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Ich möchte Ihnen eine kleine Einführung zum zweiten Thessalonicher Brief geben. Dieser Brief steht in der Ausgabe unseres Neuen Testaments, direkt hinter dem ersten Thessalonicher Brief. Er ist auch nicht sehr lang, hat nur drei Kapitel. Wenn man das so auf den ersten Blick liest, würde man selbstverständlich davon ausgehen, dass der Zweige Thessalonicher Brief quasi ein Folgebrief nach dem ersten Thessalonicher Brief ist. Also vielleicht kurz danach geschrieben und mit ähnlichen Anliegen oder wie auch immer in einer ähnlichen Situation. Das ist tatsächlich auch eine Möglichkeit, diesen Brief zu verstehen und viele machen das auch so. Es gibt allerdings auch gewisse Zweifel an dieser Lesart und deswegen gibt es auch viele Interpretationen, die diesen Brief deutlich später, schon nach der Zeit des Paulus, ansetzen würden. Und auch dafür gibt es eben ganz gute Argumente.

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Ich werde mal versuchen, Ihnen das Problem aufzuzeigen und natürlich auch sagen, wo ich da stehe und wie man damit am besten vielleicht umgehen kann. Okay, ich fange an mit meinem Punkt 1, Inhalt und Aufbau. Das Präskript, also der Briefkopf des zweiten Thessalonicher Briefs, klingt eigentlich fast wörtlich genauso wie beim ersten Thessalonicher Brief mit einem kleinen Unterschied. Ich lese es mal vor. Also das ist einfach die ersten beiden Verse. Paulus und Silvanus und Timotheus, an die Gemeinde der Thessaloniker, in Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Gnade sei mit euch und Friede. Bis dahin 1 zu 1, 1 Thessalonicher. Jetzt kommt aber noch was von Gott, also Gnade sei mit euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Was an dieser Stelle ein bisschen auffällig ist, ist, dass wir zweimal direkt hintereinander die gleiche Formulierung haben, die Gott und den Herrn Jesus Christus betrifft.

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Das ist eher ungewöhnlich. Das würde eigentlich einmal genügen. In allen anderen Paulus-Briefen, der erste Thessalonicher Brief ist ja vermutlich der erste Paulus-Brief. Und in allen, die danach kommen, hat Paulus diese Ergänzung Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Das ist jetzt also auch am zweiten Thessalonicher Brief dran. Aber dadurch entsteht eben diese komische Doppelung, dass das unmittelbar hintereinander zweimal kommt. Das muss jetzt erst mal gar nichts heißen. Das ist einfach mal eine kleine Auffälligkeit. Ich springe gleich ans Schluss, also am Ende des dritten Kapitels zweiter Thessalonicher Brief. Da heißt es hier der Gruß mit meiner, des Paulus Hand. Das ist ein Zeichen in jedem Brief. So schreibe ich. Und dann kommt der übliche Gnadenwunsch. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch allen. Das ist wieder genauso wie der letzte Satz, genauso wie im ersten Thessalonicher Brief. Ein bisschen auffällig ist dieser Hinweis auf die eigenhändige Verfasserschaft.

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Das wird hier doch sehr stark herausgehoben. Mit meiner, des Paulus Hand, so schreibe ich. Und dann vor allem, das ist ein Zeichen in jedem Brief. Das klingt fast ein bisschen übertrieben. Woher weiß man denn eigentlich so genau, dass das wirklich ein Zeichen in jedem Paulusbrief ist? Und vor allem stellt sich die Frage, warum muss der Verfasser das so hervorheben? Warum? Gibt es Zweifel daran? Eigentlich kann man an der Verfasserschaft eines paulinischen Briefes nicht zweifeln. Und zwar nicht, also und zwar zum ganz einfachen Grund. Wie kommt denn ein Brief meinetwegen von Korinth nach Thessaloniki? Paulus schreibt den Brief. Es gibt ja keine Post wie heute. Dann werft er einfach in die Briefkasse und dann kommt er halt da an. Sondern der Brief muss ja irgendwie da befördert werden. Das heißt, er braucht eine verlässliche Person oder eine Gruppe oder irgendjemand muss man diesen Brief mitgeben. Kann den natürlich irgendeinen Fremden mitgeben, von dem er weiß, dass er nach Korinth reist, nach Thessaloniki reist von Korinth. Aber gerade bei einem christlichen Brief ist das vielleicht ein bisschen unsicher. Das heißt im Klartext, die meisten, diese christlichen Briefe, Paulusbriefe werden von einem Boten überbracht worden sein, der Paulus kennt.

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Im Römerbrief haben wir ein schönes Beispiel. Da wird eine Frau namens Föbe genannt im 16. Kapitel. Und diese Föbe ist ganz, die wird dann empfohlen, die soll man aufnehmen und so. Diese Föbe ist ganz offensichtlich die Überbringerin des Briefes. Und damit bestehen keine Zweifel. Wenn Föbe von Korinth nach Thessaloniki kommt, dann sagt die hier, hier ist ein Paulusbrief und fertig. Dann gibt es keine Zweifel. Dann ist ganz klar, dieser Brief ist natürlich von Paulus. Hier fällt auf, dass das so hervorgehoben wird. Die Frage stellt sich, warum? Im zweiten Thessalonicher Brief haben wir, wenn man so einen ganz groben Blick werfen will auf den Inhalt des Briefes, haben wir eigentlich zwei Hauptthemen. Das eine, das wäre Kapitel 2, das ist so ein Blick in die Zukunft, so ein bisschen, ja, ein Blick auf die Endzeit. Es geht um den Tag des Herren. Es geht um die Parosie des Christus. Das erinnert auf der einen Seite ziemlich an den ersten Thessalonicher Brief, wo wir genau diese Themen ja auch hatten.

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Wenn man genauer hinschaut, merkt man, da hat sich jetzt was verändert. Das ist die Frage, warum? Komme ich drauf. Ja, das ist der eine Block, Kapitel 2. Und in Kapitel 3 geht es vor allem um die Frage, dass man festhält an der Überlieferung des Paulus. Also sozusagen Paulus-Tradition, die irgendwie grundlegend gemacht wird nach dem Vorbild des Paulus. Und auch hier stellt sich dann die Frage, warum wird dieses Vorbild des Paulus so stark betont? Ich komme zum zweiten Punkt, Entstehungsgeschichte. Da möchte ich jetzt einfach darauf eingehen, ja, was man eigentlich sagen kann zur Entstehung dieses zweiten Thessalonicher Briefes. Ich habe ja ein paar Auffälligkeiten schon genannt. Das lässt sich jetzt ganz gut ergänzen. Wir haben im zweiten Thessalonicher Brief große Übereinstimmungen, zum Teil wörtliche Übereinstimmungen, immer wieder mit dem ersten Thessalonicher Brief. Vor allem fällt es auf an so konzeptionellen Nahtstellen, also an so Übergängen und sowas, wenn wieder ein neues Thema kommt oder ein neuer Gedanke oder so etwas.

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Da haben wir zum Teil fast identische Formulierungen. Bloß mal ein Beispiel, da geht es um die Danksagung. Jeder Brief enthält da so eine Danksagung. Und im ersten Thessalonicher Brief, da bin ich jetzt in Kapitel 2, 13, heißt es, und daher danken wir auch Gott unerblässig. Und dann kommt, wofür gedankt wird. Und im zweiten Thessalonicher Brief, auch im zweiten Kapitel, Vers 13, 14 heißt es, wir aber müssen Gott alle Zeit danken. Das ist sehr ähnlich. Warum? Man hat irgendwie den Eindruck, dass der zweite Thessalonicher Brief sprachliche Signale verwendet, die er aus dem ersten Thessalonicher Brief entnimmt, um die Struktur seines Briefes zu gestalten. Könnte sein. Schauen wir uns ein paar andere Dinge an. Wir finden auch immer wieder in Briefs, das waren jetzt die Übergangsstellen, die Nahtstellen, was die Struktur des Briefes ausmacht, aber man findet immer wieder, wenn man die beiden Briefe vergleicht, in der Argumentation wörtliche Übereinstimmungen.

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Zum Beispiel sowas wie die Aussage, die Heidelvöger und so weiter, wo es dann heißt, die Gott nicht kennen. Das kann man auch anders formulieren, aber es sind beide Briefe genau gleich. Oder was ich auch ganz interessant finde, eine Formulierung aus dem ersten Brief, die sich über mehrere Sätze aufspaltet, wird dann im zweiten so zusammengezogen. Ich sage Ihnen das. Im ersten Brief heißt es, denn ihr erinnert euch, kommt was, dann geht es weiter, denn schon als wir bei euch waren, sagten wir euch voraus. Ihr wisst. Im zweiten Thessalonicher Brief klingt es dann so. Erinnert ihr euch nicht, dass ich, als ich noch bei euch war, dies euch sagte und nun wisst ihr. Da hat man förmlich das Gefühl, es ist zusammengesetzt aus den Aussagen des ersten Briefes. Das ist der Eindruck, der da entsteht. Der zweite Thessalonicher Brief verwendet den ersten Brief als Vorlage. Das ist jetzt auch gar nicht so, wie soll ich sagen, das ist jetzt noch nicht umstritten eigentlich.

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Das würden wahrscheinlich die meisten so sehen, weil das kann man ja am Text gut zeigen. Man braucht ja bloß die zwei Briefe nebeneinander liegen, dann kann man das farbig anmalen und dann sieht man es quasi auf den ersten Blick. Jetzt kommt noch eine andere Überlegung dazu, sozusagen die andere Seite. Es gibt auch eine ganze Reihe an inhaltlichen Unterschieden zwischen den beiden Briefen. Da würde man jetzt sagen, es ist ja klar, es gibt auch inhaltliche Unterschiede zwischen dem ersten Gründerbrief und dem Römerbrief. Nein, aber es ist natürlich so, es sind im Grunde dieselben Grundthemen, würde ich sagen, aber sie werden inhaltlich anders besprochen. Das ist vielleicht ganz interessant. Ich zeige es Ihnen an vier kleinen Beispielen, damit Sie einfach sehen, worüber wir da sprechen. Das sind vielleicht auch die wichtigsten. Also inhaltliche Unterschiede. Erstes Beispiel. Der erste Thessalonicher Brief ging von der Nähe der Parosie aus. Die Parosie Jesu, vom Himmel her, auf die Welt, kommt bald. Der zweite Thessalonicher Brief betont, dass die Parosie noch länger aussteht. Lasse ich einfach mal so stehen. Komme ich aber nur drauf auf die Stelle. Zweites Beispiel. Mit diesem Parosie-Gedanken ist ja die Rede vom Gericht verbunden. Der erste Thessalonicher Brief hat hervorgehoben, dass uns Christus vor dem Zorngericht rettet.

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Der zweite Thessalonicher Brief hebt hervor, dass beim Gericht die Vergeltung an den Bedrängern stattfindet, also an den Feinden der Gemeinde, könnte man sagen. Also das Gericht wird wichtig, weil es Gericht über die gottfeindliche Welt ist. Sie merken, es ist nicht unbedingt ein Gegensatz. Wenn wir gerettet werden, können die anderen vernichtet werden. Meinetwegen. Aber es ist eine Verschiebung. Wo liegt der Akzent? Wo liegt die Perspektive drauf? Drittes Beispiel. Die Anführung der Handarbeit des Paulus. Paulus arbeitet für seinen Lebensunterhalt. Im ersten Thessalonicher Brief verwendet als Zeichen für die eigene Glaubwürdigkeit. Im zweiten Thessalonicher Brief Handarbeit als Vorbild für andere Verkünder. Also andere sollen sich jetzt daran orientieren. Das klingt für mich schon sehr nach einer Weiterentwicklung. Dass man praktisch ein Motiv nimmt, das man aus dem Paulusbrief kennt, aber auf eine andere Situation anwendet.

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Könnte man zum Beispiel das durchspielen, diesen Gedanken. Und noch ein viertes und letztes Beispiel. Ja, überhaupt das Thema Paulus-Tradition. Im ersten Thessalonicher Brief war die Verkündigung, das Wort Gottes im Wort der Missionare, das ging praktisch um einen lebendigen Prozess. Da sind Menschen, die sprechen und die verkünden das Evangelium. Das ist das Wort Gottes, kommt bei den Gemeinden an. Also etwas, was aktuell geschieht. Im zweiten Thessalonicher Brief bekommt die Verkündigung, das Wort der Apostel, die Paulus-Tradition, den Charakter eines eher verlässlichen, verbindlichen, grundlegenden Maßstabs. Also etwas, woran man sich orientieren kann. Und die Beziehung zum Apostel geschieht eigentlich nicht mehr direkt, sondern über diese Tradition. Also wenn ich noch mit Paulus… im ersten Thessalonicher Brief, wenn ich mit Paulus was zu tun habe, dann muss ich mit Paulus reden. Das geht grundsätzlich.

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Im zweiten Thessalonicher Brief über die Tradition. Auch das klingt für mich so ein bisschen nach Weiterentwicklung. Also fast im Sinne von Paulus ist gestorben, wie kann man mit Paulus noch in Verbindung treten? Ja, nur über die Paulus-Tradition. Es sind zumindest so Beobachtungen. Also, das könnte man jetzt noch ausbauen, aber es sind so wesentliche Punkte. Das Ergebnis, das ich aus diesen ersten Beobachtungen ziehen würde, ist, der Zweige Thessalonicher Brief schließt sich in Form und Sprache enger den ersten an. Das soll man auch hören, das soll man wahrnehmen. Er entwickelt aber irgendwie das paulinische Denken weiter oder genauer gesagt, er wendet es auf eine veränderte Lebenssituation an. Anders könnte man auch sagen, der Zweige Thessalonicher Brief sucht die Antworten auf die Fragen seinerzeit aus der Paulus-Tradition und in dem Fall konkret vor allem aus dem ersten Thessalonicher Brief. Wenn das so stimmt, dann, und ich denke, dieser Gedanke hat schon was für sich, dann würde der Zweige Thessalonicher Brief wohl eher in die Generation nach Paulus gehören.

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Mit allen Schwierigkeiten, das man jetzt natürlich mit sich bringt, aber ich sage es jetzt einfach mal so, da komme ich schon mal drauf. Der würde in die Zeit nach Paulus gehören, wäre sozusagen ein deuteroprolinischer Brief und würde versuchen, 20, 25 Jahre später oder sowas nach Paulus, keine Ahnung, Paulus weiterzudenken. Das ist zumindest das Ergebnis, zu dem ich gekommen bin, als ich 2017 einen Kommentar zum Zweiten Thessalonicher Brief schreiben musste oder durfte, sollte, konnte und mir natürlich überlegen musste, das ist einfach eine ganz grundsägende Frage, wie lege ich so einen Brief aus? Das muss ich mir vorher überlegen. Irgendwann lege ich ihn als echten Paulus-Brief aus, dann habe ich andere Fragen. Dann muss ich zum Beispiel zeigen, wie kann das sein, dass 14 Tage später Paulus in manchen Dingen plötzlich ganz andere Akzente setzt? Da finde ich wahrscheinlich auch Antworten. Wenn ich ein bisschen suche, dann fällt mir schon was ein, wenn es darum geht.

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Die Frage ist halt nur, wie plausibel ist das? Das ist genau das Problem an der Sache. Das muss ich abwägen sozusagen. Was ist mir plausibler? Was passt besser? Dass es jetzt unmittelbar danach geschrieben wurde oder dass es eine Generation später geschrieben wurde. Da kann man im Grunde nichts anderes tun als solche Überlegungen, die man natürlich noch ausbauen kann, gegeneinander stellen und abwägen und unterm Strich dann sagen, das eine oder andere ist mir doch eher plausibel. Und mein Ergebnis war eben, dass es mir plausibler ist, dass ich diesen Brief besser erklären kann, wenn ich ihn als nachprolinischen Brief erkläre. In der Forschung ist es total umstritten. Das muss man ganz klar sagen. Also vor allem auch in der englischsprachigen Forschung, gerade auch zum Beispiel neuere Kommentare aus den USA oder so, ist völlig klar, der Brief ist ein echter Paulus-Brief. Der ist kurze Zeit nach dem ersten Thessalonischer Brief entstanden. Und manche kommen dann noch auf so Hilfskonstruktionen, dass man dann sagt, ja, das ist halt dann nicht direkt von Paulus selber geschrieben worden, sondern Paulus hat so ein paar Gedanken formuliert und hat die dann meinetwegen einem Sekretär gegeben oder es war Timotheus oder sowas.

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Und der hat dann den Brief geschrieben. Deswegen ist er ein bisschen unterschiedlich. Aber eigentlich ist es schon ein echter Paulus-Brief. Manche greifen auf sowas überhaupt nicht zurück und sagen, nö, ist ein echter Paulus-Brief fertig. Hat sich halt was verändert. Kann ja sein. Und vor allem in der deutschsprachigen Forschung gibt es nach wie vor Ausnahmen, sowohl als auch. Aber in der deutschsprachigen Forschung dominiert weiterhin die Ansicht, dass der Brief ein nachprolinischer Brief ist. Das haben wir auch in den neuesten Kommentar, das ist zwei Jahre später nachmert, noch mal ein Kommentar raus zu dem Brief, ein kleiner Kommentar. Vertritt es genauso wieder, dass es ein nachprolinischer Brief ist. Jetzt fragt man sich natürlich, wie kann man zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen?

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Naja, das liegt halt einfach daran, dass der Text nicht eindeutig ist. Er bietet Signale in die eine Richtung und Signale in die andere Richtung. Und die Frage ist halt, wie man das erklären kann. Und dann muss man ja auch sagen, die meisten Exergeten stehen halt auch irgendwie in einer exergetischen Tradition. Da kann man natürlich versuchen, sich davon frei zu machen und kann so tun, als ob man objektiv und ohne Vorprägungen an die Sache rangehen könnte. Aber Sie wissen ja selber, wann schafft man das und wie schafft man das, dass man ohne seine Vorentscheidungen letzten Endes ganz objektiv daran geht. Das macht genau das Problem aus. Und wozu neigt man dann? Jeder sieht die Argumente, jeder sieht die eine und die andere Argumente. Würde ich mal sagen, jeder zumindest, der sich ernsthaft damit beschäftigt. Und der eine sagt so, der andere sagt so. Meine persönliche Erklärung ist zum Beispiel auch, gerade in den USA, da gibt es ja ganz stark evangelikale Strömungen, Bible-Welt.

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Und denken Sie, wenn ich Exerget bin, der zum Beispiel an einer Hochschule lehrt, die von einer evangelikalen Strömung getragen wird, finanziert wird, dann werde ich nicht behaupten, dass der Paulus, dass der zweite zesonliche Brief nachpolinisch ist. Vielleicht bin ich auch davon überzeugt, dass er nicht nachpolinisch ist, sonst würde ich da gar nicht lernen. Ich will das nicht nur auf einen reinen Pragmatismus setzen oder so. Aber ich glaube, das ist einfach eine Prägung, die man kriegt. Wenn ich da aufwachse und so weiter und so weiter, bin ich davon geprägt. Und wo bin ich aufgewachsen? Naja, in Deutschland. Ich habe studiert an einer theologischen Fakultät, zwar katholisch, aber das ist auch schon wurscht. Und der Einfluss der protestantischen Exegese ist halt in Deutschland unheimlich stark. Und da arbeitet man historisch kritisch und vor allem kritisch und fragt halt einfach bei jedem Punkt nach. Er könnte das nicht. Und das ist meine Vorprägung. Deswegen ist es mir jetzt auch nicht schwergefallen, sozusagen dazu oder dafür zu votieren, dass der zweite zesonische Brief nachpolinischer Brief ist.

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Also, dass man so einfach zu den Hintergründen. Trotz allem stellt sich natürlich die Frage nach den Bewertungen. Also selbst wenn der ein nachpolinischer Brief ist oder selbst wenn er keiner ist, aber selbst wenn er einer ist, dann kann man ja immer noch verschieden damit umgehen. Dann kann man sagen, dann ist es Fälschung und dann ist alles falsch. Der ganze Kanon ist schlecht und das Christentum kann man vergessen. Oder man kann sagen, man kann einfach mal danach fragen, wie kann man es sich denn erklären? Wie kann man es einordnen? Was bedeutet das eigentlich? Ja, und an dem Punkt möchte ich noch ein bisschen weitermachen. Also man spricht ja an der Stelle von Pseudepigraphie. Das ist einfach der Fachbegriff dafür, Pseudepigraphie. Das heißt, jemand schreibt einen Brief in dem Fall im Namen einer bekannten Gestalt der Vergangenheit, also Paulus. Wie wenn ich jetzt zum Beispiel, ich weiß nicht, gab es einmal so gefälschte Hitlerbriefe? Können Sie sich erinnern? Ne, das ist schon lange her. Aber es gab es auf jeden Fall mal. Die waren gar nicht schlecht gemacht, offensichtlich. Und deswegen kamen die ganz schön hoch und irgendwann stelle ich sie halt heraus, natürlich diese sind falsch.

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Ja, das ist Pseudepigraphie. Da schreibt einer im Namen Hitlers eine bekannte Gestalt der Vergangenheit. Das ist ein Sonderfall von Pseudonymität. Pseudonymität heißt halt einfach, ich schreibe unter anderem Namen. Wenn ich jetzt ein Buch veröffentliche unter, was weiß ich, Karl Mayer, dann wird nichts wach. Das ist keine bekannte Gestalt. Aber Sie verstehen. Hier haben wir Pseudepigraphie. Da schreibt jemand im Namen des Paulus. Und man könnte halt jetzt das Problem kriegen, wenn das stimmt, wenn das wirklich so ist, wie passt das zum Wahrheitsanspruch, des Kanons, des Christentums? Wie lässt sich das vereinbaren? Um hier ein bisschen weiger zu kommen, da bin ich jetzt bei meinem Punkt drei, möchte ich ein paar Worte zur antiken Pseudepigraphie sagen und das dann mit der Frage nach dem biblischen Kanon in Verbindung bringen. Einfach damit man überhaupt weiß, worüber man spricht. Wir sprechen jetzt nicht über Gegenwartverhältnisse. Wir sprechen eigentlich auch gar nicht darüber, was wir jetzt richtig und falsch finden oder was für uns Betrug und Fälschung oder was weiß ich was ist.

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Das ist unser Problem in erster Linie. Die erste Frage ist ja mal, was geht in der Antike und was geht in der Antike nicht? Und das möchte ich jetzt erst mal ein bisschen darstellen. Ja, also Pseudepigraphie kann ich verschieden deuten. Ich kann entweder sagen, das ist Betrug, es ist Fälschung, es ist Plagiat. Sie kennen diese Diskussionen, die natürlich daran hängen. Also jedenfalls etwas, was moralisch absolut verwerflich ist. Oder ich kann sagen, Pseudepigraphie ist so was wie eine, ich verwende jetzt mal einen Ausdruck, der in der Forschung gebraucht wird, wie eine fiktive Selbstauslegung des Paulus. Dann hat es plötzlich was Literarisches. Da schreibt jemand so, wie er sich denkt, was Paulus schreiben würde, wenn er sich in der Gegenwart befinden würde. Fiktive Selbstauslegung des Paulus. Sie merken, es hat eine ganz andere Bewertung plötzlich. Da denkt ihr anders drüber. Wenn ich sage, es ist Fälschung, dann drückt ihr ein gewisses Label drauf. Wenn ich sage, fiktive Selbstauslegung, drückt ihr ein ganz anderes Label drauf.

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Das ist was anderes. Das will ich nur sagen. Man muss aufpassen, worüber man eigentlich spricht, bevor man dann vorstellt, das eine ist das, das andere ist das. Das muss man gut überlegen. Und deswegen der Blick in die Antike. Natürlich kennt die Antike den Wert des geistigen Eigentums. Das gibt es auch in der Antike, und das ist auch gar keine Frage. Und es gibt auch uns bekannte Fälle, wo sich zum Beispiel ein Autor darüber beschwert. Ich glaube, von dem Arzt Galenus wissen wir das, der sich darüber beschwert, dass doch tatsächlich einer so dreist ist und in seinem Namen ein medizinisches Werk verfasst hat. Also das findet er überhaupt nicht lustig. Und der hält eben daran fest, das sind meine Gedanken und ich will mir da nichts unterschieben lassen von irgendjemand anderem. Auf der anderen Seite gibt es aber in der Antike auch tatsächlich weit verbreitete Formen von Pseudepigraphie in ganz verschiedenen Bereichen. Und das will ich Ihnen zeigen. Und auch diese Pseudepigraphie hat irgendwie natürlich eine Vorstellung vom Wert des geistigen Eigentums.

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Ein Verfasser einer pseudepigraphischen Schrift in der Antike, wohlgemerkt, würde sich den vorwerfen, er würde jetzt sich das geistige Eigentum von hier anmaßen oder verfälschen, würde es sich dann nicht gefallen lassen. Er würde sagen, nein, das ist eine Form des Umgangs damit. Ich zeige Ihnen das. Also es gibt ein paar Formen. Die einfachste Form sind einfach rhetorische Schulübungen. Stellen Sie sich vor, da sind so junge Leute, die lernen Rhetorik und so. Und eine Form der Übung kann sein, schreib mal einen Brief zum Thema, was weiß ich, Sexualität, so wie ihn Sokrates schreiben würde. Setzen Sie sich hin und schreiben. Und die schreiben das dann auch richtig. Sie schreiben also Sokrates an und so weiter und seinen Freund so und so. Und ich würde dir heute doch gerne mal meine Gedanken mitteilen zum Thema Sexualität. Und dann schreiben die und so weiter. Und der Lehrer schaut sich das am Schluss an und dann sieht er, wer hat Sokrates verstanden und wer hat ihn nicht verstanden. Das ist eine Schulübung. Völlig harmlos. Würden wir heute auch nicht mehr machen.

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Also ich kenne zumindest kein Beispiel, weder aus meiner Schulzeit noch sonst, dass man das so macht. Da würde man eher schreiben, schreibt mal einen Aufsatz, wie Sokrates die Sexualität versteht. So herum. Dann würde ich schreiben, Sokrates denkt und so weiter. In der Antike konnte man das anders machen. Das ist im Grunde schon Pseudepigraphie, wenn Sie so wollen. Wenn einer das nicht weiß und der Schüler hat es gut gemacht und der Brief flattert irgendwo herum, dann wissen Sie unter Umständen immer, ist der jetzt wirklich von Sokrates? Der ist gut oder halt nicht. Also das sind die ganz einfachen Formen. Wo das auch eine Rolle spielt, ist eher mündlich in der Gerichtsrede. Ganz einfach, dass zum Beispiel ein Anwalt oder ein Ankläger sich in die Rolle einer bestimmten Person versetzt und aus der Perspektive dieser Person meinetwegen den Anklagegegenstand schildert. Das wirkt anders, wenn man das sozusagen ganz objektiv macht. Da ist dann plötzlich die Emotion, die persönliche Beteiligung, da kommt viel stärker zum Ausdruck. Auch das ist eine Form von Pseudepigraphie. Man schlüpft sozusagen in die Rolle eines anderen. Und das war anerkannt.

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Gut, das war jetzt auch kein Problem. Man hat ja gesehen, da steht der Anwalt. Also nicht die Person, die diesen Vorfall erlebt hat. Also Täuschung kann das gar nicht sein. Aber immerhin, das ist eine Form von Pseudepigraphie. Jetzt kommen wir langsam näher zum zweiten der Salonicher Brief. Wo das auch eine Rolle spielt, ist in der philosophischen und medizinischen Schultradition. Also es gibt in dieser Tradition viele Schriften im Namen des Schulhauptes. Man schreibt zum Beispiel dann eben im Namen des Galenus, weil man seine Gedanken weiterführt. Und da würde der Schüler, der das macht, der würde da sagen, ich verletze nicht das geistige Eigentum meines Lehrers, sondern ich führe es fort. Also ich, wie soll man sagen, das, was ich von meinem Lehrer gelernt habe, ist eigentlich sein geistiges Eigentum. Und wenn ich jetzt das so schreibe, wie ich es von ihm gelernt habe, dann ist es sein Eigentum.

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Und deswegen ist auch kein Problem, wenn ich seinen Namen drüber setze. Da würden wir heute absolut anders denken. Wir müssten das heute einfach zitieren zum Beispiel. Mein Lehrer schrieb, dann zitiere ich das, und dann sage ich, was ich daraus gelernt habe oder was ich denke, was anders und so weiter. Das geht heute nicht anders. In der heutigen Zeit ging es anders. Das ist echt ein Unterschied. Das muss man wohl zur Kenntnis nehmen. Ja, und da gibt es eben eine ganze Reihe an Schriften. Manchmal ist es auch gar nicht so einfach, das dann zu unterscheiden. Es gibt irgendwie den ein oder anderen Brief, wo man gar nicht genau weiß, ist der jetzt von Platon oder ist er nicht von Platon? Schwer zu sagen. Man nur den Brief hat und der ist gut, also gut gemacht. Klingt echt nach Platon. Ja, ist das jetzt oder ist das nicht? Also es gibt sogar gewisse Unsicherheiten. Ja, es gibt auch in der Antike viele pseudepigraphische Briefe und Briefsammlungen. Da sind wir jetzt wirklich ganz nah am zweiten Thessalonicher Brief dran. Unter allen möglichen Namen, da ist zum Beispiel auch Brutus dabei. Kennt ihr schon, der Cäsar-Mörder Brutus.

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Dem hat man dann später eine Briefsammlung zugeschrieben. Da staunt man, warum gerade Brutus. Aber es ist ziemlich eindeutig, dass das nicht vom echten Brutus ist, also dem Menschen, der Cäsar dann ermordet hat, wahrscheinlich, sondern dass man dem das tut. Und dann kann man auch über bestimmte Vorstellungen, über politische Vorstellungen, Tyrann, Tyrannie, Tyrannenmord, das kann man natürlich mit der Figur des Brutus super reflektieren. Warum hat der Cäsar ermordet? Also Sie merken, das hat schon einen Zusammenhang. Es ist nicht einfach nur irgendwie eine Spinnerei, sondern man denkt etwas weiter und das gibt es von vielen Philosophen und so weiter. Was ich gelernt habe an meiner Beschäftigung mit diesen fiktionalen oder pseudepigraphischen Briefen, dass man die als Literatur lesen muss. Wenn ich die als Rechtsurkunden lese, zum Beispiel wie ein Testament, dann komme ich irgendwie in eine ganz andere Richtung. Weil dann bleibt wirklich nur die Alternative Fälschung oder Nichtfälschung. Und wenn ich ein Testament fälsche, dann hat es natürlich erhebliche Auswirkungen.

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Aber das ist doch was anderes, als wenn ich jetzt einen Brief im Namen des Brutus schreibe und über Tyrannenmord nachdenke. Und deswegen meine ich, man muss es als Literatur lesen. Eine wirklich fiktionale Literatur, wenn man so will, in unseren Begriffen. Aber eben dennoch ein literarisches Werk, aus dem man etwas lernen kann und das sich in eine bestimmte Tradition stellt. Nicht umsonst, dass mal ein Brutus gewählt wird oder ein Brief des, keine Ahnung, der Königer Diogenes und Gratis. Die Briefe von diesen Königern, die sind sicher nicht echt. Aber warum nimmt man gerade Diogenes? Ja, weil man das Denken des Diogenes lernen möchte und weiterdenken möchte. Deswegen gibt es die. Das Entscheidende ist, glaube ich, wenn ich das richtig rausgelesen habe aus diesen ganzen Schreiben, die müssen gut sein. Die müssen gut gemacht sein. Die müssen von guter Qualität sein. Wenn ich das schlecht mache und jeder sofort merkt, oh mein Gott, das hat mit Sokrates überhaupt nichts zu tun oder mit Diogenes sogar so.

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Dann wird es abgelehnt. Dann ist es übel und dann darf man das auch nicht. Aber wenn die gut gemacht sind und man sieht, jawohl, der lebt in der Schule des Sokrates oder so, des Diogenes, dann werden die auch anerkannt. Diese Einsichten, die ich jetzt so ein bisschen versucht habe auszuführen, gelten letzten Endes auch für den zweiten Thessalonicher Brief, sofern er natürlich absolut epigraphisch ist. Dann wäre nämlich die Absicht, gar nicht die irgendjemandem zu täuschen oder eine Fälschung zu produzieren. Eine Fälschung, wo man sich dann fragen würde, ja, warum eigentlich eine Fälschung? Wer hat denn da jetzt einen materiellen Gewinn oder sowas? Niemand bekommt da jetzt irgendwie ein Erbe, eine Geldzumbe oder sonst irgendetwas. Also was soll eigentlich die Fälschung an dieser Stelle? Nein, darum geht es gar nicht, sondern es geht um zwei Dinge. Es geht einerseits um die Bindung an die Autorität des Paulus.

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Das ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Punkt. Wenn ich einen Brief im Namen des Paulus schreibe, dann binde ich mich an seine Autorität. Ich schreibe eben nicht in einem Namen, sondern ich sage, das, was ich da schreibe, ist das, was ich vom Paulus rausziehe, was ich vom Paulus gelernt habe. Und das Zweite ist, ich ordne mich in die Paulus-Tradition ein und dadurch aktualisiere ich diese Tradition aber auch. Ich merke, ich muss Paulus jetzt weiterdenken für diese Situation, weil meint wegen seiner Briefe geben mir keine direkte Antwort auf das Problem, das ich habe. Da muss ich weiterdenken. Aber ich bin davon überzeugt und tue es mit fester Absicht, in der Tradition des Paulus reicher zu denken. Das darf man heute auch noch. Nur würden wir halt heute keinen epigraphischen Brief schreiben, sondern würden halt einfach schreiben, was Paulus der Kirche heute sagt. Und dann weiß man sofort, okay, das ist jetzt der Verfasser und der buchstabiert das aus oder so. Das hat ja Unterschied. Aber das Prinzip ist im Grunde dasselbe. Ich aktualisiere eine Tradition und meine, sie richtig weiterzuschreiben.

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Das meine ich zumindest an der Stelle. Also ein lebendiger Umgang mit Tradition. Der Gewinn der Sache ist meines Erachtens nicht zu unterschätzen, denn man gewinnt dadurch ein differenzierteres Bild des Ur-Christentums. Wenn ich alle 13 Paulus-Briefe, also Briefe, wo Paulus draufsteht, einfach Paulus zuschreibe, dann bin ich in einem ganz engen Zeitraum. In der Zeit sage ich mal zwischen 50 und maximal 60. Man muss sich ja gucken, wie das da irgendwie unterbringt, wie das dann erklären kann. Da habe ich manchmal schon wirklich Schwierigkeiten, wenn dann, was weiß ich, wenn dann so ein paar Storalspriefe, die ein ganz anderes Amtsverständnis oder sowas plötzlich haben. Da muss ich dann irgendwie postulieren, Paulus ist halt im Alter ein bisschen, der ist weich geworden oder irgend sowas. Oder keine Ahnung, warum man dann plötzlich Ämter so toll findet. Da tue ich mir viel leichter, wenn ich sagen kann, ja, aber der Brief ist zwei Generationen später. Und da hat sich die Frage tatsächlich vehement gestellt. Da gibt es nämlich diese Ämter schon, die streiten da miteinander und wissen, was ist jetzt richtig und was ist falsch, wie sollen wir es machen?

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Das ist für mich unglaublich viel einleuchtender als Hintergrund. Also deswegen ein differenzierteres Bild von der Entwicklung des frühen Christentums kommt dann dabei raus. Und meines Erachtens ist es auch kein Gegensatz jetzt zur Glaubwürdigkeit des Kanons, sogar zur Glaubwürdigkeit des Christentums. Da habe ich, also ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit. Denn für mich ist Pseudepigraphie eine literarische Form. Das geht überhaupt nicht an den Wahrheitsanspruch der Christusbotschaft oder sowas. Im Gegenteil, das ist ja der Versuch in einer späteren Zeit die Wahrheit der Christusbotschaft, so wie man sie von Paulus lernen kann, zu bewahren und fortzuführen, zu erhalten, fortzuführen. Also mein exegetischer Lehrer Herbert Leroy, der witzigerweise auch hier in Tübingen studiert hat, schon lange tot ist, der hat immer gesagt, wenn man Tradition festschreibt, dann verfälscht man sie. Also Tradition muss ich immer weiter schreiben, weil sich die Situation, für die sie gesagt oder gemacht worden ist, verändert.

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Und wenn sich die Lebenssituation verändert, dann nützt es nichts, wenn ich einen Satz da rein knalle und der Satz passt da nicht mehr. Da habe ich zwar die Tradition wörtlich bewahrt, aber die passt nicht mehr in die Situation rein. Und damit geht sie kaputt oder erreicht das Gegenteil oder sonst irgendwas. Das war damals eine wichtige Erkenntnis für mich, dass man aufpassen muss mit der Tradition, wie man damit umgeht. Also das lerne ich aus dem zweiten Thessalonicher Brief. Wenn es denn stimmt, dann gehört er in eine andere Zeit und das macht überhaupt nichts mit der Glaubwürdigkeit des Kanons oder des Christentums. Sondern im Gegenteil, es ist ein Teil davon, von dieser Glaubwürdigkeit. Historisch kann man dann seine Anfragen stellen, das darf man auch, aber eben theologisch wird die Glaubwürdigkeit bewahrt. Und der Witz ist ja, man kann das ja auch im Original vergleichen. Ich brauche ja bloß zum Beispiel das Gemeindebild des Paulus mit dem Gemeindebild der Pastoralbrüderin, den wir jetzt mal vergleichen. Dann merke ich genau, wo sind die Entwicklungen und dann kann ich kritisch damit umgehen.

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Gegenüber stellen und sagen, wo sind vielleicht die kritischen Punkte an der Stelle. Also da steckt auch eine ganze Menge, finde ich, an theologischem Potenzial drin. Und deswegen ist mir also, für mich ist es kein, ich weiß, dass es für manche Menschen ein Problem ist, zu sagen, dieser Brief ist nicht von Paulus. Für mich war es nie ein Problem, weil ich es einordnen konnte. Deswegen neige ich natürlich dann auch leichter dazu zu sagen, wenn alle anderen in Indizien für mich in diese Richtung weisen, dann habe ich auch kein Problem, dann am Schluss zu sagen, ja, das ist eben ein epikrafischer Brief aus der zweiten Generation. Auf dieser Prämisse mache ich noch ein bisschen weiter und versuche mal zu zeigen und versuche Ihnen zu zeigen, was das vielleicht für das Verständnis des Briefes auch bringen kann. Ich bin bei Punkt vier historischer und kultureller Kontext. Wenn das stimmt, dass dieser Brief heute epikrafisch ist, dann kenne ich weder den Verfasser, noch kenne ich die Adressatinnen und Adressaten. Das weiß man dann einfach nicht. Das einzige, was ich habe, womit ich ein bisschen was arbeiten kann, also ich kann dann vermuten, dass der Brief aus der zweiten Generation ist, der Generation nach Paulus.

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Da komme ich vielleicht ungefähr in die Jahre 70, 80. Wenn Paulus ungefähr 60, sage ich mal, starb, dann bin ich dann halt ein Stück in der Geschichte weiter, also 70, 80 oder so was. Was ich aber, was ich kenne, ist sozusagen, ich nenne es den geistigen Ort des Briefes. Also ich weiß nicht, wo der geschrieben ist und so weiter, aber ich kenne den geistigen Ort des Briefes. Und dieser geistige Ort ist eben die Paulus-Tradition. Da denkt einer Paulus weiter. Ob der das gut macht oder nicht, das wird man dann sehen müssen. Aber er versucht es zumindest. Die Situation, die aus dem zweiten Thessalonicher Brief für uns sichtbar ist, würde auf jeden Fall auch in die zweite Generation passen. Denn es geht wieder, und da haben wir eine gewisse Ähnlichkeit wieder zum ersten Thessalonicher Brief. Es geht wieder um die Beziehung zur Umwelt, zur städtischen Umwelt der Gemeinden. Aber es hat sich ein bisschen was verändert. Ich lese Ihnen mal zwei Verse aus dem ersten Kapitel des zweiten Thessalonicher Briefes vor.

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2 Thessalonicher 1, Vers 4 und 5. Wir selbst rühmen uns in euch bei den Gemeinden Gottes für euer Durchhalten und Vertrauen in allen euren Verfolgungen und den Bedrängnissen, die ihr aushaltet. Diese sind ein Anzeichen des gerechten Urteils Gottes, auf das ihr gewürdigt werdet, der Königsherrschaft Gottes, für die ihr ja leidet. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber auf den ersten Blick beim Hören und vielleicht gerade, wenn man vorher den ersten Thessalonicher Brief ein bisschen angeguckt hat, könnte man sagen, ja, das klingt doch eigentlich ganz genauso. Ja, tut es auch ziemlich. Der Begriff zum Beispiel der Bedrängnisse, der war ja im ersten Thessalonicher Brief ganz wichtig und ganz stark. Den haben wir hier auch wieder. Was jetzt hier zum Beispiel dazu kommt, das hatten wir nicht, ist der Begriff der Verfolgungen. Das verschärft die Sache in irgendeiner Weise. Jetzt habe ich vorher schon gesagt, man muss nicht unbedingt an staatliche, behördliche Christenverfolgungen denken, darum geht es gar nicht.

35:01
Aber Verfolgung entsteht für so etwas wie zugespitzte gesellschaftliche Konflikte. Also das wird härter, der Ton wird härter. Die Konflikte werden unter Umständen schärfer, sodass man den Begriff Verfolgung nehmen kann. Man fühlt sich verfolgt, wenn die anderen ständig schauen, was man da macht mit seiner Christusgemeinde und wer trifft sich da eigentlich und was tun die, wenn sie sich treffen. Man fühlt sich quasi verfolgt, bespitzelt, wie auch immer, Nachstellungen etc. Eine Überlegung von mir war, vielleicht könnte das auch eine kleine Anspielung sein. Es gab ja wirklich einmal in dieser frühen Zeit so eine Art von Christenverfolgung und zwar im Jahr 64 im Zusammenhang mit dem Brand Roms und der Nero. Das kennen Sie wahrscheinlich alle diese Geschichte. Da scheint auch was dran zu sein, dass eben als da halb Rom in Flammen aufging, man überlegt hat, wo man die Schuld jetzt abwälzen kann. Ob der Nero jetzt Schuld war oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Aber man hat halt geschaut, wem kann man das in die Schuhe schieben? Da boten sich offensichtlich die Christen an, weil die eh allseits unbeliebt waren.

36:02
Und dann hat man denen das eben da in die Schuhe geschoben. Und das Ergebnis war tatsächlich, dass man Christen und da kann man dann schon von Verfolgung sprechen, dass man Christen aufgegriffen hat und die dann in ja, wie soll man sagen, öffentlich inszenierten Massen hinrichtungen zu Tode gebracht hat. Das war zwar nur eine kurze Epoche, eine bestimmte Gruppe, eine bestimmte Zeit. Aber ich denke mir, dass so ein Erlebnis durchaus auch traumatisch wirkt. Denn wenn einmal unter Nero da im Jahr 64 sowas passieren kann, kann es theoretisch jederzeit wieder passieren. Denn beliebt waren die Christen auch anders, wo nicht unbedingt. Das macht Angst, das löst Angst aus. Und vielleicht steckt auch das hinter dem Begriff Verfolgungen. Ich würde jedenfalls den Schluss daraus ziehen, dass sich die Situation seit Paulus zugespitzt hat. Deswegen braucht man Mut, da ist vom Durchhalten, vom Vertrauen die Rede. Und deswegen wird auch auf die Gerechtigkeit verwiesen. Also man sehnt sich förmlich danach, dass Gott endlich, endlich seine Gerechtigkeit auf der Welt durchsetzt.

37:03
Dass eben nicht immer wir die verfolgt, nur die Betränkten sind, sondern dass auch mal die anderen davon etwas abbekommen. Und genau diese Vorstellung der Gerechtigkeit, die führt der Brief jetzt an der Stelle. Ich lese jetzt einfach die nächsten paar Verse, also im ersten Kapitel, Versen 6 bis 9, lesen Sie einfach weiter. Da sehen Sie genau diese, ich sag jetzt mal, Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Natürlich subjektiv, klar, subjektive Sehnsucht, ganz klar. Da heißt es nämlich dann, wenn es nämlich gerecht ist bei Gott, denen, die euch bedrängen, Bedrängnis zurückzugeben. Und euch den bedrängten Erholung, Erholung mit uns bei der Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel, mit den Engeln seiner Macht in einer Feuerflamme, um denen Bestrafung zu geben, die Gott nicht kennen und die nicht im Evangelium unseres Herrn Jesus gehorchen, die als Strafe erleiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Stärke. Es geht noch ein bisschen weiter, ich hör auf.

38:03
Es klingt jetzt schon ein bisschen schauriger, wenn man den ersten Thessalonicher Brief noch im Ohr hat, dann entdeckt man gewisse Übereinstimmungen, ja, wir haben hier auch wieder so apokalyptisch geprägte Sprache mit Gerichtsvorstellungen und Engeln und so weiter. Aber ich finde, man sieht auch ganz klar eine Verschiebung. Es geht jetzt hier viel mehr um Verderben, um Strafe, um Flammen, also um Machtausübung letzten Endes auch über eine bestimmte Gruppe. Und der Parosikristus ist an der Stelle doch deutlich stärker ein Richter, eine Machtgestalt, die dann auftritt und richtig eine andere Gruppe quasi platt macht. Mit Feuerflamme, mit Engeln, mit allem, was man dazu braucht, mit Herrlichkeit, mit Stärke. Aber es ist eine Machtgestalt. Und der Text lebt letzten Endes von dem Gegensatz Erholung für uns, die Bedrängten, und Strafe oder Bestrafung für die Bedränger, also die, die uns bedrängen. Das ist der entscheidende Punkt. Und in dieser Konstellation letzten Endes, in dieser Konstellation sucht man die Gerechtigkeit für die eigene Gruppe.

39:07
Jetzt wollen wir endlich auch mal die sein, die mal durchschnaufen dürfen, die sich erholen können, die nicht immer nur leiden müssen unter dem Druck der anderen. Wenn man so will, könnte man sagen, dieser Text ist eine Bearbeitung von Unrechtserfahrung. Und Unrechtserfahrung ist natürlich immer subjektiv. Darin werden wir es nicht anders gesehen haben, logischerweise. Also Bearbeitung von Unrechtserfahrung. Tja, solche Texte haben wir halt auch im Neuen Testament, wo es ordentlich zum Gericht und zur Sache geht. Mir scheint wichtig zu sein, zum Beispiel, gerade auch bei diesem Text, den kann man erklären und den kann man auch so stehen lassen. Nur was man daraus nicht machen darf, ist sowas, finde ich, wie eine systematische Lehre oder eine systematische Theologie, eine Dogmatik sozusagen. Also sagt, okay, alle Christen werden belohnt und alle Nicht-Christen werden umgebracht oder vernichtet. Das gibt der Text nicht her und das will er gar nicht sagen. Es geht nur um diese Konstellation Bedränger und Bedrängte.

40:01
Und da kann man ihn verstehen, wenn man sich in die Situation der Bedrängten versetzt, die eben die Verhältnisse gerne umgekehrt haben möchten. Und weitere Schlüsse, glaube ich, dogmatischer Art, oder so, darf ich daraus nicht ziehen. Das ist zum Beispiel so ein Punkt, wo ich mir dann denke, ja, da merke ich ein bisschen, wie sich doch was verschoben hat seit der Zeit des Paulus. Das klang bei Paulus lang noch nicht so scharf. Da ist der Parosie Christus da und im ersten Thessalonischer Brief, an dem sieht die ganze Welt, wer der eigentliche Gott ist. Und deswegen werden die anderen nicht alle vernichtet. Hier ist das Schärfer. Ich komme zu einem fünften Punkt, wo ich mich wieder danach gefragt habe, welche Bedeutung für den christlichen Glauben vielleicht auch bis heute könnte denn der zweite Thessalonische Brief eigentlich haben. Und da bin ich halt im Zentrum dieses Briefes im zweiten Kapitel.

41:04
Es steht ja so, es bin ich wieder bei der apokalyptischen, aber dieser Brief lebt von der Apokalyptik irgendwie, von dieser Sprache und Denkwelt. Im zweiten Kapitel bietet dieser Brief sowas wie den apokalyptischen Fahrplan. Also da wird dann so erzählt, wie sich alle möglichen Ereignisse ereignen und was das alles bewirkt. Und irgendwann kommt es dann zu einem Ende. Das ist fast schon das theologische Herzstück dieses Briefes. Und man fragt sich natürlich, was sollen wir denn damit anfangen? Es ist uns absolut fremd und ich lese Ihnen die entsprechenden Textpassagen vor. Da werden Sie merken, na ja, da entsteht nicht unmittelbares Angesprochensein oder sowas. Das ist eher fremd und komisch und vielleicht würde man es gar nicht so gerne im Kanon haben oder so. Deswegen die Frage, was soll das eigentlich? Aber deswegen muss ich auch was dazu sagen, weil es eben so im Zentrum dieses Briefes steht. Also ein apokalyptischer Fahrplan in Kapitel zwei. Man kommt ein bisschen an die Sache ran, wenn man sich überlegt, dass der Verfasser des Briefes das jetzt nicht einfach sich so ausgedacht hat,

42:07
weil er mal was über die Endzeitereignisse sagen wollte, sondern weil wieder, wie meistens bei diesen Briefen, tatsächlich ein Problem im Hintergrund steht. Ein ganz akutes Problem offensichtlich, das wir aber nur sehr, sehr schwach greifen können. Also ich sage es Ihnen ganz ehrlich, die Auslegung des zweiten theologischen Briefes macht nicht immer nur Spaß, weil man so viele Formulierungen oder so Dinge hat, wo man wirklich nicht nur beim ersten Blick den Eindruck hat, man tappt völlig im Dunkeln. Bis man dann mal eine Möglichkeit findet, hier wird es Ihnen gleich zeigen, das irgendwie einzuordnen, bedarf einer gewissen geistigen Anstrengung, sage ich jetzt mal, um konkret zu werden. Hier am Anfang des zweiten Kapitels, im zweiten theologischen Brief, wird eine Parole zitiert. Eine Parole, die offensichtlich von bestimmten Gruppen in der Gemeinde so vertreten wird und womit die versuchen, eine bestimmte Theologie unter die Leute zu bringen.

43:01
Und diese Parole wird dann hier zitiert eben in Vers 2 und die heißt, der Tag des Herrn ist gegenwärtig. Der Tag des Herrn ist gegenwärtig. Das ist meines Erachtens eine sehr kryptische Formulierung, weil man eigentlich auf den ersten Blick überhaupt nicht weiß, was soll das jetzt heißen, was ist daran so schlimm, dass der Tag des Herrn gegenwärtig ist. Also wo ist das Problem sozusagen? Aber es ist ein Problem, zumindest für den Verfasser des Briefes. Also da muss man ein bisschen nachfragen. Was ist der Tag des Herrn eigentlich? Da findet man schon einige Beispiele, wenn man ein bisschen in die Hebräische oder ins Eigeltestament, sage ich jetzt einfach mal ganz platt, ins Eigeltestament reinguckt oder in die Schriften des frühen Judentums. Dann finden Sie einige Belege dafür, dass der Tag des Herrn genannt wird. Das ist immer der Gerichtstag. Am Ende der Weltzeit kommt der Gerichtstag. Das ist der Tag des Herrn. Aha, das hilft uns jetzt schon mal ein bisschen weiter, weil man kann zumindest mal wissen, in welche Richtung das Ganze geht. Also Gerichtstag. Und jetzt sagt diese Parole, der Tag des Herrn ist gegenwärtig. Also müsste dieser Tag des Herrn jetzt da sein. Normalerweise wird er in der Zukunft erwartet. Und wenn der kommt, dann merkt man es auch, dass er kommt, weil nämlich dann Gott richtig reinhaut in diese Welt.

44:07
Tja, wenn die Leserinnen und Leser oder Hörerinnen und Hörer des zweiten Thessalonicherbriefes in ihrer Welt schauen, werden sie vermutlich nicht gemerkt haben, dass Gott richtig reinhaut und dass der Tag des Gerichts jetzt da ist. Und genau diese Spannung ist vielleicht der, wie soll ich sagen, der Witz oder der theologische Gehalt dieser Parole. Es geht also um die Behauptung, dass der Tag des Herrn gegenwärtig ist. In der Forschung nimmt man eigentlich meistens an, dass diese Leute, die das vertreten, den anderen Angst machen wollen, sozusagen Gerichtsangst machen. Hucha, der Tag des Herrn ist schon da und jetzt müsst ihr keine Ahnung was machen. Auf jeden Fall, es ist jetzt was ganz Schlimmes und ihr befindet euch jetzt schon in dieser Zeit und ihr dürft jetzt überhaupt und was weiß ich. Also irgendwie sowas wie Gerichtsangst. Ich glaube, dass das nicht wahr ist, sondern dass es eher ins Gegenteil geht.

45:01
Und zwar komme ich drauf eben durch die Überlegung, der Tag des Herrn ist da, die Leute schauen sich in ihrer Welt um und stellen fest, da ist gar nichts da. Es ist alles so, wie es immer war und es läuft auch alles so weiter. Und der Witz an der Sache wäre dann, dass damit den Leuten vermittelt werden soll. Ihr braucht gar nicht immer auf den Tag des Herrn schauen und ihr braucht gar nicht immer Sorge haben, dass ihr vor diesem Tag bestehen müsst, sondern das ist jetzt alles schon. Und ihr könnt eigentlich relativ, wie soll man sagen, unbehindert von diesen Gedanken euer Leben führen. Das klingt jetzt sehr theoretisch, es wird aber dann interessant, wenn man sich vor Augen hält, dass der Tag des Herrn ein theologisches Motiv ist, mit dem man sozusagen Wachsamkeit wachrufen kann. Also wenn ich weiß, der Tag des Herrn kommt, dann passe ich auf, dann passe ich mich vor allem nicht unbedingt in der Welt an. Dann achte ich darauf, wie ich mich dieser Welt gegenüber verhalte. Ich ziehe mich vielleicht ein bisschen zurück. Ich lasse mich nicht auf bestimmte Vorgänge dieser Welt ein, sondern ich pflege sozusagen ganz stark meine eigene Identität, meinetwegen als Christ.

46:12
Dann bin ich bereit sozusagen für den Tag des Herrn und wenn der morgen kommt, bin ich darauf vorbereitet und es kann nichts passieren sozusagen. Das heißt aber auch, dass ich mich von der Welt distanziere, dass ich mich rausziehe aus bestimmten Vollzügen und so weiter, Distanz zur Weltsuche. Diejenigen, die die Parole vertreten, würden dann, das ist natürlich meine Interpretation, die würden dann damit sagen wollen, und genau das ist falsch. Ihr sollt euch, ihr müsst euch gar nicht aus dieser Welt so rausziehen. Natürlich soll das Christentum nicht aufgeben, das ist eh klar. Aber ihr müsst euch deswegen noch lange nicht so distanzieren. Ihr müsst euch nicht rausziehen. Denken Sie wieder an das Beispiel mit dem Handwerkerverein. Wenn ich da als Christ hingehe oder ich gehe gar nicht mehr hin, weil ich Sorge habe, dass da immer diesen Paganen Göttern geopfert wird, dann sage ich, dann gehe ich halt nur mal zum Handwerkerverein. Hat zur Folge, dass meine Geschäftsabschlüsse um 80 Prozent einbrechen, weil ich halt die Leute, die dazu brauchen, immer treffe.

47:04
Dann verarme ich ein wenig. Das ist nicht schön. Das will niemand. Wollten die damals auch schon nicht. Und jetzt kommen diese Menschen, die die Parole vertreten und sagen, Leute, das ist doch gar nicht nötig. Wir wissen doch, was wir haben an unserem Christus. Wir können trotzdem an diesem Handwerkerverein teilnehmen. Und ob die da jetzt dem Merkur ein Opfer darbringen, das ist doch uns egal. Sollen sie machen, stört uns doch nicht. Wir sitzen halt einfach dabei. Egal. Und dann haben wir wieder unsere Abschlüsse, haben unsere Kontakte und fallen auch nicht weiter auf und können mit der Welt mitleben. Das ist eine Situation, finde ich, die typisch für nicht mehr für die Anfangszeit des Paulus. Da ist noch die große Begeisterung und so weiter, sondern typisch für die spätere Zeit. Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Die Christengemeinden werden größer, werden mehr, fragen sich, wie können wir denn eigentlich in dieser Welt leben? Wie ist es gut, da zu leben? Und wie immer gibt es dann darauf zwei Antworten, die einen sagen strikte Abgrenzung, die anderen sagen, brauchen wir nicht. Wir können durchaus im Rahmen dieser Welt gut leben und verlieren unser Christsein trotzdem nicht.

48:03
Und genau, glaube ich, diese Positionen spiegeln sich da im zweiten Thessalonicher Brief. Und das, finde ich, passt dann auch ganz gut zu der Annahme, dass es ein pseudepigraphischer Brief ist. Und das Problem so hatte Paulus auch nicht. Die Leute vom ersten Thessalonicher Brief, die wollten ja alle Christen sein. Die haben es ja gerade erst angefangen vor ein paar Wochen und die werden sich hüten, sozusagen sich zu überlegen, ob sie jetzt wieder den Merkuropfer darbringen. Nein, genau, das wollen sie ja nicht mehr. Aber in der zweiten Generation sieht es schon anders aus. Da fängt man an nachzudenken. Und das, meine ich, das passt dann ganz gut. So, und auf diesem Hintergrund verstehe ich jetzt die Aussagen des zweiten Thessalonicher Briefes über diesen Ablauf der apokalyptischen Ereignisse. Und da würde ich gerne mit Ingen einfach den Text mal so ein bisschen durchgehen, weil es ein echt total kryptischer Text ist mit vielen, vielen Bildelementen, die wir auf den ersten Blick überhaupt nicht verstehen, weil wir es nicht einordnen können. Und das, was ich Ihnen dazu erklären kann, ist auch nur eine Interpretation.

49:01
Es ist halt meine. Ich sage Ihnen vielleicht da, wo es ganz wichtig ist, wo ich von der Mehrheit abweiche oder so, dann können Sie es einordnen. Aber man muss diese Texte interpretieren. Die zwingen einen förmlich dazu, die zwingen einen dazu, weil sie eben diese Bildsprache verwenden. Und Bildsprache heißt ja immer, das ist rätselhaft. Wenn ich ein Bild verwende, ist es immer auslegbar. Aber dann muss ich es eben auch auslegen, wenn ich den Text verstehen will. Sonst brauche ich nicht lesen. Und genau das passiert meiner Ansicht nach im zweiten Kapitel des zweiten Thessalonicher Briefes. Ich fange mal an. Zweites Kapitel, Vers 3, geht es los. Keiner soll euch täuschen, auf keine Weise. Das ist sozusagen die Antwort auf diese Parole, die ich da vorher erläutert habe. Keiner soll euch täuschen, auf keine Weise. Denn wenn nicht zuerst der Abfall kommt und offenbart wird der Mensch der Gesetzlosigkeit, der Sohn des Verderbens, der sich entgegenstellt und erhebt über alles, was Gott genannt wird oder verehrungswürdig, sodass er sich selbst in den Tempel Gottes setzt und sich selbst dazu macht, dass er Gott ist.

50:06
Dieser Text betrifft die Gegenwart der Menschen, an die dieser Brief gerichtet ist. Darum geht es. Da gibt es so etwas. Und zu dieser Gegenwart gehört der Abfall der Welt von Gott. Also das heißt im Klartext, die Welt ist weit von Gott entfernt. Und es gibt offensichtlich die Gestalt eines Gegenspielers. Ein Gegenspieler Gottes, der auftritt. Der wird hier Mensch der Gesetzlosigkeit, Sohn des Verderbens genannt. Wer ist das? In der Forschung hat man hier immer, obwohl der Begriff hier nicht mehr auftaucht, denkt man hier oft an den sogenannten Antichristen. Der Antichrist ist ja sozusagen eine himmlische, eigentlich eine himmlische sozusagen, eine mythologische Gegenspielergestalt Gottes. Also so im Sinne von, da gibt es zwei große himmlische Mächte, die gegeneinander streiten. Einmal Gott und einmal der Antichrist. Und am Schluss wird sich zeigen, wer stärker ist von beiden. Da ist eh klar natürlich Gott. Aber trotzdem ist es eher so etwas wie ein himmlischer Kampf oder sowas, der da dahinter steckt. Das ist eigentlich die, würde ich fast sagen, die hauptsächlich vertretene Auslegung in der Exegese.

51:07
Wobei in der neueren Exegese da so Zweifel aufkommen, ob das wirklich der Sinn dieses Textes ist. Und dann aber, dann weiß man auch nicht so recht, was man machen soll aus diesem Text. Wenn es nicht der Antichrist ist, ja wer ist es denn dann? Und dann weiß man es plötzlich immer so genau. Und dann, ja, dann ist dann, manche sagen dann zum Beispiel, ja, das ist eine Abstraktbildung. Eine abstrakte Vorstellung von dem, was gegen Gott steht oder sowas. Ja, diese bildlichen Texte sind meistens auch relativ konkret gedacht. Mit dieser Abstraktion löse ich das sozusagen irgendwo ins Theologische auf. Dadurch wird es natürlich nicht falsch. Aber es verliert irgendwie so die Anbindung an die Geschichte. Also meine Auslegung an der Stelle ist eine ganz simple. Ich beziehe diesen Gegenspieler Gottes schlicht und ergreifend auf den römischen Kaiser. Und dazu verleiten mich die Motive, die da genannt werden. Er erhebt sich über Gott und ersetzt sich in den Tempel Gottes und macht sich selbst zu Gott.

52:03
Das sind zumindest, wenn man es negativ betrachtet, Möglichkeiten, römische Kaiserverehrung zu beschreiben. Der selber würde das natürlich anders sehen. Und die Sache mit dem Tempel, denken Sie an das Jahr 70 nach Christus. Da wird tatsächlich der Tempel in Jerusalem zerstört. Durch wen oder unter wessen Befehl sozusagen? Cetus, der Sohn des Kaisers. Also ist der Kaiser da auch. Und Cetus wird später selber Kaiser. Also es hängt da ganz eng zusammen. Das ist, glaube ich, kein Zufall, dass das so geschögert wird, wie es da geschögert wird. Und wenn es der Kaiser ist oder wenn der Gegenspieler Gottes der Kaiser ist, dann geht es ja gar nicht um die Person des Kaisers, also jetzt mal, wer es da ist. Wer es Passian schlecht finden oder sowas, die kennen den überhaupt nicht. Es geht um das, wofür der Kaiser steht. Und er steht für eine bestimmte Kultur, für eine bestimmte Politik, für eine bestimmte Gesellschaftsordnung. Und was würde dann sozusagen die Zielscheibe des Verfassers sein? Und da würde der Verfasser sagen, lasst euch nicht täuschen, sieht alles so schön aus, was die römische Gesellschaft und Kultur so schafft.

53:02
Aber lasst euch nicht täuschen, was da eigentlich dahinter steht. So würde ich es zumindest jetzt mal auslegen. Aber es geht noch ein bisschen weiter in diesem Stil. Und nun wisst ihr, was ihn noch verbirgt, auf das er offenbart wird zu seiner Zeit. Denn das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist gerade jetzt wirksam. Allein bis der, der es jetzt verbirgt, verschwindet. Das ist natürlich ein wunderbar kryptischer Text, wo man irgendwie erst mal gar nichts versteht. Es kann alles und nichts sein. Es geht um Verbergen, es geht um Offenbaren. Das ist jetzt wieder eine dieser Stellen, wo Sie, wenn Sie in eine andere Übersetzung reingucken, garantiert nicht das finden werden, was ich jetzt hier übersetzt habe. Sondern in den meisten Übersetzungen wirkt das dann, habe ich hier irgendein Beispiel? Ja, würde das da, also wo ich übersetze, was ihn noch verbirgt, würde da stehen, was ihn noch zurückhält oder was ihn aufhält. Da haben Sie das griechische Verb katecho. Das heißt, das hat, naja, ich würde mal sagen, so eine Bandbreite. Nicht so, aber doch immerhin so. Und dazu gehört eben sowohl Zurückhalten, also katecho.

54:06
Das heißt eigentlich wörtlich gesehen, etwas unter etwas halten, drunter. Das kann jetzt heißen, wenn ich zum Beispiel, stellen Sie sich irgendwie einen wütenden Hund vor und ich halte den so runter, dann halte ich ihn zurück oder halte ihn auf, dann kann der niemand mehr was tun. Es kann aber auch verbergen heißen, wenn ich etwas, meinetwegen unter ein Tuch halte oder irgendwie sowas, dann verberge ich es. Das steckt alles in diesem Verb drin. Und jetzt ist halt die Frage, was ist hier gemeint? Wie die Tradition eigentlich darauf kommt, hier vom Aufhalten zu sprechen, und das sagen alle. Weiß ich gar nicht. Warum die da so sicher sind, dass da jemand aufgehalten werden muss. Ich glaube, das kommt vom Antichristen. Wenn der Antichrist so eine Himmelsgestalt ist, dann, ja, damit er nicht wirksam wird, muss ich ihn aufhalten. Aber irgendwie so. Ich finde, jetzt rein vom Text her passt verbergen viel besser, weil das Gegenstück dazu das Offenbaren ist. Diesem Ganzen ständig wird irgendwas offenbart, wovon man sich nicht täuschen lassen soll.

55:03
Ja, und was offenbart ist oder werden soll, ist jetzt verborgen. Das finde ich genau der Gegensatz. Und deswegen übersetze ich das hier mit verbergen, was ihn jetzt noch verbirgt. Und dann wird es offenbar. Und das ist doch genau das Problem, das der Verfasser des zweiten Thessalonicher-Briefs hat. Der will eben seinen Leuten sagen, hey, guckt genau hin. Das sieht alles so aus mit der römischen Kultur, als ob das super wäre. Da gibt es Aufstiegsmöglichkeiten, da gibt es Wohlstand, da gibt es Sicherheit, die Pax Romana. Ihr könnt die Straßen benutzen, die sind sicher im Großen und Ganzen. Ihr könnt die Schiffe benutzen, die sind auch einigermaßen sicher. Alles Verdienste des römischen Imperiums. Und jetzt kommt sozusagen so ein Christ und sagt, ja, aber so toll ist das auch alles nicht. Aber das ist genau das, was der Verfasser – und darum passt die apokalyptische Sprache so gut. Die will nämlich immer, sozusagen, das ist immer gesellschaftskritisch, Politik- und gesellschaftskritisch. Und zu sagen, ja, ihr müsst aber genau hingucken, dann seht ihr, was da eigentlich dahintersteckt. Tja, und das, was dahintersteckt, das kommt jetzt hier im letzten Abschnitt dieses Textes.

56:02
Und dann wird offenbart werden der Gesetzlose – das ist wieder der eine – den der Herr Jesus vernichten wird mit dem Hauch seines Mundes und entfernen wird durch die Erscheinung seiner Ankunft. Dessen Ankunft, also des Gesetzlosen, geschieht gemäß dem Wirken des Satans in aller Macht und Zeichen und Wundern der Lüge und in aller Täuschung der Ungerechtigkeit für die, die zugrunde gehen, dafür, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie gerettet werden. Das ist jetzt der Blick in die Zukunft. Das ist noch nicht passiert und das soll dann passieren und das heißt nichts anderes. Wenn der Parosie Christus kommt, dann wird er die wahren Verhältnisse offenlegen. Dann wird man sehen, dass dieses ganze Gebäude von römischer Gesellschaft eigentlich nur auf Lüge und Täuschung basiert, die falsche Gottheit verehrt wird, die falschen Gottheiten verehrt werden und dann wird sich zeigen, wer die eigentliche Macht hat. Das ist die Antwort des Verfassers und auf diese Parole, die ich vorher genannt habe. Und was er damit erreichen will, ist im Grunde nichts anderes als eine kritische Perspektive bei seinen Leserinnen und Lesern erreichen.

57:04
Und das ist auch das, wo man, glaube ich, heute dran denken muss. Was mache ich mit so einem Text? Okay, ich kann den kommentieren, kann ich alle Motive, da kann man Seiten drüber schreiben, habe ich auch. Und dann kann ich so herleiten und kann zeigen, das kommt da hin, das gibt es im Albtestament der Ausschau, das Buch Daniel kennt das auch schon und so weiter. Okay, schön. Aber die Frage ist halt, was kann man mit so einem Text heute noch machen? Oder muss ich einfach sagen, das ist halt, okay, das ist erstes Jahrhundert, das geht heute nicht mehr oder so. In gewisser Weise ist es wahrscheinlich sogar so, dass man sagen muss, da ist ja ganz viel Fremdheit drin. Ich glaube, was man sagen kann, ist, was man nicht draus machen darf, ist, dass man so einen Text zum Beispiel heranzieht, um so was wie Gerichtsangst zu schwüren oder so was. Zu sagen, das gibt es ja in manchen, das ist ja heute nicht mehr so verbreitet, zum Glück, muss man fast sagen. Aber in manchen Gruppen gibt es das doch noch, dass man so irgendwie so ängstisch wird. Man darf dieses nicht, man darf jenes nicht und sonst kommt der Herr und haut dann mit der Keule auf den Kopf oder so irgendwas.

58:02
Das ist eigentlich nicht der Sinn der Sache. Und der Sinn ist eigentlich auch nicht, dass man sozusagen einfach die Welt schlecht macht. Da gibt es wiederum aus meiner Kirche schon gewisse Beispiele, die dann immer irgendwie von der Diktatur, des Relativismus sprechen und solche Dinge. Die Welt ist halt einfach schlecht. Und wenn man sich irgendwie auf diese Welt einlässt, wo ist das Gute zu finden? Ja, natürlich in der katholischen Kirche. Es ist vielleicht auch zu einfach. Ich glaube, was dieser Text, oder wo man diesen Text für heute noch hinüberbringen kann, ist schlicht und ergreifend die Aufforderung einer christlich-kritischen Haltung gegenüber dem, was die Gesellschaft bietet. Heute ist es ja ähnlich, unsere Gesellschaft ist so viel Gutes, auf was wir alle zurückgreifen. Ich fahre auch ein Auto, habe ein Handy, was weiß ich, was alles. Das ist ja nicht alles schlecht. Aber ist das alles sozusagen? Und wo ist der kritische Blick? Und dazu kann man diesen Text vielleicht noch verwenden. Dass man sagt, ja, und dazu ermuntert der eine, dass man weiter guckt. Was steckt dahinter?

59:01
Und wohin können einen bestimmte Dinge führen und so weiter? Ich muss das nicht weiter ausführen. Auch die Frage der Macht. Wer macht über wen aus? Und wer leidet unter dieser Macht? Und das klingt dann alles so, als ob das einfach, das muss halt so sein. Muss es wirklich so sein? Es wäre sozusagen die christliche Perspektive, die dann sagt, nein, es muss nicht so sein. Weil die eigentliche Macht eh woanders liegt. Deswegen müssen wir ganz vorsichtig sein mit den Mächten, die die Welt bestimmen. Es kann jetzt politisch sein, es kann heutzutage stärker wirtschaftlich auch sein. Wo immer man halt hingucken will. Und dann finde ich, kann man aus so einem Text doch nur so ein bisschen was machen. Und kann mal drüber nachdenken, was man heute da einsetzen könnte. Ich komme zu einem Punkt sechs. Da habe ich auch wieder ein bisschen nach einer Wirkungsgeschichte gefragt. Das kann ich vielleicht mal kurz andeuten. Den dritten Bereich, also das dritte Kapitel des zweiten Thessaloniener Briefs habe ich bis jetzt relativ ausgespart. Das habe ich am Anfang gesagt. Das ist auch ein wichtiger Bereich. Und da haben wir auch wieder einen Text, den man schwer verstehen kann.

60:02
Ich lese Ihnen einfach mal die Passage vor. Und dann kann man mal überlegen, worum es da eigentlich geht. Da müssen Sie einfach zuhören und es sozusagen auf sich wirken lassen. Jedes einzelne Element kann man eh nicht aufnehmen. Es geht um den Text 2 Thessalonicher 3, die Verse 6 bis 12. Das lese ich jetzt mal vor. Wir weisen euch aber an, Geschwister, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, euch in Acht zu nehmen vor jedem Bruder und jeder Schwester, der unordentlich wandelt, unordentlich wandelt, also lebt und nicht gemäß der Überlieferung, die sie übernommen haben von uns. Denn ihr selbst wisst, wie man uns nachahmen muss. Denn wir waren nicht unordentlich bei euch und aßen nicht umsonst Brot von jemandem, sondern in Arbeit und Anstrengung arbeiteten wir Tag und Nacht, um niemanden von euch zur Last zu fallen. Das ist wörtlich erster Thessalonicher Brief. Nicht weil wir keine Vollmacht haben, sondern damit wir euch uns selbst als Vorbild geben, auf das ihr uns nachahmt.

61:07
Denn schon als wir bei euch waren, wiesen wir euch dies an. Wenn einer nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen. Wir hören nämlich, dass einige unter euch unordentlich wandeln, nicht arbeiten, sondern unnötige Dinge tun. Solchen aber geben wir Anweisung und reden wir zu im Herrn Jesus Christus, damit sie mit Ruhe arbeiten und ihr eigenes Brot essen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde, dieser Text klingt jetzt nicht gerade spannend. Es klingt hier eher so nach so einer bürgerlichen Arbeitsethos. Man muss halt seine Pflicht erfüllen und das tun, was die Gesellschaft von einem verlangt. Und das soll jetzt hier auch noch, und das ist immerhin so ein Abschnitt, das soll jetzt hier immer noch die großartige Botschaft des zweiten Thessalonicher Briefs sein. Gut bürgerliches Leben. Ja gut, in einer bürgerlichen Gesellschaft passt das meistens auch ungefähr. Pflicht steht an oberster Stelle und passt das Christen und anderen auch rein.

62:02
Die Frage ist nur an der Stelle, ist das wirklich das, was dieser Text sagen will. Gucken wir mal genauer hin. Also unordentlich leben ist eine sehr allgemeine Beschreibung. Das kann jeder über jeden sagen, von dem her findet er es nicht so lieb, wie er es sich vorstellt. Klar, also das sagt eigentlich gar nichts. Es wird ein bisschen konkreter im Laufe des Textes, wenn man dann sieht, es geht ums Arbeiten. Deswegen das Zitat aus dem ersten Thessalonicher Brief. Es geht tatsächlich darum, dass Leute arbeiten bzw. dass sie es nicht tun. Also offensichtlich sind die, die unordentlich leben, diejenigen, die einfach nicht arbeiten, keine Erwerbsarbeit nachgehen, von der sie leben könnten. Und diese Erwerbsarbeit würde eigentlich dazu führen, so sagt er das hier, um niemandem zur Last zu fallen. Also Belastung der Gemeinde und die, die nicht der Erwerbsarbeit nachgehen, die belasten eben die Gemeinde. Was kann ich daraus schließen? Der Text hat offensichtlich Leute im Blick, die keine normale Erwerbsarbeit verrichten,

63:01
sondern die dafür was anderes machen. Das taucht also im Nebensatz auf, wo es dann heißt, die unnötige Dinge tun. Das ist auch wieder eine sehr allgemeine Beschreibung. Was ist unnötig und was ist nötig? Aber man sieht, es gibt welche, die arbeiten nicht und machen dafür was Unnötiges. So sieht es zumindest der Zweikatz des Thessalonicher Brief. In der Forschung ist es auch wieder schwierig, diesen Texten Sinn abzugewinnen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die würden dann sagen, es geht tatsächlich um die Faulheit und um die Arbeitsscheu von Christen. Da frage ich mich natürlich mal, waren Christen also im Jahr 70 oder 80 besonders faul und arbeitsscheu? Das ist irgendwie eine eigenartige Vorstellung. Warum sollen die das gewesen sein? Die einen sagen, das wissen wir halt nicht, die waren halt faul und arbeitsscheu. Okay, kann sein. Andere sagen, ja, das hängt mit dieser esiatologisch-Gerichtsangst zusammen. Die haben jetzt so viel Angst vor dem Gericht, dass die einfach das normale Leben brachliegen lassen und nichts mehr machen. Und die anderen müssen die gerne mit durchziehen.

64:01
Kann sein. Ist trotzdem meines Erachtens aus dem Text selber schwer zu begründen, weil da überhaupt nichts steht von esiatologischer Angst, von Gerichtsangst. Sondern einfach nur, dass die nicht arbeiten. Den einzigen Hinweis, den ich finde in diesem Text, der mir irgendwie hilft zu verstehen, wer ist es eigentlich, der da keiner Erwerbsarbeit nachgeht, den finde ich in diesen Formulierungen, wo es heißt, sie wandeln nicht gemäß der Überlieferung, die sie übernommen haben von uns. Was ist denn diese Überlieferung, die sie übernommen haben von uns? Wenn der Brief pseudepigraphisch ist, was ich vermute, dann ist das genau die Paulus-Tradition. Und da finde ich, da wird dann plötzlich, da geht einem dann finde ich ein bisschen Licht auf. Es gibt also Leute, die eine andere Tradition verkünden als die Paulus-Tradition, die der Verfasser des zweiten Thessalonicher-Briefs gerne verkündet sehen möchte. Und deren Verkündigung geht damit einher, dass sie nicht arbeiten, sondern diese Verkündigung hauptberuflich machen. Das heißt, nur dieser Verkündigung nachgehen.

65:01
Und dann finde ich, gibt es ganz plötzlich schon einen ganz guten Sinn. Wir wissen aus anderen Quellen, das kann ich vielleicht auch noch einspielen, wir wissen aus anderen Quellen, dass tatsächlich in der zweiten, dritten Generation der Christenheit das Phänomen von so Wanderpropheten oder Wanderaposteln oder Wanderverkündigern offensichtlich gar keine so geringe Rolle gespielt hat. Also Leute, die umherziehen und dann meinetwegen in eine Gemeinde kommen, dort Unterkunft und Verpflegung kriegen und dafür im allgemeinen Sinne christliche Lehre verbreiten. Und das hören sich Geläugerte dann an und wie auch immer. Das ist ja eigentlich ganz schön, weil man so Verbindungen hat untereinander. Dann kennt man nicht nur die eigene Gemeinde, sondern kennt auch viele, viele andere. Dass da so gedacht wird und wo die so Probleme haben und so weiter. Das ist die positive Seite. Die negative Seite kann aber sein, dass diese Leute erstens die Gemeinde wirklich belasten. So was kann man auch ausnutzen. Da gibt es aus dem zweiten Jahrhundert ein schönes Beispiel. Haben Sie vielleicht schon mal gehört in den sogenannten Peregrinus-Brothäusen. Wenn Sie es nicht gehört haben, ist auch Wurst.

66:02
Der ist von dem römischen Schriftsteller Lukian von Samosa-Tat zählt. Der nutzt die Christen einfach aus wie blöd. Der gibt sich als Prophet aus und lässt sich halt im Grunde alles bringen, was man ihm nur bringen kann. Also nutzt die regelrecht aus. Dafür macht sich natürlich der römische Autor dann furchtbar lustig und sagt, schau mal diese Deppen an, diese Christen, wie man mit denen umgehen kann. Okay, das ist natürlich ein Extrembeispiel, ist klar. Aber trotz allem, dass das eine Belastung sein kann für so eine Gemeinde, ist die eine Seite. Und die andere Seite ist, dass solche Verkünder ja eine andere Lehre bringen. Jetzt haben wir da eine Gemeinde und die sind gewohnt von Paulus herzudenken. Jetzt kommen da andere und die machen es ganz anders. Und wenn die das aggressiv machen, dann ist das plötzlich ein Problem für die Gemeinde. Jetzt wissen die nicht mehr, an was soll sie jetzt eigentlich halten. Ist es der Paulus-Recht oder haben die recht? Das, ich vermute, das ist meine These, ich vermute, dass diese Konstellation in irgendeiner Form hinter diesem Kapitel 3 des zweiten, des dritten, des dritten Briefes steht. Und deswegen, und das ist auch so schwer fassbar, deswegen kann der nicht sagen, also die Punkte sind falsch, das weiß der gar nicht so genau, das ist so, das ist nicht so klar oder sowas.

67:07
Wichtig ist einfach, sich an die Paulus-Überlieferung zu halten. Und die Sache mit der Erwerbsarbeit, die macht der deswegen so stark, weil er damit sagen will, wenn jemand einer Erwerbsarbeit nachgeht, dann ist der im Grunde den ganzen Tag beschäftigt. Dann fängt er in der Früh, wenn es hell wird, so nach römischen Verhältnissen, fängt er in der Früh, wenn es hell wird, an und hört abends, wenn es dunkel wird, auf. Dann kann er zwar hinterher schon noch ein bisschen leeren, aber viel schafft er dann auch nicht mehr, weil er nach einer halben Stunde müde ist, dann isst er noch was nach dem Gelenzbett. Das heißt, die Gefahr für die Gemeinden, dass da fremde Lehren eindringen, ist dadurch wesentlich geringer, als wenn jemand den ganzen Tag nichts anderes macht, als rumlaufen und halt sagen, also das ist falsch und das ist falsch und das müsst ihr anders machen. Das wäre zumindest, finde ich, eine Erklärung, wie man in diesen Text einen gewissen Sinn reinbringen kann. Und dann ist es nämlich nicht nur so was wie ein bürgerliches Arbeitsethos, sondern ist es tatsächlich eine Aufforderung oder die Frage steht im Hintergrund, wie gehe ich eigentlich mit professionellen Verkündern um?

68:05
Das ist schon etwas wiederum, was auch die Gegenwart betrifft. Zumindest in den großen Köchen, wir haben professionelle Verkünder, ihr würdet das auch gar nicht schlecht machen, vielleicht ist es auch gut so, dass es das gibt. Aber das bleibt immer noch die Frage, wie macht man das? Wie organisiert man das? Welche Stellungen haben die in den Gemeinden? Im katholischen Bereich gibt es immer wieder die sogenannten Pfarrherren. Das sind dann Menschen, die ihre klerikale Macht durchaus zur Geltung bringen, sich wirklich wie die großen Herren verhalten. Ist es das? Und was heißt es, auf Kosten von anderen zu leben? Was heißt es, sich auf eine Gemeinde einzulassen? Also solche Fragen könnte man vielleicht an diesen Text anschließen, quasi an den eigenen Berufsstand sozusagen der Theologen, was machen wir da eigentlich? Und wofür lassen wir uns gut bezahlen? Ist das das wert, was wir tun? Keine Ahnung. Okay, ich möchte mit einem ganz kurzen Gedanken ausschließen. Das wäre der letzte Punkt in diesem Summing, der geht vielleicht noch.

69:05
Ja, weil ich jetzt immer wieder von Tradition und so weiter gesprochen habe. Wenn es stimmt, dass der zweite Thessalonische Brief in die zweite christliche Generation gehört, dann wird es sich natürlich ganz leicht erklären, warum der so viel Wert auf die Tradition des Paulus liegt. Weil es eben keine Menschen der ersten Generation mehr gibt. Es gibt kein Paulus mehr, kein Priests und so weiter, sind alle tot. Was haben wir noch? Die Tradition. Und deswegen so einen Satz. Ich lese bloß einen Satz vor. Steht fest und haltet die Überlieferungen fest, die ihr gelehrt wurdet, sei es durch ein Wort, sei es durch einen Brief von uns. Tja, das sind die Paulusbriefe und die mündliche Paulus-Tradition. Daran sollen die festhalten. Und dann haben sie eine stabile Traditionsbasis, sagt zumindest der zweite Thessalonischer Brief. Für mich ist diese Frage nach der Tradition eine ganz wichtige Frage. Und zwar auch für uns heute noch. Was ist eigentlich wirklich, und ich sage das gerade auch als jemand, der aus der katholischen Kirche kommt, wo die Tradition eine wahnsinns große Rolle spielt, und zwar Tradition viel mehr als biblische Tradition.

70:06
Sondern die ganze Tradition der Kirche, angefangen von den altkirchlichen Konziden bis hin zu, weiß weiß ich, Mariendogmen des letzten Jahrhunderts und solche Dinge, die Unfehlbarkeit des Papstes auf dem ersten vatikanischen Konzil. Das ist alles katholische Tradition. Die haben wir im Rücken auf dem Kreuz oder sonst wo. Mit der muss man umgehen. Also das ist die Traditionsfrage. Was ist eigentlich die Tradition, aus der wir leben sollen als Christen? Und worin besteht eigentlich im guten Sinne unsere Tradition? Worauf können wir uns eigentlich verlassen? Woher wissen wir eigentlich was von Jesus von Nazareth? Warum wissen wir, dass das richtig ist? Woher wissen wir, dass die Apostel in den ersten Generationen nicht völligen Blödsinn erzählt haben, sondern dass das eine verlässliche, eine gute Tradition ist? Das ist, finde ich, eine absolut drängende Frage nach der Tradition. Und ich glaube, die ist viel grundlegender, als dass man über die Unfehlbarkeit des Papstes streitet. Sondern es ist die Frage, worin liegt eigentlich unsere christliche Tradition, das, was uns grundsätzlich ausmacht,

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nämlich das Christus Eikes und seine Deutung. Und ich glaube, da kann man aus dem zweiten Zettel der Briefe auch wieder was lernen, weil der nämlich genau in der Phase ist, Tradition erst einmal zu etablieren. Die gibt es noch nicht. Und der kämpft darum zu sagen, ja, was ist es jetzt und was ist es vielleicht eher nicht? Wir haben heute eine andere Aufgabe. Wir haben viel zu viel Tradition, sage ich jetzt mal. Ein Wahnsinn, weil man das alles dann sieht und woran man sich alles halten muss. Da muss man das noch und dieses und was weiß ich um Gottes Willen, dass man ja die Tradition nicht verletzt. Ganz schlimm. Wie kann man das überhaupt unterscheiden? Da würde ich sagen, ja, schon durch die apostolische Tradition. Also das war aber nicht in diesem Sinne, was man daraus machen kann, sondern tatsächlich die Tradition, die wir aus den ersten zwei, drei Generationen überliefert bekommen haben, die wir heute noch im Kanon des Neuen Testaments haben. Und wenn wir diese Tradition, würde ich sagen, als Grundlage nehmen, dann können wir auch mit den Auswüchsen, ich sage es mal negativ, mit den Auswüchsen der Tradition, die gibt es in allen Bereichen.

72:04
Die gibt es in der evangelischen Tradition genauso, mit vielleicht übertriebenem Lutherismus oder wie man da so sagt, genauso wie im katholischen Bereich, wo man sich auch fragt, muss denn das alles sein? Wo sich Tradition und auch selber im Weg stehen, wie zum Beispiel im katholischen, dass man keine Frauen zu Priester weinen darf. Da steht sich die Tradition im Weg. Ganz einfach. Das müsste gar nicht so sein. Da gibt es auch keine vernünftigen Gründe dafür. Und trotzdem ist es Tradition und die ist so stabil, dass man nichts machen kann. Und da frage ich mich, wo ist das Korrektiv? Darf ich sagen, ja, es ist Tradition des Anfangs, die wir auch natürlich nicht so einfach haben. Die müssen wir auslegen, die müssen wir aktualisieren, die müssen wir studieren. Aber man kann wenigstens gegenübersteigen, kann diskutieren. Das wäre vielleicht die positive Seige. Das wollte ich eigentlich damit sagen. Es gibt auch eine positive Seige des Traditionsprinzips, nämlich das zu haben, woraus man eigentlich lebt. Das finde ich, kann man aus dem zweiten Test an und nicht einfach nicht lernen.

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Der 2. Thessalonicherbrief | 10.3.2

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 10. Mai 2020 von Prof. Dr. Stefan Schreiber

Es klingt, als sei er die Fortsetzung des ersten Thessalonicherbriefs, als sei der zweite Brief unter den gleichen Bedingungen, von den gleichen Menschen geschrieben worden. Doch die Situation der Gemeinde in Thessaloniki hat sich geändert, die Heiden setzen sie unter Druck, der Messias lässt auf sich warten, neue Missionare sind gekommen, die sich so anders verhalten als Paulus und seine Begleiter. Und dann erhält die Gemeinde einen Brief, den angeblich Paulus geschrieben hat. Aber: Ist Paulus überhaupt noch am Leben? Dass Paulus womöglich gar nicht der Verfasser des zweiten Briefs an die Thessalonicher ist – und warum der Brief trotzdem in die Bibel gehört – erklärt der katholische Theologe Stefan Schreiber. Er lässt jene Zeit, Menschen und Orte wieder aufleben, in die hinein der Brief geschrieben wurde. Und er beschreibt, was der Brief – wer auch immer ihn verfasst hat – für Christen in der Moderne mit all ihren starren Strukturen und überholten Traditionen bedeuten kann.

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.