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Ich frage heute historisch danach, welche Faktoren haben zum Tod Jesu geführt. Was können wir dazu historisch sagen? Es ist wichtig, dass wir diese Frage auch historisch so stellen. Früher hat man gerne gefragt, wer ist schuld am Tod Jesu oder warum musste Jesus sterben? Das sind schon so merkwürdig aufgeladene Formulierungen, da wird mir es gleich irgendwie unwohl. Ich frage ganz vorsichtig, viel neutraler, welche Faktoren, welche Gründe haben zum Tod Jesu geführt.

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Bevor wir uns im Glauben dann die Frage stellen, welche Bedeutung hat der Tod Jesu für uns heute, traditionell formuliert, welche Heilsbedeutung hat der Tod Jesu, diese Frage ist natürlich noch wichtiger, aber wir können nicht einfach in diese Frage hineinspringen. Dann würden wir uns aus der Realität verabschieden und in irgendwelche religiösen Überbau uns flüchten. Die Frage nach den Gründen, warum Jesus sterben musste, ist unbedingt erforderlich, dass wir darüber Auskunft geben, soweit es möglich ist. Alle vier Evangelien stellen sich ja auch dieser Frage. Ja, jetzt will ich vier Vorbemerkungen dazu machen.

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Erstens einmal, diese historische Frage ist sehr schwierig. Ein Einzelner kann sie gar nicht beantworten. Es ist eine Teamarbeit von vielen Historikern notwendig. Geschieht auch. Weltweit sind viele Historiker seit Jahrzehnten, seit 100 Jahren mit dieser Frage beschäftigt. Sie ist sehr schwer und viele Details können wir nicht mehr klären. Also warum? Warum ist diese Frage so schwierig? Der erste Grund, das hängt mit der damaligen Situation zusammen. Palästina oder die Provinz Judea, das war eine Provinz des römischen Imperium, stand unter römischer Militärverwaltung. Also es war besetztes Gebiet.

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Und zwischen der römischen Militärverwaltung und den lokalen Eliten, den jüdischen Hierarchen, Sanhedristen, Mitglieder des Hohen Rats, ist so eine Machtbalance ausgehandelt worden, sehr labil, sehr empfindlich. Ein Status quo wurde da ausgehandelt. Der sah so aus, dass die jüdischen Eliten eine beachtliche Selbstverwaltung hatten. Sie konnten viele Dinge doch selber regeln. Natürlich keine Außenpolitik, das war nur in römischer Hand. Aber innere Angelegenheiten hatten sie einen ordentlichen Spielraum und den wollten sie sich auch bewahren. Und in dieser Situation, also Status quo zwischen römischer Militärverwaltung und lokalen jüdischen Eliten, war nicht jeder Punkt genau geregelt. Das kann man gar nicht.

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Die wichtigsten Dinge waren abgesprochen. Rom übernahm die Kontrolle über den Tempel, weil jeder Staat in der Antike, das Wort Staat ist eigentlich modern, kann man gar nicht verwenden, ich mache es aber mal der Einfachheit halber, jeder antike Staat war ein Tempelstaat. Und im Tempel kristallisiert sich die staatliche Ordnung irgendwie heraus. Der jüdische Tempel war auch der Regierungssitz der jüdischen Regierung, war auch die oberste Finanzverwaltung. Also der Tempel war nicht nur religiöses Zentrum, er war auch wirtschaftliches und politisches Zentrum. Und das war in der Hand der Römer. Also in diesem Status quo gab es viele Punkte, die nicht genau abgesprochen waren. Das kann man gar nicht.

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Und jetzt, da treten immer wieder mal Fälle auf, was machen wir jetzt? Also die erste Schwierigkeit liegt darin, dass zwischen der römischen Militärverwaltung und den lokalen jüdischen Eliten nicht jeder Millimeter genau exakt abgesprochen war. Und dann können Unschärfen auftreten, wo auch wir jetzt 2000 Jahre später auch nicht mehr so genau sagen können, was war da eigentlich los. Selbst für die Leute damals gab es Fälle, wo der Pilatus auch gedacht hat, sapperlot, was machen wir jetzt? Also das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass die Quellenlage relativ schlecht ist. Es gibt eine Menge Quellen, römische Rechtsquellen und alles Mögliche, aber insgesamt ist die Quellenlage relativ knapp, relativ schlecht.

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Das heißt, auch von den Quellen her ist nicht jeder Punkt mehr zu klären. Geht einfach gar nicht mehr. Dann kommt natürlich auch dazu, dass die Interpretation dieser Quellen unterschiedlich ist und umstritten ist. Der dritte Punkt ist der, dass die Texte der Evangelien keine Geschichtsreportagen im modernen, strengen Sinn sind. Also das Hauptinteresse der Evangelien war nicht, wir geben möglichst exakt die historischen Fakten wieder. Das war gar nicht die Absicht dieser Texte. Die Evangelientexte transportieren zwar viel geschichtliche Information, also das ist ganz ordentlich, was wir da erkennen können, aber sie haben auch andere Interessen, religiöse Interessen. Sie sagen oft, damit wird die Schrift Psalm sowieso erfüllt.

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Also in den Passionstexten taucht oft auf, damit wurde die heilige Schrift der Juden erfüllt. Ja, das ist ja ein religiöses Interesse. Oft wurde auch auf solche Schriftstellen angespielt, also nicht zitiert, aber die Leute, die die Bibel gut kannten, die wussten schon, ah ja, da spielt Sophia 53 an oder irgendwie. Also diese Texte hatten auch religiöse Interessen. Wenn man es mal säkular hart formuliert, es sind Propagandatexte. Das ist ein bisschen übertrieben, aber es ist nicht falsch. Die Evangelientexte sind werbende religiöse Texte, religiöse Propaganda. Und das ist nicht das Gleiche wie methodisch streng historische Reportage. Also die Evangelientexte sind eine Textsorte ganz eigener Art.

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Es kommt da noch dazu, dass diese Texte auch erzähltechnisch dramaturgische Mittel einsetzen. Sie wollen möglichst eindrucksvoll sein, spannend sein. Zum Beispiel das nächtliche Verhör ist in drei Schritte aufgebaut. Es ist ineinander geschachtelt mit der Verleugnung des Petrus. Und die Verleugnung des Petrus ist auch in drei Schritte aufgebaut. Das ist oft so in der volkstümlichen Literatur. Alle guten Dinge sind drei und es steigert sich dann final. Der dritte Teil ist dann der wichtigste. Also sind es auch so erzähltechnische dramaturgische Interessen, Steigerung oder überhaupt szenarische Einteilung. Es werden Szenen gebildet. Das müsste man historisch gar nicht.

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Das ist eine mehr literarische Frage. Und dann kommt noch dazu, dass die Evangelientexte eine einzigartige Textgattung sind, die es nie wieder auf der Welt gibt. Und zwar aus folgendem Grund. Die Evangelien erzählen über einen geschichtlichen Menschen, also nicht irgendeine mythologische Figur, einen geschichtlichen Menschen, der wirklich gelebt hat in einem ganz bestimmten Weltgegend, aber sie haben zu diesem Menschen ein Gebetsverhältnis. Sie sind der Überzeugung, dass dieser Mensch von Gott, von den Toten auferweckt wurde und jetzt bei Gott ist, allgegenwärtig ist und dass man zu ihm beten kann. Sowas hat es noch nie gegeben und wird es auch, denke ich, nie wieder geben. Dass man über einen geschichtlichen Menschen erzählt, zu dem man bereits jahrelang täglich betet.

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Wenn man über Napoleon oder Alexander der Große irgendwie geschichtlich erzählt, man hat ja zu denen kein Gebetsverhältnis. Und das muss man auch den Historikern sagen. Das ist den Historikern, auch wenn sie einigermaßen aufgeschlossen sind, auch klar. Die Tatsache, dass die Autoren der Evangelien subjektiv überzeugt sind, dass diese Person, von der sie jetzt erzählen, im Himmel lebt und allgegenwärtig ist und die Gemeinde führt und dass man sich im Gebet an diese Person wenden kann, das beeinflusst natürlich die Art und Weise, wie man von dieser Person erzählt. Also die damalige Lage selber war nicht in jedem Punkt feinmaschig geklärt. Die Quellenlage ist knapp, lässt viele Details offen. Die Sorte Evangelientext hat religiöse Interessen, dramaturgische Interessen

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und ist in dieser Lage der Mann, von dem wir erzählen, zu dem bete ich jeden Morgen. Also das ist ja eine einzigartige Sache. Und viertens, alle Evangelien sind nach Ostern geschrieben, längere Zeit nach Ostern. Längere Zeit war eine mündliche Tradition und die ging dann irgendwie über in eine Verschriftlichung. Und das merkt man diesen Texten an, also am stärksten im Johannesevangelium, das haben wir ja gestern gesagt, aber auch bei den Synoptikern wesentlich gebändigter, aber man merkt es an. Also ich will gleich jetzt sagen, jeder Satz in Markus 14, 53 bis 65 ist nach Ostern geschrieben. Jeder Satz und jedes Wort, das kann man nicht außer Acht lassen. Da hat nicht an dem Abend jemand ins Tagebuch geschrieben, was heute passiert ist.

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Mir hat mal ein Konrektor einer Grundschule, der also über 60 Jahre alt war, in eine fundamentalistische Gruppe ging, sagt zu mir, Siggy, stimmt es, dass die Evangelien erst viele Jahre später aufgeschrieben worden sind? Also 60 Jahre alt, Konrektor, fundamentalistische Gruppe. Da sage ich, ja klar, was hast denn du gedacht? Da sagt er wirklich, ja ich habe gedacht, dass die abends Tagebuch schreiben. Ja, das ergibt natürlich eine völlig andere Vorstellung. Also alle Evangelien sind nach Ostern geschrieben, auch dieser Markus-Text ist jeder Satz nachösterlich, jedes Wort. Und Markus hört diese Dinge auch als jemand, der nach Ostern lebt und dessen Lesepublikum nachösterlich ist.

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Trotzdem sage ich jetzt, obwohl das völlig klar ist, jeder Satz ist nachösterlich. Markus liest die Dinge, versteht sie selber auch nachösterlich. Und er schreibt an ein Lesepublikum, das nachösterlich fühlt und denkt. Das muss man also gebührend in Rechnung stellen. Glas klar. Trotzdem frage ich jetzt nicht nach der markinischen Theologie. Das kann ich mal hin und wieder einfließen lassen. Wie versteht Markus das nachösterlich? Ich frage bei diesem Text vorösterlich. Also ich frage mit aller Vorsicht natürlich. Kann man diesem nachösterlichen Text eine Information über die vorösterliche Situation, die Nacht, das Verhör im Hohen Rat,

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kann man sozusagen den Text ein bisschen gegen den Strich bügeln und fragen, was gibt dieser nachösterliche Text für vorösterliche Informationen her? Also diese Frage ist schwer, aber sie ist möglich und sie muss ja wohl gestattet sein. Also die Schwierigkeit dieser historischen Rückfrage hat vier Hauptpunkte. Die damalige Situation war gar nicht in jedem Punkt geklärt. Die Quellenlage ist knapp und die Interpretation dieser Quellen ist schwierig, umstritten teilweise. Dann die Texte, die Evangelientexte haben religiöse Interessen, sie haben dramaturgische Interessen und sie haben ein Gebetsverhältnis zu dem, von dem sie berichten. Und die Evangelien sind alle nachösterlich.

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Aber bei den Sinoptikern, die haben es ein Stück weit geschafft, alle Achtung, sich nochmal vor die österliche Situation zu erinnern, alle Evangelien, was war eigentlich mit Jesus vor Ostern? Gut, also wenn wir diese vier Punkte jetzt mal auf uns wirken lassen, möchte ich sagen, wir können diese Frage nur sehr bescheiden stellen. Bitte keine Schnellschüsse, bitte keine Rechthaberei, sondern behutsam, vorsichtig im jahrelangen Lernen nach vielen Seiten, brüderlich, geschwisterlich, in der Gemeinschaft der Forscher aufeinander hören und es dauert seine Jahrzehnte, bitte nicht so frei aus der Hüfte mit schwachen Kenntnissen durch die Gegend ballern.

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Also Jesus war längere Zeit in Galiläa tätig, öffentlich tätig und in einer gewissen Zeit hat er sich entschlossen, nach Jerusalem zu gehen. Der war sicher schon ein paar Mal in Jerusalem, das merkt man an bestimmten Dingen, aber jetzt war das die entscheidende Reise nach Jerusalem. In welcher Stimmung hat Jesus das angetreten? Das weiß man natürlich nicht genau, aber die Großwetterlage kann man schon sagen. Jesus hatte im Mittelpunkt seiner Botschaft eine Proklamation, dass etwas geschieht. Also im Mittelpunkt der Botschaft Jesu stand nicht irgendeine philosophische Erkenntnis, irgendeine Erkenntnis.

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Ja, es gibt schon auch Erkenntnisse in der Botschaft Jesu, aber die sind zweit- und drittrangig. Der Mittelpunkt seiner Botschaft ist die Behauptung, dass etwas geschieht, nämlich dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist und mit seinem Wirken jetzt auch schon begonnen hat. Seine Heilungen, seine Gleichnisse, seine Dämonenaustreibungen hat Jesus verstanden als ein Zeichen dessen, das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, so nahe, dass es mit mir schon jetzt zu wirken begonnen hat. Diese Botschaft kann man nicht 70 Jahre lang sagen, dann widerlegt sie sich selber. Dann würden die Leute sagen, jetzt soll es ja auch mal endlich kommen. Also wenn Jesus sagt, das Reich Gottes ist schon im Kommen, hat schon angefangen, wird dann vollends kommen.

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Das kannst du nicht 20 Jahre lang sagen, dann war es klar, dass es nicht stimmt, was du sagst. Also Jesus hat sich jetzt mal so salopp ausgedrückt durch den Mittelpunkt seiner Botschaft, es selber unter einen gewissen Zeitdruck gesetzt. Diese Botschaft widerlegt sich entweder selbst oder es passiert was. Und in dieser Großwetterlage geht Jesus nach Jerusalem. Es spricht viel dafür und nichts dagegen, dass er der Meinung war, dass jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen ist. Jetzt muss es sich zeigen. Also es war schon eine besondere Reise. Seine Jünger haben ihn begleitet und auch mehrere Frauen, deren Namen auch teilweise genannt wird, Maria aus Magdala, Salome und andere. Er ging, und das ist jetzt sehr wichtig, nach Judäa und damit betrat er das Imperium Romanum.

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Galilea, wo er wirkte, das liegt ungefähr 200 Kilometer, 230 Kilometer nördlich von Jerusalem, gehörte nicht zum Römischen Reich. Der Tetrarch Herodes Antipas, sein Vater war König Herodes, aber sein Sohn hatte keinen Königsittel. Herodes Antipas war der Landesvater Jesu und er war ein Befreundeter Landesherr mit den Römern, sozusagen ein Klientelfirst. Er konnte keine oder kaum eigene Außenpolitik machen, aber er gehörte nicht zum Römischen Reich. Sagen wir mal, der Hauptmann von Capernaum, die Soldaten können keine römischen Soldaten gewesen sein, weil Herodes Antipas hatte kein Recht über römische Legionäre zu… Das waren alles so Art Fremdenregionäre, sogar einige aus Germänien tatsächlich.

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Also es waren mehr Fremdenlegionäre. Also Herodes Antipas war außerhalb des Römischen Reiches. Indem sich jetzt Jesus wieder mal und jetzt sehr speziell aufmacht nach Jerusalem, betritt er das Imperium Romanum. Er betritt auch Jerusalem, die Stadt, in der die jüdische Regierung, der Hohe Rat, sitzt. Der Hohe Rat in Jerusalem hätte in Galiläa gar keine Polizeirechte. Der hat da überhaupt nichts zu melden. Also Jesus begibt sich mit dieser Reise in eine andere Konstellation, die es in Galiläa gar nicht gibt. Das ist so ein Basic. Das muss man wissen, um überhaupt das so langsam realistisch mitempfinden zu können.

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Also Jesus geht nach Jerusalem in der Erwartung der Stunde der Wahrheit. Er hat dort ungefähr eine Woche gelebt und dann war er tot. Jetzt überstürzen sich die Ereignisse, diese letzte Woche Jesu. Man kann sich fragen, wenn wir historisch fragen, welche Faktoren haben zum Tod Jesu geführt? Ist es sehr wichtig, sich zu fragen, liegen diese Faktoren eher in seiner Tätigkeit in Galiläa oder liegen sie in der letzten Woche in Jerusalem? Das ist eine wahnsinnig wichtige Frage und die muss so gut es geht wirklich geklärt werden. Das dauerte einige Jahrzehnte in der Forschung. Nein, sie liegen nicht in Galiläa.

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Zwar hat Jesus ganz schöne Konflikte mit den Pharisäern gehabt, aber die Pharisäer sind humane Leute, die vertragen was. Die haben eine heiße Diskussionskultur. Pharisäer sind keine südamerikanische Militärdiktatur, die die Menschen ausdrücken wie Fliegen. Pharisäer sind freundliche, humorvolle Menschen. Wer die Pharisäer sind, können sie nicht im Neuen Testament lernen. Es ist völlig ausgeschlossen, weil das Neue Testament eine Konfrontationsstruktur hat. Wer die Pharisäer sind, können sie nur lernen aus originalpharisäischen Schriften. Nur dort. Und dann kriegen sie ein sehr positives Pharisäerbild. Also er hatte dort schon ordentliche Konflikte, aber nicht tödlich.

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Es heißt einmal in Markus 3,6, dass irgendein Ortsverband von Pharisäern ihn töten wollte, aber sie haben ihn nicht getötet. Und so ein Ortsverband von vielleicht 30, 40 Pharisäern, es gab damals vielleicht 3 bis 4 bis 5.000 Pharisäer, das kennen sie ja nicht, in einem Ort. Also bitte bloß nicht Pauschal und Schnellschüsse. Es ist sensibles Gelände. Wir beginnen jetzt mal, uns diese Dinge klarer zu machen. Rechnen Sie mit ein paar Jahren. Aber jetzt fangen wir mal an. Also, aber, und er hatte eine verblüffende Thora-Interpretation, ich aber sage euch, und er hat am Schabbat Kranke geheilt. Das darf man eigentlich. Sie können am Schabbat alle Schabbatgebote übergeben, wenn Sie jemand in Not helfen müssen.

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Können Sie das machen? Aber Jesus heilt ja chronisch Kranke. 38 Jahre lang gelähmt. Kann der nicht einen Tag warten? Also dass Jesus am Schabbat chronisch Kranke heilt, das war Provokation. Also das hat die Leute, das hat die religiöse Elite und die Pharisäer, die waren eine Gemeinschaft für entschiedenes Judentum, EJ. EJ, entschiedenes Judentum, das sind die Pharisäer. Also es hat dich schon geärgert, aber deswegen bringt man niemand um, ihr Leute. Also ich kürze ab. Es gab in Galiläa ordentliche Konflikte, also auch auffallende. Jesus war nicht irgendein x-beliebiger Rabbi. Er war ein Wanderrabbi, der sich an das gesamte Volk Israel gewandt hat.

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Das tut ein normaler Rabbi nicht. Der hat seine Ortsgemeinde und seine Synagoge. Also Jesus war schon ein schillernder Paradiesvogel, sage ich mal so, und er hatte seine eigentümlichen Konflikte. Aber darin liegen nicht die Ursachen seines Todes. Wer die Ursachen seines Todes in der Tätigkeit Jesu in Galiläa behauptet, es gibt heute noch einige wenige, sind nicht mehr viele, es hat immer Jahr für Jahr abgenommen unter dem Druck qualifizierter Argumente. Wer die Faktoren für den Tod in Galiläa behauptet, wird keinen christlich-jüdischen Dialog führen können. Das ist völlig unmöglich. Aber die Faktoren liegen auch nicht in dieser Tätigkeit, sondern in der letzten Woche in Jerusalem. Jetzt ist sehr wichtig, Jesus geht zum Pesachfest. Früher hat man gern gesagt Passafest, aber das ist eine christliche Verballhornung.

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Das Fest heißt Pesachfest. Lernt da bitte auch um Luther übersetzt, Passa, aber das Fest heißt Pesachfest. Also das ist das größte Wallfahrtsfest. Jerusalem hatte so 50.000 bis 60.000 Einwohner, vielleicht auch 40.000 oder 70.000 um den Dreh herum. Aber am Pesachfest waren 200.000 bis 300.000 Festpilger da, also das Fünf- bis Zehnfache. Die haben zum Teil in Zeltstätten um Jerusalem herum gewohnt oder jedes Zimmer in Jerusalem musste man zwei, drei Leute aufnehmen, gastfreundlich sein. Es gehört zu den größten Weltwundern nach jüdischer Spielart, dass in jedem Pesachfest alle Festpilger bis jetzt untergekommen sind.

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Die meisten in so schnell errichteten Zeltstätten, die man nachher wieder abgebaut hat. Ja, also Jesus geht nicht, Pesachfest ist so im Frühjahr ungefähr in dem Bereich, wo unser Osterfest ist. Es schwankt auch ein bisschen, so ähnlich wie unser Osterfest. Also zum Pesachfest, wenn Jesus im August nach Jerusalem gegangen wäre, ja, da wäre nichts passiert. Da ist ja auch nichts los. Aber Jesus geht ausgerechnet bewusst zum heikelsten, größten Wallfahrtsfest, wo die römische Militärverwaltung so nervös ist wie niemals sonst. Weil wenn es einen Aufstand geben soll, und es hat ja schon einige Aufstände gegeben, die fürchterlich niedergeschlagen wurden, Tausende von Toten. Wenn ein Aufstand losgehen soll, ja am besten am Pesachfest, da sind ja ein paar hunderttausend Juden da.

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Das heißt, der Präfekt Pontius Pilatus, der Leiter der römischen Militärverwaltung, er hatte den Titel Freund des Kaisers. Er entstammte einem Ritterstand niederer Adel in Rom. Also er war der direkte Vertreter von Kaiser Tiberias. Ja, also dieser Pontius Pilatus, der normalerweise an der Mittelmeerküste residiert, in Caesarea Maris und dort in einem Palast, den der Herr Rhodes der Große wunderschön gebaut hat. Das ist so ein Felsvorsprung ins Mittelmeer hinein. Und auf diesem Felsvorsprung ist dieser Palast. Er ist also von drei Seiten umgeben von Wasser. Architektonisch eine Glanzleistung. Und in diesem Palast hat sich Pontius Pilatus einquartiert.

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Aber bei den großen Wallfahrtsfesten, insbesondere beim Pesachfest, dem größten Wallfahrtsfest, war er immer schon vorsichtshalber in Jerusalem und hat die Truppenstärke in der Burg Antonia, das war die Burg, die direkt an den Tempel angebaut war, ein bisschen höher lag wie der Tempel. Man konnte von dort in den Tempelhof hinein sehen, hat er die Truppenstärke dort ungefähr verzehnfacht, damit nichts passiert. Also zu so einem Pesachfest, wenn ihr Kirchentag seht, da kriegt ihr so ein bisschen eine Ahnung, aber Pesachfest ist viel mehr wie ein Kirchentag, weil Jerusalem ist eine relativ, für heutige Welt ist es eine kleine Stadt und da waren die fünf- bis zehnfachen Leute da. Also das war die Großwetterlage. Jesus ging in den Tempel, eine der wichtigsten Säulen für die Identität des Judentums.

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Das Weltjudentum hat drei große Grundlagen. Abrahams Abstammung, Abraham ist unser Vater, dann die Thora, das Geschenk Gottes an Israel und drittens der Tempel. Das sind die drei Grundlagen des Judentums damals. Und der Tempel war aber sozusagen ein Event. Thora lesen kann auch ein bisschen langweilig sein, da immer die Blätter, die Schriftrollen drehen. Also da ist so ein Wallfahrtsfest ja was ganz anderes. Das war Judentum live. Also da konnte man Judentum wirklich erleben. Und deswegen waren die Tempelfeste für die Vitalität des Judentums mitentscheidend. Er geht also in diesen Tempel, ich habe ja einen Vortrag über die Tempelaktion Jesu, das müsst ihr euch anhören.

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Er bringt da eine Motzkritik an. Er schmeißt die Tische der Geldwechsel um, die ja verbeamtet waren. Es waren ja Steuerbehörden. Und er schmeißt die Vogelkäfige um, armen Opfer, armen Opfer, nicht kapitalistisch. Vogelkäfige sind Opfer für die Armen, hat er trotzdem umgeschmissen. Und dann will er noch Geldbehälter stoppen, wo man das unreine Geld mit dem reinen Geld auswechselt. Da hat er sich in einer prophetischen Zeichenhandlung. Es war keine große Aktion. Man geht mal an den Tischen so entlang, macht mal so und das ganze Ding kippt runter. Ihr dürft euch da jetzt nicht eine Riesenaktion. Das war in der Markthalle, fand es statt. Man weiß, da waren diese Geldwechseler und Taubenhändler. Und die Markthalle war überdacht. Die römischen Soldaten auf den Mauern des Tempels konnten das gar nicht sehen. Weil früher immer gleich so irgendwelche Schreier gesagt haben, das kann doch gar nicht sein, da hätten doch die Römer sofort eingegriffen.

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Nein, nein. Es heißt ja auch nur, er begann die Tische umzuschmeißen. Das wird ihm zwei Minuten möglich gewesen sein, dann hat die Sekuritas ihn abgeführt. Trotzdem für die Fachleute war völlig klar, in dieser kleinen, aber genau berechneten Zeichenhandlung will Jesus ausdrücken, der Tempel hat jetzt seine Funktion verloren. Was immer er bisher Gutes war, jetzt ist es aus, jetzt kommt das Reich Gottes. Ihr könnt nicht weiterhin in den Tempel gehen, als ob das Reich Gottes nicht gekommen ist. Der Tempel kann viel Gutes gemacht haben. Aber zu einem ist der Tempel nicht da, dass man das Reich Gottes ignoriert. Das darf man mit dem Tempel nicht. Und wenn das Reich Gottes kommt, da ändert sich alles. Da ändert sich die Thora-Interpretation und da ändert sich die Funktion des Tempels.

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Er wird jetzt, was heißt nur noch, er wird jetzt Gebetshaus sein für alle Völker. Ja, das hat der Tempelleitung gar nicht gefallen, dass der jetzt sagt, wer ist er? Ja, also damit hat Jesus eine Grenzüberschreitung begangen, die die jüdische Hierarchen nicht mehr hinnehmen konnten. Auf Tempel-Frevel steht ganz klar Todesstrafe. Ich meine, hätte Jesus nichts gemacht, dann wäre ihm auch nichts passiert. Man muss schon sagen, wenn man auf dem Pausenhof als aufsichtsführender Lehrer jetzt schlägern, die sich wieder, dann geht man hin und sagt, wer hat angefangen? Da weiß man, kommt man auch nicht weiter. Aber die Frage, wer hat angefangen, ist eigentlich schon berechtigt. Und wenn man da jetzt mal fragt, wer hat eigentlich angefangen, dann muss man ehrlichkeitshalber sagen Jesus.

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Die Frage stellt man in Oberammergau bis heute nicht. Also wer hat angefangen? Wenn ich damals Oberpriester gewesen wäre, ich hätte auch gesagt, ja, Burschle, Burschle, jetzt mal langsam, weil wer glaubst du, wer du bist? Also das war eine klare Grenzüberschreitung. Und das war der Grund der Verhaftung. Jesus wurde von Judas verraten. Was meint das? Die damalige Sanhedristen, also Sanhedrin ist der hohe Rat, dann sagen wir mal Sanhedristen, oberste Behörde, Regierungsbehörde und Gerichtsbehörde der Selbstverwaltung im Judentum. Ja, also die hatten schon Respekt vor Jesus, weil es war völlig klar, der ist im Volk sehr beliebt.

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In Galiläa hat er oft ein paar tausend Zuhörer gehabt. Und auch beim Einzug in Jerusalem waren ja auch viele tausend Galiläer. Und die haben ihren Nachwuchspropheten da ordentlich umjubelt. Hoseanerufe, messianische Rufe, das hat natürlich der hohe Rat mitgekriegt. Der zieht hier ein und es flackern messianische Stimmungen auf. Also der hohe Rat musste hier schon sehr vorsichtig sein. Selbst wenn Jesus selber vielleicht gar nicht so riesige gefährliche Ziele hatte, aber er kann vielleicht die Massen elektrisieren und dann sagt Jesus, das habe ich nicht wollen. Ja, dann war es schon zu spät. Also der hohe Rat musste nicht nur fragen, was will der eigentlich selber? Er musste immer auch fragen, kann der die Massen elektrisieren und dann vielleicht eine Lawine loslösen, die man nicht mehr stoppen kann. Und dann hauen die Römer drauf und unsere bisherige Selbstverwaltung ist futsch.

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Und so ist es ja dann auch gekommen später, 40 Jahre später, 70. Kam es ja auch wirklich so. Also der wurde verhaftet. Jetzt, was Sie nicht wussten, ist, wo übernachtet der bei 300.000 Leuten? Es war schon klar, wir können den nicht in der Öffentlichkeit einfach verhaften. Da müssen wir damit rechnen, dass 100 Fans von ihm sich sofort um ihn herum, also wir müssen den Mann diskret aus dem Verkehr ziehen. Und jetzt kam Judas und hat gesagt, ich weiß, wo der übernachtet. Das haben die natürlich wirklich nicht gewusst. Er übernachtet nämlich außerhalb von Jerusalem. Wo denn? Ja, im Kidrontal unten. Da übernachtet er. Wo? Ja, im Gatschemanim.

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Luther übersetzt Gatten Gezemanie, heißt Gatten der Ölkelter. Da sind nämlich viele Höhlen, die sind ganz gemütlich. Ich war schon in vielen drin. Da kannst du wirklich wunderbar übernachten. Schön ein bisschen so Abendromantik. Ah, der übernachtet im Gatschemanim im Kidrontal. Ja, da sind dann also jetzt von der Wachmannschaft und auch Römische Soldaten, die haben miteinander sich abgesprochen, haben den nachts verhaftet. Judas hat ihm einen Kuss gegeben, weil ja die Soldaten wirklich nicht wussten, wie sieht denn der Typ aus. Ja, und dann war auch klar, Gott hat ihm gar nicht geholfen. Ein Messias oder was auch immer er war, den kannst du doch nicht einfach wie einen Kleinkriminellen nachts schnappen. Also für die für der Hohe Rat war jetzt sowieso klar, der Mann kann religiös gesehen nichts Besonderes sein, was immer er sich da austräumt.

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Denn er wurde ganz leicht geschnappt wie irgendein Kleinkrimineller. Gott hat nicht zu ihm gehalten. Also damit ist der Mann eigentlich schon widerlegt. Ja, und jetzt fängt das nächtliche Verhör an. Von diesem Verhaftungsort gehen die Soldaten und die Wachpolizei zum Palast des Kayafas. Der war in der Nähe vom Palast des Herodes. Man kann diesen Weg heute noch gehen. Ich bin ihn mit Studenten schon ein paar Mal gegangen. Man geht normal so 20 Minuten, vielleicht 25 Minuten vom Kietrontal zum Palast des hohe Priesters Kayafas. Und jetzt Tine, lies mal den Text vor. Hört mal gut zu. Der Text, den sie liest, ist der vielleicht umstrittenste Text des Neuen Testaments.

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Und sie führten Jesus dem hohen Priester vor. Und es kamen alle hohe Priester und die Ältesten und Schriftgelehrten zusammen. Und Petrus folgte von Weitem ihm nach bis in den Hof des hohen Priesters. Und er saß zusammen mit den Dienern und wärmte sich am Feuer. Die hohe Priester aber und das ganze Sinhedrium suchten eine Zeugenaussage gegen Jesus, geeignet ihn zu töten. Und sie fanden keine. Viele nämlich gaben falsches Zeugnis gegen ihn. Aber ihre Zeugenaussagen stimmten nicht überein. Und einige standen auf und legten eine falsche Zeugenaussage gegen ihn vor. Wir haben ihn sagen hören Ich werde diesen mit Händen gebauten Tempel niederreißen und binnen drei Tagen einen anderen, der nicht mit Händen gebaut ist, erbauen. Doch auch darin stimmten ihre Aussagen nicht überein. Da trat der hohe Priester in die Mitte und fragte Jesus.

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Antwortest du nichts auf das, was diese gegen dich vorbringen? Er aber schwieg und antwortete nichts. Erneut fragte ihn der hohe Priester. Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sagte Ich bin es und ihr werdet sehen, den Menschen so und sitzen zu Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels. Der hohe Priester aber zerriss seine Gewänder und sagte Was brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Welchen Eindruck habt ihr? Alle aber verurteilten ihn, des Todes schuldig zu sein. Und einige begannen ihn zu bespucken und sein Gesicht zu verhüllen und ihn zu schlagen und zu ihm zu sagen Sage uns, wer hat dich geschlagen? Und die Diener empfingen ihn mit Schlägen. Ja, Tine, les noch mal den ersten Vers Vers 53 noch einmal.

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Mit dem steigen wir ein. Und sie führten Jesus dem hohe Priester vor. Und es kamen alle hohe Priester und die ältesten und Schriftgelehrten zusammen. Und vielleicht noch den nächsten Vers mit Petrus. Und Petrus folgte von Weitem ihm nach bis in den Hof des hohe Priesters. Und er saß zusammen mit den Dienern und wärmte sich am Feuer. Also jetzt kommt ein Ortswechsel vom Verhaftungsort im Gatschemanim zum Palast des hohen Priesters in der Oberstadt. Sehr luxuriöses Haus. Wir müssen zunächst eine Frage klären. Die ist auch heute aber noch nicht sehr lange im Großen und Ganzen geklärt. Aber das ist eine 30, 40 jährige heiße Diskussion gewesen, in der ich auch meine Entwicklung genommen habe.

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Dieses nächtliche Ereignis. Also er kommt zum hohe Priester in seinem Palast. Und nach markinischer Darstellung waren alle Mitglieder des Hohen Rats. Markus nennt immer drei Gruppen, die hohe Priester, die Ältesten und die Schriftgelehrten. Das sind so drei Fraktionen im Hohen Rat. Die Reihenfolge zeigt ihre Mächtigkeit. Die hohe Priester, es gab ja nur einen, aber es gibt heute auch mehrere Bundespräsidenten. Wulf und alle, die halt leben, sind ja Bundespräsidenten. Und so sind auch alle hohe Priester diesmal waren, Hannas und auch hohe Priester diesmal werden. Das sind die hohe Priester. Das ist eine Gruppe von drei bis fünf Leuten. Das waren die mächtigsten. Wir müssen jetzt uns erst mal fragen, das, was jetzt stattfindet, ist das ein Prozess oder ist es einfach ein Verhör?

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Man hat jahrzehntelang, haben viele gesagt, es ist ein Prozess. Wenn es ein Prozess gewesen wäre, nein, es ist kein Prozess, es ist ein Verhör. Erstens mal hätte man da sehr viele Bestimmungen übertreten. Ein Prozess darf eigentlich nicht nacht sein. Es gibt eine riesen Diskussion. Gab es mal eine Notstandsgesetzgebung, wo so das doch nacht sein sollte? Das brauchen wir gar nicht mal diskutieren. Es kann kein Prozess gewesen sein. Es hat sich jetzt nach 30 Jahren herausgestellt, es gibt zwei Gründe, die sind so wasserdicht, man braucht darüber nicht mehr diskutieren. Erstens mal, ein Prozess darf niemals in einem Privathaus stattfinden, sondern im offiziellen Amtssitz, das ist beim Tempel.

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Der Regierungssitz ist ja im Tempel, aber der Tempel ist nachts zugeschlossen. Also im Privathaus und sei es das Privathaus eines hohen Priesters darf kein Prozess stattfinden. Das ist inzwischen klar. Und der andere Grund, der inzwischen wirklich auch klar ist, ich habe mich selber da auch von der einen Position in die andere weiterentwickelt. Ich habe vielleicht so elf oder zwölf Jahre auch an der PH vertreten. Es gibt zwei Prozesse, einen jüdischen Prozess und einen römischen. Was meint ihr, wie viel heilige Kühe ich schon geschlachtet habe? Zwölf Jahre vertreten? Nein, muss Abschied nehmen. Also als Theologie-Professor darf ich Ihnen sagen, müssen Sie sehr korrekturbereit sein, sonst lieber den Beruf nicht ergreifen. Also der andere Punkt ist der, nicht nur, dass die Vollstreckung von Todesurteilen nur in der Hand der Römer lag,

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also dass die Blutsgerichtsbarkeit, die Kapitalverbrechen, bei denen es um Tod und Leben geht, die waren, haben die Römer ganz in allen Provinzen, auch in Judea, blieb ganz allein in römischer Hoheit. Aber inzwischen ist auch geklärt, es darf nicht einmal ein Prozess stattfinden, in dem es um Tod und Leben geht. Das war auch klar verboten. Also nicht nur die Vollstreckung des Todesurteils war klar verboten, sondern man darf gar keinen Prozess durchführen, in dem es um Tod und Leben geht, auch wenn es dann Pilatus vollstreckt. Nein, es darf auch niemand außer den Römern ein Todesurteil aussprechen. Das ist heute geklärt. Man kann es seriös nicht bezweifeln, das darf ich euch sagen.

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Leute, die sich nicht auskennen, auf diesem Gebiet, die Schnellschwätzer, sind ein echtes Problem. Also es ist kein Prozess und deswegen braucht man auch gar nicht fragen, wurden da Prozessbestimmungen übertreten? Das kann man sich jetzt alles sparen. Es war nur ein Verhör. Und was für ein Verhör? Ja, die römische Militärverwaltung hat bei bestimmten Prozessen schon gesagt, die jüdische Lokalelite kann Vorklärungen mal vorverhandeln, die Anklage vorbereiten. Die Prozesse dann von Pilatus standen früh am Morgen, fanden die statt. Und du kannst Pilatus nicht einfach aus dem Schlaf klingeln und sagen, wir haben da jemanden, kannst du den mal unter... Nein, die Anklage muss alles vorbereitet sein. Also die römische Militärverwaltung hat die Arbeit fürs Grobe schon den jüdischen Lokaleliten überlassen.

47:04
Die kennt sich da ja auch besser aus und die soll mal eine Anklage vorbereiten, indem sie dann, das werde ich morgen behandeln, Jesus gefesselt zu Pilatus bringen. Die Fesselung war nicht deswegen, weil sie Angst hatten, Jesus könnte wegrennen. Nein, darum ging es nicht. Sondern mit der Fesselung drücken sie aus. Unsere Voruntersuchungen, unsere Verhör hat zu einem klaren Ergebnis geführt. Dass Jesus gefesselt ankam, war für Pilatus auch gut, die haben gute Vorarbeit geleistet. Aber dann ist trotzdem nur Pilatus selber entscheidend. Pilatus hat viel mehr Macht wie ein hoher Priester. Die römischen Präfekten haben ja die hohen Priester eingesetzt und abgesetzt. Der Schwiegervater von Kajafas, das war Hanas, er hat ihm seine Tochter geheiratet. Der ist drei Jahre vorher, also der ist im Jahr 15, entschuldigung, abgesetzt worden durch den römischen Präfekten.

48:08
Also der römische Präfekt kann hohe Priester einsetzen oder absetzen, wie er will. Also der römische Präfekt ist nicht nur einer, der die jüdischen Erwartungen halt in die Tat umsetzt. Wir haben alles Entscheidende gemacht und bitte bring ihn jetzt mal vor uns ans Kreuz. Nein, die entscheidende Prüfung und Entscheidung liegt ganz allein bei Pilatus. Also es gab keine zwei Prozesse, sondern es gab nur einen, einen römischen Prozess. Und um das vorneweg zu sagen, das ist auch kein normaler Prozess wie in Rom, sondern das ist ein militärischer Schnellprozess. Der hat vielleicht 15 Minuten gedauert. Wenn es hochkommt, eine halbe Stunde, das glaube ich nicht einmal. Pilatus, der macht am frühen Morgen erledigt, er so fünf Schnellverfahren und dann geht er frühstücken.

49:06
15 Minuten, das ist ein Mann mit allen Wassern, besser gesagt mit allen Abwassern gewaschen. Gut, also zum Verhör. Jetzt liest mal Vers 5, wir bleiben beieinander, Vers 55. Die hohe Priester aber und das ganze Sinhedrium suchten eine Zeugenaussage gegen Jesus, geeignet ihn zu töten, und sie fanden keine. Gut, nach Markus war es der ganze Sinhedrien, nach Lukas und Johannes nicht. Man kann sich das historisch schwer vorstellen. Wie will man nachts alle 71 Mitglieder in Jerusalem ohne Telefon und Handy, da mussten die aber schwer rumrasen. Es ist wesentlich naheliegender, es waren die mächtigen Leute im Hohen Rat, das waren fünf bis acht Leute, höchstens zehn Leute.

50:05
Und die anderen waren so Hinterbänkler, die eh nichts zu sagen hatten. Also es ist viel naheliegender zu sagen, der geschäftsführende Ausschuss, die wirklich mächtigen, die haben sich hier getroffen. Zu einem Vorverhör, um die Anklage bei Pilatus, der schon vorweg informiert wurde, durchzuführen. Und so ist es auch bei Lukas und bei Johannes. Jetzt also sagt man nochmal Entschuldige, denn Vers 55. Die hohe Priester aber und das ganze Sinhedrium suchten eine Zeugenaussage gegen Jesus, geeignet ihn zu töten, und sie fanden keine. Ja, also sie waren natürlich, sie hatten die Absicht Jesus zu töten, weil der Tempel, der Tempelfrevel ist ein ganz klarer Grund für Todesstrafe. Hätte sich Jesus vorher überlegen sollen, sie haben ja nicht angefangen.

51:01
Aber wenn jemand im Tempel zum Pesachfest da so rumzündelt, also den muss man aus dem Verkehr ziehen. Hätte ich auch gemacht, schon vorsichtshalber. Also jetzt kommt eine erste Zeugenrunde. Sie suchten ein Zeugnis. Es heißt nicht, ihr Lieben, sie suchten einen Vorwand. Sie suchten ein seriöses juristisches Zeugnis, das geeignet wäre, die Todesstrafe zu begründen. Das jüdische Recht ist ein Zeugenrecht. Es genügt nicht ohne weiteres ein Geständnis eines Angeklagten. Sagen wir mal, auf dem Feld ist ein Mord begangen worden und jetzt kommt ein 50-jähriger Jude und sagt, ja, ich habe es gemacht. Kann der nicht verurteilt werden im jüdischen Recht, weil aufgrund eines Geständnisses kannst du nicht ohne weiteres jemanden umbringen.

52:02
Warum nicht? Das jüdische Recht rechnet damit, dass es vielleicht der Sohn von diesem Vater war. Und der Vater zieht die Todesstrafe auf sich, damit er seinen Sohn deckt. Also mit so einer Treue rechnet man im jüdischen Recht. Das jüdische Recht ist das humanste Recht in der Welt, in der antiken Welt, das humanste. Und deswegen, es geht nur über Zeugen. Und bei den Zeugen war es so, jeder Zeuge musste einzeln hereinkommen in den Gerichtssaal. Und bei Anwesenheit der Richter und des Beschuldigten musste er sein Zeugnis mündlich vortragen. Und dann muss er rausgehen. Und dann kommt der nächste Zeuge, der nicht gehört hat, was dieser Zeuge sagt. Die wurden auch vorher getrennt. Und wenn da nennenswerte Unterschiede waren, war das Zeugnis ungültig.

53:04
Es heißt ja auch mal im Talmud, das ist ein schlechter Hohe Rat, der alle sieben Jahre ein Todesurteil fällt. Also außerhalb der römischen Besatzung hat der Hohe Rat Todesurteile fällen und vollstrecken können, aber nicht in dieser Zeit. Und da heißt es, alle sieben Jahre ein Todesurteil. Das ist viel zu viel. Ein guter, hoher Rat, der erteilt vielleicht in 100 Jahren ein Todesurteil, aber doch nicht alle sieben Jahre. Also das ist die Humanität des jüdischen Rechts. Und mit einer Vorsorge ist das Zeugenrecht. Dass dieser Prozess, dieses Verhör kein Scheinverhör war, nicht irgendwie ein Justizmord oder so, merkt man ja darin, die Zeugenaussagen stimmen nicht überein. Ja, da merkt man doch, wie ehrlich und fair es zugegangen ist. Die hätten doch sagen können, wir kaufen ein paar Zeugen,

54:06
da kriegst du 300 Denare und jetzt sagt ihr mal das Gleiche, es wäre doch gelacht. In einem autoritären oder totalitären System, da würde man die Zeugenaussagen frisieren. Aber hier nicht. Dass eingestanden wird, die Zeugenaussagen stimmen nicht überein, zeigt die Qualität dieses Verhörs. Der Hohe Priester war schon ein verwöhnt reicher Typ, der auch gerne an seine eigenen Interessen gedacht hat, aber er war auf der anderen Seite ein anständiger Mensch. Er war kein Krimineller und er hatte schon ein gewisses Verantwortungsgefühl. Auch wenn man den Mann nicht idealisiert, man darf ihn bitte auch nicht verteufeln. Es heißt hier falsches Zeugnis. Das sagt der Markus. Da würde ich jetzt sagen, lieber Markus, Vorsicht! Christliche Propaganda.

55:02
Weil falsches Zeugnis ist im Judentum das Schlimmste, was es gibt. Weil alles Recht auf Zeugenrecht basiert, ist es sofort Todesstrafe, wenn ein Zeuge nicht die Wahrheit sagt. Es gilt in der Thora als das Schlimmste, was man tun kann. Es ist besser, wenn wir sagen, Belastungszeugen. Denn das ist ein juristischer Ausdruck, den es gab. Es treten Belastungszeugen auf. Wir können nicht einfach das Vokabular aus der damaligen Zeit heute übernehmen. Wir leben nach dem Holocaust. Ein bisschen vorsichtig werden. Also bis jetzt völlig fair. Man hat gemerkt, die Zeugenaussagen sind nicht verwertbar. Aber natürlich war klar, Jesus hat ja im Tempel die Tische umgeschmissen. Das bezweifelt doch keiner. Und die Vogelkäfige und die Geldbehälter.

56:06
Also dass der was gemacht hat, war ja jedem klar. Aber sape-a-lotte, die Zeugen können sich nicht einigen. Aber dem Kajafas war schon klar, er hat es getan. Jetzt machen wir mal weiter. 56. Viele nämlich gaben falsches Zeugnis gegen ihn, aber ihre Zeugenaussagen stimmten nicht überein. 56, 57. Und einige standen auf und legten eine falsche Zeugenaussage gegen ihn vor. 58? Ja. Wir haben ihn sagen hören. Ich werde diesen mit Händen gebauten Tempel niederreißen und bin drei Tagen einen anderen, der nicht mit Händen gebaut ist, erbauen. Ja. Jetzt kommt eine zweite Runde. Aus der ersten Runde ist gar keine wörtliches Zitat. Hier ist der Markus ganz knapp. Er will ja steigern. Er hat dramaturgisches Interesse. Jetzt in der zweiten Vernehmungsrunde wird ein Zitat eingespielt.

57:03
Wir haben ihn sagen hören. Ich will diesen Tempel in drei Tagen abreißen. Diesen Tempel, der mit Händen erbaut ist, abreißen und in drei Tagen einen neuen Tempel bauen, der nicht mit Händen erbaut ist. Dass Jesus irgendein Tempelwort gesagt hat, ist hundertprozentig. Selbst im Johannesevangelium sagt Jesus, reiß diesen Tempel ab. Also die sagen hier, ich reiß diesen Tempel ab. Das ist natürlich kühn. Aber bei Johannes heißt er, reiß diesen Tempel ab. Ist ja auch nicht viel besser. Also er hat irgendein Tempelwort gesagt. Das geistert auch durch das Neue Testament an sechs, sieben Stellen. Und auch im Neuen Testament wird es jedes Mal anders formuliert. Das ist ja oft so in aufgeregten Situationen. Du kriegst es nämlich genau auf die Reihe. Also dass Jesus ein Tempelwort gesagt hat, indem er das Ende des Tempels angekündigt hat und das Erscheinen oder den Aufbau eines neuen Tempels.

58:09
Davon können wir ausgehen. Aber die Formulierung kann man nicht mehr rekonstruieren. Jetzt müsst ihr hier wissen, in Jerusalem, also sagen wir mal 60.000 Einwohner, in Jerusalem gab es über 1000 bis 1500 Tempelfacharbeiter. Die haben nicht einen Denar verdient, sondern fünf bis acht Denare. Die haben also Spitzenlöhne, weil der Tempel war seit 46 Jahren eine Baustelle. Und Pilatus hat mal gesagt, wir können doch jetzt die Baustelle mal zumachen. Wir brauchen doch, der Tempel ist doch fertig. Ja, es stimmt eigentlich. Aber da sind die 1500 Tempelfacharbeiter auf die Straße und haben proletet. Die verdienen ja Mordgeld und ihre Familie, ihre Frauen, ihre Kinder. Also sagen wir mal 1000 Tempelfacharbeiter mit Frauen, Kindern sind das rund 10.000 Leute.

59:06
Und die leben von dem Geld. Die haben kein Interesse an einem Tempel nicht von Händen erbaut. Ja, davon können ja die Familien nicht leben. Denn ist viel lieber ein Tempel von Menschen an erbaut. Also allein die Tatsache, dass die bestbezahlten Facharbeiter damals über 1000 Tempelfacharbeiter waren. Also bei denen hat sich Jesus nicht beliebt gemacht. Nur dass ihr merkt, sobald man das in die Realität der Geschichte lässt, dann kommt kein so wolken Kuckuck rein. Aber sie konnten sich jetzt wieder nicht einigen. Ja, sapperlot. Jetzt versuche ich mich mal in die Rolle von Kayafas. Bei Markus wird ja der Name des Hohen Priesters nie genannt. In Matthäus, Lukas und Johannes wird genannt, er heißt Kayafas.

60:03
Warum bei Markus nichts, weiß man nicht. Es könnte sein, dass die älteste Quelle so alt ist, dass der Kayafas selber noch Hohepriester war. Kayafas war nämlich Hohepriester von 18 bis 37. Also 17 Jahre, 18 Jahre. Länger wie jeder andere. Der Mann war ein Fuchs, 18 Jahre in dem Posten. Ja, also, aber ist ja auch egal, das ist unwichtig. Gut, auf jeden Fall, Kayafas war sich im Klaren, ich muss ihn jetzt laufen lassen, weil das ist ein korrektes Verfahren. Das ist kein Schauprozess. Da müssen wir Christen aber gewaltig umlernen. Das ist ein ganz seriöses Verfahren. Ja, ich müsste ihn jetzt frei lassen. Jetzt fragt er ihn, sagst du nichts, antwortest du nichts. Zu dem, nein, Jesus schweigt.

61:00
Nach jüdischem Recht hatte der Angeklagte das Recht zu schweigen. Kann man nichts sagen. Humanes Recht. Und jetzt denkt sich der Kayafas, aber ich frage ihn jetzt selber. Das ist was Besonderes, denn das römische Recht ist ein Verhörsrecht. Ganz anderes Rechtsmodell. Das jüdische Recht ist ein Zeugenrecht. Aber der hohe Priester ist ungewöhnlich. Er steht auf und jetzt fragt er ihn selber. Dass hier die messianische Frage kommt, ist eigentlich sehr naheliegend. Denn beim Einzug in Jerusalem Hosianna rufe, was immer da im Einzelnen gewesen sein mag, das hat sich rumgesprochen, hier flackerten messianische Stimmungen auf. Und das schon ordnungspolitisch, sicherheitspolitisch. Die jüdischen Eliten, das war ein sehr sensibles Machtbalance.

62:04
Alle Störungen können hier das ganze sensible Ding zum Einsturz bringen. Und jetzt geht er in den Tempel und dann sagt er ein Tempelwort. Ich muss auch Folgendes sagen, seine ganze Basileia-Verkündigung, Reich Gottes, dass das Reich Gottes angefangen hat. Im Johannesevangelium sagen ja manche Christen, da redet er nur vom ewigen Leben. Ja, das hätte die Römer nicht gestört. Wenn da manche sagen, das ist doch das Gleiche. Das ist schon lange nicht das Gleiche. Jesus hätte lange vom ewigen Leben reden können. Das wäre dem Pontius Pilatus egal gewesen und dem Hohen Rat auch. Aber Reich Gottes ist ein politischer Begriff. Reich Gottes ist ein Anti-Reich gegen alle anderen Reiche, weil alle Reiche ungerecht sind und nur Gottes Reich wird Gerechtigkeit bringen.

63:01
Allein die Verkündigung des Reiches Gottes und vor allem, dass Jesus gesagt hat, mir hat es bereits begonnen. Da muss man sich ja wirklich fragen, wer glaubt denn der Mensch, dass er ist? Und diese Messiasfrage legt sich sehr nahe. Jetzt komme ich also an die entscheidenden Punkte, wo alles ungeheuer umstritten ist. Aber ich möchte euch den Lösungsweg sagen, den ich jetzt so in den letzten Jahren mir errungen habe, den auch viele andere, ich habe sie von den besten Lehrern, die mir überzeugend erschienen. Also es ist alles umstritten. Aber ich trage jetzt mal die Lösung vor, die ich nach 40 Jahren mit Abstand die beste halte. Ich werde mich hier sehr gegen die liberale Theologie wenden, die hier nicht sorgfältig arbeitet, leider.

64:02
Also jetzt fragt er. Erneut fragte ihn der hohe Priester, bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? Und die Antwort Jesu. Jesus aber sagte, ich bin es und ihr werdet sehen, den Menschensohn sitzend zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels. Der hohe Priester. Ja, so weit. Also jetzt kommt der dritte Teil, der Höhepunkt. Es sind auch dramaturgische Interessen. Jetzt kommt der Höhepunkt. Also Kajafas fragt, bist du der Messias? Es heißt im Griechischen bist du der Christus. Aber jetzt dürfte der Christus nicht christlich hören. Kajafas ist ja kein Christ. Und Sohn des Hochgelobten hat nichts mit dem christlichen Sohn Gottes zu tun. Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gar nichts. Kajafas kennt ja keine Trinitätslehre. Ich bitte euch. Es ist ein Jude. Also er fragt, bist du der Messias?

65:02
Jetzt müssen wir mal klären, wie verbreitet war damals die messianischen Erwartungen und was ist der Kern der messianischen Erwartungen? Das ist weitgehend heute geklärt nach langer, zäher Arbeit. Man kann heute mit höchster Wahrscheinlichkeit, also man kann sagen, ziemlich sicher, spricht alles dafür und nichts qualifiziert es dagegen. Die messianische Erwartung war zur Zeit Jesu weit verbreitet. Sie war allgemein bekannt, aber nicht jeder teilte sie. Also man kann sagen, zur Zeit Jesu, können wir davon ausgehen, jeder Jude wusste, dass diese Gruppierung und diese Gruppierung und diese Gruppierung eine sehr lebhafte oder leidenschaftliche oder moderate messianische Erwartung hatte.

66:00
Das war von den einzelnen Gruppen bekannt, aber nicht jeder Jude teilte diese Erwartung. Zum Beispiel die Priesterschaft, die Sadduzeher, haben sie sehr skeptisch weit überwiegend abgelehnt. Einmal aus konservativen Gründen, denn sie anerkennen nur die Thora als heilige Schrift und in der Thora gibt es nun mal keinen Messias. Er taucht erst auf in den prophetischen Schriften, in den Psalmen und das anerkennen aber die Sadduzeher nicht mehr als heilige Schrift. Also schon aus diesem konservativen Grund haben sie diesen ganzen Erwartungen sehr skeptisch gesehen und sie haben in denen auch für sich selber eine Gefahr gesehen, denn das in den messianischen Unruhen und in den messianischen Umwälzungen dann vielleicht auch ihre elite Position damit auch baden geht. Die Gefahr war ja nicht von der Hand zu weisen. Oder wenn Jesus sagt, die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten werden die Ersten sein,

67:04
das hört der Hohe Rat nicht so besonders gern. Also die messianischen Erwartungen waren relativ stark. Ich will mal einen ganz kurzen Überblick geben, welche Quellen gibt es da überhaupt, die wichtig sind. Es gibt einmal die Psalmen Salamos, das ist eine pharisäische Schrift aus ungefähr 50 v. Chr. und da, das ist also nicht die Psalmen in der Bibel, ist eine eigene Schrift, und da die in den Psalmen 17 und 18 wird ein davidischer königlicher Messias angekündigt, sehr deutlich. Dann gibt es die, ich kann das jetzt nicht erklären, ich will das nur mal jetzt in aller Öffentlichkeit mal kurz sagen, jeder dieser Hinweise müsste, bräuchte ich Zeit. Im Bilderreden des äthiopischen Henoch wird ein Menschensohn angekündigt, der aber zugleich der Gesalbte ist.

68:06
In Kapitel 48, 52 wird dieser Menschensohn der Gesalbte genannt und das heißt ja Messias. Also unser christliches Wort Christus ist die latinisierte Form des griechischen Christos und Christos ist die griechische Übersetzung von Messiach, das heißt Messias. Und Messiach heißt einfach der Gesalbte, weil bei der König, bei der Intronisation von Königen war unter anderem in dem Zeremoniell eine Salbung mit Öl vorgesehen. Und das nennte man Tarpas pro toto, jeder König ist ein Gesalbter und der erwartete Messias ist ja auch ein König, eine herrscherliche, königliche Gestalt und das war halt dann der Gesalbte. Gut, also und dann ist auch wichtig, 4. Esra, Kapitel 12, auch eine deutliche Messias-Erwartung davidischer Art.

69:04
Die gesamten Kumranschriften sind messianisch, die haben eine Doppelspitze. Die Kumranleute erwarteten zwei Messias, einen priesterlichen und einen königlichen. Da bin ich jetzt gerade unsicher, ob der auch davidisch war oder nicht. Nicht jede Messias-Erwartung war davidisch, aber wenn sie davidisch war, das heißt, wenn der Messias als Nachfahre Davids gegolten hat, das waren dann besonders kräftige messianische Erwartungen. Übrigens hat man in den letzten 50 Jahren heiße Diskussion, haben wir heute den Stand, Jesus aus Nazareth war tatsächlich ein Davidide. Das kann man heute auch öffentlich sagen, lang diskutiert worden kann, das bräuchte ich selber zwei Stunden. Aber wir können heute davon ausgehen, Jesus aus Nazareth stammt aus einer Familie, die sich auf David zurückgeführt hat.

70:03
Und wenn also Jesus selber ein Davidide war, auch wenn das die hohen Sanhedristen wussten, das weiß ich nicht, ob sie das wussten, dann war das noch irgendwie heißer. Also es gab keine einheitliche Messias-Erwartung, es gab keine Messias-Dogmatik. Es gab sehr unterschiedliche messianische Erwartungen und nicht jeder, der einen Umsturz gemacht hat, war gleich ein Messias. Zum Beispiel im Jahr vier vor Christus, als Herodes der Große starb, gab es Judas Ben-Hiskyah, der hat einen Umsturz versucht, Seferis wurde völlig zerstört, aber der hat keinerlei messianische Elemente gehabt. Also nicht jeder, der jetzt irgendwie zu einer Hoffnungsfigur da wird, war gleich Messias. Man muss das schon strenger prüfen. Es gibt, wenn man die ganzen, ich wollte noch sagen, außerdem gibt es noch den syrischen Baruch, das ist eine apokalyptische Schrift.

71:02
Die Bilderreden des äthiopischen Henoch stammen aus dem ersten Jahrhundert nach Christus, und zwar vor dem Jahr 70. Und vierte Esra, Kapitel 12, stammt auch aus dem ersten Jahrhundert, aber nach dem Jahr 70. 70 ist das Jahr, in dem der Tempel durch die Römer zerstört wurde. Dann gibt es noch den syrischen Baruch. Das sind die Kapitel 29 und 30 und 39 und 40 wichtig, auch starke messianische Erwartungen. Dann gibt es die Septuaginta, die griechische Übersetzung. Und da kann man erkennen, dass die Art, wie die Septuaginta die Psalmen ins Griechische übersetzt, dass die messianischen Erwartungen steigen. Dann gibt es noch die aramäische Übersetzung, die Targume, das sind die aramäischen Übersetzungen. Der Targum zum Beispiel zu Psalm 42 weist deutliche messianische Erwartungen auf.

72:03
Ob es einen Messias-Anwärter vor Jesus schon gegeben hat, kann man nicht richtig beantworten. Es gibt keine sicheren Belege. Wir können mal davon ausgehen, dass Jesus der Erste war, der wirklich mit messianischer Frage konfrontiert wurde. Aber nach Jesus nahm das sofort zu. Zum Beispiel im Jahr 36, also sechs Jahre später, hat ein samaritanischer Prophet verkündigt, folgt mir auf den Berg Garizim, da werde ich euch die heiligen Kultgeräte zeigen. Die Römer sind gekommen, haben ein Blutbad angerichtet. Zehn Jahre später, 45 nach Christus, kam Teutas, ein messianischer Gestalt. Er führte die Juden an den Jordan, also sehr viele Gefolgsleute. Ich spalte den Jordan und wir können noch einmal ins gelobte Land einziehen.

73:01
Es endete auch in einem Blutbad. Und dann unter dem Prokurator Felix 52 bis 60 mehrere Gestalten, die viele jüdische Anhänger in die Wüste geführt haben. Und dort werden Wunder der Freiheit geschehen. Alles Kokolores, vor allem der Ägypter heißt einer. Josephus berichtet von ihnen, aber er sagt nie Messiasse, weil Josephus war römerfreundlich. Und da war das Wort Josephus meidet generell das Wort Messias. Das ist ihm gegenüber den Römern viel zu heikel. Und bis zum Aufstand 66 und 70 zur Zerstörung nahm das messianische Fieber, die messianischen Sehnsüchte immer mehr zu und auch die messianischen Angebote. Selbst als Jerusalem schon umlagert war, gab es in der Stadt messianische Auflagern, bis zum bitteren Ende.

74:00
Also was ist der Kern der messianischen Erwartung? Ein Messias ist eine königlich herrscherliche Gestalt, die von Gott eine besondere Erwählung hat. Diese Erwählung kann präexistent sein, also vor Grundlegung der Welt. Das heißt aber nicht, dass es irgendwie eine göttliche Gestalt ist. Also unser christlicher Sohn Gottes müsst ihr völlig jetzt mal draußen lassen. Wesensgleich mit Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Diese Sohn im Sinne der christlichen Trinität spielt hier überhaupt gar keine Rolle. Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? Das kann Kajafas durchaus so gefragt haben, weil der Sohn des Hochgelobten ist eine jüdische Redeweise, die die Christen später so gar nicht mehr gehabt haben. Also das ist im Munde des Kajafas möglich. Was ist mit Sohn des Hochgelobten gemeint?

75:02
Ja das Gleiche wie Messias. Jeder Messias ist auch der Sohn des Hochgelobten. Warum? Weil in 2. Samuel 7 sagt der Prophet Nathan zu David, Gott sagt zu dir, ich will dir Vater sein und du sollst mir Sohn sein. 2. Samuel 7, 14, Nathan, der Prophet, in einer Gottesrede. Gott will dir Vater sein und du sollst ihm Sohn sein. In Psalm 2 heißt es, du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Sohn meint hier so im Sinne der Adoption, du bist mein Rechtsvertreter auf Erden. Das sind also keine himmlischen Figuren, die göttlich sind. Das sind ganz normale Menschen. Also auch wenn der Messias präexistent ist, das ist er in einigen Texten. Das meint nur, die Erwählung dieses Menschen hat sehr früh stattgefunden.

76:02
Aber es ist ein ganz normaler Mensch. Also bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten, heißt einfach bist du der Messias. Das Wort Sohn des Hochgelobten ist einfach, so wie man sagen könnte, bist du der Bundeskanzler, der Chef im Kabinett. Ist das Gleiche. Der Bundeskanzler ist Chef im Kabinett. Also beide Begriffe meinen genau das Gleiche. Nicht, dass ihr meint, Jesus hat sich hier selber vergottet und das sei die Gotteslästerung. Das ist ein christlicher Quatsch. Ihr müsst zurück in jüdische Denkweisen. Das ist jetzt sehr wichtig. Das ist zum Teil auch wirklich ein bisschen eine Bildungsfrage. Also der Kajafas hatte Grund genug zu sagen, ich halte es durchaus für möglich, dass dieser Typ Einzug in Jerusalem, Tempelkritik, Tempelwort und Basileia Verkündigung,

77:02
die mit ihm beginnt, der Typ hat messianische Ansprüche. Zumindest wollt ihr das mal abfragen. Das wollt ihr euch mal wissen. Die Frage lag historisch durchaus sehr nahe, ist sehr plausibel. Und er kann sich ja dann denken, wenn ich den direkt frage und er hält sich für den Messias, dann muss er ja auch dazu stehen. Wenn er dann es leugnet, dann ist er ja vor sich selber kaputt. Dann kann er sich vor seinen Anhängern... Also wenn er sich für den Messias hält, dann muss er es jetzt bekennen. Ja, und ich hätte es auch so gemacht. Das ist ja völlig berechtigt. Sie wollten ja auch die Anklage vorbereiten. Jetzt frage ich den selber und falls er ja sagt, ist die Sache abgekürzt. Brauchen wir gar nicht mehr lang Zeugen verhören.

78:00
Also die Frage war sehr historisch plausibel und sie wird rein in jüdischer Weise gestellt. Es ist in dieser Frage nichts Christliches später eingetragen. Jetzt, Jesus sagt, ich bin es. Also er sagt, klar, ja. Jesus hat bei den Synoptikern bisher sich nie als Messias bekannt in der Öffentlichkeit. Das wäre auch nicht möglich gewesen, weil der Messias Begriff war nationalistisch und militaristisch besetzt. Wenn du der Messias bist, dann bist du ein militärischer Oberbefehlshaber. Besiegst die Feinde Israels und machst ein Friedensreich. Also das muss ich noch sagen. Der Kernbereich der messianischen Erwartung, wo alle Gruppen übereinstimmten, ist der. Der Messias ist ein endzeitliche, königlich herrscherliche Gestalt, von Gott auf besondere Weise legitimiert, zum Teil vor Grundlegung der Welt,

79:02
aber trotzdem ein ganz normaler Mensch. Und er wird die Feinde Israels wunderhaft militärisch besiegen auf übernatürliche Weise. Und dann wird er ein großes Friedensreich ausrichten, einen inneren und äußeren Frieden. Das ist die messianische Erwartung im Kern. Darin stimmten alle jüdischen Gruppen überein. Also aber es ist eine militärische Gestalt. Also Jesus hat diesen Begriff bei den Synoptikern nie benutzt, ist auch völlig klar. Nur im Jüngerkreis selber sagte er einmal, was meint denn ihr, wer ich bin? Und dann sagt Petrus, du bist der Messias. Da sagt Jesus, das sagst du aber bitte niemand. Steh' Antwort, Jesu. Bloß nicht in der Öffentlichkeit. Aber jetzt, im Prozess, jetzt kann man den Begriff nicht mehr missverstehen.

80:02
Er steht ja gefesselt da. Er kann mit diesem Begriff auch kein Prestigegewinn erreichen. Er ist ja ein Verhafteter, ein Bedrohter, der sein Urteil, Jesus wusste, dass er nicht mehr lange lebt, das merkt man ja im Abendmahl. Im Abendmahl sagt Jesus, ich werde nicht mehr von dem Gewächs des Weinstocks trinken, bis ich der mal eins trinke im Reich Gottes. Also in dieser Gewissheit hat Jesus mit seinem Tod gerechnet, aber auch mit der Überwindung seines Todes, wie immer, und dass er im Reich Gottes dann wieder Wein trinken wird. Also diese Gewissheit können wir bei Jesus jetzt schon, dieser Satz ist unverdächtig, weil er wird in keiner Abendmahlsliturgie übernommen. Also der Satz, der gilt wirklich als ein Satz des historischen Jesus. Also Jesus sagt, ich bin es. Jetzt in dieser allerletzten Stunde als Gefesselter, als Verhafteter, als Bedrohter,

81:04
kurz vor seinem Tod, steht ja auch Jesus in einer einzigartigen Situation. Bei den Jüngern sagt er, ich werde wieder Wein trinken. Also da ist ein sehr bescheidenes Wort. Aber jetzt gegenüber dem Hohen Rat tritt Jesus auch hart und hoheitlich auf. Jetzt bekennt er Farbe. Man kann es ja gar nicht mehr missverstehen. Also er sagt, ja, ich bin es. Ich halte das mit allen meinen qualifizierten Lehrern, die sich jahrzehntelang damit beschäftigt haben. Es ist sehr einleuchtend, dass Jesus so geantwortet hat. Also ich halte das für historisch. Ich sage nicht, dass die einzelnen Worte wörtlich, es ist alles nachösterlich, summarisch. Es sind alles nachösterliche Formulierungen, aber sie geben vorösterlich einen echten plausiblen Sinn.

82:04
Gut, aber jetzt, jetzt kommt noch viel mehr. Und ihr werdet sehen, den Menschensohn kommen mit den Wolken des Himmels. Das haut dem Fass den Boden raus. Also das, was Jesus jetzt sagt, so versteht er Messias. Also das, was er jetzt sagt, ist einfach explikativ. Ich erkläre euch jetzt, was ich darunter verstehe. Also Jesus hat sich schon als Messias verstanden, aber in einer Version, die er jetzt mal ganz klar sagt. Ihr werdet sehen, den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels. Das ist ein Mischzitat. Ihr werdet sehen, den Menschensohn kommen mit den Wolken des Himmels.

83:02
Er geht zurück auf Daniel 7 Vers 13, 14. Tine, lies mal. Daniel 7, 13 bis 14 ist ein unheimlich wichtiger Text. Er ist der Ausgangspunkt für alle apokalyptischen Weiterentwicklungen. Die berufen sich alle auf diesen Text. Lies mal vor. Immer noch hatte ich die nächtlichen Visionen. Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter. Das ist der Gründungstext aller Apokalyptik. Daniel hat eine Vision.

84:02
Ich habe wieder eine Vision gehabt. Da sah ich jemand kommen mit den Wolken des Himmels. Das sagt Jesus hier auch. Der aussah wie ein Menschensohn, ein Menschengestaltiger. Der kommt aber nicht auf die Erde in dem Text. Sondern er wird zu dem Hochbetagten gebracht. Das ist Gott. Er wird vor den Hochbetagten gebracht. Es heißt nicht, er sitzt neben ihm auf dem Thron. Das wäre blasphämisch. Nein, der Menschensohn kommt nicht mit den Wolken auf die Erde. Sondern er kommt mit den Wolken vor den Hochbetagten. Da wird ihm sein Amt übergeben. Er wird hier also designiert. Er bekommt die richterliche Herrschaft und Gewalt über alle Völker. Er übernimmt das Weltgericht. Aber es steht nur, er wird zu dem...

85:01
Lies mal diese Formulierung, die ist ganz wichtig. Diesen ersten Vers. Immer noch hatte ich die nächtlichen Visionen. Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten. Und wurde vor ihm geführt. Nicht mit Sitzen, sondern zu Rechten auf dem Thron. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Ihm wurde jetzt Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Super gut. Auf diesem Text spielt Jesus an. Der kennt diesen Text. Was soll da nicht historisch sein? Da bleibe ich gegenüber der liberalen Theologie ganz cool. Ich habe viele Argumente, die ich dort nie gefunden habe. Jetzt mischt aber diese Auskunft. Ich sage nicht, dass das wirklich so geschehen ist.

86:01
Der Text ist kein Faktenprotokoll. Aber sachlich gesehen ist das alles historisch möglich, plausibel und zutreffend. Es gibt alles einen sehr guten Sinn. Er zitiert noch eine andere Stelle. Nämlich Psalm 110, Vers 1. Dieser Psalm heißt, Gott sprach zum König. Setze dich zu meiner Rechten. Bis ich deine Feinde als Schemel deiner Füße unter dich lege. Ich sage das noch einmal. Psalm 100 ist ein Königspsalm. Gott sprach zu meinem Herrn, gemeint ist der König. Setze dich zu meiner Rechten. Bis ich deine Feinde als Schemel unter deine Füße lege. Dieser Psalm ist das häufigst zitierteste

87:00
alttestamentliche Wort im Neuen Testament. Psalm 110, 1 ist der häufigste Referenztext, Bezugspunkt vom Alten Testament im Neuen Testament. Eine ungeheuer wichtige Stelle. Jetzt müssen wir diesen Satz erst einmal jüdisch interpretieren. Weil der Psalm hat ja ein gewisses Alter. Und im Alten Testament musste er ja auch irgendwie einen Sinn gehabt haben. Also wie ist Psalm 110, Vers 1 vor einigen hundert Jahren jüdisch interpretiert worden? So, dass Gott zu jedem jüdischen König sagt, sagt ja auch, du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Das ist Psalm 2. Das gilt auch für jeden König. Sohn meint nicht christlicher Sohn, sondern meint, du bist mein Rechtsvertreter. Ist eine Adoptivbeziehung, ist eine Metapher,

88:00
ist nicht biologisch gemeint. Der Sohn ist nicht wesensgleich mit Gott. Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Sohn ist hier so adoptiv, ist an so einer Stadt mein Rechtsvertreter auf Erben. Ja, also was heißt es zu meiner Rechten? Ja, jeder Jude hat es so verstanden, so wurde es verstanden. Sitze zu meiner Rechten, was ist das? Ja, das ist der Königsthron in Jerusalem. Der König, sagen wir mal, David oder Salomo, die hatten ja ein Königspalast und da war ein Thron. Und der Tempel, der war neben dem Königspalast, also 30, 50 Meter neben dem Königspalast, war der Tempel, der Salomonische Tempel. Der war innerhalb der Mauern vom Königspalast. Er war sozusagen Teil des königlichen Palastgeländes. Der König Salomo und die anderen Könige waren ja auch die, die den Tempel finanziert haben, die Renovierung besorgt haben,

89:03
die Priester bezahlt haben. Der König war der irdische Chef vom Tempel. Und im Tempel, im Allerheiligtum, war die Bundeslade und auf der Bundeslade war das Kapore, der Sühnedeckel. Das waren so zwei Cherubim, die sich angeguckt haben. Und nach der jüdischen Tempeltheologie thront Gott direkt über diesen Cheruben. Also das Allerheiligtum im Tempel ist auch ein Wohnort Gottes. Gott wohnt auch im Himmel, aber er wohnt auch auf Erden, an seinem erwählten Ort Allerheiligtum, auf dem Zion, nämlich direkt über den Cheruben. So hat man sich das vorgestellt, unsichtbar. Und so kann man das verstehen. Und du sitzt zu meiner Rechten. Das ist 50 Meter nach rechts, ist der Königspalast und da sitzt der König.

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Also so ist die jüdische Interpretation. Gott thront im Allerheiligtum und zu seiner Rechten thront der König von Jerusalem auf seinem Thron. Und die waren wirklich nebeneinander. Aber Jesus jetzt, und das hat es noch nie gegeben, da gibt es keinen messianischen Text. Er sagt, ich sitze im Himmel neben seinem Thron. Weil ich komme ja mit den Wolken des Himmels. Also das ist eine solche Veränderung. Das ist das Blasphemische. Ich sitze auf dem himmlischen Thron neben Gott und ich komme vom Himmel her mit den Wolken als Weltenrichter auch über euch. Also was heißt das? Jesus bringt jetzt eine Interpretation des Messias, die völlig neu ist, die man aber Jesus zutrauen kann.

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Ich sag gleich, warum? Das erfinden spätere Christen gar nicht. Da wären die überhaupt nicht drauf gekommen. Also er maßt sich jetzt etwas an in dieser Kombination von Daniel 7, 13 und Psalm 110, 1 maßt er sich etwas an, was niemals auch die höchsten jüdischen Messias-Aussagen niemals hergegeben haben. Und jetzt sage ich euch, warum das historisch sein muss. Möchte ich mal allen liberalen Theologen ganz ruhig sagen. Weil diese Prophetie nicht in Erfüllung gegangen ist. Deswegen kann sie keine Erfindung sein. Kein Christ würde nachträglich etwas erfinden, was nicht in Erfüllung gegangen ist. Weil in der historischen Situation muss man das zunächst schon so verstehen, ihr werdet ziemlich bald,

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also zu euren Lebzeiten. Jesus bedroht jetzt sogar das Gericht. Er macht nicht nur ein Geständnis, er bedroht sie. Er sagt, ich rechne mit meiner Rehabilitierung durch Gott und dass Gott mich als Weltenrichter und Menschensohn zurückschickt. Wobei, wenn man den Text mal ganz historisch versucht zu lesen, vor allen christlichen Gehirnwindungen, Jesus sagt gar nicht, dass er der Menschensohn ist. Das sagt er gar nicht. Man kann den Text nämlich so lesen, dass Jesus sich mit diesem Menschensohn nur parallelisiert. Und das ist überhaupt nicht christlich. Weil die Christen auch Markus selber, für Markus ist natürlich ganz klar, der Menschensohn, das ist Jesus selber. Aber in dem Text selber steht das gar nicht direkt. Es ist umstritten, ob Jesus überhaupt den Menschensohnbegriff

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verwendet hat. Da brauche ich Stunden. Es gibt auf jeden Fall Menschensohn-Worte, wo Jesus sich selber gar nicht mit dem Menschensohn identifiziert. Und die gelten als die Ältesten. Jesus sagt zum Beispiel, wer sich meiner bekennt, von dem wird sich auch bekennen der Menschensohn. Wer sich meiner schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommt. Bei diesen Stellen kann man noch merken, dass Jesus nicht unbedingt der Meinung war, dass er selber der Menschensohn ist. Er hat sich sozusagen nicht mit ihm direkt identifiziert. Und hier auch nicht. Und das ist ein Zeichen, dass es nicht einfach christlicher Eintrag ist. Und ihr werdet mich sehen, ihr werdet mit eigenen Augen sehen, dass ich über euch zu Gericht sitze. Oder dass der Menschensohn, ich tendiere eher dazu,

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dass Jesus sich hier noch gar nicht mit dem Menschensohn identifiziert. Dass er aber weiß, was der Menschensohn machen wird. Also Jesus rechnet mit seiner Rehabilitierung durch Gott. Und dass der Hohe Rat das Gericht des Menschensohnes zu erwarten hat. Ihr werdet sehen. Ja, das heißt bald, demnächst. Und das ist nicht eingetreten. Das merkt man jetzt bei Lukas, bei Lukas 22. Lukas übersetzt diese Antwort von Jesus folgendermaßen. Ab jetzt ist hochinteressant, Lukas ändert diese Antwort ab, christlich. Er ändert sie christlich ab. Lukas sagt nicht mehr, ihr werdet sehen. Weil das wagt er nicht mehr. Weil das bis zu seiner Zeit ja nicht eingetroffen ist. Er sagt einfach, der Menschensohn sitzt ab jetzt neben der Kraft Gottes.

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Lukas merkt auch gar nicht, dass Kraft ja selber schon Gott ist. Lukas ist Muttersprache Griechisch. Er sagt, sitzen neben der Kraft Gottes. Das ist jetzt christlich. Aber sitzen neben der Kraft, das ist jüdisch. Er sagt nicht mehr, ihr werdet sehen. Lukas macht aus einer Parosie-Ansage eine Erhöhungskristologie. Das ist christlich. Aber Jesus sagt, ihr werdet sehen. Also ich darf sagen, niemand erfindet nachträglich eine Prophezeiung, die wirklich so nicht eingetreten ist. Und das ist ein sicherer Hinweis, dass diese Antwort historisch ist. Das erfindet man später nicht. Also das war die Antwort Jesu. Der hohe Priester zerreißt sein Kleid.

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Das ist Ausdruck des Entsetzens. Der Mann, kein Messier, der behauptet, dass er beim himmlischen Thron neben Gott sitzt. Und dass er weiß, dass dann der Menschensohn, was der Menschensohn dann machen wird. Das ist für ihn die Lästerung. Weil ihr, darf ich euch sagen, in 50 Jahren streiten Hunderte von Leuten, wo ist denn da eigentlich eine Gotteslästerung. Das ist die Uminterpretation von Psalm 110 auf ein Sitzen neben dem himmlischen Thron. Das ist in Psalm 110 ja gar nicht intendiert. Und außerdem ist es auch kolossal, dass jemand als Gefesselter sagt, er ist der Messias. Es gab ja später so Messias-Anwärter. Der berühmteste ist der Bal Kochba. Der hat gesagt, ich bin der Messias. Und Rabbi Akiba, das war damals 132, der bekannteste Rabbiner, der hat gesagt,

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ja, ich bin auch der Ansicht, du bist der Messias. Dann kam ein Aufstand, die Römer haben alles kaputt geschlagen. Und dann war klar, er war es halt nicht. Also jeder, der sagt, er ist der Messias, das ist keine Gotteslästerung. Aber dann sollte er auch mal zeigen, dass er der Messias ist. Und dann kommt ein Aufstand. Und wenn der niedergeschlagen ist, dann war es nicht. Aber Jesus ist ja schon niedergeschlagen. Er ist ja einfach im Kietrontal gefesselt worden. Das kann doch nicht der Messias sein. Gott würde doch nicht seinen Messias. Also das hat es noch nie gegeben, dass jemand als Verhafteter gefesselt vor dem Hohen Rat steht und sagt, ja, ich bin der Messias. Da würde ich sagen, das ist eigentlich auch schon fast lästerlich. Weil das ist eine verhohne Piepelung von jedem ernsthaften Messiasanspruch. Aber diese Antwort Jesu insgesamt rückt zum ersten Mal sein Messiasverständnis in volles Licht.

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Und das ist keine nachträgliche christliche Eintragung. Das macht historisch einen sehr guten, plausiblen Sinn. Und dann wird er angespuckt. Das muss man machen. Man muss, wenn man eine Gotteslästerung hört, sein Kleid zerreißen. Also Kajafas ist entsetzt. Und dann muss man denjenigen anspucken. Das ist vorgeschrieben. Und dann verhüllen sie ja sein Gesicht und sagen, wer hat dich geschlagen? Und dann merkt man, dass diese Prophetie, Jesus redet ja hier von der Zukunft prophetisch, ihr werdet sehen den Menschensohn kommen mit den Wolken des Himmels. Also es ist eine Prophetie. Und jetzt sagen sie, du bist doch ein Prophet, natürlich ein falscher. Jetzt binden sie ihm zu und schlagen ihn ins Gesicht und sagen, bist doch ein Prophet,

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sag uns, wer hat dich geschlagen? Also diese Reaktion ist damals üblich. Das sind Entrüstungsreaktionen, Ausdruck des Entsetzens und dass man mit dieser Gotteslästerung nichts zu tun haben will. Das ist also nicht privat, dass die sich da nicht mehr beherrschen. Das sind Gesten der religiösen Entrüstung. Also so kam es zu Akkaifers Wagt, was brauchen wir weitere Zeugen, was meint ihr? Ti humais fineta, was ist fineta, was ist eure Meinung? Er verdient den Tod. Das ist kein rechtskräftiges, juristisches Todesurteil, das steht dem Hohen Rat überhaupt nicht zu, sondern das ist die Klärung der Anklage. Wir werden mit dieser Anklage zu Pilatus gehen. Also es ist kein Prozess, es ist kein rechtsverbindliches Todesurteil,

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es ist die Klärung in dem Vorverhör. Die Anklage ist jetzt klar aufgrund der Antwort Jesu.

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PASSION II: Das nächtliche Verhör vor dem Hohen Rat (Markus 14, 53-65) | 9.3.2

Worthaus 9 – Tübingen: 9. Juni 2019 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Die Römer und Priester sind nervös. Das Pessachfest steht an, Tausende Juden sind nach Jerusalem gereist. Sicher sind auch einige dabei, die den Dolch unterm Mantel tragen, Aufrührer, Rebellen, Zeloten. In diesen brodelnden Kessel aus religiöser Euphorie und politischer Spannung zog Jesus wenige Tage vor seinem Tod. Kurz darauf wird er verhaftet. So weit ist die Geschichte bekannt. Aber was hatte er eigentlich verbrochen? War es nur die Behauptung, er sei der Messias? Warum sollten die Römer deswegen die Todesstrafe verhängen, was interessierte sie ein jüdischer Wanderprediger, der jüdische Priester verärgerte? Oder hatte Jesus schon bei seinen Predigten in Galiläa den entscheidenden Fehler gemacht, der die Römer gegen ihn aufbrachte? Siegfried Zimmer beschäftigt sich hier mit einem der umstrittensten Texte des Neuen Testaments anhand der Frage: Warum genau musste Jesus sterben?