Das Thema des zweiten Vortrags am heutigen Nachmittag lautet Luthers Verständnis des Glaubens. Luther entwickelt aus seiner neuen Lehre heraus auch ein neues Glaubensverständnis. Bekannt ist ja die Forme sola fide, allein der Glaube. Diese soli, diese Alleinformulierungen, die gibt es in der Kirche schon lange. Manche dieser soli gibt es schon im Mittelalter und noch älter. Manche aber sind durch Luther ganz neu geschaffen worden. Also das Solus Deus, Bach sagte aus soli Deo gloria, allein Gott die Ehre.
Also insofern Solus Deus, allein auf Gott kommt es an. Das gibt es schon viele Jahrhunderte, lehrt Luther natürlich auch wie alle Christen. Und auch das Sola gratia gibt es auch schon im Mittelalter und vielleicht noch früher, weiß ich gar nicht ganz genau. Ist also nichts, was Luther neu geschaffen hat. Aber es gibt jetzt einige soli, die hat es noch nie so gegeben. Solo verbo, allein das Wort. Dann solus Christus, allein Christus, ist auch neu. Dann sola fide, allein der Glaube. Und sola scriptura ist nicht neu. Die Formel gibt es auch schon im Mittelalter, aber Luther versteht sie neu. Das heisst also bei dem Sola scriptura kommt es ganz drauf an, was versteht man darunter.
Es kann durchaus sein, dass es Christen gibt, die das Sola scriptura sehr betonen, es aber nicht so verstehen, wie Luther es meint. Also diese Formel ist an für sich nicht neu, aber das reformatorische Verständnis dieser Formel, das ist neu. Also sola fide ist neu, da merkt man schon, wie wichtig der Glaube für Luther ist. Und neu ist auch, dass Luther zum Beispiel sagt, die Sünde besteht im Unglauben. Das ist auch neu. Man hat früher im Beichtspiegel, die Sünde besteht in bestimmten Taten, lässliche Sünden und schwere Sünden, alle möglichen Unterscheidungen. Und das führt sehr schnell zu einem moralischen Verständnis der Sünde. Sünde sind schlechte Taten. Nein, Luther sagt, die Sünde besteht im Unglauben.
Und aus dem Unglauben heraus entstehen dann auch bestimmte Taten. Aber die Sünde ist der Unglaube. Zum Beispiel, Luther sagt nicht, die Sünde ist der Ungehorsam. Das sagt er nicht. Das Wesen der Sünde ist der Unglaube. Und aus dem Unglauben heraus entwickeln sich dann auch Ungehorsam und andere Dinge. Also Luther hat auch ein neues Glaubensverständnis, das sich sehr eng an die Bibel anschließt, an Paulus anschließt, und das es so im Mittelalter nicht gegeben hat. Jetzt, wie kommt Luther zu seinem Glaubensverständnis, zu seinem neuen reformatorischen Glaubensverständnis? Er gewinnt dieses neue Glaubensverständnis durch ein neues Wortverständnis. Und deswegen muss ich jetzt ein bisschen, so zehn Minuten, über Luthers neues Wortverständnis einiges sagen,
weil sonst kann man das Glaubensverständnis gar nicht erklären. Neu an den Soli, die Luther zurecht zugeschrieben werden, ist vor allem das Solo verbo. Aus dem Solo verbo ergibt sich das Solus Christus, aus dem Solo verbo ergibt sich das Sola fide und aus dem Solo verbo ergibt sich das Sola scriptura. Das Sola verbo, Solo verbo, ist wichtiger als das Sola scriptura, denn das Sola scriptura reformatorisch verstanden, ergibt sich aus dem Solo verbo. Und jetzt kurz, was meint Luther mit allein das Wort? Diese Formel Solo verbo ist in der Christenheit, in der evangelischen Christenheit, in evangelischen Gemeinschaften viel unbekannter als das Sola scriptura.
Und unbekannt, weithin unbekannt ist auch, dass das Sola scriptura nur, nur in Anführungszeichen, nur die Folge des Solo verbo ist. Da muss man also Luther schon ein bisschen besser kennen. Also Solo verbo meint bei Luther allein das Wort. Mit allein das Wort meint Luther allein das Evangelium. Solo evangelii ist das gleiche wie Solo verbo. Man kann statt allein das Wort genauso auch sagen, allein das Evangelium. Was meint Luther mit Evangelium? Die Zusage, die Versprechungen, die von Gott oder von Jesus Christus in der Bibel stehen. Das Versprechen Gottes. Gott gewinnt die Menschen durch seine Versprechen. Er verspricht uns Dinge.
Er sagt uns bestimmte Dinge zu. Wenn Luther das Versprechen Gottes, die Zusage, lateinisch promissio, so betont, dann führt er damit eine Unterscheidung in der Bibel ein, die es, abgesehen von Luther, nicht gibt. Also ausserhalb der reformatorischen Theologie nicht gibt. Sie ist neu. In den heutigen Freikirchen muss man von Fall zu Fall sehen, ob diese Unterscheidung vorhanden ist. Nämlich Luther unterscheidet zwei Sorten von Gottes Wort. Gottes Wort hat zwei Sorten. Es gibt das Gesetz und das Evangelium. Diese Unterscheidung ist grundlegend für Luther. Mengenmäßig ist das Evangelium vielleicht 0,5 Promille oder 0,5 Prozent, also nur ein ganz kleiner Teil.
In der Bibel ist Evangelium, aber dieser Teil ist entscheidend. Alles, was nicht Evangelium ist, ist Gesetz. Mit Evangelium meint also Luther alles, was Gott uns durch das Wort schenkt. Gott schenkt uns alles Entscheidende. Aber Gott will auch was von uns. Das ist Luther schon auch wichtig. Ich erinnere mich gerade an ein Seminar, das ich immer wieder mal an der PH mit einem Kollegen gegeben habe. Und das hieß so unsere persönliche Glaubenskarriere. Und da konnten also Leute daran teilnehmen, die mit der wissenschaftlichen Theologie, irgendwie mit der modernen Bibelwissenschaft starke Probleme haben. Haben wir so drüber gesprochen. Und jeder, der an diesem Seminar teilnehmen wollte, musste sich am Anfang bereiterklären, aus seinem Leben zu erzählen. Also jeder kam mal dran und konnte eine halbe Sitzung, so bestimmte Dinge aus seiner Erfahrung erzählen.
Und ich erinnere mich, dass eine liebenswürdige Studentin da drin war, so leicht christlich geprägt, mehr so volkskirchlich. Und die erzählte, sie hat gar nicht Theologie studiert, sie hat gefragt, darf ich trotzdem teilnehmen und sie hat gesagt ja. Und dann kam sie mal dran und sagte, Gott hat in ihrem Leben eigentlich immer eine schöne Rolle gespielt von Anfang an. Ihre Oma war christlich und die hat mit ihr gebetet. Und da hat sie so ungefähr sinngemäß gesagt, ja, also Gott ist eine schöne Sache, das beruhigt mich. Und es wäre schade, wenn es ihn nicht gäbe, da würde was fehlen. Und ja, sie fühlt sich da einfach so geborgen, bereichert. Und ich bin dann, ich habe irgendwie gemerkt, dass das ein bisschen eigentümlich, wie die das erzählt. Und dann habe ich sie gefragt, sind sie eigentlich schon mal auf die Idee gekommen, dass Gott auch was von ihnen will?
Guckt sie mich an und sagt, nein, auf die Idee sind sie noch nicht gekommen. Also Gott ist einfach das schöne Ruhekissen, sage ich mal so, der warme Glanz so im Hintergrund des Lebens. Das ganze Leben hat einfach so einen schönen, warmen Hintergrund. Also das lehrt Luther so einfach nicht. Luther lehrt, Gott schenkt uns in seiner Liebe alles Entscheidende gern. Und das ist sozusagen das Göttliche an Gott, dass er gerne schenkt. Aber Gott will auch was von uns. Das lehrt er auch. Und das nennt er Gesetz. Gesetz sind alle Aussagen der Bibel, wo man merkt, Gott will unser Leben auch verändern. Die Geschenke sind die Ausgangsbasis dafür, dass sich auch was ändert. Und das nennt Luther Gesetz.
Also in Luthers Wortverständnis zum ersten Mal unterscheidet er innerhalb von Gottes Wort zwei Sorten. Die eine Sorte sind die Zusagen und die andere Sorte sind Gebote, Ermahnungen und alles andere. Und Luther lehrt auch, Glauben in uns schaffen kann nur das Evangelium. Gebote sind wichtig, unersetzbar wichtig, Ermahnungen auch, Drohungen auch, gibt es auch in der Bibel. Das alles Gottes Wort hat alles irgendwo seinen Sinn richtig verstanden. Aber alle diese Dinge können keinen Glauben schaffen. Glauben schaffen kann nur Gottes Versprechung und Zusage. Das reizt uns. Sobald wir diese Zusagen ernst nehmen und auf sie einlassen, entsteht in uns Glaube in der Hilfe des Heiligen Geistes. Gut, also neu ist, dass Luther ein neues Wortverständnis hat, dass die Zusagen schöpferische Kraft haben.
Und sie allein haben die Kraft, mit Hilfe des Heiligen Geistes unseren Hebel im Personenzentrum herumzuwerfen. Allein die Promissio, die Zusage hat diese Kraft. Und diese Zusage ist schöpferisch. Also Gott appelliert nicht einfach an uns, wärst du bitte so nett und würdest mal an mich glauben. Also Gott lädt dich ein und du kannst dir das überlegen und dann nimmst du die Einladung an. Das kann man zwar so mal sagen, aber da können sehr leicht Missverständnisse drinstecken. Nämlich in der Scholastik lehrte man, der Glaube ist auf das Wort angewiesen, das biblische Wort, das Wort Gottes. Aber Gottes Wort ist auch auf den Glauben angewiesen. Wenn der Mensch nicht glaubt, dann bringt das Wort auch keine Wirkung.
Also der Glaube ist auf das Wort angewiesen und das Wort ist auf den Glauben angewiesen. Das lehnt Luther ab. Der Glaube ist ein Geschöpf des Wortes. Die Promissio ist nicht nur eine Einladung, das ist sie auch, aber sie ist viel mehr. Und die Promissio ist auch nicht nur ein Appell und dann kannst du in deiner Souveränität sagen ja oder nein. Nein, die Promissio hat selber schöpferische Kraft. Sie ist ein Hammer, der Felsen zerschmettert und sogar dein Herz aufbricht. Und sie ist schärfer als ein zweischneidiges Schwert. Sie hat schöpferische Kraft wie Gottes Schöpferworte auch. Oder wie wenn Jesus sagt zu dem Gelähmten, nimm deine Matte, steh auf und lauf in Jerusalem herum. Das ist ein schöpferisches Wort. Das ist kein Appell und ist auch keine Einladung.
Das ist ein autoritatives Wort. Eine Zusage ist nicht eine Bitte, ist auch nicht eine Einladung, das ist ein autoritatives Hoheitswort. Ich mache dir jetzt diese Zusage und diese Zusage stellt dich auf einen neuen Felsengrund. Und mit der Zusage stehst du dann auch schon auf dem Felsengrund. Also der Glaube wird nicht durch das Wort ermöglicht oder angestoßen. Nein, der Glaube wird geschaffen durch das Wort. Der Glaube kommt in keiner Weise aus dir selbst. Der Glaube kommt nicht aus dir, der Glaube kommt zu dir. Das ist neu. Also die Promissio bewirkt, schafft, nicht ermöglicht. Nicht Einladung. Und jetzt kommt es darauf an, wie du antwortest.
Es gibt immer wieder Verkündiger, die sagen, ja, also Gott lädt dich schon ein, Gott macht dir Geschenke, aber du musst es auch annehmen, du musst es auch annehmen. Und wenn du dann das Geschenk annimmst, das ist dein Beitrag. Ich habe mal wirklich in einer großen Predigt tausende von Leuten gesagt, der Redner, 98% macht Gott, aber 2% musst du machen, du musst das Geschenk annehmen. Das ist schon ein grundlegender Irrtum. Also ich habe mal einer Nichte von mir ein wunderschönes Geschenk gemacht, da bin ich heute noch stolz, eine tolle Idee gehabt. Und ich wusste auch, dass diese Nichte sich irrsinnig freuen wird, weil das passte so richtig in ihr Alter damals. Also komme ich, es war Geburtstag, ich weiss nicht, ob ich es fest, und überreiche ihr das Geschenk. Jetzt stell mal vor, ich sag mal, sie heisst Tabea, sie hiess anders, wir haben keinen Namen zusammen,
jetzt sage ich, Tabea, guck mal, ich habe dir ein Geschenk, aber du musst es auch annehmen. Ich sage dir, du musst das Geschenk auch annehmen. Und dann sagt die Tabea, komm, nimm dein blödes Geschenk und geh heim. Das geht dann ja auf der Senpel. Also das Annehmen ist nicht der menschliche Beitrag, die 2%, die du dann zu deiner Erlösung beiträgst, sondern die Annahme selber wird durch die Promissio gewirkt. Die Promissio gewinnt dein Herz. Und dann sagst du ja. Also der Glaube kommt nicht aus dir. Der Glaube hat schon Entscheidungskarakter. Ich entscheide mich, so kommt es mir vor, so denke ich jetzt mal über mich, man kann sich ja immer auch täuschen, ich glaube, ich entscheide mich jeden Tag für Jesus Christus, aber dass ich mich entscheiden kann, das kommt nicht aus mir. Das Ja, das du zu Gott sagst, kommt in keiner Weise aus dir selber, sondern es wird durch Gott bewirkt.
Also der Glaube ist ein Geschöpf der Promissio. Er ist kein Aneignungsakt des Menschen, Kraft seines guten Willens oder seiner Fähigkeiten. Der Glaube ist kein Aneignungsakt des Menschen, sondern er ist eine Frucht, eine Wirkung der Promissio. Und deswegen gehört alle Ehre Gott. Und also der Glaube ist ein Geschöpf des Wortes. Wort und Glaube stehen nicht auf gleicher Ebene, Wort ist auf der Glaube angewiesen und ohne der Glaube ist das Wort machtlos. Nein, das lehrt dich schon lastig, aber nicht Luther, sondern das Wort ist nicht auf den Glauben angewiesen, sondern das Wort, wann und wo und an wem Gott will, ubi quando et quos, das Wort schafft den Glauben. Gott hat in uns, in mir, in euch den Glauben geschaffen und er erhält uns am Glauben.
Das ist sein Werk. Also so kann man dann auch sagen, der Glaube ist ein Geschenk. Er hat Geschenkcharakter. Ich sage mal ein paar Bibelstellen, Römer 2, Vers 4. Weißt du nicht, dass die Güte Gottes dich zur Umkehr bewegt? Oder Jesus sagt im Johannesevangelium, Niemand kann zu mir kommen, es ziehe ihn denn der Vater. Nicht ihr habt mich erwählt, niemand hier in diesem Raum hat Jesus erwählt, sondern ich habe euch erwählt. Also das sind so Sätze, die diesen Geschenkcharakter zeigen. Oder ich will zwei andere Bibelstellen bringen, die Luther auch wichtig war. Ein Pächter findet eines Tages ein Schatz im Acker. Unerwartet, hat mit seinem freien Willen eigentlich nichts zu tun.
Er sieht diesen Schatz und der Schatz schafft in ihm eine Freude, weil er weiss, das ist sehr viel wert, das Zehn- oder Hundertfache von allem, was ich besitze. Der geht in seiner Freude heim, verkauft alles, was er hat, weil er muss erstmal den Acker kaufen, damit er seriös in den Besitz dieses Schatzes kommt. Sonst wäre es ein Diebstahl. Das Gleichnis heisst aber nicht das Gleichnis von der Entscheidung des Menschen. Denn alles zu verkaufen, was man hat, ist eine der tiefsten Entscheidungen, die einem Menschen fällen kann. Die ist dem aber richtig leicht gefallen, locker, in seiner Freude. Zwei Tage vorher wäre der noch an seinem Krempel gehängt, der hätte nicht einmal die Hälfte verkaufen können. Die Kraft seines freien Willens, weil du hängst ja an deinem Krempel. Aber die Kraft des Schatzes, die Freude ist ein geschöpftes Schatzes.
Und aus dieser Freude entsteht die Entscheidung. Also kannst du dir auf die Entscheidung nichts einbilden. Oder ein anderes Beispiel, der brennende Donbusch. Moses hütet die Schafe seines Schwiegervaters Jedro. Er zieht einen brennenden Donbusch, der nicht verbrennt. Und dieser Donbusch kitzelt jetzt seine Neugierde hervor. Denn Moses sagt, ich will da mal hingehen und mir die Sache mal näher anschauen, warum dieser Donbusch nicht verbrennt. Moses sagt nicht, da habe ich mich entschieden neugierig zu werden. Du kannst dich nicht entscheiden, neugierig zu werden. Sondern es muss dir etwas begegnen, was dein Interesse und deine Neugier in dir schafft. Jeder von uns braucht so eine Art brennenden Donbusch. Der ist der Auslösepunkt. Dass dann Moses vom Weg abweicht und hingeht, das ist doch irgendwie selbstverständlich. Das hätte ich auch gemacht.
Ich hätte auch nicht gesagt, so brennender Donbusch, der nicht verbrennt, das interessiert mich nicht. So reagiert ja keiner. Das heisst, wirklich der Akzent. Oder nehmen wir mal Amos. Amos sagt über seine Berufung, wenn der Löwe brüllt, wer fürchtet sich nicht? Und wenn Gott ruft, wer wird nicht Prophet? Weil der Ruf ist so kräftig, er löst sowas aus wie das Gebrüll eines Löwen. Früher zu Amos Zeiten hat es noch viele Löwen in Palästina gegeben. Die haben im Jordan graben, haben die gelebt, da war Dschungel. Und wenn sie Hunger hatten, sind sie rausgekommen über die Felder. Und wenn ein Bauer auf dem Feld in der Nähe des Jordan graben, auf dem Feld einen Löwen brüllen hört, dann wusste er, dass es so ziemlich das letzte Geräusch war, das er in seinem Leben gehört hat. Weil der Löwe hat Witterung bekommen. Da fährt ihm die Angst in die Knochen.
Der Bauer entscheidet sich doch nicht zur Angst, sondern die Angst fährt ihm in die Knochen. Und die Freude bei dem Pächter fährt ihm in die Knochen. Und so fährt die Di Promitio mit ihrer Wirkung in die Knochen. Denn es ist Gottes schöpferisches Wort. Und das ruft deinen Glauben hervor. Und deswegen kannst du dir auf den Glauben nichts einbilden. Gut, der Glaube ist also Geschenk. Gerade weil der Glaube ein von Gott gewirktes Geschenk ist, ist er identisch bei Luther mit Heilsgewissheit. Glaube ist für Luther immer ein gewisser Glaube. Ich bin mir nicht meines Glaubens gewiss, sondern ich bin mir des Heils gewiss. Das heisst, ich bin mir der Liebe Gottes gewiss. Also Luther lehrt keine Glaubensgewissheit, die gibt es auch nicht.
Ich lasse mich auch nicht auf meinen Glauben taufen, sondern auf Gottes Wort. Also gerade im Geschenkcharakter liegt der Grund, dass Luther sagt, Gottes Geschenke stimmen auch. Die sind auch ernst gemeint. Gott führt dich nicht an der Nase rum. Ein Geschenk, das Gott dir macht, darauf kannst du bauen. Also Luther lehrt zum ersten Mal Heilsgewissheit. Glaube ist nicht vage Hoffnung, sondern Heilsgewissheit. Allerdings lehrt Luther keine Heilssicherheit. Das ist noch ein Unterschied. Erstens also einmal, die Gewissheit bezieht sich nicht auf meinen Glauben, auf mich, sondern ich bin mir Gottes Treue gewiss, die sich in der Promissio zeigt. Aber diese Gewissheit ist keine Sicherheit, denn diese Gewissheit wird immer angefochten, immer wieder.
Die Anfechtung und der Zweifel sind bei Luther nicht Unglaube oder Sünde, sondern Anfechtung und Zweifel sind völlig normal. Es gibt keinen Glauben ohne Zweifel. Ich würde sogar sagen, wer nicht richtig zweifeln kann, der kann auch nicht richtig glauben. Also der Glaube schafft Gewissheit, aber die Gewissheit wird immer wieder angefochten. Heilssicherheit wäre ja, ich bin mir ganz sicher, ich habe gar keine Anfechtungen mehr, gar keine Zweifel, nein, das sagt Luther, das gibt es gar nicht. Trotzdem ist es eine Gewissheit. Wenn natürlich einer immer nur zweifelt, sein ganzes Leben lang, und ständig jeden Tag voller Anfechtungen ist, dann würde Luther sagen, das ist auch nicht gerade normal. Also der Glaubende freut sich erst einmal, da wurde ich fröhlich und in der Freude. Aber die Freude, über die verfügst du nicht, du hast auch deine Durststrecken.
Du kannst ganz schön auf die Nase fallen. Das gehört alles zur Heilsgewissheit dazu. Dann will ich mal einiges kurz sagen über Glaube und Vernunft. Für Luther können sich Glaube und Vernunft nicht wirklich widersprechen. Wenn das jemand behauptet, dann sind irgendwo Missverständnisse, spielen eine Rolle, denn die Vernunft ist genauso Gottes Geschenk wie der Glaube. Also beide kommen von Gott, aus seiner Liebe, sie sind wertvolle Geschenke. Und deswegen können sie sich im tiefsten nicht widersprechen. Der Glaube liegt auf einer anderen Ebene wie die Vernunft. Niemand kann sagen, liebe Leute, ich bin sehr intelligent, ich habe einen Doktortitel oder ich bin Akademiker, ich bin Wissenschaftler, ich kann nicht glauben, weil ich so intelligent bin. Nein, das geht nicht. Glaube und intelligentes oder kritisches Denken liegen auf verschiedenen Ebenen.
Sie können sich schon mal reiben, aber im tiefsten widersprechen, ein kontradiktorischer Gegensatz können sie nicht sein. Also Glaube und Vernunft sind Schwestern. Der Glaubende achtet die Vernunft, nämlich Coramundo. Im Blick auf die Welt, ohne Vernunft können wir nicht einmal den Verkehr in Tübingen oder Stuttgart organisieren. Mit Irrationalismus geht es nicht. Also der Glaubende wird die Vernunft hochschätzen als eine kostbare Gabe Gottes, die aber in Bezug auf Gott keine nennenswerte Rolle spielt. In Bezug auf mein weltliches Leben spielt sie eine enorme Rolle. Deswegen unterscheidet Luther auch sehr stark zwischen Glaube und Aberglaube. Nicht alles, was sich die Leute einbilden, ist ein Glaube.
Es gibt sehr viel Aberglaube. Oder ich sage es mal mit meinen Worten, es gibt viele schräge Vögel in der Religion. Viele Leute werden in religiösen Gruppen, auch in christlichen Gruppen, irgendwie leicht komisch. Und sie merken das in den Gruppen gar nicht mehr. Erst wenn man mal weggeht und mal ein Jahr weg ist, ach so, das ist ja draußen im Leben ganz anders. Also der Glaube verachtet die Vernunft nicht, er ist nicht bildungsfeindlich. Luther hat Schulschriften geschrieben und hat den Bauern und den Handwerkern gesagt, schickt eure Kinder in die Schule, da sind christliche Eltern verpflichtet. Luther lehrte also schon, obwohl sie noch gar nicht da war, die allgemeine Schulpflicht. Und er hat auch gelehrt, dass Frauen Lehrerinnen sein können. Das hat bis dahin keiner gesagt. Auch Frauen können an staatlichen Schulen Lehrer sein, hat Luther schon gelehrt. Das kam erst 200 Jahre später. Also Glaube und Bildung, Glaube und Vernunft, die kooperieren.
Sie können sich mal gegenseitig auch reiben und verunsichern, schon. Aber wenn man die Sachen richtig klärt, Glaube und Naturwissenschaft, auch heute gehen Hand in Hand. Niemand kann sagen, wissenschaftlich gesehen ist eigentlich nur der Atheismus seriös. Nein, es gibt ja viele führende Wissenschaftler. Spiegel hat vor einigen Jahren mal gesagt, vor 50 Jahren waren fast alle leitenden Astrophysiker der Welt führenden Agnostiker oder Atheisten. Und heute, ich weiß nicht, was war vor 10, 15 Jahren, habe ich das mal selber gelesen, heute sind die Mehrzahl der führenden Astrophysiker religiöse Menschen. Also so das nebenbei. Dann, also der Glaube ist bildungsoffen.
Er schätzt Bildung und Wissenschaft, er weiß es zu schätzen. Wir in Wothaus arbeiten bewusst mit der Universitätstheologie zusammen und wir nehmen jene christlichen Gruppen, kritisch wahr, auch liebevoll, aber kritisch, die direkt oder indirekt bildungsfeindliche Tendenzen haben, ein Schwarz-Weiss-Denken fördern und damit die Entstehung von Vorurteilen. Da muss man kritisch hingucken. Aber wir würdigen Bildung und Wissenschaft und die theologischen Fakultäten. Wir haben vor ihnen keine Angst, weil die Lernchancen sind enorm, wenn man sie geistlich nutzt. Also Glaube und Vernunft. Bei Luther ist Glaube das Grundwort und nicht Gehorsam. Luther lehrt nicht, auf den Gehorsam kommt es an. Du sollst Gott gehorsam sein. Das lehrt Luther so einfach nicht, sondern du sollst Gott vertrauen. Zwischen Gehorsam und Vertrauen oder Glauben, ich werd gleich nach und nach sagen,
Luther versteht unter Glauben in erster Linie Vertrauen. Aber nicht nur, es kommen noch mehr dazu. Aber Vertrauen ist der grundlegende Teil bei Glauben. Deswegen heute in der Schule benutze ich das Wort Glauben selten. Nur wenn ich es bewusst einführe, weil man sagt ja heute auch, ich glaube, dass morgen schönes Wetter wird. Der Begriff Glauben ist auch irgendwie heute verhunzt. Meint ja, ich nehme an oder ich vermute. Das meint ja Glauben nicht. Glauben meint in erster Linie Vertrauen. Also Luther lehrt zum Beispiel nicht, wie es jahrhundertelang gelehrt wurde, das Wesen der Sünde ist der Ungehorsam. Man hat jahrhundertelang den sogenannten Sündenfall so ausgelegt, Gott gibt doch ein Gebot von dem Baum mitten im Garten, dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen,
denn wenn du von dem isst, wirst du sterben. Und jetzt die Eva und der Adam ja gleich mit, essen beide von diesem Baum. Ja, das ist doch ungehorsam, sie halten Gottes Gebot nicht. So legt es Augustinus aus, Thomas von Aguin, das war die allgemeine Auslegung. Oder Abraham hört den Ruf, verlasse dein Vaterland, deine Vaterstadt, dein Vaterhaus und ziehe in ein Land, das ich dir zeigen werde. Also Abraham war gehorsam. Ich höre auch Unterrichtsstunden, wenn ich Tagespraktikum, also Eva und Adam waren ungehorsam, das ist dann die Sünde. Und Abraham war gehorsam. Nein, da lehrt Luther anders. Abraham ist bezirzt und bezaubert von Gottes Zusage. Denn der Ruf an Abraham heißt, verlasse deine Vaterstadt, dein Vaterhaus, ziehe in die Fremde, in ein Land, aber jetzt geht es los.
Dass ich dir zeigen werde, also Gott hat das alles schon vorbereitet, hat sich das schon genau überlegt, und ich werde deinen Namen gross machen und in dir sollen gesegnet werden alle Völker. Das ist ein wahnsinniges Versprechen. Und in der Kraft dieses Versprechens kann Abraham auswandern. Ein Kadavergehorsam, alle Sicherheiten einfach aufgeben, die ein antiker Mensch hat, das kann doch gar kein Mensch. Also es gibt einen Unterschied zwischen Gehorsam und Vertrauen. Gehorsam kannst du erzwingen, einfach so der Daumen drauf. Druck erhöhen, auf der Kaserne, man kann Gehorsam befehlen. Es gibt sogar Christen, die sprechen vom Missionsbefehl. Wir sind doch nicht auf der Kaserne, das ist ein Missionsauftrag. Also Luther lehrt, das Grundwort ist Glaube, Vertrauen.
Der Sündenfall besteht im Misstrauen, im Unglauben. Statt Unglauben können wir heute sagen Misstrauen. Die Schlange sagt, sollte Gott wirklich gesagt haben, der will dir vielleicht etwas vorenthalten, du verpasst vielleicht etwas, du versäumst etwas, dir geht etwas raus, wenn du Gott ernst nimmst. Das ist ja die große Angst der Sünder, dass sie etwas verpassen. Das ist Misstrauen. Wenn ich Gott ernst nehme, kann ich meine eigenen Interessen nicht mehr so verfolgen. Gott macht mir dann meistens ein strichlos Leben. Ich weiss doch am besten, was meine Interessen sind. Das weiss doch ich am besten. Dann isst man vom Baum des Guten und Bösen. Dann lebst du aus dir selber. Aber Vertrauen heisst, Gott weiss besser, was du willst, als du selber. Gott kann besser dich leiten als du. Gott steht dir näher als du dir selber.
Das ist dann Vertrauen. Also Luther lehrt, es geht um Vertrauen und dann im Gefolge, sekundär, tertiär, wenn ich den Eltern, wenn Kinder den Eltern wirklich vertrauen, dann werden sie auch ihren Willen ganz anders gegenüberstehen. Die Aufgabe der Eltern ist, Vertrauen in den Kindern zu wecken, nicht Gehorsam zu fordern. Wer kein Vertrauen schaffen kann, der soll bitte auch kein Gehorsam verlangen. Es geht darum, Vertrauen zu wecken. Also für Luther ist erstmals, und das überwindet diese moralisierende, gesetzliche Art, mit der Frömmigkeit umzugehen, unterschwellig ist doch immer der Gehorsam. Bei Hitler hat man ja mal gemerkt, die Deutschen sollten nicht so gehorsam sein. Sie sollten vielleicht mal besser der Ungehorsam lernen. Das Wort Gehorsam hat seine Unschuld längst verloren.
Übrigens, Jesus selber spricht nie von Gehorsam. Paulus sagt mal Glaubensgehorsam, aber da hat Luther schon erkannt, da ist der Glaube leitend, nicht Gehorsam. Glaubensgehorsam meint einen Gehorsam, der aus dem Glauben resultiert, nicht ein gläubiges Gehorchen. Also bei dem Wort Glaubensgehorsam liegt der Ton auf dem Glauben. Der ist leitend. Gut, jetzt noch, wie soll eigentlich der Glaubende mit einem Nichtglaubenden umgehen nach Luther? Luther lehrt, der Glaube ist ein reines Geschenk. Kein Mensch hat dieses Geschenk verdient, niemand. Also wenn du ein Glaubender bist, wenn Gott in dir den Glauben geschaffen hat und dich bis heute am Glauben erhalten hat,
dann hast du keinen einzigen Grund, nicht mal in Andeutung, auf einen Nichtglaubenden herunterzuschauen, ihn irgendwie abzuwerten. Dann betrachtest du nämlich doch den Glauben ein bisschen als einen Besitz von dir. Ich bin bekehrt. Das ist wie, ich habe die Eigenschaft, das ist schon ein Teil meiner Persönlichkeit, ich bin bekehrt. Nein, Luther sagt, ich bin gerechtfertigt, ich bin geliebt. Aber er sagt nicht, ich bin bekehrt. Da ist immer ein bisschen Selbstlob dabei. Eigentlich immer. Wenn ich mit Leuten rede, die so eine Sprache drauf haben, die sagen dann das Wort, ah ja, Siegfried, ich weiß schon, dass das alles Gnade ist. Das weiß ich schon. Dann sage ich, ja, warum sagst du das nicht auch so? Warum gibt es in der Christenheit Millionen Christen, die seit Jahrhunderten sagen, ich habe mich bekehrt? Warum sagen Sie nicht, Gott hat mich gewonnen,
Gott hat mich gerufen, Gott ist in mein Leben getreten, hat mich als Beute geangelt. Dann wird Gott geehrt. Also diese Sprachregelung, dass christliche Kreise Nicht-Christen als Gottlose, als Ungläubige, als Unbekehrte bezeichnen, das ist ein Abwertungssystem, das sich in dieser Sprache, die sich millionenfach findet und die ich tausendfach gehört habe, das ist jetzt keine Schwarz-Weiss-Malerei, das sind breite Tendenzen in bestimmten christlichen Kreisen, dass man die anderen als Ungläubige abqualifiziert und sich selber als Gläubiger dadurch. Das ist der Club der Bekehrten. In diesem Club will ich gar kein Mitglied sein. Sondern wir können doch auch sagen, das sind Gottes geliebte Geschöpfe, das sind Gottes Ebenbilder. Das können wir doch auch sagen. Also Luther lehrt, weil der Glaube reines Geschenk ist, unverdient,
hat ein Glaubender gegenüber einem noch Nicht-Glaubenden nur eigentlich ein Gefühl an den Tag zu legen, das Gefühl der Beschämung. Nämlich, ich habe es doch auch nicht verdient. Das beschämt mich. Aber man soll, sagt Luther, Geduld haben, für ihn hoffen. Wir können ja immer nur sagen, er glaubt noch nicht. Mehr können wir eigentlich nicht sagen. Und wir schulden das Glaubenszeugnis. Das lehrt Luther auch. Zum Glauben gehört das Bekennen. Von was wir nicht schweigen können, das, wovon wir nicht schweigen können, darüber müssen wir reden. Also der Glaube führt auch in das Bekennen, aber nicht in die Abwertung.
Gut, jetzt will ich einige Minuten mal bleiben bei dem Thema, welche genaueren Merkmale hat der Glaube, der bei Luther ein geschöpfter Promissio ist, nicht ermöglicht, sondern geschaffen. Nicht eine Einladung, die wir annehmen, und deswegen kommen wir in den Himmel. Und die, die es nicht annehmen, die kommen in die Hölle. Das ist ein eiskaltes System, wo man selber sehr gut wegkommt. Der Glaube darf übrigens bei Luther nie ein Mittel zum Zweck sein, damit ich in den Himmel komme. Nein, der Glaube ist nie eine Eintrittskarte in den Festsaal, sondern der Glaube selber ist das Fest. Er ist nicht die Eintrittskarte ins Fest, er ist nicht ein Mittel zum Zweck, um in den Himmel zu kommen. Wir müssen uns den Himmel nicht erglauben, sondern wo Glaube und Vergebung ist, da ist Seligkeit.
Der Glaube ist schon das Fest, nicht die Eintrittskarte. Der Glaube, ich glaube und dafür belohnt mich dann Gott. Nein, das ist ein grosses Missverständnis. Also die Strukturmerkmale des Glaubens. Ich frage an der PH immer wieder, 20 Jahre lang war ich ja dort, immer wieder in der Einführung in die Dogmatik, in die Glaubenslehre, frage ich die Anwesenden, denke mal fünf Minuten darüber nach, was meint ihr, ist für euren Glauben am wichtigsten? Das Gefühl, der Wille oder der Verstand? Dass alle drei betroffen sind, ist eh klar. Also der Glaube wirkt sich auf die gesamte Person aus, er betrifft Gefühl, Wille und Verstand, das ist eh klar. Aber ich möchte es jetzt mal genauer wissen, weil das ist für die reformatorische Theologie ganz fundamental wichtig. Sind diese drei Dinge gleich wichtig? Also für unseren Glauben ist das Gefühl sehr wichtig,
der Wille sehr wichtig und der Verstand sehr wichtig, alles drei. Oder ist eines von den drei doch wichtiger als die anderen? Das möchte ich euch mal, das findet auch weltweit das Publikum, dann in Wothaus möchte ich fragen, was meint ihr? Was ist für den christlichen Glauben besonders wichtig? Gefühl, Wille oder Verstand? Ich habe in der PH hunderte solcher Antworten bekommen, ich glaube, dass die einigermassen repräsentativ sein können, nehme ich mal an, ist immer der Wille vorne dran. Also 50% oder 60% sagen der Wille und die anderen beiden verteilen sich dann, 20% sagen der Verstand oder Gefühl, aber Wille war immer 50, 60, 65, 70%, der Wille ist entscheidend.
Nein, das lehrt Luther nicht. Der Wille ist zwar wirklich sehr wichtig, er ist ja so zentral wie das Herz selber, denn unser Wille kommt aus dem Herzen heraus, also er hat ganz fundamentale Bedeutung, aber trotzdem lehrt Luther nicht, dass der Wille das Wichtigste ist, sondern Luther, Schleiermacher und eigentlich alle großen Lehrer der Christenheit, aber bleiben wir mal bei Luther, weil bei ihm ist es am klarsten, Luther lehrt glasklar, das Wichtigste für den Glauben ist das Gefühl. Wenn ich das sage, ob ich mich jetzt auf Luther berufe oder auf die Bibel, das lehrt die Bibel auch, dann sagen immer die schon, aber Herr Zimmer, das Gefühl ist doch launisch, das ist doch labil, das kann mal wegbleiben, da hängt man mal durch, das Gefühl ist doch ein Auf und Ab, das ist doch eine Achterbahn. Da sage ich, ja klar, das weiss ich auch und das weiss der Martin Luther auch, das stimmt.
Trotzdem ist das Gefühl entscheidend, auch wenn es launisch ist und Schwankungen unterliegt, da darf man sich nichts vormachen, man muss realistisch sein, aber trotzdem, das Tiefste im Menschen ist das Gefühl. Descartes lehrt ja, Coquito ergo sum, ich denke also bin ich, ist nicht wirklich überzeugend, viel tiefer wäre senso ergo sum, ich fühle, also bin ich. Der Säugling fühlt erstmal. Also die Gefühle sind sehr tief, die reichen am tiefsten, in die tiefsten Schichten in unseres Herzensgrund. Und da lehrt Luther ja auch über unsere Gefühle, Luther nennt es Affekte, Affektus, das ist das, was wir heute als Gefühl bezeichnen. Luther hat eine Affektenlehre, dass die ganz entscheidend ist,
was du spontan aus dem Bauch raus, spontan machst, das zeigt am tiefsten, wer du bist. Das Wesen der Person zeigt sich in dem, was die Person spontan macht, in Sekundenschnelle. Da kannst du gar nicht nachdenken. Nein, es ist das Gefühl, weil du kannst Gott, zu Gott nicht Ja sagen ohne Gefühle. Du kannst nicht gefühlsgalt sagen, na ja, glaube halt an dich. Es gibt ja ein griechisches Modell, was eine Entscheidung ist, ein Wanderer am Scheideweg, er kommt an eine Weggabelung und muss sich dann entscheiden, gehe rechts oder links. Und dann lehrt die griechische Philosophie, das ist das Wesen einer Entscheidung. Wir sind zur Entscheidung verdammt. Stimmt, wir müssen uns immer wieder mal entscheiden. Aber so eine Entscheidung gibt es nicht bei Gott. Weil der Wanderer ist ganz Herr seiner selbst, er ist ganz cool, ganz nüchtern, ganz konzentriert,
er wägt ab, pro und contra, und dann entscheidet er sich, er geht in die oder die Richtung. Aber so kommt niemand zu Gott. Denn wenn Gott in dein Leben tritt, wenn die Promissio dein Herz aufbricht, bist du tief bewegt und erschüttert. Voller Freude, voller Begeisterung, voller Erleichterung, aber vielleicht auch voller Beschämung, voller Erschütterung, voller Gewissensbisse, es kann alles. Aber du bist auf jeden Fall tief erschüttert. Genauso wie wenn du in Trauer fällst, da kommst du, du bist der Trauer gar nicht mächtig, du kannst nicht sagen, ich bin ein mündiger Mensch, ich habe einen freien Willen. Nein, die Trauer fällt über dich. Und so auch hier. Also, du kannst zu Gott nur Ja sagen, in tiefer Erschütterung deines Gewissens und Herzens. Und diese Erschütterung, sei sie positiv oder selbstkritisch, Buße,
diese Erschütterung hast du nicht in deiner Verfügung. Also, weil die Gefühle bei dem Ja zu Gott eine enorme Rolle spielen. Die Liebe ist ja ein Gefühl, die Hoffnung ist ein Gefühl, natürlich stecken auch Überzeugungen mit drin und alles mögliche, aber entscheidend, Zuversicht ist ein Gefühl, Freude ist ein Gefühl. Und Jesus Christus ist das Erfreulichste, was Christen in religiöser Hinsicht kennen. Jesus Christus ist erfreulich. Also, und diese Freude spürst du und diese Erleichterung. Also, das Entscheidende ist das Gefühl. In der europäischen Geistesgeschichte, Philosophiegeschichte hat man das Gefühl jahrhundertelang bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf der Ebene von Zahnschmerzen eingestuft. Die europäische Philosophie hat das Gefühl unglaublich verachtet. Und deswegen, gebildete Menschen, die beruflich kompetent sind,
man spricht heute aber zu Recht auch von der emotionalen Intelligenz. Was nützt dir deine Bildung, wenn du gefühlsarm bist? Wie schön, dass es so warmherzige Menschen gibt. Also, das Entscheidende ist das Gefühl. Es gibt keinen gefühlsneutralen Willen und es gibt kein gefühlsneutrales Denken. Der Wille kann sich selber gar keine Ziele setzen. Es geht gar nicht. Die Vernunft kann sich keine Ziele setzen. Glaubt es nicht, ist eine Selbsttäuschung. Sondern Ziele erwachsen aus unseren Interessen. Und unsere Interessen erwachsen aus dem Interessanten. Aus dem Interessanten, dem Spannenden, dem Reizvollen, dem Faszinierenden. Daraus erwachsen unsere Interessen.
Und dann entwickeln sich unsere Ziele. Also, Wille und Verstand sind wichtig, aber entscheidend ist das Gefühl. Und das macht uns bescheiden. Wenn ihr nämlich sagt, mein Wille war das Wichtigste, dann kommen wir so in die Richtung, ich habe mich für Gott entschieden. Ich sage dann den schwäbischen Nachwuchstalenten in Ludwigsburg, stell dir mal vor, du wärst in der Mongolei geboren und deine Eltern wären muslimische Kaufleute. Hättest du dich dann auch in deinem frähen Willen für Jesus entschieden? Ach so, du kommst aus dem christlichen Elternhaus, viele Gebete, drei Kinderbibeln, vier Teenager-Freizeiten. Und dann hat es mal geschnackelt. Ja, da wird der liebe Gott aber beeindruckt sein. Aber stell dir mal vor, du bist in Marokko geboren. Also, weil das Gefühl entscheidend ist, leitend ist, bilde dir nichts ein, weil in deinen Gefühlen hast du nur sehr begrenzt einen freien Willen.
Wenn du jemanden über Jahre hinweg sehr unsympathisch findest, so ein richtiger Stinkstiefel, dann sage ich dir, du hast doch einen freien Willen, jetzt finde doch den einfach mal sympathisch. Entscheide dich doch dazu, den sympathisch zu finden. Sag dir, das klappt nicht, weil die Gefühle reichen tiefer. Der Glaube erfasst Wille, Verstand, Gefühl, aber die Gefühle sind letztlich entscheidend. Und deswegen, darin hast du keinen freien Willen. Du hast es nicht in der Hand, welche Gefühle in dir hochkommen. Dann unterscheidet Luther auch zwischen Fides qua und Fides quä. Das ist so eine berühmte Unterscheidung in der Scholastik. Die Scholastik lehrt, der Glaube hat zwei Aspekte. Einmal ist es der Akt des Glaubens, also indem ich eben Gott mich anvertraue.
Da wird schon gesagt, das ist ein Vertrauensakt. Und dann aber ist es auch, was ich glaube. Fides qua meint der Glaubensakt selber, das Vertrauen. Aber Fides quä ist, was glaube ich eigentlich? Der Glaube hat ja auch Inhalt. Ich habe ja keinen Aberglauben, ich bin ein christlicher Gläubiger. Also es hängt dann schon mit Jesus Christus und mit der Bergpredigt. Also es gibt einen Inhalt. Und da lehrt die Scholastik, der Glaube hat auch eine Erkenntnisdimension, eine Wahrheitsdimension, das bejaht Luther natürlich. Und der Glaube ist auch ein Für-Wahr-Halten, ein Zustimmungsakt zur Lehre der Kirche. Ein gläubiger Mensch im Mittelalter, der sagt, meine Kirche lehrt das und ich stimme dem zu. Das ist ein Akt der Zustimmung. Ich halte das für wahr, was meine Kirche lehrt. Weil wenn ich das nicht für wahr halte, bin ich auch kein Gläubiger.
Also ich stimme auch der Lehre meiner Kirche zu. Das ist das die Fides quä. Und da sagt Luther, ja, der Glaube hat schon eine Erkenntnisdimension, es ist kein Feld-, Wald- und Wiesenglauben. Ich glaube nicht irgendwie was vor mich hin, sondern der Glaube hat einen klaren Inhalt. Ich glaube, dass Jesus Christus in seinen Versprechungen, in seinem Tod und seiner Auferweckung für mich die entscheidende Grundlage im Leben und im Sterben ist. Das ist ein klarer Inhalt. Also Glaube ist nicht nur Urvertrauen. Nein, es ist sehr inhaltsbezogen. Aber Luther lehrt, die Erkenntnisdimension des Glaubens ist unverzichtbar, es ist wichtig, aber entscheidend ist die Fides quä, der Akt im Vertrauen, mich Gott in die Arme zu legen. Das ist entscheidend. Dann, der Glaube hat auch Buse, ein Buselement. Er ist selbstkritisch. Die Buse bedeutet immer Umkehr, im Glauben merke ich auch meine Fehler,
also im Glauben werde ich auch selbstkritisch. Es gibt kein Glaube, in dem ich nicht selbstkritisch werde. Professor Jüngel hat immer gelehrt in Tübingen, ihr dürft schon die Kirche kritisieren, ihr dürft sie auch hart kritisieren, dürft ihr schon, aber eure Selbstkritik, es sollte genauso entwickelt sein wie eure Kirchenkritik. Wenn die Kirchenkritik weit entwickelt ist und die Selbstkritik ganz schwach, das bringt nichts. Also Kirchenkritik und Selbstkritik sollten auf Augenhöhe entwickelt sein. Finde ich einen guten Satz. Also ein Christ tut immer auch Buse, er bereut auch viele Dinge, aber die Reue ist jetzt nicht mein Beitrag, damit Gott mir vergeben kann. Luther lehrt, es mag mit einer Reue sein, wie es ist, glaube doch, vertraue dich der Zusage an. Und die Reue wird schon noch kommen. Also dass ein Christ durchs Leben gehen kann ohne Reue, das hält Luther für völlig ausgeschlossen.
Ein Christ wird immer wieder beschämt sein und Dinge bereuen. Aber das nehmen wir so sekundär zur Kenntnis. Aber im Vordergrund steht Hoffnung, Liebe und Vertrauen. Die Buse zeigt, der Glaube hat eine selbstkritische Seite. Und dann lehrt Luther noch, zum Glauben gehört das Bekennen, dass ich mich dazu öffentlich, privat dies und jenes, wenn es Zeit ist, jeder Christ ein Zeuge Jesu. Dann ein weiterer Punkt, Glaube und Werke. Luther lehrt, dass wir gerechtfertigt, anerkannt, geliebt von Gott sind, allein sola, sola fide, allein durch den Glauben, ohne die Werke, die vorausgehen oder nachfolgen. Wir werden nicht aufgrund der Willksamkeit unseres Glaubens in der Gesellschaft oder in der Familie gerechtfertigt. Also Gott rechtfertigt uns, akzeptiert uns, anerkennt unseren Glauben, rein dieses Vertrauen, das wir in ihn setzen.
Aber das heisst bei Luther nicht, dass es auf die Werke nicht ankommt. Doch es kommt enorm auf die Werke an. Denn Luther lehrt, aus dem Glauben werden viele Werke folgen. Er weist zum Beispiel auf die Bergpredigt hin, ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt. Dass die Menschen eure guten Werke sehen und dann den Vater im Himmel loben. Wenn die Menschen die guten Werke der Christen sehen, dann werden sie doch sagen, das muss ein Guter sein, der in ihnen dieses Gute möglich gemacht hat. Also ein Glaube folgt auf jeden Fall, aus dem Glauben folgen auf jeden Fall gute Werke. Der Nächstenliebe, der Fürsorge, des Tröstens, des Ermunternden. Wenn aus dem Glauben keine guten Werke folgen, liegt gar kein Glaube vor.
Dann ist das eine reine Selbsttäuschung. Da spricht Luther vom erdichteten Glauben. Die erdichten sich ihren Glauben. Nein, der Glaube zeigt sich, inkarniert sich in guten Werken, die den Mitmenschen zugutekommen. Selbstkastallung, sagt Luther, bringt doch niemand was. Das Fleisch abtöten, du lieber die Zeit für deinen Nächsten investieren. Also Glaube und gute Werke hängen bei Luther ganz eng zusammen. Sie folgen notwendig. Aber die Rechtfertigung geschieht nicht um der Werke willen, sondern allein um des Glaubens willen. Das Weltgericht, und da nähere ich mich jetzt dem Ende, ist ja ein Gericht nach den Werken. Nicht nach dem Glauben. Das hätten manche Christen so gern. Im Johannesevangelium heißt es zwar, es steht aber nur im Johannesevangelium,
wer glaubt, wird nicht gerichtet. Das ist aber eine Spezialauffassung von Johannes, denn er versteht unter Gericht immer Verdammung. Verdammungsgericht. Paulus aber versteht unter Gericht, wir werden alle, wir, wir Christen auch und wir Menschen alle, wir werden alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi. Und es wird nach den Taten gerichtet. Nicht nach dem Glauben, das kann ja gar nicht sein, weil der Glaube ist ja ein Geschenk. Wir werden doch nicht nach den Geschenken Gottes gerichtet, sondern was wir aus den Geschenken gemacht haben. Das ist interessant. Und was andere, die dieses Geschenk nicht hatten, was die Saperloth auch Gutes getan haben. Da werden manche, tiefe Christen aber sehr verdattert sein. Was Ärzte ohne Grenzen oder was Muslime schon an Nächstenliebe getan haben. Also die Werke sind sehr wichtig.
Es ist ein Gericht nach den Werken. Ich war arm, ich war nackt, ich war krank, ich war gefangen. Und ihr habt mich besucht. Also das Gericht nach den Werken. Und da sieht man im Gericht, dass das Leben sehr wichtig ist. Also Gott schaut das Leben schon nochmal an.
Luthers Verständnis des Glaubens | 7.6.2
In manchen christlichen Kreisen werden zwei Aspekte immer wieder betont: »Gott beschenkt zwar den Menschen, aber der Mensch muss dieses Geschenk auch annehmen«. Und: »Der Gehorsam ist das Wichtigste. Es kommt darauf an, dass wir Gott gehorchen.« Beide Akzentsetzungen sind problematisch und führen schneller und häufiger als viele denken in gesetzliche Engstirnigkeiten. Das Annehmen eines Geschenks wird in den Vordergrund gestellt, nicht die Überraschung und Freude, die das Geschenk bewirkt. Und die Vorrangstellung des Gehorsams führt bei vielen Christen zu einem dauerhaft schlechten Gewissen und dem deprimierenden Ein-druck: »Ich bin Gott nicht gut genug. Ich könnte noch viel mehr tun, als ich tue.« Martin Luther vermeidet aus viel Erfahrung in seinem reformatorischen Verständnis des Glaubens diese beiden schiefen Akzentsetzungen: Siegfried Zimmer erläutert, dass das Geschenk Gottes selbst bei Martin Luther im Vordergrund steht und bewirkt, wenn es in seiner Größe und Schönheit zum Leuchten kommt die Annahme im Menschen. Der Mensch wird dann freudig und spontan zugreifen. Dieses Zugreifen ist aber keinerlei Verdienst, auf den der Mensch sich etwas einbilden kann. Denn nicht der Gehorsam steht bei Luther im Vordergrund, sondern der Glaube, der in erster Linie ein Vertrauen ist. Je tiefer das Vertrauen zu Gott ist, desto leichter kommt der Gehorsam von ganz allein. Er ist eine Frucht des Vertrauens.
Diese reformatorische Freiheit gewinnt Luther durch die Vorrangstellung des Wortes vor dem Glauben. Das Wort der Zusage hat für ihn eine schöpferische Kraft und diese schöpferische Kraft verhilft dem Menschen zum Glauben. So wird Gott geehrt und nicht der bekehrte Mensch.