein neues Glaubensbekenntnis. Am berühmtesten ist Psalm 103. Gnädig und barmherzig ist der Herr. Geduldig und von großer Güte. Das ist einfach Zitat von dieser Namens-Offenbarung. Eine solche Namens-Offenbarung gibt es bei anderen Eigenschaften. Heilig, Gott ist der Heilige, gibt es auch auf vielen Stellen. Aber von drei Namens-Offenbarungen ist zweimal gnädig und barmherzig. Und bei der ersten ist es ohne dieses Wort im Zentrum. Ich habe das Stöhnen gehört, ich sehe ihr Leiden, ich kenne ihre Schmerzen. Das Schachamin, das ist das Zentrale bei der Berufung des Mose. Deswegen müssen wir in Zukunft deutlich klar herausstellen, alle anderen Eigenschaften Gottes, seine Geduld, seine Langmut,

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seine Gerechtigkeit, seine Heiligkeit und sein Zorn. Das sind alles Gestalt, die sind alle auf der Basis der Barmherzigkeit. Der Zorn Gottes ist ein barmherziger Zorn. Die Gerechtigkeit Gottes ist durch Barmherzigkeit. Und die Heiligkeit Gottes ist eine barmherzige Heiligkeit. Es gibt einige Stellen im Alten, da fallen die Leute tot um. Und so weiter kenne ich schon, berühren Sie die Bundeslage, Peng, tot. Weil es gibt einige Strömungen im Alten Testament, die noch eine stoffliche Heiligkeitsvorstellung haben, eine dingliche. Da musst du aufpassen, dann kriegst du einen elektrischen Stromschlag. Aber diese Heiligkeitsauffassung, die im Alten Orient, die magischen Denken, die wird im Alten Testament dann bald überwunden. Im Bundesladedenken stecken solche alten magischen Gedanken noch mit drin. Das Alte Testament macht da eine Entwicklung durch. Gut, jetzt gehen wir mal bei der Barmherzigkeit zu Jesus.

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Ich will auch mal ein paar Beispiele sagen. Nehmen wir mal den verlorenen Sohn. Der verlorene Sohn begeht eine Sünde. Und die wird ganz klar gesagt, also ein Vater hatte zwei Söhne. Der eine sagt zu ihm, Vater, freundliche Anrede, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht. Und der Vater machte das auch. Weil das ist ganz in Ordnung so. Man kann das Erbe teilen vor dem Tod des Vaters. Das ist in Israel juristisch genau geregelt. Kommt sehr oft vor, ist nichts Böses. Und er will, weil Palästina ist ein Hungerland, Verelendung, er will sich im Ausland eine eigene Existenz aufbauen. Ist völlig normal. Der Vater ist ja auch nicht Gott, sondern er ist ein palästinensischer Bauer. Und die Abtrennung der Nabelschnur muss sein. Die junge Generation muss sich mal lösen. Hat Fernweh, Abenteuer, wie erzieht. Man darf nicht weggehen vom Vater.

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Das darf man nicht. Man wird schon Stubenhocker, immer unterm Hockzipfel. Nein, das ist nicht die Sünde. Jetzt packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Und jetzt kommt die Sünde. Dort vergeudete er das Erbe in einem zügellosen Leben. Ein Satz, aber der ist knallhart. Dort vergeudete er das Erbe. Das darf man nicht. In einem zügellosen Leben. Das labert nicht lange. Wie hat er es denn gemacht? Aber die Sünde wird kurz und prägnant gesagt. Jetzt aber kommt der Sohn in Not. Und wie wird die Not geschildert? Er hängte sich an einen Bürger des Landes. Der schickte ihn zu den Schweinen. Er begehrte es, die Johannisbrotschoten zu essen. Aber niemand gab sie ihm. Da schlug er in sich und er sagte, ich will heimgehen zu meinem Vater. Das ist die Not. Jesus schildert die Schuld in einem Satz.

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Und die Not in sechs Sätzen. Das ist Rachamin. Rachamin, Rachamin, barmherzig bist du, wenn dir die Not der Menschen sechsmal wichtiger ist als ihre Schuld. Dann bist du barmherzig. Und deswegen sagt ja auch Jesus, ich bin zu den Kranken gekommen. Und nicht zu den Gesunden. Er ist ein Arzt, kein Richter. Gehen wir mal zum Gleichnis vom Schalksknecht, Matthäus 18. Ein Großkönig hat mal Abrechnung gehalten mit seinen obersten Staatsbeamten. Und da kam einer, das sind also so Stadthalter, so wie wenn Augustus mit Pilatus mal, Pilatus, ich will mal deine Buchführung sehen. Da kam einer vor ihm, der war ihm 10.000 Talente schuldig. Für ein Talent kannst du ein halbes Land kaufen. Also 10.000 Talente ist ein Milliardenbetrag in Euro.

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Also das war irgendwie ein Stadthalter, der die Steuereinnahmen einer ganzen Provinz ein paar Jahre unterschlagen hat. Also wirklich eine Riesenschuld. Und als das jetzt aufliegt, jetzt, ach, ich will dir alles zurückzahlen, sagt dieser Oberste, einer der obersten Beamten. Wie will er das machen? Aber du merkst, er ist so verzweifelt, weil jetzt ist es aus, der ganze Kollektivstraf, die ganze Familie kommt ins Gefängnis und so weiter. Also jetzt bricht der Kerl zusammen. Und da heißt es, da jammerte es den Großkönig. Das ist ein seltener Typ. Und er sagte zu ihm, ich erlasse dir deine ganze Schuld. Also sagen wir 3,5 Milliarden Euro. Das fällt auch dem nicht ganz leicht. Und jetzt kommt dieser Schalbsknecht, ein böser Beamter, ein Mitknecht, der ist ihm 12.000 Euro schuldig. Und dann sagt er genau das Gleiche, gib mir noch Zeit, ich werd das... Nein, der gibt ihm keine Zeit, sondern er schmeißt ihn in den Schuldturm.

75:00
Und da muss er so lange arbeiten, bis die Arbeitssumme 12.000 Euro... Und jetzt lässt der Großkönig den noch mal kommen. Und er sagt zu ihm, hättest nicht auch du dich, deines Mitknechtes, erbarmen müssen, wie ich mich deiner erbarmt habe. Weil das waren ja Peanuts. Also mein Erbarmen muss dich barmherzig machen. Sonst, Burschle, wird's ganz gefährlich. Oder ich sag mal, das Gleiche ist vom Weltgericht. Da ist der Weltenrichter und er sagt, das, was ihr... Ich war nackt, ich war durstig, ich war im Gefängnis, ihr habt mich besucht. Da sagen die Leute, wann... Weil er sagte, na ja, ich identifiziere mich mit den Notleidenden. Es ist eine Tat der Barmherzigkeit. Und die Tat der Barmherzigkeit an Notleidenden

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entscheidet das Weltgericht. Nicht, ob du dich bekehrt hast oder nicht. Der Maßstab im Weltgericht sind die Taten. Es ist ein Gericht nach den Taten, nach den Werken. Und entscheidet die Barmherzigkeit. Ich will noch ein weiteres Beispiel bringen. Der Römerbrief, wie man heute weiß durch neue, sehr gute Doktorarbeiten, der Römerbrief, Römer 1 bis 11, ist der lehrmäßige Teil vom Römerbrief. Und ab Kapitel 12 kommen praktische Fragen. Aber lehrmäßig 1 bis 11. Und man kann zeigen, dass Paulus schon in Römer 1 und 2 und 3 schon auf Römer 11 hinvisiert. Also, der Aufbau vom Römerbrief ist irrsinnig durchdacht. Und jetzt lese ich euch mal auswendig den letzten Satz, den Höhepunkt, den Zielpunkt vom Römerbrief im lehrmäßigen Teil. Das ist Römer 11, Vers 32. Danach kommt in Römer 11 noch ein Hymnus,

77:03
wie unbegreiflich sind deine Wege, wie unausforschlich deine Gedanken. Das ist ein Hymnus, ein Lied, das in der Urchristenheit gesungen wurde. Mit dem schließt Paulus dann ab. Aber den lehrmäßigen Teil, der endet in Vers 32. Und das ist nicht irgendein Bibelsatz. Das ist der Zielpunkt des Römerbriefs, den Paulus von Kapitel 1 an im Auge hat. Und der heißt, in der Luther-Übersetzung, dann übersetze ich ein bisschen besser, aber ist auch okay. Gott hat alle Menschen unter dem Ungehorsam beschlossen, damit er sich alle erbarme. Das ist das letzte Wort. Und das ist kein Zufall. Das ist der Höhepunkt vom Römerbrief. Also ich sage es mal freier, aber sinngemäß. Gott weiß ganz genau, dass alle Menschen ungehorsam sind, auch die dreimal bekehrt sind.

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Alle Menschen sind ungehorsame Sünder. Da macht sich Gott nichts vor. Was ist dann Sache? Er erbarmt sich auch alle. Es kommt nicht gleich mit Alpha und all dessen Ganzen, sondern nehmt einfach mal den Satz ernst. Also das Erbarmen Gottes ist schon entscheidend. Zu beglückwünschen sind die Barmherzigen. Also mein Wunsch an mich und an euch, wir werden jedes Jahr barmherziger. Was wir an Entwicklung uns vornehmen, ist eine Entwicklung in der Barmherzigkeit. Stellt euch mal vor, wir treffen uns nächstes Jahr hier wieder und jeder von euch ist dreimal so barmherzig wie heute. Was meint ihr, wie die Welt sich ändern wird? Das ist Ethik. Dann die reinen Herzen sind. Wir wollen immer rein sein,

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die Hände nicht schmutzig machen. Es gibt viele Reinheitsgebote, zahllose. Einen ganz wichtigen Satz will ich noch sagen. Das ist jetzt am wichtigsten. Nehmen wir mal Matthäus, mit Barmherzigkeit meine ich jetzt. Matthäus in seinem Evangelium bringt einen einzigen Satz aus dem Alten Testament zweimal. Er zitiert immer wieder das Alte Testament. Aber es gibt nur ein Zitat, das er doppelt bringt. Und zwar bringt es in Matthäus 9 und Matthäus 12. Das einzige, das er zweimal bringt, relativ bald hintereinander. Dieses Hosea-Zitat heißt, Barmherzigkeit will ich nicht opfern, sagt der Prophet Hosea. Das zitiert Matthäus zweimal. Jetzt ist hochinteressant, in welchem Zusammenhang.

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Beim ersten Mal handelt es sich um Ehren ausraufen. Oder beim zweiten Mal. Die Reihenfolge weiß ich nicht genau. Einmal geht es um Ehren ausraufen. Dass hungernde Jünger gesagt haben, obwohl Schabbat ist, wir haben Hunger, jetzt essen wir die Ehren. Da hat Gott nichts dagegen, obwohl das irgendwie im Reinheits- und Schabbatgebote ist. Das zweite ist das Zöllnergastmahl. In beiden Kontexten für dieses doppelte Zitat geht es um das Gesetz. Wie ernst nimmt man die Thora, das Gesetz, und wie geht man damit um? Und das muss man jetzt bei dem Opfer, nicht Opfer will ich, sondern Barmherzigkeit. Was ist das Wort Opfer? Bei Hosea ist es die Kultkritik. Die Israeliten gehen immer schön zu den Opferfesten, aber im Alltag sind sie die größten Schufte. Da sagt Hosea, das geht nicht. Der Kult darf nicht zur Ausrede werben. Da ist Sonntagsfrömmigkeit und im Werktag handelt es ganz anders.

81:03
Das ist die Kultkritik von Hosea. Aber Matthäus baut das in zwei Perikopen ein, die immer um die Bevölkerung der Thora, der Gesetze gehen. Da passt das Wort Opfer sehr gut. Denn die Herrschaft des Gesetzes ist auch eine Art Opfer. Man sagt im Judentum, das Joch des Gesetzes lastet auf mir. Wenn man die Gesetze hält, die Speisegebote, den Schabbat, dann kann man schon nicht mehr alles machen. Das ist schon eine Art Opfer. Weil die ganzen Opferrieten sind geregelt. Das ist ein Regelsystem. Wenn du die korrekt einhältst, dann hast du ein gutes Gefühl, du hast das Regelsystem korrekt eingehalten. Aber da bringt es schon ein gewisses Opfer an Zeit. Ich war mal auf einer Konfirmationsfeier. Da waren viele Leute da, auch sehr viele christliche Leute,

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auch aus sehr christlichen, ganz tief christlichen Gruppen. Die sind so tief, dass sie fast nicht mehr an der Oberfläche ankommen. So eine ganz tiefe Christin war da auch da. Da sagt ein Mann, ich habe es nur gehört, die war nicht weit weg, ich glaube nicht, dass es ein Weltgericht gibt. Da schrickt diese tief christliche Frau und sagt Folgendes. Wenn es kein Weltgericht gäbe, dann habe ich alles umsonst geopfert. Ich habe alles umsonst gemacht. Die hätte auch mal gerne eine Sexaffäre. Das täte ihr vielleicht aus. Das darf man ja nicht. Sie hätte auch mal gern da und da. Aber dann hat sie sich alles abgeschminkt, weil sie war gehorsam, sie war Gott treu. Und da bringt man Opfer. Aber ich sage euch, Gott will das Opfer gar nicht. Er will lieber Barmherzigkeit. Weil dieses Einhalten des Regelsystems

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kann den Impuls zur Barmherzigkeit töten. Jetzt bist du immer nur darauf bedacht, ein religiöses Regelsystem einzuhalten. Was man machen darf und was nicht. Da musst du immer aufpassen. Jetzt bist du so beschäftigt mit Aufpassen, dass du gar nicht mehr die Gelegenheit hast, barmherzig zu sein. Spontan. Ihr kennt ja dieses furchtbare Lied, das immer noch gesungen wird. Pass auf, kleines Auge, was du siehst. Pass auf, kleiner Mund, was du sprichst. Das Kind passt nur noch auf. Meint ihr, dass das spontan den Impuls der Barmherzigkeit fördert? Nein, weil sie sich ja beschäftigt damit Aufpassen. Und meint ihr, eine Frömmigkeit, die Angst erzeugt, die Feindbilder, die sich im Abgrenzen, wir in der Gemeinde, hier ist reich Gottes, aber draußen, das sind die Gottlosen, die Ungläubigen. Da musst du aufpassen.

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Und da hat man auch Angst. Studierende, die bei mir eine Arbeit schreiben wollten, die kamen von der Bibelschule, die hat gar nicht Theologie studiert, kamen zu mir und haben gesagt, Herr Zimmer, kann ich bei Ihnen eine Arbeit schreiben über die Schöpfungserzählung? Ja, können Sie schon. Ach so, Sie haben gar nicht Theologie studiert. Wieso wollen Sie dann Arbeit in Theologie schreiben? Hauptgutachterisch Pädagogik, aber ich möchte auch die biblischen Erzählungen. Aber da müssen Sie natürlich die wissenschaftlichen Bücher, Kommentare zur Genesis, die müssen Sie schon lesen und verstehen. Also ohne das geht es nicht. Ach so, dann sage ich, wo ist das Problem? Das ist doch klar. Dann sagt sie, ich komme von der Bibelschule Brake und wissen Sie, ich bin gläubig. Dann sage ich, ich bin auch gläubig. Ja, schön. Also ich muss da mal meinen Mann fragen. Jetzt geht diese 28-Jährige dann heim.

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Da sage ich, na ja gut, Sie können das machen, aber natürlich nur so. Wir sind eine wissenschaftliche Hochschule. Jetzt kommt sie nach zwei Wochen, Herr Zimmer, ich mache es nicht. Mein Mann ist dagegen, also auch Patriarchat. Aber ich eigentlich auch. Und da sage ich, um des Himmels willen, Sie brauchen ja dem gar nicht zustimmen. Das habe ich ja schon vorher gesagt. Sie können diese wissenschaftlichen Bücher lesen, Sie müssen sie lesen, Sie müssen sie verstehen. Sie können dann aber in einer Anmerkung schreiben, ich selber denke anders, ich halte das nicht für richtig. Können Sie schreiben. Dann können Sie trotzdem eine Eins kriegen. Denn ich benote nicht Ihre Meinung, ich benote Ihr Fachwissen. Ihre Meinung bleibt frei. Also Sie können im Schlusswort sagen, ich habe diese wissenschaftlichen Bücher gelesen und ich habe sie verstanden, das überprüfe ich, ob sie es ja auch verstanden hat. Und dann können Sie sich dagegen entscheiden, das können Sie machen. Aber nicht, einfach gar nicht lesen. Jetzt sagt die Frau, Herr Zimmer, ich habe Angst.

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Ich sage, woher haben Sie es? Sie können doch dann nachher sich dagegen entscheiden. Nein, da kommt was über mich. Wissen Sie, ich lese nur Bücher, die Gott will. Wo Gott will, dass ich sie lese. Meint ihr, dass sie barmherzig sein kann gegenüber Andersdenkenden? Wenn man so von der Angst regiert wird. Wenn ihr vom Theologieprofessor Angst habt, dann könnt ihr dem Theologieprofessor gegenüber gar nicht mehr barmherzig sein. Weil Angst tötet die Barmherzigkeit. Alle Religionssysteme, die sehr stark abgrenzen, die sehr stark schwarz-weiß denken, hier innen die schöne Welt der Gemeinde, vereinder, bekehrten, draußen böse Welt, kann sofort irgendwelche schlimmen Geister auf dich springen. Also wenn da, wo Vorurteile erzeugt werden, ständig man sich abgrenzt und Feindbilder fördert, das geht alles auf Kosten der Barmherzigkeit.

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Du kannst zudem nicht barmherzig sein, vor dem du Angst hast. Angst tötet Barmherzigkeit. Gut, ihr Lieben, vielleicht noch, ich kann nicht alles sehr ausführlich bringen, aber am wichtigsten waren wir das mit der Barmherzigkeit. Reines Herzens ein paar kurze Sätze. Gemeint ist, das Herz ist das Zentrum des Menschen. Heute würden wir sagen unser Ich oder unsere Identität oder so. Also der Mensch ist zentriert in einem Personenzentrum, das ist das Herz. Das sind nicht nur die Gefühle, sondern das Herz ist das Zentrum für Fühlen, Denken, Wollen, für Planen. Wer reines Herzens ist, es gibt Stellenden, der Ausdruck kommt schon im Alten Testament vor, erschaffe Gott in mir ein reines Herz. Heißt es im Psalm 51. Erschaffe ist das gleiche Wort wie bei der Schöpfung.

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Ein reines Herz kannst du dir nicht so antrainieren, sondern Gott muss das Entscheidende tun. Aber trotzdem, das ist in deiner Verantwortung. Also ein reines Herz meint, dass du im Innersten nichts Böses plansst, dass du keinen, einen Mitmenschen nicht bewusst schädigen willst, ihn austricksen willst, ihn übervorteilen willst. Du setzt auf das Gute und du bist dem Guten verhaftet. Und zwar eindeutig, klar. Natürlich machst du Fehler, das ist damit nicht gemeint, du bist nicht ein perfekter Mensch. Aber ein Mensch, der ganz klar sagt, ich möchte für meinen Nächsten keine Gefahr sein, ich möchte ihm nicht schaden, ich wünsche ihm das Beste und ich lebe auch so, so wie ich kann und meine Kräfte, mein Haushalt und so weiter, hat jeder so seine Möglichkeiten. Aber ich bin kein Komplize des Bösen und ich plane nichts, was einem anderen Menschen schadet.

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Frieden will ich noch kurz sagen. Schalom, die Frieden schaffen. Schalom ist also mit Gerechtigkeit der höchste Lebenswert in der Bibel. Wenn Frieden ist, dann geht es dem Menschen gut. Schalom ist nicht nur Krieg, also dass man keinen Krieg hat. Also Schalom ist nicht nur das Schweigen der Waffen, es ist viel mehr. Sondern in der Bibel ist der Mensch eine Nefesh-Struktur und mit Nefesh, das wichtigste Wort für Mensch, heißt Nefesh. Und Nefesh meint, du bist voller Bedürfnisse. Du hast Sehnsüchte, du hast Sorgen, du hast Ängste, du hast leidenschaftliche Ziele. Du hast also viele Bedürfnisse. Natürlich, die härtesten sind Hunger und Durst, aber es gibt auch soziale Bedürfnisse, Anerkennung, Gemeinschaft,

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volle Teilnahme am Leben. Und Schalom meint, ein Zustand, wo die Bedürfnisse des Menschen, der Kinder, der Schüler, der Lehrer, der Alten, die Bedürfnisse der Menschen gesehen werden, ernst genommen werden und nach Möglichkeit gesättigt werden. Also ein Leben, in dem die grundlegenden Bedürfnisse, ich meine jetzt nicht Werbung und Propaganda, es gibt ja auch viele Bedürfnisse, die künstlich erzeugt werden. Das braucht man doch alles gar nicht. Bedürfnisse nach Luxus, so ein Bedürfnis meine ich nicht. Aber die grundlegenden, schöpfungsgemäßen Bedürfnisse, geliebt zu werden, in Gemeinschaft zu leben, gute Beziehungen zu anderen Menschen zu haben, die notwendigen Dinge, das tägliche Brot, diese Bedürfnisse. Und Schalom ist, wenn du mithilfst, dass ein Mensch zufrieden wird.

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Da steckt das Wort Frieden drin. Er ist zufrieden. Wir sind alle berufen, egal in welchem Beruf und welches Geschlecht und welche Bildung, alle Menschen sind berufen, mitzuhelfen, dass ZDAK-Gerechtigkeit und Frieden sich ausbreitet, dass die Menschen in unserer Umgebung zufriedener werden. Das ist Schalom. Wir können mal überlegen, wie kann Frieden zwischen Muslimen und Christen entstehen. Können wir mal Frieden schaffen. Wie kann Frieden entstehen zwischen der Universitätstheologie und der schlichten Gemeindearbeit? Die hacken da ständig gegenseitig aufeinander rum. Da braucht man Leute, die Frieden schaffen. Da könnt ihr euch mal entwickeln. Gut, ihr Lieben, ihr habt das selber so das Gefühl, ich bin jetzt an der Oberkante von der Zeit.

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Das war also mein Versuch, die acht Telegramme, das Manifest Jesu, der Schlüssel in die Botschaft Jesu, in die Bergpredigt, die Seligpreisung Jesu, ein Stück näher zu bringen. Jetzt macht selber weiter. Entwickelt euch gut.

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Die Seligpreisungen – Teil 2 (Mt 5,3-10) | 6.7.1

Worthaus@Freakstock 2016 – Allstedt: 29. Juli 2016 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Schon der Umstand, dass Siegfried Zimmer den acht Sätzen der Seligpreisungen noch einen zweiten Vortrag widmet zeigt, welche Bedeutung und Brisanz diese Sätze haben. Während es Siegfried Zimmer bei seinem ersten Vortrag zu den Seligpreisungen um eine allgemeine Einführung geht und um die Interpretation der ersten Seligpreisung, beleuchtet der zweite Vortrag die Seligpreisungen zwei bis acht.
Diese acht Sätze gewinnen an Profil, wenn man wie Siegfried Zimmer zwei »Strophen« unterscheidet (Sätze 1-4 und 5-8). Die erste Strophe will unsere Aufmerksamkeit und Sensibilität vertiefen. Erst bei der zweiten Strophe handelt es sich um Ethik. Diese Strophe bringt die Ethik Jesu auf konzentrierte Weise zum Ausdruck: Barmherzigkeit als Grundlage. Ein Defizit in diesem Bereich kann durch nichts anderes ausgleichen werden. Und die beiden entscheidenden Werte in der Ethik Jesu sind Frieden und Gerechtigkeit. So betrachtet kann wohl niemand die Seligpreisungen Jesu hören, ohne in seinen bisherigen Seh- und Denkweisen hinterfragt zu werden.