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In dieser dritten Vorlesung wende ich mich auch nochmal der Hiob-Novelle zu. In der zweiten Vorlesung habe ich so einen systematischen Schwerpunkt nochmal herausgegriffen, die Satansvorstellung und jetzt in dieser dritten Vorlesung will ich mich der aktuellen Bedeutung der Hiob-Novelle für uns heute zuwenden. Also diese dritte Vorlesung hat den Titel Der Beitrag der Hiob-Novelle zur Theodizie-Frage. Der Beitrag der Hiob-Novelle zur Theodizie-Frage. Die sogenannte Theodizie-Frage spielt heute eine enorme Rolle.

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Man meint mit der Theodizie-Frage folgendes. Wie kann man an Gott glauben, wie kann man an einen gütigen, liebevollen Gott glauben, angesichts von dermaßen viel schwerem und unschuldigem Leid? Das ist die Theodizie-Frage. Das ist die schwerste Anfrage und die wichtigste Anfrage an den christlichen Glauben. So wie wir mit dieser Frage umgehen, verraten wir sehr viel über unsere Frömmigkeit und unser Denken. Also ich sage nochmal, wie kann man an einen gütigen und liebevollen Gott glauben, der auch noch allmächtig sein soll, angesichts von so viel dermaßen schwerem und unschuldigem Leid, das nicht gut ausgeht, das kein Happy End hat?

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Das ist die Theodizie-Frage in ihrer ganzen Schwere. Und es gehört auch zur Theodizie-Frage. Wenn wir uns der Theodizie-Frage stellen, dann müssen wir uns der ganzen Schwere der Theodizie-Frage stellen. Also den schwersten Formen des unschuldigen Leids, das keinerlei Happy End hat. Das ist die Theodizie-Frage. Die Theodizie-Frage entsteht erst in der Neuzeit, nach dem verheerenden Erdbeben in Lissabon, wo große Teile der Stadt zerstört wurden mit zigtausenden von Toten. Ich weiß nicht genau das Jahr, frühe Neuzeit. Und in diesen Zeiten entwickelt sich auch der moderne Atheismus, den es in der Antike

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noch nicht gibt. Und die Theodizie-Frage in dieser Form, wie ich sie jetzt vorgetragen habe, gibt es also nur im Kontext des modernen Atheismus und der modernen Religionskritik. Das liegt in der Hiob-Novelle natürlich noch nicht vor. Die Hiob-Novelle kennt nicht den modernen Atheismus und nicht die moderne Religionskritik. Und sie kennt auch die Theodizie-Frage noch nicht. Trotzdem können wir aus der Hiob-Novelle für die heutige Theodizie-Frage sehr viel lernen. Und das möchte ich jetzt zusammenfassend darstellen. Es geht mir um sieben Aspekte, die von der Hiob-Novelle berührt werden und die uns im Glauben sehr weiterhelfen können. Erstens einmal, ich beginne wieder mit der Satansrolle, aber jetzt ganz im Blick auf

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die heutige Theodizie-Frage. Also erster Aspekt. Der Satan hilft uns in der Theodizie-Frage kein bisschen weiter. Der Satan hilft uns in der Theodizie-Frage kein bisschen weiter. Der Satan kann ja in der Hiob-Novelle nur das tun, was Gott ihm tun lässt. Und Gott setzt ihm die Grenzen nach seinem Ermessen. Die entscheidende Frage wäre eigentlich in der Hiob-Novelle, warum geht Gott überhaupt auf diese Stichelei von Satan ein? Warum eigentlich? Wir erfahren also in der Hiob-Novelle nicht die inneren Überlegungen Gottes.

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Wie hat er sich, warum hat er sich entschlossen, so zu reagieren, wie er dann reagiert? Jahwe hätte doch auch sagen können, Börschle, red hier kein Mist, hau ab, mit sowas mach ich nicht. Hätte er doch sagen können. Warum hat er es nicht gesagt? Hätte er keine anderen Möglichkeiten gehabt, diese merkwürdige Glaubensprobe, wo ja so viel Unschuldige sterben müssen, hätte er da keine anderen Möglichkeiten gehabt. Also diese Frage, die wird nicht mal gestellt, geschweige denn beantwortet. Es wird nicht einmal der Versuch gemacht, diese Frage zu stellen oder zu beantworten. Klar aber ist, Jahwe hat Hiob verdorben, denn er sagt in der zweiten Himmelszene, du hast mich aufgestachelt, Hiob ohne Grund zu verderben.

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Also Jahwe ist sich völlig im Klaren, ich habe ihn verdorben. Und das bedeutet für heute sehr Wichtiges. Ich kenne Predigers, weltweite Prediger, viele in den USA, aber auch woanders, die sagen, alle Krankheit kommt vom Teufel. Übrigens, der Teufel kommt mehr aus der griechischen Tradition, Diabolos, der Durcheinanderwirbler, den übersetzt man mit Teufel, und Satan kommt mehr aus der hebräischen Tradition, ha satanas, der Satan. Aber in der heutigen Religion oder in der Geschichte des Christentums ist damit das gleiche natürlich gemeint. Also es sagen immer wieder Prediger einer bestimmten Richtung des Christentums, Gott macht nur vollkommene Dinge, Gott macht nur gesund und der Satan ist zuständig für die

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Krankheit. Das kann nicht sein, das wissen wir von der Hiob-Novelle, denn der Satan kann nur die Leute krank machen, bei denen Gott es ihm erlaubt. Er kann nichts tun ohne Gottes Zustimmung. Und damit kracht diese ganze Frömmigkeit in sich zusammen. Es kam mal ein Student zu mir, der sagte, gell Herr Zimmer, Sie wissen aber, dass in der Bibel steht, der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge, steht in 1. Petrus 5. Da sage ich, ja ja, die Stelle kenne ich schon und ich nehme Sie auch ernst, aber ich möchte Ihnen einfach mal eine andere Stelle zitieren. Jesus, der Auferstandene, sagt am Ende des Matthäusevangeliums, mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.

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Und was meinen Sie, wie viel Macht hat dann der brüllende Löwe? Dieses Beispiel bringe ich immer wieder, um die Tendenz, den Satan dualistisch aufzuladen, immer wieder zu bremsen. Es gibt diese kostbaren Stellen auch im Neuen Testament, die die dualistische Satansvorstellung glatt zurückweisen. Oder Jesus sagt einmal im Matthäusevangelium 10, Vers 29 bis 30, kein Sperling fällt auf die Erde, ohne dass Gott es will. Und es sind sogar die Haare auf Eurem Haupt gezählt. Das ist ja eine unglaubliche Stelle. Wenn alle unsere Haare auf dem Kopf gezählt sind und kein Sperling, kein Spatz auf die Erde fällt, ohne den Willen Gottes, dann dürfen wir und müssen wir Gott schon fragen, warum

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er das schwere, unschuldige Leid zulässt. Da trägt er die volle Verantwortung, so wie beim Sturz eines jeden Sperlings und so genau, wie er sogar unsere Haare kennt. Deswegen bleibt bei Gott die volle Verantwortung und wir bleiben in einer monistischen Sicht der Wirklichkeit. Es gibt nur einen Herrn und keine zwei. Ich habe mal den Freaks-Doc in der Mittagspause, da kam mal eine jüngere Frau auf mich zu mit einem Kinderwagen. In dem Kinderwagen war vielleicht ein zweijähriges Kind, ich konnte da noch einigermaßen sehen. Und dann hat sie mich sehr erregt, gefragt, Herr Zimmer, gucken Sie mal. Und das Kind hatte die größte Kiemen-Gaumenspalte, offene Spalte, die ich jemals in meinem Leben

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gesehen habe. Also es sah wirklich schlimm aus. Und dann kreischte diese Frau richtig. Herr Zimmer, gucken Sie mal, das hat der Satan getan, das ist das Werk vom Satan. Denken Sie nicht auch. Und ich habe gemerkt, die Frau war wirklich existenziell am Boden. Die hat fast nur noch kreischen können. Also das muss sie dermaßen belastet haben und kann ich auch verstehen. Und dann habe ich gesagt, nein, da ist Gott verantwortlich. Denn Satan kann nur das tun, was Gott ihm erlaubt. Das war für sie, die hat es auch in der Schnelligkeit gar nicht, die war so eingewuchst in dem anderen Denken. Aber ich möchte euch mal von Bonhoeffer, von guten Kräften, wunderbar geborgen, eine Stelle vortragen. Und reichst du uns den schweren Kelch, den Bitteren, von Leid gefüllt bis an den höchsten

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Rand, dann nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand. Das ist biblisch. Das entspricht genau der Hiropnorelle. Also die Berufung auf den Satan könnte uns sparen. Die bringt nichts. Denn die Frage, warum lässt Gott so viel schweres, unschuldiges Leid zu? Und die Frage, warum gestattet Gott dem Satan so viel schweres, unschuldiges Leid anzurichten? Diese beiden Fragen laufen genau auf die gleiche Frage zu. Also alle Verantwortung bleibt allein in Gottes Hand, er hat dafür alle Verantwortung. Aber wichtig ist, aus seiner Hand, aus seiner guten und geliebten Hand, nehmen wir auch

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den schweren Kelch, den Bitteren, mit Leid gefüllt bis an den höchsten Rand. Wenn wir diesen schweren Kelch, den Bitteren, gefüllt mit Leid bis an den höchsten Rand aus der Krallenpfote des Satans nehmen müssten, da wären wir kaputt. Also ist der erste Aspekt. Der zweite Aspekt heißt, es gibt schweres, unschuldiges Leid. Und dieses schwere, unschuldige Leid ist die schwerste Anfechtung für den Glauben. Das können wir schon in der Hiob-Novelle lernen. Hiob fällt in unschuldig, in schweres Leid.

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Es wird ihm an einem Tag alle Habe genommen und an einem Tag werden alle seine Kinder getötet und kurze Zeit später fällt er in eine schlimme Krankheit. Also da kann man schon sagen, das ist schweres Leid. Und obwohl doch Hiob der beste Jahreverehrer auf der ganzen Erde ist, er kann daraus keinen Anspruch an Gott ableiten. Du lieber Gott, es war ich doch 50, 60 Jahre lang dir treu ergeben. Ich habe zehn Kinder aufgezogen, aus ihnen ist alles was geworden. Jetzt könntest du mir doch einen guten Abgang besorgen. Das habe ich doch wirklich verdient. Nein, Hiob kann aus seinem gesegneten Jahretreuen Leben keinen Anspruch ableiten. Jahre stürzt Hiob unschuldig in schweres Leid.

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Und Hiob fällt in dieses Leid, ohne dass er weiß, warum. Er kann dieses Leid nicht annehmen. Und das zeigt, weil Hiob ja nicht ein unwiederholbares Individuum ist, sondern ein Typ, die Rollen im Hiobuch sind typisiert, das zeigt damit für uns alle, wenn Gott schon bei Hiob ihn in unschuldiges, schweres Leid stürzen kann, den besten Jahreverehrer auf Erden, dann kann er uns auf jeden Fall auch. Niemand von uns kann sagen, ich bin im Glauben höher gegründet wie Hiob. Nein, das kann niemand sagen. Und wenn es Hiob sogar trifft, dann kann es uns alle treffen. Aber diese Hiob-Novelle stellt nicht nur klar, dass Jahwe schweres, unschuldiges Leid zulässt,

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sondern es stellt auch klar, dass das die schwerste Anfechtung überhaupt ist. Aber schon allein die Feststellung, Jahwe lässt schweres, unschuldiges Leid zu, selbst bei einem solchen Jahwe-Vertreter, war damals von großer Brisanz. Denn in der nachexilischen Zeit hat Jahwe seine unheimlichen, willkürlichen Seiten verloren und wurde als der treue Bundesgott verkündet. Und in der Situation zu sagen, es gibt Jahwe, lässt schweres, unschuldiges Leid zu, ist ganz schön brisant. Wir müssen auch uns hier der Schwere der Theodicee-Frage stellen. Es geht nicht nur um Gehirnerschütterung oder ich bin vom Fahrrad gefallen, es geht um schwerste Formen des Leids.

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Und das ist eine Frage an alle Religionen, an den jüdischen Glauben, an den christlichen Glauben, an den muslimischen Glauben und an alle weiteren Religionen. Wie stehst du zu dem Umstand, dass Gott schweres, unschuldiges Leid zulässt? Kannst du das ertragen? Oder musst du jetzt eine Theorie des Leids aufbauen, wo Gott in Schutz genommen wird und der Leidende auch noch der Schuldige ist? Dass du das schwere Leid der Leidenden noch als selbstverschuldet denunzierst. Ist das deine Religion? Ich war mal auf einer großen Podiumsdiskussion, viele hundert Zuhörer, neben mir saß eine beeindruckende Frau, vielleicht so 50 Jahre alt, und sie erzählte, dass sie von Krebs geheilt worden ist vor einer Reihe von Jahren.

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Das war sehr überzeugend, sie hat viel durchgemacht, war schwer im Leid und Gott hat sie geheilt. Und dann sagt sie kurze Zeit darauf, alles Leid kommt aus der Sünde. Und dann habe ich das Mikrofon genommen und habe gesagt, und wenn sie zweimal vom Krebs geheilt worden sind, das was sie hier sagen ist falsch und unbiblisch. Solange ich im Raum bin, werde ich dem widersprechen. Das ist ein schwerer Irrtum. Und wenn sie zweimal vom Krebs geheilt worden sind, die Frau war natürlich platt und ich glaube, wir haben uns am Ende auch gar nicht richtig verabschiedet. Sie war dann irgendwie weg. Aber ich habe mir gesagt, und wenn ich hier nie wieder eingeladen werde, das ist mir völlig egal. Aber so eine Aussage kann ich öffentlich vor Hunderten von jungen und älteren Christen

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kann ich nicht unwidersprochen lassen. Also es gibt schweres, unschuldiges Leid. Und wie wir da, wie wir dem uns stellen, das sagt sehr viel über uns. Dann der dritte Aspekt von der Hiroknorrelle. Es gibt keine Erklärung für das Leid. Es gibt keinerlei Erklärung. Also obwohl die Hiroknorrelle das Leid wirklich sehr ernst nimmt, klärt sie die entscheidende Frage nicht, warum lässt Gott dem Satan diesen Spielraum? Das ist die einzig entscheidende Frage an die Hiroknorrelle, wenn wir von der heutigen

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Theodiceefrage, von unserem modernen Bewusstsein ausgehen, das würde mich interessieren, warum gibt Gott dem Satan nach? Diese Frage wird also nicht mal gestellt, geschweige denn beantwortet. Und das heißt, es gibt keine Erklärung des Leids. Es gibt keine theologische Theorie, die das Leid erklären könnte. Auch das ist eine Aussage, die wir ganz klar inhalieren sollten. Die geistliche Reife beginnt erst dort, wenn uns das hundertprozentig klar ist. Es gibt keinerlei Antwort, keine Erklärung für unschuldiges, schweres Leid. Wir könnten uns fragen an dieser Stelle, ist das Leid von Hirob, ist es eigentlich schon

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das schwerste Leid, das Menschen treffen können? Nein, es gibt noch viel schwereres Leid. Hirob wird von einem sehr schweren, unschuldigen Leid getroffen. Nicht nur, dass der Besitz weg ist, das ist ja noch das kleinste, sondern alle Kinder sind an einem Tag tot und er selber fällt in eine fürchterliche Krankheit, die er als unheilbar eigentlich einstufen muss. Das ist schon sehr schweres, unschuldiges Leid. Aber Hirob war schon ein älterer Mann, vorgestellt als 50-, 60-jähriger. Er hat ein schönes Leben hinter sich. Er hat Kinder und vor allem hat sieben Söhne und drei Töchter. Und er hat ein gesegnetes Leben hinter sich und von dem kann er jetzt zehren. Das sagen wir bei Kindern, die gar keinen gesegneten Start haben, die von Anfang an

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in schwerstes Leid getaucht sind. Schwere Beschädigungen in der Geburt, schwere Erbkrankheiten, Muskelschwund, starke Herzprobleme, die nicht richtig zu überwinden sind. Also es gibt viel schwereres Leid als bei Hirob. Da ist die Frage noch bitterer. Und bei Hirob muss man sagen, da komme ich jetzt noch drauf, in der letzten Szene des Erzählteils, am Ende von Hirob, kriegt Hirob ein Happy End. Martin ließ mal vor, die letzte Szene der Erzählung, die haben wir bisher noch gar nicht behandelt, ganz am Ende des Hirob-Buches schafft Gott dem Hirob neues Glück. Hirob 42, 10 bis 17. Jahwe wendete das Geschick Hirobs, als er für seinen Freund Fürbitte eindickte und

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Jahwe mehrte den Besitz Hirobs auf das Doppelte. Da kamen zu ihm alle seine Brüder, alle seine Schwestern und alle seine früheren Bekannten und speisten mit ihm in seinem Haus. Sie bezeugten ihm ihr Mitleid und trösteten ihn wegen all des Unglücks, das Jahwe über ihn gebracht hatte. Ein jeder schenkte ihm eine Kesitar und einen goldenen Ring. Jahwe aber segnete die spätere Lebzeit Hirobs mehr als seine frühere. Er besaß 14.000 Schafe, 6.000 Kamele, 1.000 Jochrinder und 1.000 Eselinnen. Auch bekam er sieben Söhne und drei Töchter. Die erste nannte er Jemima, Toteltaube, die zweite Kezia, Zimtblüte und die dritte Kehrenhapuch,

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Schminkhörnchen. Man fand im ganzen Land keine schöneren Frauen als die Töchter Hirobs. Ihr Vater gab ihnen Erbesitz unter ihren Brüdern. Hirob lebte danach noch 140 Jahre und er sah seine Kinder und Kindeskinder, vier Generationen. Dann starb Hirob, hoch betagt und satt an Lebenstagen. Das ist also die Schlussszene. Jahwe segnet Hirob noch stärker. Ich komme auf diese Schlussszene noch zu sprechen. Aber jetzt will ich einfach sagen, das Leid von Hirob hat ein Happy End. Aber wie viel Leid, das wir heute erleben, hat kein Happy End.

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Also die Hirob-Novelle regt uns schon dazu an, die TUDC-Frage in ihrer schwersten Form aus der zu stellen, die aber bei Hirob selber noch nicht ganz erreicht ist. Das hat aber vor allem auch einen erzähltechnischen Grund. Denn die Hirob-Novelle brauchte eine Hauptfigur, Hirob, der im Leid ein Glaubensbekenntnis ablegen kann. Das ist für die Erzählstrategie der Hirob-Novelle ja von unverzichtbarer Bedeutung. Und deswegen kann jetzt aber nicht ein stark körperbehindertes Baby die Hauptrolle sein. Das hat also auch solche Hintergründe. Also ich will nochmal zusammenfassen. Es gibt keine Erklärung für das unschuldige Leid. Es gibt keine theologische Theorie, die das unschuldige Leid erklären könnte.

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Jetzt viertens, das Leiden Hirobs aber hat einen Sinn. Das Leiden Hirobs hat einen Sinn. Obwohl also die Hirob-Novelle jede Erklärung des Leids ablehnt. Jede Theorie, die das Leid erklären könnte, ist das Leiden Hirobs etwas bedeutungsvolles, etwas sinnvolles. Nämlich das Leiden Hirobs gibt Jahwe im Streit mit Satan recht. Die Poate vom Satan war ja, dass er den Glauben als berechnendes Geschäft diffamiert. Und an der Hirob-Novelle zeigt sich, dass das so einfach nicht ist.

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Wenn der Satan in seiner Behauptung, in seiner Selbstgewissheit, die Gläubigen verehren dich nur im Glück und im unschuldigen Leid bist du der Verlierer und ich der Gewinner, weil das unschuldige Leid macht mich mächtig. Wenn das die ganze Erklärung wäre, wenn der Satan vollständig recht hätte, dann wäre die Glaubwürdigkeit der glaubenden Menschen dahin und auch die Glaubwürdigkeit Gottes wäre dahin. Aber am Verhalten Hirobs im Leid wird deutlich, dass die Sachlage so einfach nicht ist. An Hirob können wir lernen, dass der Glaube an Gott nicht ausschließlich Bedürfnisbefriedigung ist. Denn Hirob hält tatsächlich an Gott umsonst fest, ohne Vorteile.

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Es gibt ja keine irdischen Vorteile mehr, die er sich davon versprechen könnte. Und eine Hoffnung auf Auferstehung der Toten gibt es in der Zeit von Hirob noch nicht. Die kommt erst später in Israel auf. Das merkt man ja daran, sonst würde man ja sagen, aber ja, später wird mir alles dann vergolden. Nein, also es gibt noch keine Hoffnung auf Auferstehung der Toten. Dieses Verhalten Hirobs ist theologisch von größtem Gewicht. Hirob ist ein leuchtender Zeuge der Realität Gottes, der uns bestärken kann, der uns Mut machen kann. Hirob hat sogar auf der Mats-Balla, auf diesem Verbrennungshügel, hat er gegenüber seiner Frau ein Glaubensbekenntnis abgelegt.

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Vielleicht ist seine Frau dadurch wieder gestärkt worden und in ihrem Glauben neu entfacht worden. Und entsprechendes erleben wir auch heute immer wieder, dass Sterbende oder Schwerleitende ihre Angehörigen aus ihrem Glauben heraus trösten. Das gibt es tatsächlich. Also der Glaube Hirobs ist ein Zeugnis. Hirob ist ein Zeuge, ein leuchtender Zeuge für eine Realität. Es gibt immer wieder diesen Fall Hirob. Ich habe mal einige Jahre in Bremen gelebt, in den 1970er Jahren, war ich also noch sehr jung und da wohnte ich ganz in der Nähe der jüdischen Gemeinde, der jüdischen Synagoge und bin dort auch oft hingegangen. Und da sagte mir mal eine alte jüdische Frau, sagte mir, man hat noch ein bisschen die Nummer

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des KZs gesehen, da sagt sie mir, Bruder Siegfried, ich war in Auschwitz und ich habe in Auschwitz zum Glauben an Gott gefunden. Ich war vorher eine säkulare Jüdin und ich habe in Auschwitz zum Glauben an Gott gefunden. Das sagte sie mir ins Gesicht und ich glaube ihr. Das sagt man ja nicht so. Welcher Psychologe, welcher tiefen Psychologe will so ein Bekenntnis entlarven? Nein, dieses Bekenntnis steht wie ein Fels in der Brandung. Ich habe von einer Operation in Stuttgart gehört, dass ein Unternehmer, ein stuttgarter Unternehmer Anfang 50 auf dem Operationstisch lag und der Chefarzt trat an ihn heran und er sagte,

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wir müssen jetzt mit der Narkose beginnen, wir müssen jetzt Ihre Zunge entfernen, weil sie ist voller Krebs. Wenn Sie mögen, können Sie noch einen Satz, können Sie Ihren letzten Satz sagen. Und dann öffnete dieser Unternehmer seinen verquollenen, stinkenden Mund und sagte laut, vor dem gesamten Operationsteam, gelobt sei Jesus Christus. Das war sein letzter Satz. Niemand in diesem Operationsteam wird das jemals vergessen können.

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Es gibt diese Zeugen Gottes in härtestem Leid. Wie das sein kann, wissen wir nicht. Es ist ein Geheimnis. Gott wählt seine Zeugen, wann und wo er will. Man kann sich Hiob nicht zum Vorbild nehmen. Das geht nicht. Es lag auch nicht am Wollen und Laufen des Hiob, sondern es lag an dem verborgenen Ratschluss Gottes. Martin Luther betont, dass im Weltgericht, das ja eine sehr positive Nachricht ist, Gott sei Dank gibt es ein Weltgericht. Das wäre furchtbar, das wäre grausam, wenn es kein Weltgericht gäbe und die Menschen schinder, die Täter Sieger blieben und die Opfer Opfer blieben. Nein, es gibt ein gerechtes Gericht, in denen alle zum Recht verholfen wird, all den Gefolterten,

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Vergewaltigten im Sande verschatten. Die haben keine andere Hoffnung als das Weltgericht. Also die Botschaft vom Weltgericht ist eine kostbare Botschaft, keine Angstbotschaft, sondern die einzige Hoffnung, die wir haben. Und Martin Luther lehrt, dass eine der positiven Funktionen im Weltgericht folgendes sein wird. Die Welt wird einmal erfahren, wie viel Opferbereitschaft, wie viel echte Nächstenliebe und Hingabe umsonst, ohne Verteil von glaubenden Menschen getan wurde. In aller Stille. Niemand weiß es. Keine Zeitung berichtet es. Wir werden einmal im Weltgericht erfahren, wie viel echte Wurzel, echte Nächstenliebe,

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wie viel Opferbereitschaft und wie viel Hingabe der Glaube an Gott hervorgerufen hat. Und dann wird die Frage des Satans ihre endgültige, angemessene Antwort finden. Also das Verhalten von Hiob im Leid ist von größtem theologischen Gewicht. An seiner Treue zu Jahwe wird deutlich, was Gott für ihn bedeutet. Und einer an seiner Treue zu Jahwe wird deutlich, wer Gott ist. Jetzt kommt ein weiterer Punkt. Leiden verändert. In der letzten Szene, die Martin vorgelesen hat, sind einige so auffällige Erzählzüge

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drin, dass sie unmöglich zufällig oder gedankenlos oder nebensächlich sind. In dieser letzten Szene ist sehr auffällig, dass Hiob die drei Töchter, die er bekommt, mit Namen nennt. Die Söhne nicht. In der Hiob-Novelle am Anfang, also im Prolog, hat ja nur Hiob einen Namen, sonst niemand. Seine Frau nicht und seine Kinder nicht. Aber im Epilog hat nicht nur der Hiob einen Namen, sondern die drei Töchter auch. Und es sind zärtliche Namen. Täubchen, Duftgerüchen und Schminkdöschen. Also so übersetze ich sie. Die Übersetzung war aber auch sehr schön. Es ist also voller Zärtlichkeit gegenüber dem Weiblichen.

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Das bedeutet, Leiden verändert so, dass du nach schwerem Leiden das Weibliche nicht mehr abwerten kannst, wenn du ein Mann bist. Du lebst nicht mehr von einer Abwertung des Weiblichen, sondern du entdeckst, dass das Weibliche genau die gleiche Würde hat wie das Männliche. Die Söhne in ihrem Gewicht waren ja sowieso anerkannt. Aber dass er den Töchtern so Namen gibt, das macht sie zu Persönlichkeiten. Und dann kommt noch hinzu, er gab ihr, ihnen, den drei Töchtern, Anteil an seinem Erbe. Das gibt es, die einzige Stelle in der Bibel, die ist ungeheuerlich bei der patriarchalen Männerherrschaft, ist es völlig unmöglich. Töchter haben keinen Anteil am Erbe.

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Es gibt eine einzige Ausnahme, wenn es keine Söhne gibt, dann können Töchter am Erbe beteiligt werden. Aber nur dann. Aber er gibt den Töchtern den gleichen Erbanteil wie den Söhnen. Einmalig in der Bibel. Und dieses Verhalten wird auch noch dadurch betont, dass es das Letzte ist, was wir von hier hören. Seine letzte Tat, sein Vermächtnis. Martin, lies mal den Teil, der diese Töchter betrifft, noch mal vor, bis zum Schluss, dass wir es noch einmal U-Ton hören. Jahwe aber segnete die spätere Lebenszeit Hiops mehr als seine frühere. Er besaß 14.000 Schafe, 6.000 Kamele, 1.000 Jochrinder und 1.000 Eselinnen. Auch bekam er sieben Söhne und drei Töchter. Die erste nannte er Jemima, Turteltaube.

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Die zweite Kizia, Zimtblüte. Und die dritte, Kerenhapuch, Schminkhörnchen. Man fand im ganzen Land keine schöneren Frauen als die Töchter Hiops. Ihr Vater gab ihnen Erbbesitz unter ihren Brüdern. Hiop lebte danach noch 140 Jahre und er sah seine Kinder und Kindeskinder, vier Generationen. Dann starb Hiop hochbetagt und satt an Lebenstagen. Also dieser fünfte Aspekt kann man auch so zusammenfassen. Die Erfahrung schweren, unschuldigen Leids verändert den Menschen tief. Er wird weicher. Er ist zu viel mehr Wertschätzung in der Lage als vorher. Diese Botschaft in der letzten Szene ist so auffallend, dass das eindeutig ist. Dieses Happy End, das sechste Aspekt, das sagen viele Leute, das ist kitschig.

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So ein Happy End, das ist irgendwie fast geschmacklos. Und Gott sei Dank wird ja nicht gesagt, dass man die gestorbenen sieben Söhne und drei Töchter jetzt praktisch ersetzt durch neue. Das wird ja bewusst vermieden. Und es wird auch vermieden, diese letzte Szene als Belohnung Erzählerisch darzustellen, weil Hiop im Leid so treu war. Deshalb, nein, das wird vermieden. Aber trotzdem für unsere heutigen Leute, heutige Zeitgenossen, unseren literarischen Geschmack wirkt das kitschig. Weil wir haben die Kitsch Erfahrung des 20. und 21. Jahrhunderts hinter uns. Billige Romane, billige Filme, so Schnulzen, die dann immer mit einem Happy End enden.

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Das ist heute ungenießbar. Aber wir müssen wissen, die Hiop Novelle hat diese Kitsch Erfahrung noch nicht. Und ich werde dann bei der Entstehungsgeschichte sagen, dass der Prolog und der Epilog ursprünglich zusammengehört haben. Es war also eine Erzählung. Der große Mittelteil, der Redeteil, der ist erst später da reingesetzt worden. Und wenn man diesen Mittelteil liest mit diesen tiefen Leiterfahrungen des Hiop, der dann auch aufbegehrt und Gott anklagt. Also der Hiop in der Dichtung im Redeteil reagiert ganz anders wie der Hiop im Prolog. Aber wenn man dann diesen Redeteil durchgelesen hat, der ist enorm erschütternd, 39 Kapitel oder 40 Kapitel lang. Und dann kommt dieses Happy End.

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Das kann man wirklich fast nicht ertragen. Da muss man eben wissen, dass das Happy End mit diesem großen Mittelteil gar nichts zu tun hat, sondern ursprünglich das Ende dieser Hiop Novelle war. Und dann muss man auch sagen, dieses Ende muss irgendwie kommen. Denn wenn es nicht kommt, bleibt Gott im Zwielicht, dass er ein Quälgeist ist und ein grausamer Gott, der mit den Menschen so spielt. Also dieses Happy End wollte eigentlich nur klarstellen, wie gut es Gott mit Hiop, trotz allem, was dagegen spricht, wie gut er es mit ihm meint. Gott will das Leben. Gott ist ein Liebhaber des Lebens. So gesehen ist diese Happy End Szene völlig angemessen.

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Und dann der siebte Punkt, der siebte Aspekt, der Beitrag der Hiop Novelle für die Theodizie-Frage. Wir müssen berücksichtigen, dass die Frage des Satans ist Hiop etwa umsonst gläubig, dass es eine Frage des Satans ist. Das müssen wir berücksichtigen. Diese Frage des Satans ist sehr wichtig. Sie ist sehr sachgemäß. Sie hat viel Grund. Es gibt viel Anlass zu sagen, in der Frömmigkeit der Frommen steckt wahnsinnig viel Berechnung. Wir bedienen uns Gottes. Bedienst du dich Gottes? Ist Gott für dich ein Mittel zum Zweck?

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Suchst du eigentlich dich selber und deine Interessen und deinen Vorteil? Ja, diese Frage, die sitzt auch bei mir. Ich glaube, dass ich jeden Tag Grund habe, über diese Frage nachzudenken. Also diese Frage ist von höchster Aktualität. Sie durchschaut uns. Sie ist kritisch. Selbst die moderne Religionskritik kann eigentlich nicht mehr sagen, wie die Gläubigen suchen im Glauben eigentlich sich selber und sie bedienen sich Gottes. Für sie ist Gott ein Mittel zum Zweck, der Schutz Gott, der Bedürfnis befriediger Gott und der Wohlstands Gott und was es noch alles ist. Also diese Frage hat ihr Recht. Und alle Glaubenden dieser Erde tun gut daran, sich diese Frage ein Leben lang zu stellen.

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Trotzdem, ihr Lieben, es ist eine satanische Frage. Das müssen wir auch berücksichtigen. Diese sachlich so angemessene Frage wird in einer übel wollenden Absicht gestellt. Die brutale Behauptung, der Glaube muss uneigennützig sein, hat schon viele Menschen in die Selbstquälerei getrieben. Der Glaube muss uneigennützig sein, sonst ist er ein berechnendes Geschäft. Viele selbstquälerischen Leute haben sich nicht mehr getraut, im Glauben fröhlich zu sein und den Glauben auch als Freude und Lust zu genießen. Deswegen müssen wir hier aufpassen. Es ist eine berechtigte Frage, aber sie ist in satanischer Absicht gestellt.

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Sie will uns fertig machen. Und deswegen müssen wir uns wehren und dürfen wir uns wehren. Nein, Gott ist ein guter Gott. Gott ist ein Liebhaber des Lebens, das Evangelium ist eine gute Botschaft, die uns auch gut tut. Das Evangelium können wir genießen, ist erfreulich. Gerade so können wir manche berechnende Umgangsweisen mit Gott überwinden. Also mit Gott nicht berechnend umzugehen ist das eine. Und da lernen wir ein Leben lang dran. Aber die Freude an Gott ist unsere Stärke. Also wir müssen diese Frage des Satans auch zurückweisen. Das Evangelium ist eine frohmachende Botschaft, die uns auch gut tut.

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Sonst dürften wir ihr nicht vertrauen. Wenn Gott kein guter Gott wäre, der uns segnen will und dessen Ziel unser Glücklichsein wirklich ist, dann dürften wir diesem Scheusal auch nicht glauben. Also Satan, deine Frage ist ihrerseits entlarvt.

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Der Beitrag der Hiobnovelle zur Theodizee-Frage – Hiob Vorlesung Teil 3 | 10.9.2

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 29. November 2020 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

In diesem dritten Teil der Hiob-Reihe geht es um die Frage, die Menschen umtreibt, seit sie an einen liebenden Gott glauben und dennoch Hunger, Krieg und Krankheit erleben: Warum lässt ein liebender Gott große Not zu? Und wie kann man überhaupt an einen gütigen und gleichzeitig allmächtigen Gott glauben, angesichts der Not in der Welt? Die Antwort auf diese Frage sagt viel über unseren eigenen Glauben.
Die Hiobnovelle bietet letztendlich keine Erklärung für das Leid. Trotzdem betont Siegfried Zimmer, dass Leid nicht sinnlos ist. Eine einzige Frage, die gleichzeitig eine Antwort ist, ist dafür wichtig: Warum glaubst du an Gott? Welche kühle Berechnung ist Grundlage deines Glaubens? Oder ist er vielleicht wirklich bedingungslos? Erst in größter Not lernen wir – wie Hiob – was der Glaube, was letztendlich Gott uns bedeutet. Und wie Hiob können wir aus der größten Not verändert hervorgehen.

Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.