Die drei Erfahrungen, die wir immer wieder machen im Laufe der Jahre, sind die wichtigsten für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Und diese drei Erfahrungen sind die wichtigsten für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Und das ist das, was wir in diesem Jahr in der E-Level-Konferenz haben, das wir in diesem Jahr in der E-Level-Konferenz haben, und das ist das, was wir in diesem Jahr in der E-Level-Konferenz haben. Und diese drei Erfahrungen sind die wichtigsten für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Diese drei Erfahrungen relativieren sich gegenseitig und korrigieren sich gegenseitig. Also man muss unbedingt alle drei im Blick haben. Ganz an den Erfahrungen des Menschen und auch an den Phänomenen des Lebens. Es gibt in der Philosophie die Rede von den Phänomenen.
Es gibt einen phänomenologischen Ansatz, den ich persönlich sehr gut finde, und der bedeutet, orientiere dich erst mal an den Phänomenen des Lebens. Lerne beobachten, werde aufmerksam, lausche, gucke hin, sei zurückhaltend mit Bewertungen. Erst mal wahrnehmen lernen. Also erst mal die Phänomene würdigen und nicht schnell bewerten, klassifizieren. Und das versuche ich jetzt mal. Also dieser Vortrag ist orientiert an den Erfahrungen und an den Phänomenen. Jetzt wende ich mich von diesen drei Erfahrungen der ersten Erfahrung zu. Alle drei Erfahrungen sind zwar gleich wichtig, es ist aber kein Zufall, dass ich mit dieser Erfahrung jetzt beginne. Sie wird nämlich meiner Meinung nach sowohl in der Pädagogik als auch in der Christenheit,
in der Kirche am stärksten unterschätzt. Ich sag nicht sofort, um welche Erfahrung es handelt, gell? Es gehört zu der Technik der Spannungserzeugung, dass man das erst mal nicht sagt, gell? Man darf allerdings in der Schule auch nicht zu lange warten, bis man es dann sagt, da machen die Grundschüler schlapp. Also ich sag euch mal noch nicht, um welches Phänomen es sich handelt. Es handelt sich um ein Urphänomen des Lebens, das alle Menschen kennen. Es gibt kein menschliches Leben, in dem dieses Urphänomen, das ich demnächst sagen werde, keine Rolle spielt. Es spielt in allen Religionen, in allen Kulturen, in allen Erdteilen eine Rolle. Es gibt keine Epoche in der Weltgeschichte, in der es keine Rolle spielt. Man kann dieses Phänomen auch nicht abschaffen. Es wird in allem geschichtlichen Wandel erhalten bleiben.
Stellt euch mal einen Menschen vor, der sehr fremd ist. Da sagen wir mal, stellt euch mal einen Ritter vor aus dem 13. Jahrhundert in Südengland. Der führt ein völlig anderes Leben wie ihr. Oder stellt euch mal einen Fallensteller in Alaska im 18. Jahrhundert vor. Oder eine Säugamme in Rom im ersten Jahrhundert vor Christus. Oder stellt euch einen Menschen der Altsteinzeit vor. Also fremder geht es nicht mehr, aber ich sage euch, dieses Phänomen kennt er. Und es spielt nicht nur ab, und zu eine Rolle, sondern, und jetzt werde ich es gleich sagen, dieses Phänomen spielt bei jedem von euch jede Woche und jeden Tag eine wichtige Rolle. Ich habe mir überlegt, ob ich auch sagen kann, jede Stunde. Aber da zöger ich, das könnte übertrieben sein. Aber jeden Tag halte ich fest.
Und dieses Urphänomen des Lebens ist der Ur-Pflege. Der Unterschied zwischen langweilig und interessant. Wer von euch kennt diesen Unterschied nicht? Hat ihn noch nie erlebt. Er weiß gar nicht, wovon ich rede. Hand hoch. Wer hat noch nie den Unterschied zwischen langweilig und interessant erlebt? Habe ich mir gedacht, geht jedes Mal so und meldet sich nie jemand. Also jeder von uns kennt diesen Unterschied zwischen langweilig und interessant. Ich sage euch, das ist ein Unterschied. Diesen Unterschied dürfen wir nicht unterschätzen. In diesem Unterschied meldet sich das Geheimnis des Lebens. Alle Menschen kennen diesen Unterschied und alle Menschen reagieren darauf gleich seit der Altsteinzeit. Nämlich sie wenden sich vom Langweiligen ab
und sie wenden sich dem Interessanten zu. Jeder Mensch empfindet das Langweilige als etwas Negatives. Wenn der Dreijährige sagt, Mama, mir ist langweilig. Du wirst nie einen Dreijährigen hören, juhu, mir ist endlich wieder mal langweilig. Also der Mensch ist ein Wesen, dem es nicht langweilig sein will. Ich persönlich halte das für die tiefste Definition. Man kann den Menschen nicht definieren. Man kann nur mal so partiell was über den Menschen sagen. Ich persönlich halte das für die tiefste Aussage über den Menschen. Der Mensch ist ein Wesen, dem es nicht langweilig sein will. Natürlich können wir nicht immer dem Langweiligen ausweichen. Wir sind nicht in der Lage, Idealvorstellungen aufzubauen.
Wir sind eingespannt in Pflichten und Alltagszwänge. Aber wenn wir freie Zeit haben und wenn wir es können, wenden wir uns vom Langweiligen und dem Interessanten ab. Ich will mit diesem Vortrag nicht sagen, unser Leben muss ständig interessant sein. Das wäre gar nicht gut. Das Langweilige gehört zu unserem Leben. Das Leben gehört auch Leid und Tod. Ich will nicht sagen, lebt ständig hochinteressant. Aber unterschätzt den Unterschied nicht zwischen langweilig und interessant. Stellen wir uns mal eine langweilige Schulstunde vor. Das habe ich oft erlebt, da bist du fix und fertig. Da bist du richtig gealtert. Aber ich habe auch schon interessante Schulstunden erlebt. Die Zeit geht rum wie nichts. Das hat geklingelt. Die Schüler gehen nicht in die Pause, stehen immer noch rum. Du fühlst dich jünger.
Die Langeweile, fragen wir uns mal, was ist eigentlich das Langweilige am Langweiligen? Fragt euch das mal so nebenbei. Was meint ihr, wenn du definieren müsstest, was ist genau das Langweilige am Langweiligen? Da möchte ich euch sagen, die Langeweile ist ein Gefühl der Traurigkeit. Der Mensch ist traurig, weil er etwas vermisst. Es fehlt ihm etwas. Man könnte deswegen auch sagen, die Langeweile ist ein Gefühl der Leere. Die Langeweile lebt vom Defizit. Die Langeweile tritt ein, weil etwas anderes nicht da ist. Deswegen könnte man sagen, die Langeweile ist ein Sekundärphänomen. Sie tritt eben auf, weil etwas anderes nicht da ist. Das Interessante ist kein Sekundärphänomen. Das lebt nicht von Defiziten, das ist da.
Das Interessante ist ein Primärphänomen. Das Interessante bringt irgendetwas mit. Das Langweilige bringt nichts mit. Das ödet mich an. Das spricht mich nicht an. Im Interessanten spricht mich etwas an. Das Interessante ist eine Intimerfahrung. Wenn du etwas interessant findest, dann spürst du die Intimität der Wirklichkeit. Es ist wie, wenn die Wirklichkeit sagt, hierher, hier bin ich, hierher. Das Interessante ist wie ein Türöffner zur Wirklichkeit. Im Interessanten trittst du nahe an die Wirklichkeit heran. Du wirst mit ihr intim. In der Langeweile tritt überhaupt nichts an dich heran. Die Langeweile ist kein Türöffner. Du kannst dich an nichts erinnern. Das heißt ja auch langweilig und kurzweilig.
Das Interessante ist kurzweilig. Überlegen wir uns mal, was ist eigentlich das Interessante am Interessanten? Das kann ich jetzt so schnell nicht sagen. Das dauert den ganzen Vortrag durch. Denn wenn ihr wisst, was das Interessante am Interessanten ist, dann kennt ihr das Geheimnis des Lebens. Ich will mal, bevor ich mich weiter zuwende, noch ein paar vorbereitende Fragen stellen oder Bemerkungen machen. Wir müssen uns Schritt für Schritt an diese Dinge herantasten, weil unser Gefühl, unsere Sensibilität reagiert nicht in Sekundenschnelle. Ich hätte da mal zwei Fragen an euch. Meint ihr, dass diese Welt vernünftig ist? Ich meine damit die menschliche Gesellschaft. Ich meine nicht der Urwald, der kann ja nicht vernünftig sein. Also meint ihr, dass die menschliche Gesellschaft, die Erwachsenengesellschaft international,
die Menschen, die in der Menschheit leben, vernünftig ist? Ihr könnt mal kurz überlegen. Meint ihr also, dass es in der Menschheit vernünftig zugeht? Danke, so denke ich ähnlich auch. Also ich glaube es nicht. Wenn man die Finanzmisere anschaut, Hunderte von Milliarden verbrannt von hoch qualifizierten Finanzwissenschaftlern, was ist denn da vernünftig? Also ich bin für alles dankbar, was vernünftig ist. Es gibt in der Welt Vernünftiges. Wir haben uns dazu geschüttelt. Wir gucken, dass es das gibt und helfen mit, dass es mehr vernünftig wird. Aber wenn ich mal auf die schnelle antworte, geht es in der Welt zwischen den Nationen, in der Politik vernünftig zu? Da muss ich sagen, überwiegend nicht. Ich hätte auch mal eine andere Frage. Geht es in der Welt gerecht zu?
Ich bin dankbar für alles Gerechte. Ja, es ist schön, es gibt immer wieder mal gerechte Dinge. Hoffentlich kann man das sogar ein bisschen ausbauen. Aber es gibt so viel Ungerechtigkeit, Folter, Hass. Äh... also, es wimmelt an Ungerechtigkeit. Also, ich fasse mal zusammen... Die Welt ist unvernünftig, überwiegend unvernünftig. Zweitens, die Welt ist überwiegend ungerecht. Jetzt stellt euch mal ernsthaft vor, versucht es mal, wenn ihr's könnt, stellt euch mal ernsthaft vor, du müsstest sagen, erstens, die Welt ist überwiegend unvernünftig, zweitens, die Welt ist überwiegend ungerecht, und jetzt müsst ihr auch noch sagen, die Welt ist langweilig. Dann wär's schon völlig kaputt. Gott sei Dank ist sie wenigstens interessant. Dass die Welt ungerecht ist, überwiegend ungerecht, das liegt an uns. Dass die Welt überwiegend unvernünftig ist,
das liegt an uns. Dass die Welt aber wahnsinnig interessant sein kann, das liegt nicht an uns. Das liegt an irgendwas anderem. Also, ich möchte damit nur sagen, sind wir froh, die Welt ist zwar brutal unvernünftig, sie ist zwar bescheuert, ungerecht, aber Gott sei Dank kann sie immer wieder wahnsinnig interessant sein. Hartmut von Hentig, ein sehr bedeutender Pädagoge, hat einmal gesagt, bei vielen Schülern spürt man die Rache des Lebens. Und zwar die Rache des ungelebten Lebens. Weil sie zu wenig Interessantes erleben. Früher hat man ein großes Tier hüten können. Man hat Feuer machen können. Man hat ein großes Loch bohren können. Ur-Erfahrungen, die wahnsinnig interessant sind. Das Leben rächt sich.
Das ungelebte Leben, wenn unsere Kinder und Jugendlichen zu wenig sehr Interessantes erleben, rächt sich das Leben. Dann schlagen sie Möbel kaputt, werden aggressiv, wissen nichts mehr zu würdigen. Das ist die Rache des ungelebten Lebens. Also, der Unterschied zwischen langweilig und interessant, der lohnt sich, den auszuloten. Das Interessante kann man steigern. Es gibt in der Sprache die Formulierung hochinteressant. Es ist hochinteressant. Es gibt viele Spielarten des Interessantens, eine große Bandbreite, wenn etwas sehr interessant ist. Wenn es so ist, wie wenn es Arme kriegt, die mich packen, wenn es mich ergreift, wenn es bestechend ist, wenn es entzückend ist, wenn es bezaubernd ist. Das ist hochinteressant. Dann sagen wir, es ist faszinierend.
Ich bin fasziniert. Die Faszination ist die Steigerungsstufe des Interessanten. Und ich möchte mal an dem Beispiel der Faszination, die Frage stellen, was ist eigentlich das Interessante am Interessanten? Ich will mich nicht langfristig nur auf die Faszination konzentrieren, sondern die ganze Bandbreite von interessant, hochinteressant, faszinierend, muss in unserem Blickfeld bleiben. Aber ich will mal an dieser Intensivform der Faszination mal fragen, was ist eigentlich das Faszinierende am Faszinierenden? An der PH Ludwigsburg an der Stelle teile ich ein Arbeitsblatt auf aus fünf faszinativen Erfahrungen in Autobiografien, die die Menschen selber erzählen. Das würde hier zu weit führen, aber ich will es trotzdem kurz streifen.
Ein junger Kunststudent, ein Amerikaner mit 20 Jahren, ist in Paris, studiert Kunstgeschichte, so im Jahr 1920 ungefähr. Und er wird von einem französischen Studenten angesprochen und eingeladen, hättest du mal Lust, mit mir eine Ausstellung von Vincent van Gogh anzugucken? Das sagt der Amerikaner in seiner Autobiografie, ich habe noch nie den Namen von Vincent van Gogh gehört. Aber als ich die Galerie betrat, blieb bei mir die Zeit stehen. Ich blieb wie angewurzelt stehen, ich weiß nicht, wie lange ich gestanden bin. Und dann habe ich gesagt, wer ist dieser Mann, der mir das Sehen lehrt, der mir klarmacht, dass ich bisher blind war? Und dieser Amerikaner wird zum bedeutendsten Vincent van Gogh Biografen, ein großer internationaler Fachmann geworden.
Der hat in dieser Galerie eine faszinative Erfahrung gemacht. Dann beschreibt ein Bergsteiger, wir in Fuchiyama oder in welchem Gebirge, die letzten Griffe im Eis, das erhabene Gefühl, obenstehen, das Schweigen der Berge, die Erhabenheit der Berge. Tiefe Faszination. Dann ein französischer Naturwissenschaftler berichtet in seiner Kindheit, dass er beim ersten Weltkrieg bei einem nahegelegenen Truppenübungsplatz die Metallsplitter gesammelt hat, die Granatsplitter. Oder auch wenn er sonst irgendwie Metall... Er hat sich so eine Art eigene Zimmerecke gemacht, wo überall Metall war, weil er hat gesagt, Metall war für ihn der Inbegriff des Dauerhaften, des Stabilen.
Er wurde später ein berühmter Physiker. Eine ältere Frau erinnert sich, dass ihr Vater ihr mit vier Jahren den Himmel erklärt hat. Den großen Wagen. Und als er dann gesagt hat, schau mal, das alles hat Gott geschaffen. Und dann schreibt sie, mir wurde Gott als Vierjährige so groß. Ein solches Entzücken erfasste mich, dass ich von dieser Erfahrung bis heute lebe. Also, dann frage ich die Studierenden, das sind ja grundverschiedene Erfahrungen. Was ist eigentlich das Gemeinsame in allen diesen vier verschiedenen faszinativen Erfahrungen? Was ist das Faszinierende am Faszinierenden? Jetzt will ich euch mal aus der Forschungsgeschichte des Faszinierenden, die gibt es seit 1917.
In 1917 hat ein Professor an der Universität Breslau zum ersten Mal dieses Phänomen untersucht. Der heißt Rudolf Otto. Und der hat also das erste grundlegende Werk geschrieben. Und seitdem erforscht die Religionspsychologie vor allem das Phänomen des Faszinierenden. Und ich versuche mal, einfach in wenigen Worten eine 100-jährige Forschungsgeschichte zusammenzufassen. Ich sag nur das, was mich selber überzeugt hat. Also nichts von dem, was ich jetzt sage, ist auf meiner Miste gewachsen. Aber die zehn Punkte, die ich jetzt zusammenstelle, die stammen von mir. Ich habe mal in zehn Punkten das für mich Wichtigste zusammengelegt. Das Wichtigste zusammengefasst in einfachen Worten. Das erste Kennzeichen des Faszinierenden ist... Es zieht mich etwas an.
Es ist wie ein Sog. Ich fühle mich angezogen. Die deutsche Sprache hat das Wort hingerissen. Was hat wohl der Mensch erlebt, der dieses Wort zum ersten Mal benutzt hat? Ich bin hingerissen. Der Schwabe sagt, ich bin hin und futsch. Also in der Faszination ist es, wie wenn Arme nach mir greifen. Ich werde erregt. Ich bin bewegt. Von was bist du bewegt? Der Atem geht anders. Ich sag dir, du kannst nicht cool fasziniert sein. Probier es mal. Sei mal cool fasziniert. Sei mal distanziert fasziniert. Sei mal neutral fasziniert. Geht nicht. In der Faszination bist du hin und futsch. Aber diese Erfahrung, es zieht mich etwas an,
das genügt noch nicht für die Faszination. Jetzt kommt die Entdeckung, die zum ersten Mal Rudolf Otto in Breslau gemacht hat. Die erweist sich, die ist goldrichtig. Er sagt, es muss eine zweite Erfahrung dazukommen. Und diese zweite Erfahrung nennt er Rudolf Otto Kontrasterfahrung oder Kontrasthermonie. Nämlich, das, was mich anzieht, entzieht sich mir. Dann bin ich fasziniert. Wenn das, was mich anzieht, sich entzieht. Ich war mal so im Alter von 20, ich wollte mal Pianist werden. Hab bei einer berühmten Konzertpianistin jahrelang gelernt, die Frau war ein Genie.
Hat in Stuttgart in der Liederhalle Klavierkonzerte gegeben. Und sie hat zu mir gesagt, Siegfried, wir müssen morgen nach Stuttgart. Der Van Kleyberne kommt durch Stuttgart, weil da eine Oma hat ihr besucht. Der Van Kleyberne hat, das muss so 1966, 67, 68 gewesen sein, Van Kleyberne hat als 18-, 19-jähriger Amerikaner zum ersten Mal den Tchaikovsky Klavierwettbewerb gewonnen. Den haben bis dorthin nur Osteuropäer bekommen. Russen, Polen, Rumänen, Tschechen, die auch wahnsinnig gut Klavier spielen. Aber dieser Van Kleyberne war so viel besser wie der Zweite, dass er in Moskau, das war die Zeit des Kalten Krieges, dass er in Moskau den ersten Preis im Tchaikovsky Klavierwettbewerb gewonnen hat. Und die Elsa Knaus, meine Klavierlehrerin, die hat da irgendwie Zugang gehabt. Der kam also in die Liederhalle, völlig improvisiert, das haben nur Fachleute, aber die Liederhalle war vollkommen überfüllt.
Was da feuerpolizeilich gelaufen ist, das kann man gar nicht sagen. Wir kamen eine Stunde früher an, war schon alles überfüllt. Ich gehe mit der Elsa Knaus aufs Podium und setz mich neben das Klavier. Also, der Van Kleyberne hat hier gespielt, und da saß ich. Das ist wie, wenn's gestern war. Ich hab noch nie im Leben einen Menschen gehört. Ich hab ja selber jahrelang täglich zwei bis vier Stunden geübt. Aber Kreis, Kreis-Klasse, Champions League. Und aber es entzog sich mir. Es blieb mir... Ich kapier das nicht, wie jemand so spielt. Es hat sich mir völlig entzogen. Beobachte mal an Leoparden die Gewandtheit einer Raubkatze. Die ist faszinierend, aber sie ist fremd. Das, was dich fasziniert, bleibt dir fremd. Ich weiß nicht, ihr habt ja schon manche Beziehungen erlebt. Habt ihr schon mal eine Beziehung erlebt?
Also, sagen wir mal, eine normale Beziehung überwiegend ist so, man lernt sich kennen, man kommt sich näher, es wird langweiliger, man kann sich schon ausrechnen. Mal sehen, wie die reagiert. Mir hat mal ein Kollege an der PH gesagt, ich war mit einem anderen Kollegen, der Herr sowieso, das ist eine überschaubare Persönlichkeit. Er denkt, so eine Frechheit. Aber ich muss dir innerlich sagen, ganz unrecht, oder nicht? Na ja, also, manchmal ist es wirklich so, du kannst die Leute ausrechnen. Vor allem da kommt dann so ein Alltagstrott und so. Habt ihr schon mal eine Beziehung erlebt, wo mit zunehmender Nähe die Fremdheit bleibt? Überlegt mal. Habt ihr das schon mal? Ich sag, das sind Beziehungen. Habt ihr sogar vielleicht schon mal eine Beziehung erlebt, wo mit zunehmender Nähe... die Fremdheit steigt? Habt ihr das schon mal erlebt? Übrigens, bei Gott ist es so,
je näher ich ihm komme, desto geheimnisvoller wird er. Jetzt komme ich ihm noch näher, jetzt ist er noch geheimnisvoller. Jetzt bin ich ihm mal ganz nahe gekommen, war er völlig geheimnisvoll. Und deswegen wird es nie langweilig bei Gott. Je näher ich ihm komme, desto fremder, nicht auf eine ängstliche, also nicht auf eine negative Weise, sondern auf eine anziehende Weise. Ich hab mal meine Tochter, was man eigentlich nicht soll, das war ein reiner Zufall, da war sie vielleicht vier oder fünf Jahre alt, hab ich mal meine Tochter im Schlaf beobachtet. Seht ihr, meine eigene Tochter liegen? Und dann denk ich auf einmal, wer bist denn du eigentlich? Bist du in der gleichen Wohnung wie ich? Gehst aufs gleiche Klo? Aber ich weiß eigentlich nicht, wer du bist. Was geht denn eigentlich in deinem Köpfle vor? Was sind deine Sehnsüchte? Da wurde mir meine Tochter ganz fremd, und da war ich fasziniert.
Treue wird dann möglich, wenn der andere dir fremd bleibt. Sonst ist so eine Moralinsaure, solltest halt treu sein. Also, das Wesen der Faszination ist, das, was dich anzieht, entzieht sich gleichzeitig. Das ist der Reiz der Science-Fiction-Romane, du kommst der Zukunft näher, sie entzieht sich, kommst du wieder näher, die entzieht sich wieder. Diese Kontrastharmonie ist das Wesen der Faszination. Das war die große Entdeckung von Rudolf Otto, und inzwischen in 100 Jahren Forschungsgeschichte kann man das weiter ausdifferenzieren. Das dritte Merkmal der Faszination ist, ich kann die Faszination nicht willentlich herbeiführen.
Du kannst dich nicht entscheiden, fasziniert zu sein. Deswegen kann sich auch niemand für Gott entscheiden. Weil du kannst dich nur dann für Gott entscheiden, wenn du von Gott fasziniert bist. Und das kannst du nicht machen. Also, du kannst die Faszinationserfahrung nicht machen. Es gibt hier keinen freien Willen. Das hat Luther schon erkannt in seinem fantastisch tiefen Buch vom unfreien Willen. So was habe ich noch in keiner Freikirche gelesen. Ein Tiefe wie in diesem Buch. Das führt dann auch zu völliger Bescheidenheit. Weil du nicht sagen kannst, ich habe mich bekehrt. Also, ihr habt natürlich einen freien Willen. Wir haben alle einen freien Willen, aber sehr begrenzt. Zum Beispiel, sag mal ein Beispiel. Kannst du in deinem freien Willen entscheiden, jemand sympathisch zu finden? Ich sag dir jetzt mal, find doch ihn mal sympathisch.
Das kannst du nicht. Das unterliegt nicht deinem freien Willen, ob du jemand sympathisch findest oder nicht. Und das ist ein wichtiger Unterschied. Du willst dich ja völlig anders bei jemandem, dem du unsympathisch bist oder sympathisch. Und das unterliegt nicht deinem freien Willen. Ich sag mal ein anderes Beispiel. Ich kann natürlich nach Grindelwald fahren und nach Wengen. Bin ja auch schon paar Mal. Das kann ich schon machen. Und ich kann mich unter die Eiger-Nordwand stellen. Das habe ich schon paar Mal gemacht. Aber wenn ich unter der Eiger-Nordwand direkt drunter stehe und da mal hochgucke, dann ist es die Wand, die mich fasziniert. In der Faszination bin ich passiv. Du kannst so aktiv sein, wie du willst. Ist ja gut, ist ja gut. Aktiver Urlaub, Abenteuerurlaub, Extremurlaub. Man versucht ja, das dann auch noch zu kultivieren. Aber ich sag dir, das kannst du nicht so ohne Weiteres. Im Augenblick der Faszination bist du passiv.
Bist du ein Empfangender. Du bist im Grunde genommen nie so aktiv wie in dieser Passivität. Also das Dritte ist, du kannst die Faszination nicht willentlich erzeugen. Das vierte Merkmal der Faszination ist, die Faszination ist immer etwas Besonderes. Du kannst dich nicht an sie gewöhnen, das ist schon nicht mehr faszinierend. Wenn du dich an Orgasmus gewöhnst, ist das nicht mehr faszinierend. Der Orgasmus sollte schon was Besonderes sein. Wir sind ja alle Kinder des Orgasmus. An dem Punkt waren wir ja schon mal. Also das Besondere sollte besonders bleiben. Wir brauchen das Besondere, damit wir nicht banalisieren. Damit wir nicht am Klo putzen, Geschirr putzen und bügeln.
Und es muss alles sein. Ich bügel meine Sache auch selber. Aber der Haushalt darf einen nicht erschlagen. Wir sind nicht berufen dazu, in der Routine zu ersticken. Wir brauchen das fest, um den Alltag auszuhalten. Sonst gehen wir im Alltag kaputt. Wir brauchen das Besondere nicht als Ventil, sondern als Kraftquelle, um den blöden Alltag dann zu meistern. Also das Faszinierende ist das Besondere. Und der Mensch braucht das Besondere. Das Besonderste, was es gibt, ist Gott. Der ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Das fünfte Merkmal, die Faszinationserfahrung, kommt immer von außen. Ich sag dir, du kannst nicht von dir selber fasziniert sein. Du wirst neurotisch. Was ist eigentlich die Neurose?
Der neurotische Mensch interessiert sich zu sehr für sich selber. Und das macht dich krank. Der Mensch will nicht ständig sich immer nur um sich selber drehen. Kennt ihr vielleicht die Leute, die drehen sich ständig? Die reden immer von sich. Und wenn sie mal kurz eine Frage haben, wie geht es dir im Referendariat? Und gleich wieder, ich hab gestern und so. Es gibt also Leute, die reden ständig nur von sich selber. Die kreisen nur um sich. Ich sag euch, das sind ganz arme Säcke. Die sind schwer zu bedauern. Glücklich sind diese Menschen nicht. Der Mensch möchte selbst vergessen sein. Er möchte in große Zusammenhänge eingebettet sein, die er selber sich nicht ausgedacht hat. Das macht den Menschen glücklich. Also das Faszinierende kommt immer von außen. Es zieht dich aus dir selbst heraus.
Luther sagt, ponis nos, extra nos. Es zieht dich aus dir selbst heraus. Gott zieht dich aus dir selbst heraus. Der Sünder ist der in sich selbst verkrümmte Mensch. Der dreht sich immer nur um sich selber. Der arme Sack. Aber dann kommt etwas, das zieht dir aus dir selbst heraus. Dann bist du selbst vergessen. Und ich sag dir, du bist nie so tief bei dir selbst, wie wenn du selbst vergessen bist. Ein Therapeut hat vor einiger Zeit zu mir gesagt, heute besuche ich mich selbst. Hoffentlich bin ich daheim. Also, es kommt immer von außen. Gott kommt auch von außen, er ist nicht ein Teil von dir selbst. Ihr merkt schon, ich verbinde immer Gott mit Faszination. Gott ist das große Abenteuer. Die große Faszination. Mit weniger ist er halt auch nicht zufrieden.
Ich zieh mir mal ein bisschen Gott rein. Ich denk mal ein bisschen über Religion und so weiter. Das kannst du gleich bleiben lassen. Wenn du von Gott nicht begeistert bist, kannst du gleich bleiben lassen. Dann die nächste Stufe, das nächste Kriterium der Faszination. Die Faszination ist eine positive Erfahrung von Macht und Größe. Die Faszination ist eine sehr positive Erfahrung in der gesunden Form. Der Mensch kann alles pervertieren. Er kann von Falschmisch, von Sadismus und allem Faszinierten sein. Das sind aber Perversionen. Ich bleib mal bewusst bei der gesunden Form der Faszination. Es ist besser, sagt ein chinesisches Sprichwort, ein Licht anzuzünden, als über die Finsternis zu schimpfen. Wir sollen bei den Kindern und Jugendlichen ein Licht anzünden. Und nicht über ihre Finsternis schimpfen.
Zünd lieber ein Licht an. Also, die Faszination ist eine positive Erfahrung von Größe und Macht. Und das macht dich dankbar. Nur ein dankbarer Mensch kann liebevoll mit der Wirklichkeit umgehen. Nur ein dankbarer Mensch. Wenn du reichlich faszinierendes, unergründliches, geheimnisvolles, was dich anzieht, aber sich dir entzieht, dann wirst du ein dankbarer Mensch. Du wirst geradezu ernährt, du wirst gesättigt. Einer meiner großen pädagogischen Lehrer, Fritz Oser, aus Fribourg in der Schweiz, hat gesagt, ich will Kinder nicht ernähren, ich will Kinder nicht belehren, ich will sie ernähren. Also, das Faszinierende ist eine positive Erfahrung von Größe und Macht.
Du wirst danach sagen, dass sich die Kinder nicht mehr in der Welt ernähren. Du wirst danach sagen, dass ich so was erleben darf. Eine Nachbarin hat vor einiger Zeit nur gesagt, Herr Zimmer, dass ich so was erleben darf. Das war ihr erstes Enkele, dass ich so was erleben darf. Und diese positive Erfahrung ernährt dich. Das nächste Kriterium der Faszination ist, die Faszination ist, die Faszination ist immer ganzheitlich. Sie erfasst dich ganz, nämlich dein Fühlen, dein Wollen und dein Denken. Es ist auf jeden Fall alles immer dabei. Aber völlig klar ist, das Stärkste, wo du erfasst wird, ist dein Fühlen, dein Gefühl. Die europäische Philosophie und Geistesgeschichte hat bis zu Wittgenstein das Gefühl völlig unterschätzt. Als ob Gefühle, man sagt immer Kokidou-Ergosum.
Viel tiefer ist, wenn du sagst Senso-Ergosum. Ich fühle also bin ich. Die Kleinkinder fühlen erst, bevor sie denken und wollen. Erst fühlen wir, und dann kommt das Denken. Es gibt überhaupt kein gefühlsneutrales Denken. Alles Denken ist eingebettet in Gefühl. Ich frage manchmal Leute, war deine Berufsentscheidung rein rational? Ja, ihr wollt ganz bewusst zur Bank. Ja, warum? Ach so, da verdienst du gut und bist angesehen. Da sind schon wieder Gefühlswerte. Es gibt kein Denken unabhängig vom Gefühl. Alles Denken ist eingefärbt in Gefühle. Unser Lebensgrundgefühl ist viel tiefer als alle Denksysteme dieser Welt. Deswegen war es gut, dass man in der Philosophie... Früher hat man so Gefühle auf der Ebene von Zahnschmerzen diagnostiziert. Gefühle sind launisch, auf und ab, das stimmt schon.
Aber trotzdem sind sie grundlegend. Die Faszination berührt immer in erster Linie das Gefühl. Und dann aber auch das Denken unter der Wille. Deswegen ist auch für den christlichen Glauben ohne jeden Zweifel, ohne Schwanken, glasklar, das Gefühl das Wichtigste. Wenn du von Gott nicht ergriffen, begeistert, fasziniert bist, und das kannst du eben nicht dich entscheiden, diese ganze Bekehrungsphilosophie ist eine sehr oberflächliche. Gott bekehrt dich. Dann hat der Begriff einen Sinn. Weil das Gefühl ist das Entscheidende. Und das kannst du nicht willentlich steuern. Nur begrenzt, ein bisschen schon. Aber du kannst dich nicht entscheiden, glücklich zu sein. Du kannst nicht sagen, ich fäll mal eine Entscheidung. Ab heute bin ich ein glücklicher Mensch. Mach's mal. So begrenzt ist dein freier Wille. Also, die Faszination erreicht dich ganzheitlich.
Sie bewegt dann auch deinen Willen. Wenn du jemanden sympathisch findest, oder sagen wir mal, wenn du jemanden faszinierend findest, dann gibt dein Gefühl, deinem Willen einen Auftrag, geh mal zu der hin. Und deinem Denken gibt es einen Auftrag, denk dir mal was aus, wie du an die rankommen kannst. Das Gefühl gibt unserem Denken und unserem Willen die Aufträge. Unser Denken kann sich nicht selber einen Auftrag geben. Und dein Wille kann sich nicht selber einen Auftrag geben. Das achte Kriterium für Faszination ist, wir erleben immer nur Ausschnitte. Es gibt in der Wirklichkeit so viele faszinierende Dinge, da wirst du nie fertig. Wir können immer nur einen Teil erfassen. Ich bin fasziniert z.B. von der Mondschein-Sonate von Beethoven. Bin ja echt fasziniert. Aber ich hatte mal einen Freund in Bremen,
der war Sieger in Jugendforst, war der Landessieger von Bremen. Der hat als erster Mensch entdeckt, dass es eine Wasserflohart im Oberweser Bergland gibt, wo die Fachwelt gedacht hat, die gibt es nur auf der Iberischen Halbinsel. Das hat aber dieser 18-jährige Schüler das entdeckt. Der war sofort Landessieger in Jugendforst. Dieser junge Mann hat mich mal gefragt, Sigi, wolltest du eigentlich wie Wasserflöhe leben? Nö, eigentlich nicht. Wolltest du wie die Lieben, die dir ins Bett gehen? Ich sag, nein. Da hast du ja keine Ahnung. Der Typ war fasziniert von Wasserflöhen. Der war nach dem Abitur 2000, 3000 DM, war das noch, ist auf die Iberische Halbinsel. Später wurde er Meeresbiologe in Guxhaven.
Der Typ war fasziniert von Wasserflöhen. Ich eigentlich noch nie. Ich hatte mal einen Freund, der war Geologe. Der hat mal zu mir gesagt, Sigi, hast du schon mal einen Stein anguckt? War immer nicht mehr sicher. Hab ich wirklich schon mal einen Stein wirklich anguckt? Der hat mich so gefragt, dass ich dachte, ich weiß es nicht. Kann sein, dass ich noch nie einen Stein anguckt habe. Ich will damit nur sagen, von was man alles fasziniert sein kann. Wir sind berufen zu einem Leben im Staunen, in der Faszination. Wir werden niemals fertig, bis wir in den Sarg plumpsen. Das neunte Kriterium ist, Faszinationserfahrungen haben eine orientierende Kraft. Das, wovon ich fasziniert bin, dem wende ich mich zu, dem widme ich mich. Das wird ein wichtiger Punkt in meinem Leben. Da bist du auch ganz aufgeregt,
wenn früher irgendwelche Umzugsleute mal Klavier durch irgendwelche Treppen... Mensch, mach auf, das ist mein Klavier! Schluss mit lustig. Also das, was dich fasziniert, wird dir heilig. Das kann aber auch überdrehen. Faszinationserfahrungen können dich auch so im Beschlag nehmen. Die können dich so süchtig machen, dann überdreht es. Dann haben sie keine orientierende Kraft mehr im gesunden Sinn, sondern eine besitzergreifende, beschlagnahmende Tendenz. Dann willst du immer noch größere Dosis, noch mehr Erlebnisse, und dann beginnt ein Teufelskreislauf. Also die besitzergreifende Kraft der Faszination kann in Positiv und in Negativ ausschlagen. Und das zehnte Kriterium, die Faszinationserfahrung ist eine Unergründlichkeitserfahrung. Du wirst sie nicht durchschauen, du kannst sie nicht beherrschen, du kannst sie nicht wegwerfen in unserer Wegwerfgesellschaft.
Du kannst nicht über sie verfügen, kommst voll an deine Grenzen. Nur das, was dir unergründlich bleibt, und zwar prinzipiell, was dir prinzipiell unergründlich bleibt, nur das kann dich faszinieren. Die Faszination ist eine Jenseitserfahrung mitten im Diesseits. Das Jenseits ist mitten unter uns. Das ist eine Transzendenzerfahrung. Du brauchst Transzendenzerfahrungen nicht irgendwie surreal in irgendwelchen merkwürdigen, esoterischen, schrägen Sachen. Das Jenseits ist mitten in unseren schönsten Erfahrungen. Gut, jetzt fasse ich mal zusammen. Das ist also das erste Urphänomen. Eine gesunde Persönlichkeitserfahrung, eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung
braucht reichlich faszinative Erfahrungen. Dann wird dein Gefühlsleben angeregt, deine Dankbarkeit, deine Sensibilität, dein emotionales Leben. Das wird alles ganz stark stimuliert. Das verstehe ich unter einem blühenden Leben. Und wenn die Schule, wenn die Jungschah und die kirchliche Jugendarbeit die Kinder und Jugendlichen im Herzen nicht mehr fasziniert, da dürfen wir uns nicht wundern, wenn keine Kinder und Jugendlichen mehr in die Kirche kommen. Da ist die Kirche bitte schön selber schuld. Weil die Kinder und Jugendlichen spüren genau, wo das Leben ist. Und wenn ein Gottesdienst stinken langweilig wird, also dann weg davon. Geh auch nicht hin. Einer meiner großen Lehrer, der Homiletik, das ist die Predigtlehre, Rudolf Bohren, der hat gesagt, wenn du in ein Gottesdienst gehst, zähle die Jugendlichen. Und dann weißt du, wie echt und lebendig er ist.
Das kannst du an der Zahl der Jugendlichen abzählen. Der Mann hat recht. Also, diese Faszinationserfahrung versuche ich jetzt mal grundsätzlich noch ein bisschen auszuwerten. Dann komme ich zu den beiden anderen, die werden kürzer. Das Entscheidende an der Faszinationserfahrung ist, alles, was ist, kann potenziell... Wasserflöhe, gell? Alles, was ist, kann dich potenziell faszinieren. Es gibt auf der Erde kein Jahrzehnt in der Weltgeschichte, von dem du von vornherein sagen könntest, damit brauchst du dich gar nicht beschäftigen. Das lohnt sich nicht. Da gibt es sowieso nichts, was dich faszinieren könnte. Es gibt keinen Stein auf dieser Erde, keine Pflanze, kein Tier und kein Mensch. Es gibt keine Landschaft auf der Erde,
von der du sagen könntest, du brauchst dich gar nicht beschäftigen. Es lohnt sich sowieso nicht. Da gibt es sowieso nichts, was dich faszinieren könnte. Es gibt keinen Stein auf dieser Erde, keine Pflanze, kein Tier und kein Mensch, von dem du sagen könntest, du brauchst dich gar nicht dafür interessieren. Es lohnt sich sowieso nicht. Da gibt es sowieso nichts. Alles, was es gibt, kann faszinieren. Und hat schon Menschen fasziniert? Die ganze Technik, die ganze Wissenschaft, die Kunst, der Körper des Menschen, die Niagara-Fälle, jede Spinne, jeder Wassertropfen, alles kann faszinieren. Und jetzt frage ich mich, warum? Warum eigentlich? Woher kommt es? Weil alles, was ist, geschaffen ist.
In der Faszination spüren wir das Geschaffensein der Dinge. In der Faszination spüren wir das, was die Wirklichkeit möglich gemacht hat. Wir sind von dem Schöpfer fasziniert, ob das jemand so nimmt oder nicht. Jetzt werde ich zum ersten Mal, verlasse ich die phänomenologische Ebene, jetzt schließe ich mich der biblischen Offenbarung an. Faszinationserfahrungen sind Streicheleinheiten des Schöpfers. In der Faszination spüren wir, wie spannend, bezaubernd, welche Ausstrahlung des Schöpfers in dem ist, was er gemacht hat. Es ist der Schöpfer, der uns anzieht. Natürlich kann Faszinationserfahrung auch ganz in falsche Richtungen gehen. Fasziniert von Geld, von Karriere, von Macht, von Grausamkeit,
von Gewalt und von Satismus. Man kann alles Schöne auch pervertieren. Deswegen müssen wir schon die Geister unterscheiden. Faszination ist in der Bibel die Heiligkeitserfahrung. Das, was in der Bibel heiligt, Kadosch im Hebräischen, oder Hagios im Griechischen, ist nur ein Wort für faszinierend. Das Heilige ist das Faszinierende. Das Buch von Rudolf Otto in Breslau 1917 heißt, das Heilige. Denn das, was mich fasziniert, wird mir heilig. Wenn Gott der Heilige ist, bin ich völlig ergriffen von ihm. Er ist der Heilige. Deswegen entdeckt man in Israel nicht nur das Heilige. Das hat man in allen Religionen. Heilige Kühe, Heilige Sonne, Heilige Bäche, Heilige Schlange, Heilige Kuh, Heilige Bäume. Das sind alles Faszinationserfahrungen.
Aber in der Bibel wird erkannt, der Heilige legt in das Heilige seine Ausstrahlung. Es geht um den Heiligen. Ein aller letzter Gedanke, den ich erwähnen möchte, das wäre ein Vortrag für sich. Es gab mal im Mittelalter ein Buch, das ist das auflagend stärkste Buch des Mittelalters außer der Bibel. Und geschrieben wurde es von einem Franzosen, ich glaube, von einem Franzosen aus dem Jahr 1110. Der Franzose hieß Chrétien de Troyes. Chrétien de Troyes. Und in diesem Buch von dem Chrétien schreibt er den Rittern, ihr Ritter, verlasst eure Boden, begebt euch auf Reisen, sucht das Unbekannte, sucht das Unvertraute, lasst euch vom Fremden anziehen, begebt euch auf Reisen. Und dann werdet ihr Adventuras erleben.
Abenteuer, Adventure, Aventure, Adventuras. Dann werdet ihr Adventuras erleben. Denn das Unvertraute entgrenzt euch in eurer Begrenztheit. Werdet aufnahmefähig für das Fremde, für das Unverhoffte, für die Überraschung. Und wenn ihr dann zurückkommt in eure Burgen, wo immer, wo immer, wo es die gleiche kleine Welt, dann könnt ihr den Daheimgebliebenen von euren Adventuras erzählen. Dieses Buch ist das entscheidende Buch für die Neuzeit. Denn British Company und viele andere, Kolumbus, haben alle dieses Buch gelesen. Und sie sind aufgebrochen zu neuen Ufern. Adventura suchen, wisst ihr, woher das Wort Adventura, Adventure, kommt? Es kommt von Advent. Lernt adventlich leben. Erwartet das, was von Gott kommt. Adventlich heißt, ich erwarte etwas.
Ich bin offen für das, was auf mich zukommt. Und daher kommt Adventura, das kommt von Advent. Ein Christ kann adventlich leben, voller Abenteuer. Er ist offen. Gott ist das Abenteuer. Jetzt, das ist der Grund, warum wir hier sind. Jetzt, das zweite Urphänomen mache ich ganz kurz. Das habe ich nämlich heute Morgen im ersten Vortrag behandelt. Das zweite Urphänomen ist, wir brauchen nicht nur eine Daseinsneugierde. Das ist jetzt das, was ich mit Faszination meine. Der Mensch braucht ein Daseinsinteresse. Eine Daseinsneugierde. Aus dem Interessanten kommen unsere Interessen. Die Interessen kommen von dem Interessanten. Das ist das Erste. Bist du neugierig, hast du Interesse am Dasein? Das ist das Entscheidende für Schüler.
Nicht berufsspezifisches Können, das braucht man auch. Aber das Entscheidende, was man auch für die Berufswelt braucht, ist die Intensität, die Liebe zum Detail. Das Interesse, das aus dem Interessanten kommt. Wenn du kein Daseinsinteresse mehr hast, bist du mehr oder weniger tot. Was Kinder und Schüler brauchen, ist, dass wir sie anstecken mit unserem Daseinsinteresse, das aus dem Interessanten kommt. Das Zweite aber, was sie brauchen, ist eine Daseinsgewissheit. Eine Gewissheit, dass du weißt, die Würde meiner Person hängt nicht von meinen Leistungen ab. Nicht von den Qualifikationen und Qualitäten, wo mich die Schule und die Personalbögen und die Personalakten und die Verwaltungstests und die Intelligenztests und die Fragebögen, das sind die Symbole unserer Zeit. Da wirst du taxiert wie eine Ware auf dem Markt. Aber bei Gott bist du keine Ware auf dem Markt. Bei Gott bist du wichtig, einfach, weil du da bist.
Das verleiht dir eine Gewissheit. Und diese Gewissheit trägt dich. Jetzt hätte ich also zwei Fragen. Von was wirst du bewegt? Und was trägt dich? Das sind die zwei Grunderfahrungen. Jetzt kommt aber noch die dritte. Die dritte Grunderfahrung ist auch ein Phänomen. Wenn zum Beispiel ein Vierjährige, Dreijährige zur Mama sagt, das kann ich alleine. Mama hat einen neuen Zwiebelschneider gekauft. Und die Vierjährige will jetzt auch... Geh langsamer, das kann ich schneller. Aber die Vierjährige sagt, das kann ich alleine. Das ist nicht so ein Werksinn. Der Mensch möchte etwas tun. Er möchte das Dasein gestalten. Es gibt ein Daseinsinteresse, eine Daseinsgewissheit und eine Daseinsgestaltung. Das Leben ist nicht nur faszinierend. Und das Leben ist nicht nur ein Geschenk von Gott,
das uns niemand nehmen kann. Und darin sind wir gewiss. Sondern das Leben ist auch eine Herausforderung, eine Aufgabe. Pack den Stier bei den Hörnern. Suche deine Herausforderung, die Aufgabenstellungen, die Projekte deines Lebens. Der Mensch möchte nicht rumhängen, sondern der Mensch möchte Projekte gestalten. Und das verleiht ihm eine Befriedigung. Wenn du deine Herausforderung des Lebens erkannt hast und mutig den Stier bei den Hörnern packst und diese Aufgabe bewältigst, dann wirst du eher jünger als älter. Mein hochverehrter Lehrer, bei dem ich Assistent war, Prof. Karl Ernst-Nippco, ist 82 Jahre alt. Aber ich bin überzeugt, er ist jünger als ich. Er ist jugendlicher als ich. Der Mann ist immer noch voll unterwegs. Der will in fünf Jahren viel weiter sein wie jetzt. Da kenne ich 30-Jährige, die sind ja heute schon Senioren. Wenn ich Studenten angucke, da sind manche schon...
Meine Mutter war Grundschullehrerin, ich will auch so werden. Ich will auch schnell die PH durchlaufen, damit ich endlich mal Grundschullehrerin bin. Amen, Beerdigung. Also, das Leben ist eine Herausforderung. Und jetzt kommt die Tat, die Ethik, die Moral. Wir müssen uns im Leben auch bewähren. Aber das ist erst das Dritte. Wenn ich nur fasziniert bin, das führt so zu einem Hedonismus, zu einer Selbstverliebtheit. Die Erotik der Faszination. Da kannst du dich auch ganz schön drin verlieren. Und dass Gott dich mag und dir dein Leben schenkt und dass du bei Gott wichtig bist, einfach weil du da bist, da kannst du auch ganz schön faul drauf ausruhen. Gott liebt mich, Gott vergibt mir. Da kann ich auf meinem Sofa weiterbleiben. Nein, nein, es kommt schon auch darauf an, was du tust. Nach der Bibel sind die beiden großen Aufgaben für dich,
wirkliche Aufgaben. Da bist du nicht passiv und empfangender, da bist du jetzt bitte schön ein Täter. Kämpfe und engagiere dich für Gerechtigkeit und Frieden. Das sind die beiden großen Ziele der Bibel. Gerechtigkeit im biblischen Sinn ist viel tiefer wie europäische Gerechtigkeit. Europäische Gerechtigkeit heißt su un cu juque, jedem das Seine. Wenn du gut bist, kriegst du eine Belobigung, wenn du schlecht bist, dann bleibst du sitzen. Nein, nein, Zöta-K, Gerechtigkeit, heißt in der Bibel, integriere alle Menschen, die ausgegrenzt sind. Das hat Jesus gemacht. Die Armen, die Kinder, die Frauen, die Aussätzigen, die Sünder. Das ist Zöta-K. Zöta-K heißt, hol sie wieder herein. Gib keinen verloren. Alle Menschen sollen voll teilnehmen am wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen Leben.
Und wer da ausgegrenzt ist und an der blühenden Gemeinschaft nicht teilnehmen kann, hol ihn herein. Das ist Zöta-K. Und Schalom, Frieden, ist viel mehr wie im Deutschen. Im Deutschen ist ja Frieden schon dann, wenn die Waffen schweigen. Da kannst du immer nur die dritte Welt ausbeuten, die Kaffeepreise. Wir haben ja einen kalten Krieg mit der dritten Welt, wir beuten ja die dermaßen aus, da brauchen wir gar keine Waffen. Unser Frieden ist ja schon kalter Krieg. Auch wenn nicht geschossen wird. Nein, nein. Schalom ist viel mehr wie Frieden. Und was ist denn unser Frieden? Ist ein Militärfrieden, ein Bundeswehrfrieden, ist eine Milliardenausgabe für Waffen. Das ist ein militärisch abgesicherter Frieden. Wenn wir gar nichts mehr für Waffen ausgeben würden, dafür überall Kindergärten bauen könnten, das wäre Schalom. Schalom ist nämlich dort, wo die Bedürfnisse der Menschen ernst genommen werden
und gesättigt werden. Wenn der Mensch zufrieden wird, weil seine Bedürfnisse ernst genommen werden. Dort ist Schalom. Also unser Lebensauftrag, unsere Daseinsgestaltung, besteht darin, engagiere dich für die Ausbreitung von Zöta, K. und Schalom. Da musst du viele Menschen auch trösten. Tröste die, die da niederliegen, die entmutigt sind. Ermutige. Helfe mit, dass Leute wieder aufstehen und wieder weitermachen. Martin Luther hat gesagt, das Trostamt ist das wichtigste Amt aller Christen. Das Amt hat jeder. Wie gut du trösten kannst, das zeigt, wie geistlich du bist. Es gibt einen Gradmesser, der ist unbestechlich. Wie gut du trösten kannst, zeigt, wer du bist.
Also das sind diese drei großen Bereiche, die Daseinsneugierde, das Offensein für das Faszinierende und Interessante. Das wird dich zu einer gesunden, blühenden, gesegneten Lebenslinie verhelfen. Du wirst dankbar sein. Und aus dieser Dankbarkeit heraus kannst du liebevoll sein. Wir brauchen Daseinsgewissheit. Entscheidend für eine langfristige, gesunde Persönlichkeitsentwicklung ist, dass du weißt, du kannst dich tragen lassen. Die Würde deiner Person ruht in einer anderen Hand. Und das dritte ist, warte aktiv, es gibt so viel Wichtiges zu tun. Packen wir es an.
Die drei entscheidenden Dimensionen in der Lebenserfahrung des Menschen | 1.5.2
Der Mensch, was ist der Mensch? Im Abschluss-Vortrag von Worthaus 1 begibt sich Siegfried Zimmer in aller Freiheit auf die Suche nach dem Geheimnis des Lebens. Dabei ist er sich bewusst, dass es nicht möglich ist den Mensch an sich zu definieren. Und doch schafft er es sich dem Mensch an sich durch die Beobachtung von menschlichen Grunderfahrungen so zu nähern, dass deutlich wird, welche Erfahrungen für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung entscheidend sind. Das macht nachdenklich, fordert heraus, setzt Impulse und appelliert letztlich an jede Hörerin und jeden Hörer das Leben aus einem “sich-getragen-wissen” in die Hand zu nehmen.