Das israelitische Recht Das israelitische Recht. Nicht das israelische Recht. Wenn man vom modernen Staat Israel spricht, dann sagt man das israelische Recht. Und wenn man vom alttestamentlichen Israel spricht, dann formuliert man das israelitische Recht. Mit dem Begriff israelitisches Recht meine ich die Summe aller Rechtsvorschriften in den fünf Büchern Mose. Sie sind zusammengefasst vor allem in der zweiten Hälfte vom zweiten Buch Mose, Buch Exodus, ab Kapitel 20. Dann das ganze dritte Buch Mose, nennt man auch Leviticus, das ganze vierte Buch Mose, Numeri und das ganze fünfte Buch Mose, Deuteronomium.
Also die Rechtstexte sind vor allem ab der zweiten Hälfte des Exodus Buches. Und diese Gesamtheit der Rechtsbestimmungen nennt man in der Wissenschaft auch die Sinai-Torah. Weil das erste Buch Mose sind ja Erzählungen, Schöpfung, Erzväter, das sind keine Rechtstexte. Und in der ersten Hälfte vom zweiten Buch Mose sind auch Erzählungen, die Exodus Erzählungen. Also die Rechtstexte für sich nennt man im Unterschied zur Torah, wenn man alle fünf Bücher Mose meint, nennt man speziell die Sinai-Torah. Wenn also in irgendeinem Fachbuch steht die Sinai-Torah, dann meint man eben die Summe aller Rechtstexte ab der zweiten Hälfte des Exodus Buches. Das israelitische Recht ist kein traditionelles Thema der Christenheit.
Es gibt diese Themaformulierung, das israelitische Recht, erst seit ungefähr 50 Jahren, vorher nicht. Denn in den Jahrhunderten der christlichen Tradition hat man die Torah eben das Gesetz genannt. Die Juden sind gesetzlich. Es mischten sich also sehr schnell so anti-jüdische Vorurteile in diese Formulierung, die gesetzlichen Juden. Und die Torah ist der jüdische Sachsenspiegel, sagt Luther einmal. Also diese Gesetze der Juden betreffen uns Christen, abgesehen von den zehn Geboten, eigentlich nicht besonders. Das hat sich inzwischen Gott sei Dank geändert. In der alttestamentlichen Wissenschaft hat man erkannt, dass allein die Formulierung, die Gesetze des alten Testaments uns auf negative Assoziationen bringen.
Es geht nicht einfach um Gesetze. Dann hören vor allem wir Protestanten immer gleich gesetzlich. Wir haben das Evangelium und die Juden sind gesetzlich. Also der Begriff Gesetz ist vor allem in religiöser Hinsicht im Protestantismus eher negativ belegt. Und damit hat man diese ganze Thematik sich selber verbaut. Nein, es geht um Recht, das wir einordnen in die Rechtsgeschichte, in die Kulturgeschichte. Und dann wird die Sache sehr kostbar und wertvoll, denn das Recht ist etwas sehr Kostbares. In der Liebe geht es nicht nur um spontane Handlungen zwischen zwei Menschen oder sonst um karitative Aktionen. Nein, das Recht selber kann durchaus eine Gestalt der Liebe sein.
Nämlich wenn das Recht gut ist, regelt das Recht verbindlich das Zusammenleben der Menschen einer ganzen Bevölkerung. Und das kann auf Dauer viel mehr bringen als schöne, romantische, spontane Handlungen. Also das Recht ist an sich etwas äußerst wertvolles und Kostbares. Wenn zum Beispiel Paulus sagt, der Glaube, der in der Liebe tätig wird. Dann meint Paulus mit dem Begriff Liebe immer die Thora. Die Rechtsbestimmungen der Thora, die sind für Paulus ein Ausdruck der Liebe. Also so hat sich Gott sei Dank in der alttestamentlichen Wissenschaft der letzten 50 Jahre von dem vorurteilsgespickten Thema die Gesetze der Juden in das israelitische Recht. Ist eine ganz andere Ausdrucksweise und ist in sich schon eine Überwindung vieler Vorurteile.
Ich will an dieser Stelle einen kleinen Exkurs einbauen zu dem Begriff Tradition. Denn ich habe ja gesagt, das Thema das israelitische Recht ist kein traditionelles Thema. Es gibt es in der gesamten christlichen, katholisch evangelischen Tradition nicht, diese Formulierung. Und deswegen ein paar Worte zur Tradition. Ich meine die christliche kirchliche Tradition. Einer meiner Lehrer, Professor Eberhard Jüngel aus Tübingen, hat immer wieder in seinen Vorlesungen gesagt, die christliche Tradition verdient einen kritischen Respekt und eine respektvolle Kritik. Also sie verdient Kritik, aber die Kritik muss respektvoll sein.
Es gibt in der christlichen kirchlichen Tradition zahllose wertvolle Goldstücke, Männer und Frauen, die wir nicht vergessen dürfen, von denen wir viel lernen können. Lisa von Avila, Hildegard von Bingen, Elisabeth von Thüringen, Edith Stein, Simone Weil. Oder auch Männer wie Franziskus, Comenius, Pestalozzi, Kolping. Also es gibt wirklich enorme Gestalten in der christlichen Tradition, die unsere Liebe und unsere Achtung und unser Interesse verdienen. Aber es hat keinen Sinn, die Tradition schön zu reden. Zu mir hat einmal ein recht traditionalistischer katholischer Theologe gesagt, Herr Zimmer, was 2000 Jahre richtig war, kann heute nicht falsch sein. Habe ich gesagt, doch, kann es schon. So einfach ist es nicht.
Wir haben 2000 Jahre lang Judenfeindschaft, anti-jüdische Vorurteile, wirklich 2000 Jahre, sie sind heute noch nicht wirklich ganz überwunden, je nachdem in welchen Kreisen man sich bewegt. Oder wir haben 2000 Jahre lang Abwertung der Frau, viele Jahrhunderte eine mehr oder weniger indirekte Sexualängstlichkeit und Sexualfeindlichkeit. Wir haben eine jahrhundertelange Ketzergesetzgebung. Jahrhundertelang wurde gelehrt, dass das vierte Gebot für Kindererziehung ist oder dass der Weggang des verlorenen Sohnes vom Vaterhaus Sünde wäre. Ist es aber gar nicht. Es ist völlig normal, es ist rechtlich so möglich gewesen. Also ich höre jetzt an der Stelle auf. Was 2000 Jahre lang als richtig galt, kann in nicht wenigen Fällen ein 1000 Jahre alter Fehler sein, von dem wir uns heute verabschieden müssen.
Es hat also wenig Sinn, die Tradition schön zu reden und die Moderne abzuwerten. Wir müssen nach beiden Seiten differenzieren. Es gibt sehr kostbares, wertvolles in der Tradition, aber auch schwerwiegende, chronische, jahrhunderte lange Fehler, die wir auch benennen dürfen müssen. Und die Moderne hat auch zwei Gesichter. Es ist zweischneidig. Die Aufklärung hat wertvolle Seiten und sie hat kritische Seiten. Ich huldige keinem Fortschrittsglauben. Ich sage nicht je moderner, desto besser. Ich bin also weder Traditionalist noch Modernist. Das ist beides zu schwarz-weiß. Also mit dem Thema das israelitische Recht. Verlasse ich bewusst und aus Überzeugung eine jahrhundertealte schlechte Tradition?
Ich möchte zunächst die Besonderheiten im israelitischen Recht ins Blickfeld rücken. Das israelitische Recht ist natürlich in hunderterlei Dingen sehr ähnlich, wie überhaupt das altorientalische Recht. Die Bibel ist auch Kind ihrer Zeit. Aber im israelitischen Recht gibt es sehr auffällige Besonderheiten, die es nirgendwo im alten Orient gibt. Und die zeigen doch eine besondere Qualität des israelitischen Rechts. Der allerwichtigste Punkt möchte ich gleich zu Beginn nennen. In allen altorientalischen Staaten, wobei der Begriff Staat ist ein moderner Begriff, den man auf die reiche, die altorientalischen Reiche eigentlich nicht anwenden kann, weil ein Staat setzt eine Verfassung voraus und andere Dinge, die gibt es in der Antike gar nicht.
Ich verwende aber jetzt mal den Begriff Staat trotzdem einfach, weil es einfacher ist. Wir müssen nur wissen, der Begriff Staat ist eigentlich streng genommen ein moderner Begriff. Also in allen altorientalischen Staaten ist das Recht ein Königsrecht. Der König verkündet nicht nur das Recht, der König erlässt auch das Recht. Alles Recht ist Königsrecht. Der König ist auch die Personifizierung des Staates und damit des Rechts. Man könnte also auch sagen, alles altorientalische Recht ist staatliches Recht. Aber das heißt im Alten Orient, es ist Königsrecht. Gegen einen König kann man sich auf kein Recht berufen. Also der König steht über dem Recht. Er erlässt es, er verkündet es.
Und König ist ein sehr weiter Begriff. Es kann der König sein von einem großen Reich wie Ägypten. Der nennt sich dann halt Pharao. Aber König kann auch ein Stadtkönig sein. Der ist eben nur König über eine Stadt. Das Gemeinsame ist, alle großen, mittleren und kleinen Staaten waren autokratisch verfasst. Sie hatten eine autokratische Spitze, waren monarchisch verfasst. Und das nennen wir einen König. Der König hatte alle politische Macht in seiner Hand. Es gab noch keine Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung und Justiz. Der König war oberster militärischer Befehlshaber, Befehlshaber. Er war oberster politischer Machthaber. Er war aber auch für alle Staatstempel verantwortlich. Er hatte auch die Staatsreligion in seiner Hand. Also er hatte das Monopol der politischen Macht in jedem Bereich.
Und deswegen waren Könige natürlich enorm staatstragend. Das war praktisch in Begriff einer altorientalischen geordneten Welt. Die Götter wollen, dass es Könige gibt. Es wird immer Könige geben. Es geht ja nicht anders. Von daher ist es enorm auffallend, dass im israelischen Recht der König unter dem Recht steht. Nicht über dem Recht. Das israelitische Recht ist das einzige Recht im Alten Orient, in dem der König nicht über dem Recht steht, sondern unter ihm. Das wird besonders deutlich in einem Königsgesetz, das es im fünften Buch Mose, Kapitel 17 von Vers 14 angibt. Es gibt ein Gesetz über den König. Das ist einmalig in der damaligen Welt, äußerst verblüffend.
Hört euch mal dieses Gesetz im Original an. Wenn du in das Land kommst, das Jahwe dein Gott dir geben will, und du es besetzt und dich darin niederlässt, und dann sprichst, ich will einen König über mich setzen, wie alle Völker rings um mich her, so sollst du einen König über dich setzen, den Jahwe dein Gott erwählt. Du sollst aus deinen Brüdern einen König über dich setzen. Du darfst nicht einen Ausländer, der nicht dein Bruder ist, über dich setzen. Nur, dass er sich nicht viele Rossen halte und das Volk nicht wieder nach Ägypten führt, um sich viele Rosse zu verschaffen. Da doch der Herr zu euch gesagt hat, ihr sollt niemals wieder diesen Weg zurückkehren. Er soll sich auch nicht viele Frauen nehmen, dass sein Herz nicht abtrünnig wird. Auch Silber und Gold soll er sich nicht zu viel sammeln.
Das ist ein sehr merkwürdiges Gesetz. Es steht nämlich nur drin, was der König nicht soll. Nur, er soll sich nicht viele Rosse halten. Rosse ist eine militärische Einrichtung. Pferde, wenn sie militärisch genutzt werden, heißen Rosse. Die Streitwagen und so weiter werden alle von Pferden gezogen. Also er soll sich nicht zu viel militärische Macht zulegen. Er soll sich nicht zu viele Frauen zulegen und nicht zu viel Gold und Silber. Also das ist schon eine starke Eingrenzung. Es heißt dann noch im weiteren Verlauf, er soll sich auch nicht erheben über seine Brüder. Er ist ein Bruder unter Brüdern. Also das ist sehr auffällig.
Das heißt, im israelitischen Recht wird die Macht der Mächtigen begrenzt. Es gibt keine absolutistischen Könige in Israel. Es gibt eine starke Königskritik, vor allem bei den Propheten Hosea und Amos, aber auch bei Jesaja. Die Propheten sind allgemein Kritiker der Könige. Das Prophetentum, die Prophetie entsteht gleichzeitig mit den Königinnen. Die ersten Könige Salomo, Saul und David haben schon einen Kritiker, der Prophet Samuel. Und der Prophet Nathan, der kritisiert dann David. Und so haben die Propheten in Israel die Aufgabe, die Könige zu beobachten und zu kritisieren. Bis hin, dass sie in Lebensgefahr geraten. Also die Macht der Mächtigen wird kritisch beäugt.
Das ist eine verblüffende Wirkung. Von welcher Ursache, den müssen wir nachher herausfinden. Also der Hauptunterschied ist, die Machthaber, die Könige stehen nicht mehr über dem Recht wie im gesamten Alten Orient, sondern zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte unter dem Recht. Das Recht ist nämlich Gottes Recht. Gott erlässt das Recht, nicht der König. Das ist völlig neu. Es gibt zwar im Alten Orient, in allen Staaten ein Gottesrecht, gibt es schon. Aber das Gottesrecht bezieht sich nur auf den Kult, auf Priester, Tempel, Altäre, Opfer und so weiter, Riten. Das Gottesrecht ist immer kultisches Recht. Aber in Israel ist das Gottesrecht auch kultisches Recht, aber auch politisches Recht, wirtschaftliches Recht. Die gesamte Rechtsbereiche, alle sind Gottes Recht und sogar darüber hinaus die gesamte Ethik.
Denn im israelitischen Recht ist mit Recht nicht nur Recht im strengen Sinn gemeint, im Gerichtsrelevantes Recht, juristizibles Recht. Nein, alles Recht und darüber hinaus alle Ethik. Auch das Zivilrecht ist Gottes Recht, aber auch anständiges und unanständiges Verhalten. Der grüßt mich gar nicht. Man kann ihn ja nicht vor Gericht anzeigen. Das ist also nicht Recht im strengen Sinn, sondern mehr Sittlichkeit, Ethos. Der ganze Bereich der Sittlichkeit ist in Israel zu 100 Prozent Gottes Recht. Das heißt, wenn man sich am Recht vergreift oder wenn man eben auch ethisch unanständig handelt, das ist immer zugleich Sünde gegen Gott.
Und das ist einmalig und einzigartig. Man kann dazu sagen, Gottes Wille erstreckt sich auf alle Bereiche des Lebens privat, öffentlich. Religion ist nicht Privatsache in Israel, sondern Gottes Wille erstreckt sich auf alles. Es gibt in Israel deswegen auch keinen freien Markt. Was ist noch auffällig? In allen altorientalischen Rechtsammlungen, Kodex, Hammurabi und es gibt noch mehrere andere, ist Recht immer Klassenrecht. Also in der Gesellschaft gibt es ein spezielles Recht für Regierungsleute, Höflinge oder die vornehmen Schichten. Ein vornehmen Recht für die Elite. Dann gibt es ein extra Priesterrecht für die Priester. Dann gibt es ein Recht für die freien Menschen und ein Recht für die Sklaven.
Also zumindest vier Unterteilungen, wenn nicht noch mehr. Es gibt Kulturen, die haben sogar für einzelne Berufsgruppen ein eigenes Recht. Das gibt es in Israel nicht mehr. In Israel wird Wert darauf gelegt, dass jede Art von Klassenrecht abgewiesen wird. Alle stehen unter dem gleichen Gottesrecht. Es heißt mal an einer Stelle, du sollst kein Unrecht tun in der Rechtsprechung. Das ist eine interessante Formulierung. Nicht, dass das Recht selber eine Form von Unrecht wird. Also du sollst kein Unrecht tun in der Rechtsprechung. Du sollst das Recht nicht beugen. Weder für Vornehmen noch für Geringe. Sondern du sollst deine Stammesgenossen gerecht richten. Dann ist auffällig, dass die grausame Brutalität im altorientalischen Recht drastisch eingeschränkt wird.
Ich habe früher mal in einem Manuskript geschrieben, abgeschafft wird. Das ist aber ein bisschen zu positiv. Eine Steinigung, stellt euch mal vor, vielleicht kennt ihr den Film Alexis Sorbas. Da wird ja eine Frau gesteinigt und da kriegt man diese furchtbare Brutalität. Eine Frau wie ein gehetztes Wild und die ganze Dorfbevölkerung mit Steinen wirft nach ihr im Kreis umzingelt, bis die Frau stirbt. Und Steinigung gibt es in der Thora schon noch. Aber ich kann wirklich sagen, die grausame Brutalität wird drastisch eingeschränkt. Es gibt im Recht der Thora keine Folterung mehr. Die ist abgeschafft. Es gibt auch im Recht der Thora, was es im asylischen Recht sehr oft gibt, keine Strafhäufungen.
Dass man für ein Verbrechen, für ein Vergehen mehrfach bestraft wird. Sagen wir mal körperlich, Verstümmelungsstrafe und dann auch noch finanziell. Also ein Vergehen hat eine Strafe. Und die Todesstrafe und die Verstümmelungsstrafen werden drastisch eingeschränkt. Es gibt in der Thora noch Verstümmelungsstrafe, abhackender Hand, aber ganz eingeschränkt. Wenn ihr die Vergleiche habt mit dem babylonischen, asyrischen, hetitischen, ägyptischen Recht, dann werdet ihr merken, das sind nur noch Restbestände. Es gibt noch die Todesstrafe für sieben oder acht Vergehen. Aber im Vergleich zum altorientalischen Recht ist die Todesstrafe drastisch eingeschränkt. Es gibt zum Beispiel zum ersten Mal keine Todesstrafe mehr für Eigentumsdelikte. Gibt es nicht mehr.
Also das sind schon verblüffende Besonderheiten, die nach einer Erklärung rufen. Und man kann sagen, die Erklärung steckt in der Exodus-Erfahrung. Die Exodus-Erfahrung, dass eine Stimme aus dem brennenden Busch einen Mann dazu animiert, gegen Pharao und seine Apparate anzutreten. Die narrative Rolle der Stimme aus dem Busch ist in der Geschichte von der Berufung des Moseglas klar. Die Stimme aus dem Busch steht nicht auf Seiten der Pharaonen. Die Stimme ist kein Steigbügelhalter, der Machthaber dieser Welt, sondern sie steht auf Seiten von Zwangsarbeitern und hat deren Interessen im Blick. Die Stimme aus dem Busch sagt, ich habe das Elend der Zwangsarbeiter, der hebräischen Zwangsarbeiter gesehen und ich habe ihr Stöhnen über ihre Aufseher gehört.
Ich kenne ihre Schmerzen. Ich war in vielen ägyptischen Königsgräbern und Tempeln, auch mit Ägyptologen, die fließen, die hier hierographen lesen können. Also ich darf schon sagen, ich habe hundert, wahrscheinlich tausende von ägyptischen Grabinschriften, Tempelinschriften mir übersetzen lassen. Ich darf ihnen öffentlich sagen, nirgendwo unter diesen tausenden von Hieroglyphen Texten, die zur ägyptischen Staatsreligion gehören, habe ich jemals Sätze gefunden wie die, ich habe das Elend von Zwangsarbeitern gesehen und ich habe ihr Stöhnen gehört und ich kenne ihre Schmerzen. Das ist die Exodus-Erfahrung. Und dann sagt die Stimme, deshalb bin ich jetzt gekommen, diese Zwangsarbeiter aus ihrem Gefängnis zu befreien und in ein neues weites Land zu führen.
Ein schönes Land, in dem Milch und Honig fließt. Damit will gesagt sein, wo die wahren Lebensbedürfnisse ernst genommen und gesättigt werden. Das ist die Exodus-Erfahrung. Und diese Exodus-Erfahrung prägt das gesamte israelitische Recht. Man kann sagen, das israelitische Recht ist ein Exodus-Recht. Die Exodus-Erfahrung ist die Begründung und das Sachkriterium des israelitischen Rechts. Und darin ist dieses Recht völlig neu, fremd bei allen sonstigen Verwandtschaften, die es gibt und die man auch sehen und würdigen muss. Nehmen wir mal die zehn Gebote. Die zehn Gebote, die stehen in der Fassung, die wir kennen, in Exodus 20.
Es gibt aber noch eine zweite Fassung im Deuteronomium. Die ist nicht genau gleich. Also da heißt es dann ganz am Anfang als eine Art Überschrift. Ich bin Jahwe, euer Gott, der euch aus Ägypten dem Sklavenhaus herausgeführt hat. Und jetzt kommt das erste Gebot. Du sollst keine anderen Götter neben mir verehren. Also die Überschrift und die Sachgrundlage der zehn Gebote ist die Exodus-Erfahrung. Darin sind die Gebote der Exodus-Erfahrung verpflichtet. Es gibt aber weitere viele zahlreiche Sätze, wo immer wieder heißt Ich bin Jahwe, der euch aus Ägypten geführt hat. Es wurde also immer wieder auf diese Erfahrung rekurriert. Hosea sagt einmal Jahwe ist ein Gott von Ägypten her. Damit ist gemeint vom Exodus her. Wir hören mal drei besonders markante Stellen aus dem dritten, vierten und fünften Buch Mose.
31 bis 33. Darum haltet meine Gebote und tut danach. Ich bin Jahwe. Entheiligt meinen Namen nicht, damit ich unter den Kindern Israels geheiligt werde. Ich bin Jahwe, der euch heiligt, der euch aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, um euer Gott zu sein. Vierte Mose 15. So oft ihr sie ansät, sollt ihr an alle Gebote Jahwes denken und sie tun, damit ihr euch nicht von eurem Herzen noch von euren Augen verführen lasst und abgöttig werdet, sondern ihr sollt an alle meine Gebote denken und sie tun, dass ihr heilig seid eurem Gott. Ich bin Jahwe euer Gott, der euch aus Ägypten geführt hat, dass ich euer Gott sei. Ich Jahwe euer Gott. Und fünfte Mose 4, 44.
Das ist die Thora, die Mose den Kindern Israel vorlegte. Das sind die Ermahnungen und Gebote und Rechte, die Mose den Kindern Israel gab, als sie aus Ägypten gezogen waren. Das waren also jetzt drei markante Beispiele, die für hundert andere stehen. Also das israelitische Recht ist ein Exodus-Recht. Und dieses Exodus-Recht stellt eine ethische Frage. Nämlich, das ist die Grundfrage im israelitischen Recht und in der israelitischen Ethik. Und diese Grundfrage, die steht so nicht in der Bibel, aber man kann sie aus dem Gesamtbefund sehr klar erheben. Handelst du eher so in deinem Leben, wie Pharao an uns gehandelt hat? Oder handelst du eher so, wie Jahwe an uns gehandelt hat? Das ist die entscheidende ethische Frage.
Wem stehst du näher in deinem Leben und deinem Handeln? Also diese ethische Grundfrage wird durch die Exodus-Erfahrung heraufgeführt. Der Exodus-Gott ist nicht der überlegene Gott der Überlegenen, sondern der Gott, der den Armen, den Unterdrückten zur Seite steht und ihre Schmerzen kennt. In Israel war man sich durchaus bewusst, dass das eigene Recht ein besonderes Recht ist. Es heißt einmal an einer Stelle, wo gibt es ein großes Volk, das so eine Thora hat wie ihr, mit so einer Gerechtigkeit? Antwort nirgendwo. Es gibt in Israel eine Redewendung, die es sonst im Orient nirgendwo gibt. Und diese Redewendung heißt, das tut man nicht in Israel.
Vielleicht in Ghana oder Ägypten, aber so was macht man nicht in Israel. Und an einer Stelle wird Markus jetzt auch nochmal vorlesen, dass sich Israel dessen bewusst war, wir haben ein besonderes Recht, nicht so wie die anderen Völker. Ihr sollt nicht tun nach der Weise des Landes Ägypten, in dem ihr gewohnt habt, auch nicht nach der Weise des Landes Kanaan, in das ich euch führen will. Ihr sollt auch nicht nach ihrem Recht handeln, sondern nach meinem Recht sollt ihr handeln und meine Satzungen sollt ihr halten, damit ihr darin lebt. Ich bin Yahweh, euer Gott. Soweit zunächst mal ein Überblick. Das israelitische Recht hat Besonderheiten. Die Besonderheiten erklären sich aus der Exodus-Erfahrung. Jetzt möchte ich einen ganz knappen Überblick geben über die einzelnen Rechtssammlungen, die es innerhalb der Thora gibt und wie diese Rechtssammlungen entstanden sind.
Das wird für viele von euch, auch die, die uns zusehen, dann wahrscheinlich neu sein. Ich habe einige Leute hier gefragt und die haben gesagt, das haben wir noch nie gehört. Man redet in vielen Gemeinden ein Leben lang nie über diese Dinge, aber sie eröffnen einen viel bewussteren, tieferen Blick in die Thora. Innerhalb der Thora gibt es Rechtssammlungen, die sind viel älter als die fertige Gestalt der Thora. Also die fünf Bücher Mose, Kernbereich ist ja die Sinai-Thora, wurde fertiggestellt ungefähr um das Jahr 400 v. Chr. also auf 30, 40, vielleicht sogar 50 Jahre rauf oder runter, also zwischen 450 und 350 in diesem Bereich der 100 Jahre.
Das kann man nach heutigen seriösen Indizien sicher sagen. Also es gibt aber innerhalb dieser Thora, die dann in Jerusalem so fertiggestellt wurde, in der Endredaktion, gibt es aber ältere Rechtssammlungen. Die älteste Rechtssammlung ist das Bundesbuch, entsteht am Ende vom 8. Jahrhundert. Dieses Bundesbuch steht gleich nach den zehn Geboten, Exodus 20, Vers 22 folgende, dann 2. Mose 21, 22, 23. Also es sind dreieinhalb Kapitel und wenn ihr das Bundesbuch mal lest von Exodus 20, Vers 22 bis zum Ende von Exodus 23, dann werdet ihr sehen, das sind sehr viele Sozialbestimmungen, Sklavenrecht, Fremdenrecht, Schabbatjahr, das sind alles so Bestimmungen im Bundesbuch. Das Bundesbuch hat sehr wahrscheinlich, spricht alles dafür und nichts dagegen, zwei Hauptgründe.
Einmal die soziale Krise im 8. Jahrhundert. Im 8. Jahrhundert bricht das Volk Israel zum ersten Mal stärker auseinander in Reiche und Arme. In der Anfangszeit wurde der Grundbesitz nach Familiengröße jedem zugeteilt, es gab keine Oberschicht oder Unterschicht. Aber im Laufe der Jahrhunderte kann sich Israel diesem Druck, dass allmählich eine Elite entsteht und die Reichen reicher werden und die Armen ärmer werden, diese Vorgänge zeigen sich auch in Israel, im Nordreich viel stärker und früher als im Südreich, aber im Südreich phasenverzüger dann auch. Und durch diese Krise wird diese sozialen Gesetze im Bundesbuch notwendig. Das Bundesbuch reagiert auf diese soziale Krise. Es kommt dann auch dazu, dass das Nordreich zerstört wird durch die Assyrer. Die Hauptstadt des Nordreiches Samaria wird 721, 720 zerstört.
Und in dem Zusammenhang fliehen sehr viele Bewohner des Nordreiches in Südreich. Jerusalem verdoppelt sich in der Zeit, so 720 bis 700, kann man archäologisch erkennen, verdoppelt sich die Bewohnerzahl von Jerusalem, weil eben sehr viele Flüchtlinge integriert werden müssen. Und es gibt auch viele Spannungen. Es entsteht dann das Fremdenrecht, dem ich mich morgen in einem eigenen Vortrag zuwende. Die Gerim, die Fremden, müssen nicht unbedingt Ausländer sein, können aber auch eben Ausländer sein, sind es auch oft, aber es können auch Fremde sein aus dem Nordreich, die ins Südreich geflohen sind. Gerim sind immer Leute, die ihren angestammten Wohnsitz wegen Krieg oder Hungersnot verlassen müssen und sich dauerhaft woanders niederlassen.
Solche Menschen nennt man im Hebräischen im Alten Testament Gerim. Also das ist der Hintergrund für das Bundesbuch. Dann gibt es eine wesentlich größere Rechtsammlung, die größte innerhalb der Thora, die größte in sich Zusammenhängende, die ursprünglich eine ganz eigene Rechtsammlung war. Das ist das Buch Deuteronomium, das fünfte Buch Mose. Das fünfte Buch Mose hat eine ganz eigene Entstehungsgeschichte. Und der große Mittelteil vom fünften Buch Mose war eine Art staatliche Verfassung in der Zeit von König Josiah, so dass die Zeit 620, 610, bisschen vorher, bisschen später. In der Zeit Josiah ist einer der wenigen Könige wie Hiskia, die im Buch der Könige gut wegkommen. Die Königsbücher könnte man auch überschreiben, königskritische Bücher, denn 90 Prozent der Könige werden scharf kritisiert.
Und es ist interessant, dass gerade König Hiskia und König Josiah, also der eine so 720, 710, der andere ungefähr 100 Jahre später, 620, 610, dass die auch gerade verbunden sind mit so Rechtsbüchern. Also die Urgestalt des fünften Buch Mose war durchaus fast wie eine Art Verfassung gedacht. Und dass Josiah, steht ja auch dieses Königsgesetz drin, was der König nicht darf, das ist schon ein großes Abenteuer und eine große Überraschung. Wie kann der König Josiah einem Gesetz zur offiziellen Anerkennung dann vollends verholfen haben, in dem auch seine eigene Funktion scharf begrenzt wird? Das ist verblüffend. Dann gibt es eine dritte Rechtssammlung. Das Heiligkeitsgesetz ist im dritten Buch Mose Kapitel 17 bis 26.
Lest es mal nur für sich. Das entsteht im Exil, also jetzt im sechsten Jahrhundert. Das Exil dauert ja ganz grob gesagt ungefähr 50 Jahre, 580 bis 530. Und diese Exilzeit ist ein ganz tiefer Einschnitt in die israelitische Religionsgeschichte, weil es gibt keine Könige mehr. Dafür entstehen dann hohe Priester. Es gibt vor dem Exil keine hohe Priester. Also und in der Exilzeit haben die Jerusalemer Priester die Zeit sehr genutzt und dieses Heiligkeitsgesetz entwickelt mit dem Stern, mit dem Kernsatz Ich bin heilig und ihr sollt auch heilig sein. Ihr sollt euch an mir allein orientieren. Und in diesem Heiligkeitsgesetz sind wieder sehr viele soziale Gesetze drin, aber auch viele sexualethische Normen stehen hier drin. Wenn man das Bundesbuch und das Deuteronomium in einem großen Mittelteil, die Anfangskapitel und die Endkapitel sind wesentlich jünger und das Heiligkeitsgesetz, wenn man das mal nebeneinander liest, dann entdeckt man, kann man erst entdecken, eine Entwicklung der Rechtsgeschichte.
Denn in ein, zwei Beispielen will ich es mal kurz zeigen. Das Deuteronomium entwickelt das Bundesbuch weiter, aktualisiert es auf eine neue Situation und das Heiligkeitsgesetz entwickelt das Deuteronomium weiter. Dann merkt man wirklich, jetzt kann man eine geschichtliche Entwicklung erkennen. Ich möchte an der Stelle noch eine Basisinformation allen weitergeben, die zu den Grunderkenntnissen der Bibelwissenschaft gehört, die seit 100, 150 Jahren sind. Und diese Dinge, Konsens, also ich schalte mich nicht ein in gewagte Hypothesenbildung. Es gibt auch viel Unsicheres, Übertriebenes, da will ich mich nicht mit beschäftigen.
Aber es gibt im Laufe der letzten 200 Jahre durch eben die moderne Möglichkeiten der Erforschung aufgrund eben ganz anderer Funde und Methoden, gibt es auch breite Übereinstimmung. Und die zu ignorieren, nützt weder dir noch der Christenheit, noch dem lieben Gott. Also zu diesen Grundüberzeugungen, Entdeckungen in der modernen Bibelwissenschaft gehört es, dass die Rechtsbestimmungen innerhalb der Thora in der großen Mehrheit jünger sind als die Propheten. Also da gibt es vor allem ein enormes Kriterium, dass man aber zum ersten Mal 1880, ungefähr 1890, da merkt man, was wir alles für eine Brille aufhaben, mit welchen Klubschaugen wir die Bibel lesen. Und vieles, wir lesen jahrelang, jahrzehntelang und viele grundlegende Dinge bemerken wir gar nicht. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Also ist zum ersten Mal aufgefallen, dass Amos, Hosea, Micha und Jesaja, das sind die vier ältesten Schriftpropheten. Sie leben alle, sie wirken alle im achten Jahrhundert, also in der Zeit um das Bundesbuch herum, also zwischen 750 und 700. In diesem halben Jahrhundert wirken Amos und Hosea zuerst und mit etwas Abstand dann im Südreich Micha und Jesaja. Amos und Hosea wirken im Nordreich, kündigen das Ende an, das dann auch tatsächlich kommt. Und Micha und Jesaja verkündigen im Südreich. In keinem dieser vier Prophetenbücher wird jemals ein einziger Satz geschrieben, dass es ein schriftliches Recht gibt. Also Amos und Hosea hätten doch sagen können, es steht doch in Gottes Wort, es steht doch in der Thora. Manche datieren das ja vor des Jahrtausends, als ob alles von Mose geschrieben wird.
Nein, nein, Mose ist sozusagen der Schirmherr des Rechts, wie David der Schirmherr der Musik ist und Salomo der Schirmherr der Weisheit. Das heißt nicht, dass diese Texte von Mose oder David oder Salomo stammen, das heißt es überhaupt nicht, sondern dass sie denen gewidmet sind unter die Schirmherrschaft des Rechts, der Musik und der Weisheit. Also Amos, Hosea, Micha und Jesaja berufen sich nirgendwo auf ein schriftliches Recht. Und das hätten sie doch natürlich getan, weil das würde ihnen ja entgegenkommen in der Thora, in den Rechtsbestimmungen stehen ja die Dinge, die Amos, Hosea, Micha und Jesaja zum ersten Mal fordern in ihrer Sozialkritik. Dann hätten sie doch alle sagen können, das steht doch schon in der Thora. Also ist die Thora jünger als Amos, Hosea, Micha und Jesaja, denn sie können es nicht erklären.
Niemand hat es können. Manche wollen es dann unbedingt, aber das ist einfach traurig. Ein Argument muss schon ein Argument sein dürfen. Also aus der Tatsache, dass weder Amos, Hosea, Micha und Jesaja sich jemals an irgendeiner Stelle auf schriftliches Gottesrecht berufen, kann man folgern, dass das Gottesrecht eine Folge ihrer Sozialkritik ist. Also die Propheten gehören zu den Voraussetzungen des israelitischen Rechts. Gut, jetzt möchte ich im Schlussteil des Vortrags auf die israelitische Sozialgesetzgebung zu sprechen kommen. Das Wort Sozialgesetzgebung ist natürlich ein moderner Begriff, den es in der Bibel nicht gibt, sondern man achtet jetzt einfach mal speziell auf die Gesetze,
Gebote, Ermahnungen, Satzungen. Da gibt es immer auch verschiedene Ausdrücke. Man merkt, die Thora ist ein Sammelsurium. Man sagt manchmal Gesetz, man sagt manchmal Satzung, man sagt manchmal Gebote oder Ermahnungen. Alles ist irgendwie richtig. Die Thora übrigens um das Jahr 400 war wirklich ein Gesetz, so wie unser bürgerliches Gesetzbuch. Denn das Persische Großreich, das erste Weltreich der Weltgeschichte, hat von seinen Provinzen verlangt, dass sie dem persischen Großkönig ihre Gesetzesgrundlagen überreichen. Also das Persische Großreich war so tolerant, dass es jeder Provinz, auch der judäischen Provinz, die war eine Provinz vom Persischen Großreich um 400 herum, ihr könnt euer eigenes Provinzialrecht machen.
Also erlauben wir, jeder Provinz darf natürlich nicht den persischen Grundrechten und so weiter widersprechen. Aber so ein gewisses Eigenleben gönnen wir euch gern. Ihr müsst aber dieses Recht schriftlich bei uns einreichen. Und es ist eine gut belegte Hypothese, spricht alles dafür und nichts dagegen, dass die endgültige Redaktion der Thora auf diesen Druck hin erfolgt ist, dass eben die Leitung des Persischen Großreiches von den Provinzen ihre Gesetzeskorporate verlangt hat, einzureichen. Und dann hat man die Thora eingereicht. Und deswegen ist die Thora auch wirklich Gesetz. Wir haben ja ein bürgerliches Gesetzbuch, aber diese Unterschiede Religion und Politik, religiöses Recht und staatliches Recht gibt es in der Antike nicht. Die Thora ist also auch bürgerliches Gesetzbuch, wie unser bürgerliches Gesetzbuch. Aber sie ist eben noch viel mehr als das.
Gut, und innerhalb dieser Thora achten wir jetzt mal auf die Sozialgesetzgebung. Und die will ich zum Schluss mal kurz vorstellen. Wenn wir die Sozialgesetzgebung gleich mal überblickartig skizzieren, dann muss man wissen, es gibt im antiken Leben, im altorientalischen Leben zwei Lebensgrundlagen. Und wenn eine der beiden oder beide ins Rutschen geraten, wenn sie zerbrechen, dann entsteht soziales Elend. Und diese beiden Lebensgrundlagen ist einmal Grundbesitz, dass man ein Stück Land hat, weil die allermeisten Menschen lebten auf dem Land und von den Erträgen des Landes. Also das Israel der früheren Zeit war eine Agrargesellschaft, eine Gesellschaft, eine Hirten- und Bauerngesellschaft. Gut, also der Landbesitz. Mietwohnungen gibt es kaum. Und dann das zweite ist der Siebenverband.
Früher hat man gesagt die Großfamilie, da wird man heute aber auch schon vorsichtig, weil wenn man Großfamilie sagt, dann kommt der mythische Begriff des konservativen Christentums Familie. Da verklären sich die Augen. Und dann meint man, man ist doch biblisch, denn in der Bibel ist doch auch die Familie Pfeifendeckel. Es gibt eine Familie, wie wir sie kennen, im Alten Orient nicht, sondern es gibt das Haus, ich und mein Haus. Es gibt den Hausherrn und im Haus leben 20, 30, 40, 50 Personen. Erstmal 10, 20 Kinder, alle Unverheirateten, das Gesinde, die Sklaven. Also das ist eine Lebens- und Wirtschaftseinheit, Bayit oder Eukos in Griechischen. Das ist das Haus. Das Haus ist etwas grundlegend anderes als eine bürgerliche Kleinfamilie, zwei Eltern und zwei Kinder.
Da kann man nicht einfach sagen, wir sind biblisch. Also es gibt zwei Lebensgrundlagen in der Antike Grundbesitz, Landbesitz und intakter Sippenverband. Ich vermeide also das Wort Großfamilie, um gar nicht so künstliche Vorurteile aufkommen zu lassen. Der Sippenverband, das Haus. Noch Luther schreibt seine Katechismen an die Hausväter, dass die Hausväter den Katechismus allen Menschen des Hauses lehren. Also noch zur Zeit von Luther gibt es keine Familie, sondern das Haus und der Hausherr und der hat die Verantwortung. Und Frau, Kinder und alles andere stehen unter seiner Vormundschaft. Also wenn aber Landbesitz, wenn man vertrieben wird, die häufigsten Gründe sind Krieg und Hungersnot.
Niemand verlässt gerne seine Heimat. Niemand. Weil das ist ein schwerer Verlust. Aber manchmal gibt es Gründe, dass Menschen die Heimat verlassen müssen. Oder eben, wenn der Sippenverband zerbricht in der Fremde, hat man nicht mehr den Schutz der eigenen Zippe. Und auf diese Probleme antwortet die israelitische Sozialgesetzgebung. Es gibt in der israelitischen Sozialgesetzgebung zwei Bereiche. Der eine Bereich sind Schutzbestimmungen und der andere Bereich, man höre und staune, sind Wirtschaftsbestimmungen, die in die Mechanismen der Wirtschaft eingreifen. Das ist israelitische Sozialgesetzgebung. Wenden wir uns erst mal den Schutzbestimmungen zu. In der Thora, in den sozialen Rechtstexten der Thora, vor allem, das geht schon los im Bundesbuch, wird erweitert im Deutonomium
und dann nochmal erweitert und weiterentwickelt im Heiligkeitsgesetz. Und dann bis zur Endredaktion kommen viele weitere Gesichtspunkte dazu. Eine spannende Geschichte. Wenn man das mal innerlich umbaut, das Recht ist bereits die Folge der prophetischen Sozialkritik, dann kann man auch ein bürgerliches Vorurteil überwinden, dem lange Zeit hat man gelehrt, auch an der Universität. Die Universität hat auch viele Irrwege beschritten, aber sie hat sich auch oft korrigiert und verbessert. Also man muss lernen aus den eigenen Fehlern. Man darf Fehler machen. Fehler machen ist menschlich. Wir brauchen eine fehlerfreundliche Schule. Denn aus den Fehlern lernen wir am meisten. Wenn du aus religiösen Gründen keine Fehler machen darfst, du armer Mensch.
Nein, also auch die Universität darf Fehler machen, weil ohne das kommt man nicht wirklich voran. Also es gab mal eine Zeit an der Universität, da hat man mehr oder weniger gesagt, im alten Testament gibt es eigentlich zwei Religionen. Die prophetische Religion, die ist super gut, die ist auf hohem Niveau. Und dann diese priesterlich-rituelle Religion, die ist primitiv, an die kann man nicht anknüpfen. Völliger Fehlschluss. Denn die kultischen Rechte, Rechtstexte in der Thora sind auf der Höhe der prophetischen Kritik. Denn spätestens im Exil, auch schon in Ansätzen vorher, haben die leitenden Priester die Gerichtspropheten als Gottesmänner anerkannt. Sie haben gesagt, durch die hat wirklich Gott geredet. Wir müssen sie ernst nehmen und ihre Kritik an den Herrschenden und am Kult. Barmherzigkeit will ich nicht opfern, Satz von Hosea. Wir müssen die prophetische Kultkritik und Sozialkritik und Herrschaftskritik, Machtkritik, die müssen wir ernst nehmen.
Und wir müssen sie umformulieren in verbindliches Recht. Also die Rechtstexte der Thora stehen auf der Höhe der prophetischen Kritik. Sie wollen voller Achtung aus diesen prophetischen Mahnsprüchen verbindliches Recht machen. Also auch jetzt diese Schutzbestimmungen könnt ihr mal die langfristige Wirkung von Amos, Hosea, Micha und Jesaja könnt ihr jetzt studieren. In umgegossenes Recht für Jahrhunderte gültig. Da steckt Liebe drin. Das Recht kann durchaus eine Gestalt der Liebe sein, nicht nur romantische Spontanhandlungen. Also sechs Menschengruppen werden besonders geschützt.
Es sind also nicht nur in dem Sinn einzelne, es sind besonders gefährdete Gruppen, die als solche erkannt werden und klar geschützt werden. Das sind einmal die Alten. Überraschenderweise mit Alten ist jetzt gemeint sehr alte und gebrechliche. Alte Menschen, die selber nicht mehr körperlich arbeiten können, die haben ja keine Rente, keine Versicherung. Sie können nur durch die eigenen Kinder abgesichert werden. Aber in Notzeiten, wo man selber fast nichts mehr hat, werden die alten Leute, die ja körperlich nichts mehr beibringen können, wirklich zur Belastung. Also nehmen wir mal die Wikinger. Die Wikinger waren ja sehr vital, energisch, eroberungsaggressiv, aber auch kulturell, also hohes Recht. Aber die alten Wikinger zogen sich meistens freiwillig in die Urwälder zurück, in die schwedischen, norwegischen Wälder, weil sie haben gemerkt, die vitalen 50-Jährigen und so weiter, wenn Notzeiten kommen, Hungerszeiten kommen, reicht ja nicht mal für uns.
Und so ein Wikinger kann dann schon mal zu seinem Vater oder Opa sagen, du, du könntest dich langsam in die Wälder zurückziehen. Da haben sie noch ein bisschen von Bären gelebt, vielleicht haben sie auch mal ein Tier, weiß man nicht. Und da sind sie irgendwie dann mal eingegangen. Also es gibt Kulturen, die mit den alten, gebrechlichen Leuten so umgehen. Die Alten sind die einzige Gruppe, die ein eigenes Gebot in den Zehn geboten haben. Plus bitte jetzt keine traditionalistische Brille, die müsst ihr jetzt ablegen, nämlich das vierte Gebot, du sollst Vater und Mutter ehren. Das sind Vater und Mutter als alte, gebrechliche Menschen gedacht. Und da fangen mal an, sie zu ehren. Also das vierte Gebot hat nichts mit Kindererziehung zu tun. Es ist auch eine jahrhundertealte, traditionistische Fehlleitung. Die ist unbiblisch.
Also die Alten. Es gibt auch weitere Gesetze, wer alten Menschen seinen eigenen alten Eltern flucht, wer sie vernachlässigt, da entstehen schwere Strafen bis zur Todesstrafe. Wer seine eigenen Eltern verunehrt und flucht, Todesstrafe. Also die Alten. Dann die Witwen und Weisen, das sind keine Rechtspersonen. Jetzt will ich an der Stelle mal erklären, was ist im israelitischen Recht eine Rechtsperson? Die israelitischen Gebote sind alle formuliert. Ihr sollt oder du sollst. Ihr sollt nicht so handeln wie die Menschen in Ägypten und Kanada. Also entweder im Plural oder im Singular. Wer ist damit ihr und du gemeint? Ja, das kann man genau erklären. Es sind nur Männer gemeint, nur Männer.
Das heißt ja bei den zehn Geboten im letzten Gebot, du sollst dich nicht lassen gelüsten deines nächsten Weibfrau. Hier ist es ja nicht an lesbische Beziehungen gedacht. Also da ist ein Mann. Die Empfänger des Rechts, alle Rechtssätze, Mishpatim, ist immer der Mann. Und zwar der erwachsene Mann und der grundbesitzende Mann und der freie Mann. Also der Adressat, an dem das gesamte israelitische Recht mit ihr sollt und du sollst, ist der freie erwachsene grundbesitzende Mann. Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines nächsten Frau. Es wird noch mehr aufgezählt, was der Mann, der Nachbar alles hat. Er hat eine Frau, die gehört ja auch ihm, er ist der Hausherr. Ochse, Haus, Haus, Ochse, Esel. Also es sind Männer vorausgesetzt, die ein Haus haben. Also die zehn Gebote setzen eine wirtschaftlich stabile Zeit voraus.
Sie sind nicht für Notzeiten unbedingt. Und sie gehen an den erwachsenen, freien, grundbesitzenden Mann, der in einer wirtschaftlich stabilen Lage ist. Und da genügt es eine Vermeidungsethik. Du sollst das nicht tun. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht Ehe brechen. Du sollst kein falsch Zeugnis sagen. Immer nicht. Wenn du das vermeidest und das vermeidest, tust dem anderen nicht weh, tut er dir nicht weh. Die zehn Gebote können niemals die Zusammenfassung einer guten Ethik sein, weil sie ja überwiegend negativ formuliert ist. Bis auf die Alten. Du sollst Vater und Mutter ehren. Bei den zwischenmenschlichen Geboten, die beginnen ja mit Vater und Mutter, also mit den Alten. Und das ist positiv formuliert. Die anderen beschränken sich. Tu das nicht, tu das nicht.
Es gibt ja auch die negative Formulierung, die über verschiedene Ecken auf Kant zurückgeht. Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Negativ formuliert. Das ist immer nur eine Vermeidungsethik. Das ist immer nur ein minimaler Grundbestand. Aber das reicht niemals aus. In den zehn Geboten steht nirgendwo, brich dem Hungrigen dein Brot. Also auf so eine Höhe kommen die zehn Gebote nicht. Und deswegen im Judentum sind die zehn Gebote auch gar nicht so ein Schlüsseltext wie bei uns. Luther in seinen Katechismen hat die zehn Gebote auch tendenziell überschätzt. Sie sind ein gewisser Grund, mindestens, das schon. Aber Ethik umfasst viel mehr. Und Jesus zum Beispiel in der Bergpredigt sagt, was du willst, dass andere Leute dir tun, das tue ihnen.
Also er drückt es positiv aus und dann umfasst es viel mehr. Dann ist es nicht nur eine Vermeidungshaltung. Dann musst du dir positiv überlegen, was hättest du gern, dass andere Leute dir tun. Ja, jetzt fang doch mal an, dass du es ihnen tust. Wie ein englisches Sprichwort sagt, die beste Art, Freunde zu gewinnen, ist sei selber einer. Es geht so ein bisschen in die Richtung. Also Schutzbestimmungen der Alten, der Witwen und Weisen, die sind keine Rechtspersonen. Denn Rechtspersonen ist ja nur der grundbesitzende, erwachsene, freie Mann. Und deswegen kann man Witwen und Weisen sehr leicht austricksen, um ihr Recht bringen. Jesus sagt einmal, ihr, die ihr der Witwen Häuser frisst. Also die Witwen und Weisen haben es in der Antike sehr schwer. Heute sind sie rechtlich besser geschützt.
Aber es gibt in der Thora zahlreiche Schutzbestimmungen für Witwen und Weisen. Dann weitere Gruppen sind die Armen. Bei den Armen handelt es sich meistens um Kleinbauern, Kleinpächter, die in die Verschuldungsfalle plumpsen. Können kein Saatgut mehr kaufen, müssen Saatgut gegen Kredit kaufen. Und die Zinsen, die sind sehr hoch, 20 bis 40 Prozent, können es nicht mehr zurückzahlen. Und dann verschulden sie sich. Müssen sie sich verkaufen in die Schuldsklaverei oder werden verpfändet. Nimmt man Kinder als Pfand. Also die Armut wird sehr ernst genommen. Wir werden eine Stelle noch hören. Es gibt eine Stelle im fünften Buch Mose. Es soll unter euch überhaupt keine Arme geben. Das ist Gottes Wille in der Thora. Weil wenn es unter euch Arme gibt, ist irgendwas schief gegangen.
Also nach meinem Willen ist es dann nicht zugegangen. Das könnt ihr ganz klar erkennen. Gibt es unter euch Arme, dann kann es nicht nach meinem Willen zugegangen sein. Denn nach meinem Willen soll es keine Arme unter euch geben. Das steht im fünften Buch Mose, werden wir nachher hören. Also die Armen werden besonders geschützt. Man darf ihnen nicht lebensnotwendiges Pfänden. Die Decke, mit der sie nachts schlafen oder der Mühlstein oder die Handmühle, wo sie Getreide mahlen, das darf nicht verpfändet werden, das geht an die Substanz. Dann gibt es Schutzbestimmungen für Fremde. Da werde ich morgen einen eigenen Vortrag halten. Dann gibt es erstaunliche Erneuerungen im Sklavenrecht, wie es niemals in der Welt irgendwo gab. Das werde ich übermorgen als eigenen Vortrag behandeln. Und dann gibt es noch die Tagelöhner. Die Tagelöhner, die entstehen erst in der sozialen Krise. Im 10. und 9. Jahrhundert gibt es noch gar keine Tagelöhner in Israel. Den Tagelöhnern geht es tendenziell schlechter wie Sklaven.
Weil Haussklaven, die werden immerhin gut versorgt. Und wenn die krank werden, das ist ja schlecht, dann werden ja auch die Hausbesitzer dadurch bestraft. Also man tut, dass die Sklaven gesund bleiben, sich amortisieren, dass sie genügend Essen haben. Aber wenn ein Tagelöhner krank wird, juckt den Arbeitgeber nicht, nimmt er halt ein paar andere Tagelöhner. Also Tagelöhner haben es tendenziell schlechter als Haussklaven. Aber natürlich Bergwerkssklaven, Rudersklaven. Gut, also das sind die Schutzbestimmungen. Insgesamt kann man sagen, in der Thora wird die Nächstenliebe sehr hoch geschrieben. Wenden wir uns mal dem Gebot der Nächstenliebe zu. Dieses Gebot steht bitte nicht im Neuen Testament, sondern im Alten. Es gibt ja so christliche Vorurteile. Das Alte Testament ist Zahn um Zahn, Vergeltung und Rache. Und die Liebe ist im Neuen Testament. Christlicher Blödsinn.
Also die Nächstenliebe steht im Buch Leviticus, Kapitel 19, Vers 18. Der Begriff Liebe ist anders gemeint, wie wir ihn kennen, weil wir haben alle die Romantik durchlebt. Wir haben einen romantischen Liebesbegriff. Da ist die Liebe, sind romantische Gefühle, verliebt sein und so was. Das ist mit Liebe in der Bibel nicht gemeint, sondern Liebe in der Bibel ist ein praktisches Tun. Liebe in der Bibel, einen Nächstenlieben heißt, tu ihm so Gutes, wie es du dir selber auch gerne tust. Vertrete die Interessen des Nächsten, so wie du deine eigenen vertrittst. Liebe ist ein praktisches, nachprüfbares Tun, keine undefinierenbaren Gefühle. Also bitte die Romantik da jetzt mal weglassen. Und ihr werdet also sehen, dass im Kontext dieses Gebotes der Nächstenliebe auch schwere Konflikte mit im Blick sind,
dass du jemanden hasst oder dass du dich am liebsten bei jemanden rächen willst, weil er dir schwer geschadet hat. Das ist aber auch dein Nächster. Also lange Zeit hat man in der christlichen Exegese unterstellt, der Nächste meint im Alten Testament nur nationalistisch der Israelit selber. Das ist aber falsch, weil der Fremde ist bewusst auch mit im Blick und auch Leute, die dich tief schädigen. Also man könnte sagen deine Feinde. Das heißt, das Nächstenliebe Gebot im Buch Leviticus hat indirekt schon eine Tendenz in Richtung Feindesliebe. Und das hat Jesus genau gespürt. Und deswegen wollen wir jetzt mal den Kontext mithören und nicht immer nur das Sätzchen. Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst. Also bitte schön, Markus.
Leviticus 19, 11 bis 18 und 33 und 34. Ihr sollt nicht stehlen und nicht ableugnen und nicht einer den anderen betrügen. Ihr sollt bei meinem Namen nicht falsch schwören und so den Namen eures Gottes entweihen. Ich bin Jahwe. Du sollst deinen Nächsten nicht bedrücken, noch berauben. Der Lohn des Tageslöners soll nicht bei dir bleiben bis zum anderen Morgen. Du sollst einem Tauben nicht fluchen und einem Blinden nichts in den Weg legen, sondern du sollst deinen Gott fürchten. Ich bin Jahwe. Ihr sollt nicht unrecht handeln im Gericht. Du sollst die Person des Geringen nicht ansehen, aber auch den Vornehmen nicht begünstigen. Gerecht sollst du deinen Nächsten richten. Du sollst nicht als Verleumder unter deinen Volksgenossen umhergehen und sollst nicht wieder das Leben deines Nächsten auftreten. Ich bin Jahwe.
Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen. Zurecht weisen sollst du deinen Nächsten, dass du nicht seine halben Sünde auf dich lädst. Du sollst dich nicht rächen, auch nicht deinen Volksgenossen etwas nachtragen, sondern du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin Jahwe. Wenn ein Fremder bei dir wohnt in eurem Lande, so sollt ihr ihn nicht bedrücken. Wie ein Einheimischer aus eurer eigenen Mitte soll euch der Fremde gelten, der bei euch wohnt. Und du sollst ihn lieben wie dich selbst. Seid ihr doch auch Fremde gewesen im Land Ägypten. Ich bin Jahwe, euer Gott. Also schon im Alten Testament sind so Konflikte wie du sollst nicht hassen, da wird ja irgendein schwerer Konflikt sein, du sollst dich nicht rächen, also hat der dir wohl sehr geschadet.
Auch solche Konflikte werden unter dem Begriff des Nächsten. Und die Nächstenliebe wird ausdrücklich schon an dieser Stelle auf die Fremdenliebe ausgeweitet. Ich will an dieser Stelle kurz einflechten, wie kann man so was durchsetzen? Also auch zum Beispiel du sollst dem Tagelöhner den Lohn abends nicht vorenthalten, weil davon lebt er ja am nächsten Tag. Aber wenn es einer nicht macht. Also das israelitische Recht ist eine Autorität, die man nur freiwillig anerkennen kann. Es ist ein Glaubensrecht. Nur im Glauben wird dieses Recht verbindlich. Es gibt in Israel keine Polizei, es gibt keine Strafverfolgungsbehörde, keine Strafvollzugsanstalt. Es gibt auch keine Gefängnisse in Israel. Später durch ägyptisch, römisch, persischen Einfluss kommt es dann auch mal.
Aber ursprünglich, es gibt in Israel keine Polizei, keinen Strafvollzug. Also wie kann man dann solche Dinge durchsetzen? Gar nicht. Das israelitische Recht ist auf freiwillige Anerkennung angewiesen. Aber klar ist, wenn man dieses Recht beugt oder nicht ernst nimmt, dass du dich nicht mehr auf Gott berufen kannst und dass du die Identität Israels gefährdest. Das muss dir dann klar sein. Jetzt will ich zum Schluss und zum Höhepunkt auch sagen, zum Sozialrecht in der Thora gehören Wirtschaftsbestimmungen. Erstens einmal das Schabbat-Recht. Das will ich nur ganz kurz streifen, weil ich habe einen eigenen Vortrag im Wothaus, der ja auch schon längere Zeit veröffentlicht ist, über den Schabbat. Der Schabbat ist ein Eingriff in das Wirtschaftsleben. Denn die Menschen waren verteilt in der Oberschicht Menschen der Muse, die überhaupt nicht arbeiten mussten.
Dann Mittelschicht, die mussten arbeiten, hatten aber alles reichlich. Und dann die Unterschicht, die mussten ständig arbeiten, gab kein Wochenende. Und dann noch die Entwurzelten unterhalb der Unterschicht, die betteln mussten, die auf fremde Hilfe angewiesen waren. Also diese Einteilung, die es überall in der Antike gibt, durchbricht das Schabbat-Recht. Nämlich alle Menschen in der Welt sollen sechs Tage arbeiten, wenn sie können, wenn sie nicht krank sind. Und alle Menschen haben das gleiche Recht auf Freizeit. Sogar die Tochter der Sklavin. Kein Arbeitgeber, kein Großgrundbesitzer kann am Schabbat einer Tochter einer Sklavin einen Auftrag geben. Also das Schabbat-Recht ist ein tiefer Eingriff in die grenzenlose Verfügungsbedürfnisse der Geltheie dieser Welt,
die am liebsten pausenlos Profit machen. Dem setzt der Schabbat ein Riegel vor. Das zweite Wirtschaftsrecht ist die Sozialsteuer. In den meisten, ich glaube in allen altorientalischen Staaten war der Zehnte die normale Form der Steuer. Meistens in Naturalien abgegeben. Die Geldwirtschaft war damals noch nicht so weit entwickelt. Also Steuern waren sehr oft Naturalssteuern. Und der Zehnte ist so eine grundlegende Form der Steuer, die im Alten Orient bekannt ist. Aber im fünften Buch Mose, also noch nicht im Bundesbuch, aber im fünften Buch Mose, Weiterentwicklung, wird dieser Zehnte auf eine Weise genutzt, wie es in der Menschheitsgeschichte noch niemals der Fall war. Solche Entdeckungen macht man nur, wenn man israelisches Recht formuliert und nicht sagt jüdische Gesetze.
Das hat man niemals vorher entdeckt. Also diese Sozialsteuer ist einzigartig, erstmalig in der Welt. Aus 5. Mose, 14, 28 und 29. Am Ende jedes dritten Jahres sollst du den ganzen Zehnten deines Ertrags von jenem Jahr herausgeben und in deinem Ort niederlegen. Dann mag der Levit, der ja keinen Anteil und Erbbesitz neben dir hat, der Fremde, die Weise und die Witwe, die an deinem Ort wohnen, kommen und sich satt essen. Auf das Jahwe, dein Gott, ich bei aller deiner Arbeit deine Hände segne, die du tust. Und die beiden verblüffendsten Wirtschaftsgesetze einmalig, niemals zuvor in irgendeiner Kultur, sind das Zinsverbot und der Schuldenerlass. An vier Stellen der Thora wird das Zinsnehmen unter Brüdern, also innerhalb von Israel, verboten.
Weil der Zins, der Antike ist nicht Produktivzins zur Gründung einer Firma und so weiter. Das braucht man ja auch. Er ist auch viel höher. Er wird in der Regel gegeben, um abhängig genommen, um Abhängigkeiten auszulösen. Also es ist immer ein Zins in der Notlage eines Menschen und er nutzt die Notlage aus und macht die Menschen dann, wenn sie den Zins nicht zurückzahlen können, damit abhängig. Ich weiß von Finanzfachleuten, dass bis heute das gesamte Zinssystem dieser Welt ein großes Problem ist, in dem viel Ungerechtigkeit steckt. Wenn wir Entwicklungshilfe geben, wir machen ja auch die Leute abhängig von uns, denn sie müssen ja alles mit Zinsen zurückzahlen. Also wir verdienen an der Entwicklungshilfe. Und früher hat man dann immer gern gesagt, man bringt das Geld auf die Bank, damit es dort arbeiten kann.
Also heute haben wir ja eine Zinsflaute, aber früher gab es schon fünf, sieben Prozent, ja Geld arbeitet nicht. Sondern die Vermehrung dieses Geldes entsteht letztlich weltwirtschaftlich darin, dass wir die Grundprodukte und Naturalien der Entwicklungsländer zu schlecht bezahlen. Es herrscht ja ein Wirtschaftskrieg indirekt. Wenn wir gerechte Preise hätten, wo die Arbeiter der sogenannten dritten Welt gerecht bezahlt würden, wäre vieles viel teurer. Aber durch dieses ungerechte System entsteht Spielräume für Zinsen. Es gibt in Mitteleuropa nur einen einzigen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik. In USA keinen einzigen. In der BRD auch nicht. Keinen einzigen. Es gibt einen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik. Der ist an der Universität St. Gallen. Ich habe den Lehrstuhlinhaber, wir haben mit ihm schon Mittag gegessen, wir haben beide nebeneinander vorträge gehalten.
Super Typ, der sagt, ich war bei leitenden Managerausbildungen in USA, die lachen dich nur aus, wenn du mit Ethik kommst. Du bist für die ein Depp. Für die genügt auch nicht ein Fukushima, das macht denen gar nichts. Also amerikanische Managerausbildung, meint er. Unter 20 Fukushima wachen die nicht auf. Also aber in der Thora, in der Sozialgesetzgebung der Thora wird der Mechanismus wie Elend entsteht, genau erkannt. Dietrich Bonhoeffer hat auch einmal gesagt, es genügt nicht, diejenigen zu verbinden, die unter die Räder gekommen sind. Wir müssen dem Rat selber in die Speichen greifen. Und das tut das Zinsverbot. Das Zinsverbot erkennt, dass das Zinsnehmen ein zentrales Problem ist bei der Entstehung und Eskalierung von der Schuldenfalle und vom Elend.
Und hier greift die Sozialgesetzgebung, hier greift Gottes Wille ein. Ich würde den Bibel treuen in dieser Welt, die manche Sachen so ernst und wörtlich nimmt. Ich habe selten mal einen Vortrag über das Zinsverbot in Texas gehört. Würde mal vorschlagen, dass mal die Verbindlichkeit und die, ich will nicht sagen, dass man es eins zu eins ins Heute übertragen kann. Da werden aber viele froh sein. Aber das Zinsverbot zeigt, ist ein Signal für eine Problematik. Und dann der Schuldenerlass. Der erste Schuldenerlass und zwar regelmäßige Schuldenerlass der Weltgeschichte steht im fünften Buch Mose. Das ist ein sensationeller Text. Da sehe ich die Qualität der Bibel. Und diese Qualität überzeugt mich. Der erste Schuldenerlass regelmäßiger Art der Weltgeschichte.
Zunächst zum Zinsverbot. Ah ja, ja, gut, okay. Du sollst von deinem Volksgenossen kein Zins nehmen, weder Zins für Geld, noch Zins für Speise, noch Zins für irgendetwas, was man leihen kann. Von dem Ausländer magst du Zins nehmen, von deinem Bruder aber sollst du nicht Zins nehmen, auf das der Herr, dein Gott, in allem, was du unternimmst, dich segne, in dem Land, dahin du ziehen wirst, es zu besetzen. Und zum Schuldenerlass. Alle sieben Jahre sollst du Erlass gewähren. Und so soll man es mit dem Erlass halten. Erlassen soll jeder Schuldherr das Darlehen, das er seinem Nächsten geliehen hat. Er soll seinen Nächsten und Bruder nicht drängen.
Denn man hat einen Erlass zu Ehren des Herrn ausgerufen. Den Ausländer magst du drängen. Aber was du bei deinem Bruder ausstehen hast, das sollst du erlassen. Denn es soll überhaupt keine Armen unter euch geben. Denn reichlich wird der Herr dich segnen in dem Land, das dir der Herr, dein Gott, zum Erbbesitz geben will, wenn du nur auf die Stimme des Herrn, deines Gottes hörst und dieses ganze Gesetz, das ich dir heute gebe, treu erfüllst. Okay, ich komme zum Schluss. Also in der, ich komme zum Schluss. In der israelitischen Sozialgesetzgebung wird die Produktion von Elend klar erkannt und ihr Gewähr und ihr Widerstand geleistet durch Zinsverbot und Schuldenerlass.
Es gab im Alten Orient immer schon Schuldenerlass. Solon hat ja auch einen berühmten Schuldenerlass für ganz Athen. Aber das war immer nur unregelmäßig, wenn es den Interessen der Oberschicht entsprach. Wenn die Unterschichten ihre Kaufkraft verlieren, können sie auch nicht mehr kaufen und es schadet der ganzen Volkswirtschaft. Dann verkündigt man einen Schuldenerlass. Der kommt aber den Wirtschaftsinteressen der Oberschicht entgegen. Aber der regelmäßige, berechenbare Schuldenerlass hat eine ganz andere Logik. Sicher war das sehr schwer durchzusetzen. Es gibt ja keine Polizei, keine Strafvollzugsbehörde. Es ist auf freiwillige Anerkennung angewiesen und in Nehemia gibt es Stellen, da merkt man, das ist den Oberschichtsleuten in Israel aber verdammt schwer gefallen. Und es ist selten in die Tat umgesetzt worden. Der Nachteil war auch, man leid dann ja auch schon im sechsten Jahr nicht mehr gerne oder vielleicht sogar schon im fünften.
Denn man weiß ja im Jahr drauf muss ich es ja sowieso, sollte ich es nach dem Willen Gottes sowieso erlassen. Es hat also da schon eine etwas problematische Wirkung. Und deswegen hat man dann in der Weiterentwicklung im Heiligkeitsgesetz gesagt, alle 49 Jahre ist ein Erlassjahr. Also die alle sieben Jahre, das war wohl doch starker Tobak. Übrigens ist im Deutonomium auch zu erkennen, dass man das Schabbatjahr vom Bundesbuch kreativ weiterentwickelt. Im Schabbatjahr heißt es, alle sieben Jahre sollst du das Feld ruhen lassen, nicht ernten, Witwe und Weiße und wilde Tiere sollen sich da satt essen. Du sollst also den Erntebetrag sozusagen erlassen für die Armen. Und dieses Erlassen wird im Deutonomium auch finanziell ausgeweitet. Du sollst deine Außenstände, deine Schulden erlassen, wenigstens alle 49 Jahre. So auf jeden Fall der Wille Gottes. Der entspricht also nicht der Wirtschaftslogik.
Ich möchte so schließen, diese Zuwendung Gottes zu den ausgebeuteten, abhängigen, benachteiligten Elenden ist genauso ein Wesensmerkmal Gottes wie seine Einzigkeit. Wenn wir über die Eigenschaften, die Wesensmerkmale Gottes reden, da geht es nicht nur Gott ist der eine und keine anderen Götter. Jawohl, das stimmt. Aber zum Wesen Gottes gehört nicht nur seine Einzigkeit, sondern auch seine Zuwendung zu den Bedrohten und Beschützenswerten. Das gehört auch zu seinem Wesen. Abschließend zusammengefasst in einem ergreifenden Text von Jesaja 58. Damit will ich schließen. Markus wird den Text vorlesen und dann werde ich noch zwei Sätze sagen und dann erholt euch gut.
Ist nicht das ein Fasten, wie ich es liebe? Dass du ungerechte Fesseln öffnest, die Stricke des Jochs löst, dass du Misshandelte frei sein lässt und jedes Joch zerbrichst, dass du dem hungrigen dein Brot brichst und Arme obdachlose in dein Haus führst. Wenn du einen Nackten siehst, dass du ihn kleidest und dich den Brüdern nicht entziehst, dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Heilung rasch voranschreiten. Also, ihr lieben Mitchristen, wenn ihr ungerechte Fesseln löst, jedes Joch zerbrichst, obdachlose in dein Haus aufnimmst und ähnliche Dinge, wenn das in deinem Gewissen verbindlich ist als Gottes Wille, dann wird dein Licht leuchten wie der Morgenstern
und dann wird deine Heilung rasch voranschreiten.
Das israelitische Recht und die Sozialgesetzgebung der Thora | 7.8.1
Die Zehn Gebote haben die meisten im Religionsunterricht auswendig gelernt, auch Nicht-Christen kennen die meisten dieser Regeln: »Du sollst nicht…« Weniger bekannt – und schwerer zu merken – sind die Gebote, an die sich gläubige Juden halten sollen. 613 insgesamt. In der christlichen Geschichte wurde dieses Gesetz der Juden lange verachtet. Völlig zu Unrecht, erklärt Siegfried Zimmer und zeigt, wie einmalig und revolutionär das israelitische Recht im Alten Orient war. Die Gebote in der Torah nahmen dem König seine Allmacht, stellten alle Bewohner – Freie und Sklaven, Arme und Reiche – auf eine Stufe und schränkten Verstümmelungs- und Todesstrafen drastisch ein. Und diese Gesetze zeigen einmal mehr das Wesen Gottes. Denn bei den 613 Geboten geht es viel weniger um Verbote à la »Du sollst nicht…«, sondern viel mehr um den Schutz der Schwächsten im Land. Und um die Liebe Gottes zu seinem Volk.