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Die Bezeichnung hohes Lied stammt nicht aus der Bibel, sondern sie ist erst durch Martin Luther üblich geworden. Und sie hat sich im deutschsprachigen Raum so fest eingebürgert, dass ich diese Bezeichnung selbstverständlich auch verwende. Auch im katholischen Raum wird auch vom Hohen Lied gesprochen. In der Bibel selber heißt es das Lied der Lieder. Das ist im Hebräischen ein Superlativ und heißt das schönste Lied, das von keinem anderen Lied übertroffen wird. Also Lied der Lieder oder Blume der Blumen oder König der Könige,

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das ist so ein orientalischer Superlativ. Das Allerheiligste heißt das Heilige des Heiligen. Und das übersetzt man dann mit Allerheiligste. Also in der Bibel heißt diese Liedersammlung das Lied der Lieder. Aber Luther hatte sich das sehr gut überlegt, warum er das nicht so direkt übersetzt. Im Englischen zum Beispiel heißt es noch heute The Song of Songs. Aber irgendwas störte Luther an diesem Superlativ. Er war ein sehr kluger, seelsorgerlich, weit voraus denkender Mensch und er hat deswegen dieses Lied der Lieder als hohes Lied übersetzt, weil er wollte, dass

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beim Lesen dieses Hohen Lieds die Leser sofort an das Hohelied im Neuen Testament denken. Das war nämlich damals schon üblich, dass man das 13. Kapitel von 1. Korinther 13 das Hohelied der Liebe nannte. Und Luther wollte die Gedanken seiner Leser für Jahrhunderte steuern und es ist ihm auch gelungen, indem er jetzt dieses alttestamentliche Lied der Lieder auch Hohes Lied nennt. Er wollte, dass man sofort an das Hohelied im Neuen Testament denkt. Und das Lied im Neuen Testament, das Hohelied der Liebe 1. Korinther 13, da geht es wirklich um die Agape, die Liebe, die nicht an das Irre denkt, die langmütig ist und so weiter und so weiter. Aber zwischen dem

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Hohen Lied des Alten Testaments und dem Hohen Lied des Neuen Testaments gibt es sehr tiefgreifende Unterschiede, die Luther eher verniedlichen wollte. Denn im Hohen Lied des Alten Testaments, im Lied der Lieder, da geht es nicht einfach um die Agape. Es geht schon auch um die Liebe, aber es geht vor allem um die körperliche Seite der Liebe, um die Leidenschaft, um die Sehnsucht, um die Erotik. Darum geht es im Lied der Lieder. Und das war Luther gar nicht geheuer, denn Luther vertrat wie alle Leute seiner Zeit und seit Jahrhunderten die allegorische Auslegung des Hohen Lieds. Und da geht es dann nicht um zwei Menschen, die sich lieben, sondern der eine Mensch ist Gott oder die eine Person ist Gott

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oder Christus und das ist die männliche Person im Hohen Lied und die weibliche Person ist im Judentum das Volk Israel, das ist die Braut oder im Christentum die Gemeinde. Also in der allegorischen Auslegung des Hohen Liedes geht es um die Liebe zwischen Gott und Israel oder zwischen Christus und seiner Gemeinde. Und diese Auslegung hat Luther für die einzig Richtige gehalten und die andere für ziemlich gefährlich und deswegen nannte er das Lied der Lieder, Shir Hashirim im Hebräischen, nannte er Hohes Lied. Das waren so seine Gedanken, die ihn geleitet haben. Aber jetzt gehen wir hinter Luther zurück direkt auf den Bibeltext. Also das Lied oder die Liedersammlung, um die es

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jetzt gehen wird, heißt Shir Hashirim, Lied der Lieder. Das Wort Shir, Lied, ist im Hebräischen immer ein fröhliches, heiteres Lied. Für Klagelieder gibt es im Hebräischen andere Ausdrücke. Und die fröhlichen Lieder wurden sehr oft durch Instrumente begleitet, durch die Flöte, durch die Handpauke, durch die Leier und andere Instrumente. Es ist allerdings so, dass es im Lied der Lieder gar keinen Hinweis darauf gibt, dass diese Texte wirklich gesungen wurden. Es gibt darauf nicht den geringsten Hinweis, kann sein, kann auch nicht sein, wir wissen es schlicht nicht. Also wir können auch

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sagen, es sind Gedichte oder wir können sagen, es ist Liebeslyrik. Ist auch richtig. Jetzt gehen wir mal zum Thema. Ich sage jetzt wieder hohes Lied, weil dieser Ausdruck ist so fest eingebürgert, es hat keinen Sinn, ihn da irgendwie nochmal umstülpen zu wollen. Darum geht es ja auch nicht. Was ist das Thema dieser Liedersammlung? Diese Liedersammlung hat ein ganz bestimmtes Thema, ein einzigartiges Thema, das nie wieder in der ganzen Bibel so angesprochen wird in dieser Art und in dieser Ausführlichkeit und Intensität. Wenn also das hohe Lied fehlen würde in der Bibel,

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dann hätten wir in der Bibel keine Schrift, die die körperliche Seite der Liebe, ihre Leidenschaft, ihre Lust, ihre Erotik, ihre Sehnsucht so in den Mittelpunkt stellt wie dieses Liedersammlung. Ja, also das ist schon was einzigartiges und das möchte ich auch, soweit man das in einem ersten Vortrag kann, ich hoffe, dass ich Gelegenheit finden werde, da weitere Vorträge drüber zu halten, möchte ich jetzt auch in den Mittelpunkt stellen. Dieses Thema spiegelt sich sehr deutlich in dem sogenannten Themavers. Es gibt im Hohen Lied einen Vers, es ist, man kann wohl sagen, der wichtigste Vers im Hohen Lied. Der steht in Kapitel 8, Vers 6b bis 7a. Das ist der sogenannte

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Themavers. Hier wird ziemlich am Ende, es ist kurz vor dem Ende des Hohen Lieds, das Thema glasklar, leidenschaftlich und beeindruckend formuliert. Tine, sei mal bitte so freundlich und lies mal diesen Themavers vor. Denn die Liebe ist stark wie der Tod und die Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich und eine Flamme Jahwes. Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen, noch die Ströme sie ertränken. Ja, noch einmal, so dass alle es gut inhalieren können. Denn die Liebe ist stark wie der Tod und die Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich und eine Flamme Jahwes. Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen, noch die Ströme sie ertränken.

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Jawohl, das ist das Thema des Hohen Lieds. Die Liebe ist stark wie der Tod. Du kannst den Tod nicht zähmen, der lässt sich nicht zähmen. Du kannst den Tod nicht reglementieren, der Tod beugt sich keinen Regeln. Du kannst auch die Liebe nicht zähmen und sollst es auch nicht. Die Liebe hat ihre eigenen Regeln. Und dann, die Leidenschaft ist unwiderstehlich, merkt's euch, ist unwiderstehlich wie das Totenreich. Du kannst dem Totenreich nicht widerstehen und der Leidenschaft auch nicht. Wenn du es tust, dann hast du nicht kapiert, was Leidenschaft ist. Soweit der Tod von der Moral entfernt ist,

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so weit ist die Liebe und die Leidenschaft von der Moral entfernt. Und es heißt hier, die Liebe und die Leidenschaft sind eine Flamme Jahwes. Jahwe hat die Leidenschaft geschaffen und die Liebe. Und was Jahwe schafft, ist gut. Diese Übersetzung ist übrigens sehr umstritten, die ich jetzt gewählt habe. Aber in neuerer Zeit, die Hebraisten, ich habe das von Hebraisten, die also zum Beispiel von Rüdiger Badelmus, der schreibt in ein, zwei, drei Jahren, kommt sein Kommentar zum Hohen Lied heraus, der und andere. In diesem Thema Fers kommt nämlich das kleine Wörtchen Jah vor. Und das kann man auf zweierlei Weise deuten. Das Wörtchen Jah im Hebräischen ist

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ein Verstärkungspartikel. Deswegen übersetzen manche, die Leidenschaft ist eine gewaltige Flamme. Das Wort gewaltig kommt dadurch zustande, dass das Wörtchen Jah als Verstärkungspartikel gewertet wird. Aber das Wörtchen Jah ist auch die Abkürzung von Jahwe. Jesaja, Obatia und so weiter, Jeremia ist auch immer die Abkürzung von Jahwe. Und ich gehe davon aus, dass sich das durchsetzen wird. Es heißt hier, es ist keine Verstärkungspartikel, sondern die Liebe und die Leidenschaft werden in ihrer Unwiderstehlichkeit als Flamme Jahwes hier ganz klar eingeführt. Also dieses Thema, die Liebe

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in ihrer Leidenschaft, in ihrer körperlichen Dimension, in ihrer Sehnsucht, in ihrer Lust und in ihrer Erotik ist unwiderstehlich. Und das heißt im Hohen Lied ganz oft, stört die Liebe nicht. Die Liebe ist unantastbar. Die Würde des Menschen ist unantastbar und die Liebe ist auch unantastbar. Das Schlimmste, was man tun kann, ist die Liebe und die Liebenden zu stören. Zum Beispiel mit irgendwelchen rabiaten Regeln. Im Hohen Lied gibt es überhaupt keine Pass-auf-Mentalität.

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Pass auf, da kannst du Fehler machen, nicht zu viel und so weiter. Es geht gar nicht um die moralische Bändigung der Leidenschaft. Darum geht es überhaupt nicht. Nirgendwo. Es gibt keine Regeln. Das Hohen Lied ist nicht ordnungsinspiriert, ist nicht ordentlich. Die Liebe ist auch nicht ordentlich, der Tod ist auch nicht ordentlich. Der Tod ist destruktiv unordentlich und die Liebe ist produktiv unordentlich. Aber sie hat chaotische Elemente und wenn man immer gleich automatisiert, je nach Prägung und Erziehung, Erotik, Leidenschaft. Aufpassen, aufpassen, da müssen Regeln her. Das muss man bändigen. Nein, im Hohen Lied wird die Leidenschaft nicht gebändigt, sondern gefeiert,

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bewundert, bestaunt und erlebt. Ja, jetzt noch ein paar weitere Vorfragen, bevor ich dann einige wenige Verse des Hohen Liedes euch interpretieren will. So als erstes kennenlernen. Das Hohen Lied ist eine Liedersammlung. Es ist gar nicht so leicht festzustellen, ist diese Sammlung sehr lose, also eine ganz lose Flickenteppich, vielleicht nur durch Stichwortverbindungen oder Einzelmotive gibt es da einen Zusammenhang. Ansonsten eigentlich überhaupt kein fortlaufender Faden. Ja, das stimmt zum großen Teil, aber ganz so ist es nicht. Das Hohen Lied ist schon auch eine Komposition, also

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es ist nicht nur eine lose Platzsammlung, aber diese kompositorischen, oder man könnte auch sagen, die erzählenden Elemente. Eine Erzählung hat ja immer auch einen Vortgang, hat einen Faden. Diese erzählenden Elemente im Hohen Lied sind sehr zurückhaltend. Also reine lose Platzsammlung, mehr oder weniger kunterbunt, das ist zu wenig. Aber auf der anderen Seite, man hat so 70, 80 Jahre lang diskutiert, so von 1880 bis 1950 oder so, hat man diskutiert, ob das Hohen Lied ein Drama ist mit einem ersten Akt, zweiten Akt, dritten Akt, vierten Akt, fünften Akt. Wobei sich die Akte

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in einem Drama auf jeden Fall irgendwie folgerichtig auseinander ergeben. Man hat nach 70, 80 Jahren Diskussionen aufgegeben, nein, das stimmt nicht. Man kann nicht sagen, das Hohen Lied insgesamt ist ein Drama. Das Hohen Lied insgesamt ist keine Einheit. Es ist auch nicht in einem Zug geschrieben worden, sondern man kann schon in die Richtung gehen, jedes Lied im Hohen Lied ist eine kleine Welt für sich. Zwar kompositorisch angeordnet, aber Vorsicht, dass man nicht jetzt meint, man kann von Anfang bis Ende einen Handlungsablauf im Hohen Lied finden. Zum Beispiel ein relativ neuer, konservativer Kommentar, der macht eigentlich wieder das Gleiche. Er sagt nicht, das Hohen Lied

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ist ein Drama. Wahrscheinlich weiß er, dass er da keine Chance mehr hätte. Aber er teilt das Hohen Lied auch in folgende Schritte ein. Erstens, das Paar lernt sich kennen. Zweitens, das Paar verabredet sich zum Rendezvous. Drittens, das Paar heiratet. Und viertens, pünktlich nach der Heirat, das Paar im Sinnenrausch. Nach der Heirat, Sinnenrausch. Vorher auf keinen Fall. Das Fünfte, was er da bringt, weiß ich jetzt nicht mehr. Aber das Ganze riecht dermaßen, was nicht sein darf, das kann auch nicht sein. Er folgert messerscharf, das nicht sein kann, was nicht sein darf. Er kommt genau zu dem Ergebnis, dass die Ethik dieser Kreise sich erwünscht. Das ist auch Herrschaft über den

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Text. Also so einen folgerichtigen Ablauf hat das Lied der Lieder nicht. Die Endredaktion, wann ist diese Liedersammlung endgültig redaktionell zusammengefügt worden? Das sagen alle Fachleute heute. Das ist weitgehend Konsens. Im dritten Jahrhundert vor Christus. Einzelne Lieder können aber wesentlich älter sein. Das ist ähnlich wie im Kirchengesangbuch. Du kannst ein Kirchengesangbuch auch nicht richtig datieren. Du kannst zwar sagen, da und da ist das Kirchengesangbuch herausgegeben worden, aber die einzelnen Lieder können ja hunderte älter sein. Also auch im Hohen Lied können einzelne Lieder wesentlich älter sein, auch vorexilisch. Das ist sehr schwer zu sagen.

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Ich lasse mich da auch nicht weiter drauf ein. Da gibt es keinen Konsens. Auch wie viele Lieder es im Hohen Lied gibt, kann man eigentlich nicht ohne weiter sagen. Denn im Schriftbild des Hohen Liedes gibt es keine Abgrenzungen zwischen den Liedern. Also das ist auch umstritten. Man kann die Lieder unterschiedlich einteilen. Dann noch zwei, drei weitere so hinführende Vorbemerkungen. Das Entstehungsmilieu des Hohen Liedes ist ganz klar die städtische Oberschicht. Das Hohelied ist sehr gehobene, poetische Sprache voller schöner Bilder und Metaphern. Und das zeigt sehr deutlich die Bildung derer, die diese Texte geschrieben haben. Dann kann man auch sagen, im Hohen Lied zeigt sich

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ein unproblematisches Verhältnis, ein vertrautes Verhältnis zum Luxus. Es werden Duftstoffe genannt, Wein und andere Dinge, die es eigentlich nur in der Oberschicht gibt. Dieses dritte Jahrhundert, da will ich noch ein bisschen näher drauf eingehen. In diesem dritten Jahrhundert war Israel schon längere Zeit unselbstständig. Es war also beherrscht durch eine fremde Macht. Das war damals im dritten Jahrhundert die Ptolemaeer, eine griechisch geprägte fremde Macht. Und die Oberschicht in Israel war politisch depotenziert. Sie hatten politisch nicht viel zu sagen. Und in diesem dritten Jahrhundert erlebte Israel einen sehr intensiven Hellenisierungsprozess. Sie kamen

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intensiv jahrzehntelang mit der griechischen Kultur in Kontakt und das hat zu vielen Veränderungen geführt, zu gegenseitigen Befruchtungen, vor allem in den größeren Städten. Da war der hellenistische Einfluss natürlich stärker als auf dem Land. Und gerade auch in der Rolle der Frau gab es dann in diesem dritten Jahrhundert unter diesem Hellenisierungsschub neue Möglichkeiten für die Frau, die es sagen wir mal auf dem Land überhaupt nicht gegeben hat. Gut, eine letzte Vorbemerkung, bevor ich dann in die Texte reingehe. Das Hohe Lied ist also eine Sammlung mit Kompositionscharakter, aber sehr zurückhaltend, ist eine poetische Sprache. Und die poetische Sprache,

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es handelt sich auf jeden Fall um Poesie. Und in der Poesie spricht man nicht exakt, redet man nicht betriebswirtschaftlich mit genauen Bilanzen und so. Die Sprache der Liebe lebt von Andeutungen. Es wird vieles nur angedeutet. Und die Phantasie der Leser und wenn es gab, Leserinnen, mussten sich dann selber da einen Reim drauf machen. Also im Hohen Lied gibt es sehr viele Stellen, die sind mehrdeutig. Und zwar meistens bewusst mehrdeutig. Und man soll das Hohe Lied nicht eindeutiger machen wollen, als es ist. Dabei spielt eine große Rolle, dass für die wissenschaftliche Interpretation des Hohen Liedes nur der unvokalisierte Text entscheidend ist. Die

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hebräische Sprache ist eigentlich eine reine Konsonantensprache. Es gibt im Schriftbild des Alten Destamens, auch im Schriftbild des Hohen Liedes, nur Konsonanten. Und das ermöglicht natürlich viele Möglichkeiten. Viele Jahrhunderte später haben die sogenannten Masoretten diesen unvokalisierten Text mit Zeichen, mit Pünktchen versehen über den Buchstaben oder unter den Buchstaben, wie man diese unvokalisierten Konsonantentext, wie man ihn aussprechen soll. In der Regel sind diese masoretischen Punktierungen ausgezeichnet. Das sind ja der Kenner der Bibel, selber Juden, selber Gelehrte. Trotzdem muss man vorsichtig sein. Die Vokalisierung durch die

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Masoretten entspricht dem jüdischen Bewusstsein der Masoretten, 500 Jahre später und noch später. Man muss da vorsichtig sein. Wir kommen nachher gleich auf Beispiele, wo die Masoretten aus ihren Interessen heraus falsch vokalisiert haben. Also, Prüfstein der Interpretation ist ganz allein der Konsonantentext. Jetzt gehen wir mal zur Überschrift. Luther übersetzt die Überschrift so das hohe Lied Salomos. Und so steht es auch in vielen Bibeln. Das hohe Lied, also auch katholische Übersetzungen übernehmen den Begriff. Also in der Regel steht als erster Satz das hohe Lied Salomos.

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Aber so steht es nicht in der Bibel. In der Bibel steht eine ungewöhnliche, fremdartige Wendung, die nur an dieser Stelle steht. In anderen Schriften, die auch, sagen wir mal, Salomon zugeschrieben werden, Sapienza, Weisheit Salomos oder Prediger oder auch in den Sprüchen werden große Teile Salomon zugeschrieben. Da heißt es überall Sprüche Salomos. Ist ja auch sehr einfach, Genitiv, Constructus sagt man im Hebräischen. Jetzt kommen die Sprüche Salomos, hätte man ja sagen können. Und so steht es in anderen Schriften. Aber in der Bibel beim hohen Lied steht etwas

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anderes. Das steht, Tine, lies mal vor. Das Lied der Lieder, welches ist Salomo gewidmet? Ja, auch diese Übersetzung, man kann es nicht genau übersetzen. Also da steht das Lied der Lieder und jetzt ganz wörtlich, welches ist Salomo? Also das gibt es in den Psalmen nicht, es gibt es bei den anderen Angaben am Anfang der Bücher nicht. Das gibt es nur hier. Das ist eine einzigartige Wendung und die ist unklar. Also wörtlich gesagt, der Lieder, welches ist Salomo? Dieser Relativsatz, diese Relativpartikel, die gibt normalerweise den Besitzer an Bauernhof, welcher ist sowieso, dem gehört der Bauernhof. Aber das kann ja hier nicht übertragen werden. Wenn man das als Verfasserangabe werten will, so wird es, zumindest in der Vergangenheit war es immer so, dann muss

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man sagen, aber aus diesem Relativsatz geht es nicht hervor. Der Relativsatz klärt nicht, ob Salomo der Verfasser dieses Liedes ist. Und man muss sagen, man kann diesen Relativsatz auf verschiedene Weise übersetzen, dass er eine Verfasserangabe ist. Das ist eigentlich die unwahrscheinlichste Übersetzung. Denn man muss sich ja fragen, warum sagen sie es nicht klar? Es gab doch einfache, klare Möglichkeiten. Warum stellen sie das nicht einfach klar? Da muss es einen Grund geben. Sie wollten es nicht klarstellen. Sie wollten das Verhältnis in der Schwebe halten. Es ist viel wahrscheinlicher, dass dieser Relativsatz so gemeint ist. Lied der Lieder und dieses Lied der

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Lieder haben wir zusammengestellt im Blick auf Salomo, hinsichtlich Salomo. Man könnte auch sagen, wir widmen es Salomo. Und wie ihr merken werdet, das ist kritisch gemeint, kritisch. Denn wer war Salomo? Ja, er gilt als der weiseste Mensch, schon klar. Und er ist der Patron der Weisheit. Indem jetzt diese Liedersammlung in eine Beziehung zu Salomo gebracht wird, wird schon damit geklärt, es ist eine weisheitliche Schrift. Das ist unbestritten, weil Salomo war der weiseste aller Menschen. So wie Mose der Patron des Rechtes ist, aller rechtlichen Fragen, oder David der Patron

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oder der Schirmherr der Musik, so war Salomo das Schirmherr der Weisheit. Und da wurde ihm auch viel gewidmet. Zum Beispiel bei der Schrift Weisheit Salomos, da heißt es im Canon Curatorii, diese Schrift stammt von Freunden, die Salomo mit dieser Schrift ehren wollen. Also da merkt man, das ist gar nicht als Verfasserangabe gemeint. Ja, ich muss ein bisschen darauf hinweisen, wer Salomo war. Salomo kam nur durch eine Intrige, in der seine Mutter Batsiba mitverwickelt war, an die Macht. Er hat mehrere Morde auf dem Gewissen. Seine Regierungszeit war voller Kriege

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und Konflikte. Er hat seine eigene Bevölkerung blutig ausgebeutet durch Fronarbeit, unbezahlte Zwangsarbeit. Und diese Fronarbeit hat dermaßen destruktive Folgen gehabt, dass die Einheit des Staates Israel zerbrochen ist. Das Nordreich hat gesagt, wir fahren doch nicht extra nach Jerusalem runter, um drei Monate lang kostenlos zu schuften. Das sollen die da unten mal machen, die sind näher dran. Also Salomo ist die Hauptursache, dass der Staat Israel auseinandergefallen ist. Dann muss man sagen, Salomo hatte 60 Hauptfrauen, also er hatte 60 Königinnen. Es waren wirklich alles Königinnen, es waren seine Hauptfrauen. Dann hatte er noch 80 Nebenfrauen und in seinem Haar waren 700 Frauen. Aber am wichtigsten nehmen wir mal die Hauptfrauen, 60 Königinnen. Also wenn

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Salomo heiratet, das ist nichts Besonderes. Das macht er alle Vierteljahre, das macht er fünfmal im Jahr, das macht er serienmäßig. Stell dir mal vor, 700 Frauen im Haar, es war der größte Haar, überall berühmt und berüchtigt. Und das heißt auch, Salomo liebte vor allem die ausländischen Frauen, also im Königsbücher könnt ihr das alles nachlesen, aber die verführten ihn auch zum Götzendienst. Er heiratete unter anderem, er hat viele geheiratet, er heiratete die Tochter des Pharao, aber das war politisches Kalkül, völlig klar. Oder auch die Königin von Zaba. Jetzt muss man sich also fragen, warum widmet man diesen sehr frauenbetonten Text? Ausgerechnet einem Mann,

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der 700 Frauen im Haar hatte, 60 Hauptfrauen, 80 Nebenfrauen. Also eine Hochzeit ist bei dem nichts Besonderes. Es kommt auch mal eine Hochzeit vor, aber sehr ironisch, darf ich euch sagen. Also diese Widmung von einer Liedersammlung, in der eine Sprecherin und ein Sprecher, eine Protagonistin und ein Protagonist ganz verbindlich sich gegenseitig zugehörig fühlen. Nirgendwo geht es um freie Liebe mit wechselnden Partnern, sondern du bist mein und ich bin dein und du bist einzigartig für mich und ich bin einzigartig für dich. Allerdings mit aller Leidenschaft, mit allen Intimitäten, ungeniert, nicht zaghaft, nein, gar nicht. Aber eine Sensibilität der

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Zweisamkeit. Das Schönste, was es gibt, ist die Zweisamkeit. Lasst uns enteilen, lasst uns von hier weggehen und beieinander sein. Und da heißt es auch oft, wenn wir beieinander sind, dann kommt der Schalom. Heißt es an mehreren Stellen. Und es heißt, da ist Gott mitten dabei, denn Schalom gibt es nur von Gott. Ja, warum widmet man eine solche Zweierschrift so einem Weiberheld? Ja, kritisch. Salomon, hier kannst du mal vielleicht lernen, was Liebe ist. Es kommt einmal, es kommt ein Text vor, da wird Salomon dreimal genannt. Salomon kommt im Text selber gar nicht oft vor,

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er wird nie angesprochen. Und in einem Text, da feiert er Hochzeit, aber relativ skurril. Wie gesagt, Hochzeit sagt bei ihm nicht viel. Lies mal Hohes Lied 3, Tine, Vers 9 bis 11. Da kommt der Name Salomon dreimal vor. Ist also der absolute Zentraltext. Der König Salomon ließ sich eine Sänfte machen aus Holz vom Libanon. Ihre Säulen machte er aus Silber, die Decke aus Gold, der Sitz Purpuren, das Innere geziert mit Edelstein. Ihr Töchter Jerusalems kommt heraus und seht, ihr Töchter Zions, den König Salomon mit der Krone, mit der ihn seine Mutter gekrönt hat am Tage seiner Hochzeit, am Tage der Freude seines Herzens. Ja, diesen Text kann man nur tief

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ironisch verstehen. Denn das ist der einzige männerzentrierte Text, ein echter Machotext, was er alles für Luxus investiert. Und dann sollen die Töchter Jerusalems, die Töchter Zions kommen und ihn bewundern. Man fragt sich, wo ist denn überhaupt die Braut? Die kommt gar nicht vor. Die spielt keine Rolle. Es ist ein männerzentrierter Machotext. Und so hat er die Hochzeit gefeiert und die Freude seines Herzens, die gab es ja auch serienmäßig bei ihm. Also dieser Text passt mit dem übrigen Hohen Lied absolut in keiner Weise zueinander. Wenn man übrigens diesen ersten Vers, das Hohelied Salomons, wenn man das als Verfasserangabe wirklich liest, nehmen wir das mal ganz ernst. Also da heißt der erste Satz das Hohelied Salomons. Und wie

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geht es weiter im zweiten Satz? Tine kannst du mal zitieren? So die nächsten zwei Sätze, einfach mal nur mal zum Hören. Hohes Lied 1, 1, 2 und so weiter. Ja, 2 und 3. Er küsset mich mit den Küssen seines Mundes. Ja, deine Liebe ist köstlicher als Wein. Soweit mal. Also es steht da das Hohelied Salomons. Er ist der Verfasser für die Leute, die es so sehen. Und jetzt heißt es als nächstes, er küsset mich mit den Küssen seines Mundes. Ja, seine Liebe ist köstlicher als Wein. Ja, da hat man jetzt ein schweres Problem. Weil das kann doch nur, wenn Salomo der Verfasser ist, dann ist es jetzt ein wörtliches Zitat von Salomo. Also Salomo sagt hier, er küsset mich mit den Küssen

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seines Mundes. Und jetzt ist vollkommen klar, das ist allegorisch. Salomo ist hier in einer weiblichen Rolle, weil Israel ist ja die Braut oder die Gemeinde. Jetzt, da stolpert man fast zwangsweise in die Allegorie. Salomo ist weiblich und er redet Gottvater als den liebenden Vater an. Und nachher kommt das Salböl, das kann man messianisch deuten, der Gesalbte. Also wenn man, so war es zumindest früher, heute ist man da vorsichtiger geworden, nachdem man die schreienden, himmelschreienden Vergleiche der Allegorie, das hält sich einem im Kopf nicht aus, ich will darüber jetzt mich nicht weiter äußern. Also wenn man das als Verfasserangabe sieht, dann rutscht man, weil was soll denn dann der Vers 2? Der ist ja völlig komisch. Gut, jetzt wenden wir uns aber just diesem ersten Lied zu.

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Wie viele Lieder die Liedersammlung hat, weiß keiner definitiv. Manche sagen über 20, andere sind weniger. Das kann man nicht richtig fest entscheiden. Aber unbestritten in der Wissenschaft ist, das erste Lied ist 2 bis 4 und das zweite Lied ist 5 bis 6. Das ist völlig unbestritten. Ich kenne keine Literatur, die das bezweifelt, in der Fachliteratur. Jetzt liest mal das erste Lied des Vers 2 bis 4. Er küssse mich mit den Küssen seines Mundes. Ja, deine Liebe ist köstlicher als Wein. Köstlich riechen deine Salben. Dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe. Darum lieben dich die jungen Frauen. Zieh mich dir nach, wir wollen enteilen. Der König führe mich in seine Gemächer. Wir wollen

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jauchzen und deiner uns freuen. Wir preisen deine Liebe mehr als Wein. Mit Recht lieben sie dich. Ja, das ist also das erste Lied. Nochmal Vers 2 noch mal ganz am Anfang. Er küssse mich mit den Küssen seines Mundes. Ja, deine Liebe ist köstlicher als Wein. Soweit mal. Also stellt euch mal vor, wer von euch hätte sich das gedacht? Stellt euch mal vor, diese Liedersammlung, der erste Satz, keine Klärung der Umstände, keine Herleitung, um was geht es überhaupt? Nein, totaler Sprung ins Wasser. Er küssse mich mit den Küssen seines Mundes. So geht es los. Keinerlei Vorbereitung. Es geht sofort in die Leidenschaft. Gleich der erste Satz voller Leidenschaft. Nicht zaghaft, energisch.

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Die Stimme einer Frau. Ja, sapperlott. Eine Frau fängt an. Ja, das hohe Lied wird begonnen mit der Stimme einer Frau und das hohe Lied endet mit der Stimme einer Frau. Unglaublich, gell? Das hohe Lied hat überhaupt keinen, außer diesem ironischen Text, keinen männerzentrierten Satz. Die Frauen waren ja untergeordnet unter die Männer. Aber im hohen Lied gibt es keinen Satz, der diese Unterordnung thematisiert. Im Gegenteil, die Frauen sind aktiver als die Männer. Nämlich, die Frauen haben das gleiche Verlangen wie die Männer, aber sie initiieren mehrere Rendezvous. Sie organisieren die Rendezvous im Haus meiner Mutter. Sie schleusen den Geliebten von außen ins Haus rein. Alles

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Initiative der Frauen. Und hier ein Wunsch, ein sehnsüchtiger Wunsch. Das hohe Lied beginnt mit Leidenschaft und Sehnsucht. Wer das nicht kennt, der wird mit dem hohen Lied nicht viel anfangen können. Ja, und jetzt sofort ein Springen. Er küsset mich mit den Küssen seines Mundes und wechselt der Anrede. Ja, das ist ein Begeisterungsausruf. Ja, deine Liebe ist köstlicher als Wein. Also im ersten Satz redet sie noch in der dritten Person. Er küsset mich mit den Küssen seines Mundes. Jetzt sofort, wie wenn er da ist. Ja, deine Liebe ist köstlicher als Wein. Das ist ganz typisch für Sehnsucht und Liebeslyrik. Das geht kunterbunt. Was soll

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da Grammatik? Die Gefühle gehen durch. Einmal dritte Person, dann zweite Person. Machen wir mal weiter. Köstlich riechen deine Salben. Dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe. Ja, jetzt kommen zwei Mal Salben vor. Das waren Duftöle, sehr teuer, nur in der Oberschicht möglich. In den städtischen Oberschichten, da haben sich Männer und Frauen parfümiert. Und zwar mit ebenso duftenden Ölen. Diese Ausdrücke für diese Duftöle sind sehr jung. Die können also nicht aus der Zeit von Salomo sein. Die gibt es erst nach exilisch. Ja, also auch der Geruchssinn, die Düfte, die Öle. Darum lieben

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dich die jungen Frauen. Ja, das ist ein sonderbarer Satz. Vieles sonderbar. Ich kann vieles, weiß ich auch nicht. Darum lieben dich die jungen Frauen. Die Elberfelder übersetzt hier, darum lieben dich die Mädchen. Nein, das ist Wunschdenken. Ist fromme Diktatur über dem Bibeltext. Nein, die jungen Frauen sind sexuell reif, sind heiratsfähig, es sind keine Mädchen. Und ja, die lieben den auch. Weiß ich auch nicht. Auf jeden Fall, ich habe den deutlichen Eindruck, das gefällt dieser Sprecherin, dass ihr Geliebter sehr beliebt ist bei den Frauen. Viele Frauen laufen dem nach und liegen ihm zu Füßen. Das tut ja einem selber gut. Ich habe da wirklich so ein Prachtexemplar an Land gezogen. Weiter. Zieh mich dir nach, wir wollen enteilen. Jawohl, so weit mal.

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Die zwei Aufträge, die fallen ein bisschen auf. Ich will nicht jetzt zu genau in die Grammatik gehen, aber das ist alles sehr, sehr bewusst. Das ist, was Sie hier hören, ist Weltliteratur. Also, zieh mich dir nach. Ganz wörtlich müsste man übersetzen, schleppe mich dir nach. Und gemeint ist, das ist Metaphorik, der Löwe hat eine Beute und die zieht er hinter sich her, dass er sie irgendwo mal genüsslich kosten kann. Also zieh mich hinter dir her. Das heißt, hier haben wir nicht so richtig Ruhe. Zieh mich mal wohin, wo wir richtig loslegen können. Und das zweite heißt? Wir wollen enteilen. Wir wollen enteilen. Ja, hier diese bürgerliche, diese spießbürgerliche, diese Biedermann. Komm,

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wir hauen ab. Wir machen die Fliege. Lass uns enteilen. Das Ziel wird gar nicht angegeben, spielt da keine Rolle, sondern wir wollen einfach beieinander sein. Weiter. Der König führe mich in seine Gemächer. Jetzt wieder er. Es geht Kraut und Rüben durcheinander. Auf einmal der König. Da müsst ihr wissen, in der Liebeslyrik ist der Geliebte sehr oft der König. Also, es geht hier nicht um einen realen König. Er führe mich in seine Gemächer. Manche sagen in seine Zimmer. Nein, nein, das sind Gemächer, das Oberschicht. Im Bauernhof, da gibt es ein paar Zimmer. Aber da, wo der Geliebte lebt, der hat Gemächer. Das ist also Willen, Willen der Oberschicht. Und dieses Wort Gemächer, wenn man die Stellen alle mal sammelt, in über der Hälfte der Fälle handelt

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es sich um Schlafgemächer. Wir wollen jauchzen und deiner uns freuen. Ja, jetzt kommt ein ganz geheimnisvoller Satz. Wir wollen jauchzen und uns deiner freuen. Wer ist das Wir? Es ist voll rätselhaft. Wir wollen uns deiner freuen. Also, da ist jetzt nicht einfach nur der Geliebte gemeint. Und die jungen Frauen, nein, man merkt übrigens an der hebräischen Grammatik, dass die jungen Frauen nicht anwesend sind. Sie sind als Abwesen gedacht. Sonst müsste im Hebräischen an einer bestimmten Stelle ein bestimmter Artikel stehen, der aber nicht steht. Also, die jungen Frauen sind als Abwesen gedacht. Aber jetzt auf einmal, wir wollen jauchzen und uns deiner freuen. Da will ich in aller Kürze andeuten, hier kommt tatsächlich eine weitere Dimension, geheimnisvoll andeutend,

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alles nur Andeutungen. Nämlich dieses Wortpaar jauchzen und sich deiner freuen kommt in den Psalmen 15, 18 mal vor und bezieht sich immer auf Gott. Immer. Also, Bibelkenner wissen das. Das ist ein festes Begriffspaar, berühmtes Begriffspaar. Irgendwie kommt jetzt doch Gott mit ins Spiel. Indirekt, nicht bombastisch, allegorisch, sondern man wundert sich, könnten wir uns nicht eigentlich an Gott auch so freuen, wie sich zwei Liebende aneinander freuen? Könnte es uns nicht auch mal im Bauch kitzeln, wenn wir an Gott denken? Ist es nicht bei ihm ähnlich? Ja, also soweit jetzt mal

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das erste Lied. Wir gehen jetzt zum zweiten Lied. Vers 5. Ich bin schwarz und begehrenswert, ihr Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedas, wie die Vorhänge Salomos. Seht mich nicht so an, weil ich schwarz bin, denn die Sonne hat mich so verbrannt. Die Söhne meiner Mutter waren zornig auf mich. Sie bestellten mich zur Hüterin der Weinberge, aber meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet. Das ist der Schlusssatz, auf den läuft alles zu. Dieser Schlusssatz ist das Ziel. Sag den Schlusssatz noch einmal. Aber meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet. Also der allerletzte Satz, der eindeutig ist, eindeutig. Aber meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet. Also jetzt wieder eine Frau. Es dauert lange, bis ein Mann im Blickfeld erscheint. Die Frauen

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äußern sich klar und leidenschaftlich. Sie sagen, was sie wollen. Jetzt sagt diese Frau, ich bin. Das ist eine wichtige Formulierung. Ich bin schwarz und begehrenswert. Dieses Wort ich, das Personalpronomen ich, kommt im Hohen Lied, das habe ich jetzt leider nicht genau gezählt, ich sage mal vorsichtig fünf bis zehn Mal vor, vielleicht auch mehr. Es kommt öfters vor und jetzt hört man gut zu. Immer im Munde einer Frau. Im Hohen Lied sagt nur die Frau ich, der Mann nie. Also ich bin schwarz und begehrenswert. Die Übersetzung ist schwierig, keiner kann es ganz sicher sagen. Es gibt Ausleger, den habe ich mich angeschlossen, die interpretieren das Schwarz auch

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auf die Haarfarbe Schwarz, weil die kommt auch oft vor. Schwarz steht für vital, für jugendlich, für Faszination, für Numinoses. Ich sage euch Männer, wenn eine orientalische Frau, sage ich euch mal, ihre schwarzseidenen Haare öffnet und vor euch fallen lässt, ihr Männer, dann macht ihr alles schlapp. Das könnt ihr euch nicht vorstellen. Das ist ein tief erotischer, der Duft. Ich habe es mal erlebt. Ich habe einmal in meinem Leben tatsächlich, habe ich es erlebt, dass eine bildhübsche Orientalin ihr schwarzes Haar geöffnet hat und vor mir hat fallen lassen.

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Ich bin, es war ganz knapp an der Ohnmacht vorbei. Ja, aber ich gestatte keine Rückfragen. Also nehmen wir mal an, es geht hier wirklich um das schwarze Haar, weil wenn es um die schwarze Haut ginge, das wäre auch denkbar, die Sonne hat meine Haut so dunkelbraun gefärbt, das wäre eigentlich kein Schönheitsmaßstab. Aber das schwarze Haar ist ganz klar, Frauen sind stolz auf ihr seidenglänzendes schwarzes Haar. Und der zweite Ausdruck ist doppeldeutig wie ganz viele. Das zweite Wort kann man übersetzen, ich bin lieblich, ich bin schön. Man kann aber auch übersetzen, ich bin begehrenswert. Ich habe mich fürs Zweite entschieden, das hat mir irgendwie besser gefallen. Ist mal eine reine Bauchentscheidung. Also ich bin schwarz und begehrenswert. Ja, so

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redet diese Sprecherin von sich. Selbstinterpretation einer Frau. Jetzt machen wir weiter. Ihr Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedas, wie die Vorhänge Salomos. Ja, so weit mal. Ihr Töchter Jerusalems, jetzt redet sie die an. Deswegen, man merkt es, ein eigenes Lied im Lied vorher. Da gab es zwar die jungen Frauen, aber die wurden ja nicht angeredet, sondern da geht es um die Sehnsucht, die die Sprecherin über den Geliebten hat. Aber jetzt werden die Töchter Jerusalems angeredet. Das sind ihre Freundinnen, ihre Gefährten, Oberschichtsfrauen. Töchter Jerusalem heißt auch heiratsfähiges Alter. Und jetzt sagt sie, ihr Töchter Jerusalems, so wie die Ziegenhaarzeltdache Dächer der Nomaden. Habe ich selber viele gesehen. Die Nomaden haben Zelte,

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die aus Ziegenhaaren hergestellt sind und die sind pechschwarz und sind trotzdem luftdurchlässig. Du kannst am heißen Tagen, wir denken immer schwarz-weiß, die Sonne reflektieren. Das gibt es mehr Gesichtspunkte. Diese Nomadenzelte sind sehr, ist immer ein leichter Luftzug drin. Also so wie die Ziegenhaarfälle in Kedar. Kedar ist der am weitesten entfernte Ort von Jerusalem im Hohen Lied, liegt sehr weit im Osten. Und jetzt kommt Salomo auf eine ganz komische Weise. Also das stimmt was nicht. Wie die Vorhänge Salomos. Das Wort heißt so Gehänge oder Wandteppiche kann es auch sein. Also irgendwas, was runterhängt. Ja, aber also die Zeltdächer der Nomaden, besonders schön sind sie

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eigentlich nicht. Und das im Palast des Salomo, der ja sprichwörtlich voller Glanz und Herrlichkeit war. Solche tristen Teppiche oder Gehänge, es steht auch nirgends. Irgendwie ist das komisch. Und die Lösung ist verblüffend einfach. Das Wort Salomo heißt ja im Hebräischen Schlomo. Luther hatte mit den Namen keine gute Hand. Immer wenn er sa sagt Samuel. Samuel heißt Schmuel. Salomo heißt Schlomo. Sabbat heißt Schabbat und so weiter. Also Schlomo. Und es gibt einen Wüstenstamm, einen relativ bekannten Wüstenstamm in der Gegend und der heißt Schalmar. Und das sind, wenn man den Konsonantentext nimmt, das gleiche Wort. Die gleichen Konsonanten und da haben die

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Masoretten, ja aber man kommt ihnen schon auch auf die Schliche. Da vokalisieren die statt Schalmar Schlomo. Es sind die gleichen Buchstaben, nur anders vokalisiert. Also das ist man muss sagen Textverderbnis. Das war so Absicht der Masoretten. Da merkt man, man muss vorsichtig sein. In der Vokalisierung der Masoretten gibt es auch ganz hübsche Fehler. Die sind zum Teil auch ideologisch bedingt. Jetzt machen wir mal wieder. Seht mich nicht so an, weil ich schwarz bin, denn die Sonne hat mich so verbrannt. Ja also sie sagt jetzt mal zu den ihren Freundinnen, ihren Frauen kollektiv, seht mich nicht so an. Also gemeint ist, seht mich nicht so kritisch an oder seht mich nicht so

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spöttisch an oder irgendwie so. Seht mich nicht so an. Jetzt sagt sie, die Sonne hat mich verbrannt, da weiß ich jetzt gerade nichts richtiges dazu zu sagen. Jetzt machen wir weiter. Die Söhne meiner Mutter waren zornig auf mich. Ja jetzt wird es wieder ganz komisch. Die Söhne meiner Mutter, ja kann die nicht sagen meine Brüder, kann die nicht sagen die Söhne meiner Eltern oder die Söhne meines Vaters. Nein, allergrößte Überraschung im Hohen Lied, der Vater kommt nie vor. Der Vater des Protagonisten, des Er kommt nicht vor und ihr Vater auch nicht. Wobei der Vater ja bei einer Hochzeit eines 14-, 15-Jährigen spielt ja der Vater die aller, aller größte Rolle. Die werden ja

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verheiratet und der Wille einer 15- oder 14-Jährigen spielt kaum eine Rolle. Aber hier spielt der Wille dieser Frau eine Riesenrolle, aber der Vater spielt keine Rolle. Es geht immer nur ums Haus der Mutter. Es kommt im Hohen Lied noch zwei, drei Mal, komm herein in das Haus meiner Mutter. Ja wo sind denn die Väter hin? Wo sind sie denn? Ja und jetzt, die Brüder waren zornig, das ist ja noch heute so. Die Brüder sind die Wächter der Familienmoral. Das kann bis zum Ehrenmord gehen, übrigens auch in christlichen Familien. Bei Ludwigsburg hat eine syrisch-orthodoxe, haben die Brüder auch ein Ehrenmord begangen, wie im Islam auch. Im Islam kommt es häufiger vor, aber es ist nicht eine Sache nur des Islam, das ist kulturbedingt. Die Brüder wachen über die Sexualität ihrer

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Schwestern und das kann bockelhart werden. Und jetzt machen wir weiter. Sie bestellten mich zur Hüterin der Weinberge, aber meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet. Sie bestellten mich zur Bewacherin der Weinberge. Ja das ist ja extrem komisch, das kann überhaupt nicht sein. Wie will denn eine junge Frau mehrere Weinberge bewachen? Ist vollkommen sinnlos. Außerdem ist es Männerarbeit, Weinbergsbehütung und man schickt in der Antike Frauen einzeln überhaupt nicht aufs Feld. Das ist viel zu gefährlich. Wenn Frauen außerhalb der Ortschaft irgendwo wandern, immer nur in Gruppen, fünf oder zehn und oft sind noch mal ein, zwei Männer dabei, aber nirgendwo wird eine Frau

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alleine. Also das ist unmöglich. Ja, Weinberge werden hier auf einmal metaphorisch, denn Weinberge, ihr Lieben, in der gesamten Altorientalischen, Liebeslyrik, Ägyptisch, Griechisch, tausendfach, der Weinberg hat eine doppelte Bedeutung. Hier geht es jetzt auf einmal nicht mehr um Weinberge als landwirtschaftlich. Da ist ja auch eine Oberschichtssache. Nur Oberschichtsleute können das sich leisten, einen Weinberg anzulegen und so. Nein, aber der Weinberg in der Liebeslyrik, es steht sehr oft für den Körper der Frau, den Leib der Frau und zwar für die empfangsbereite Frau. Die wird Weinberg genannt in vielen Fällen. Also sie, das ist hier ist so ein Übergang. Die

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Enthüllung des Geheimnisses ist erst der allerletzte Satz, auf den kommt es an, aber der vorletzte Satz schafft einen so Nebel. Man merkt, es geht hier nicht mehr so um die normalen Weinberge. Was könnte gemeint sein? Sie haben mich bestellt zur Bewachung der Weinberge. Es kann nur zwei Möglichkeiten geben, dass Sie Ihre jüngeren Schwestern bewachen sollten, dass die sexuell da nicht über die Strenge schlagen oder falls es sich um sehr reiche Familie gehandelt hat, können es die Haremsdamen der Brüder sein, die auch bewacht wurden, dass da nicht irgendwie falsche Leute reinkommen und so. Also es bleibt, die Liebe ist voller Andeutungen. Machen wir den Text nicht eindeutiger als er ist, aber der Schlusssatz ist völlig klar. Aber meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet. Ja, sie verklausuliert natürlich, wie das in der Sprache der Poesie und

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Liebe, es wird alles nur verklausuliert gesagt, aber völlig klar ist, ich sag's mal in modernen Worten, ich hatte Geschlechtsverkehr mit meinem Geliebten. Es gibt keinen Fachmann, den ich als Fachmann anerkenne, der nicht sagt, ja völlig klar, anders kann der. Hier spricht die Frau ja nur noch von sich selber, die hat doch keinen eigenen Weinberg als 14-, 16-, 17-, 18-Jährige. Also mein eigenen Weinberg habe ich nicht behütet. Und deswegen sind die Brüder ja so zornig, weil die Schwester da ausbüxt. Aber sie gibt es zu, öffentlich, sie sagt ja, ihr Töchter Jerusalems, die Töchter Jerusalems bewirken eine Öffentlichkeit. Und mit Ehe kann ja hier nichts gemeint sein, es geht überhaupt nirgendwo, kommt das vor, es geht immer um voreheliche Begegnungen. In der Ehe

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brauchst du ja deinen Weinberg nicht mehr zu behüten. Also es kann wirklich nicht von der Ehe gesagt werden, ihr Lieben, ich bin unschuldig, ich kann da nichts dafür. Ihr müsst dann euch beim Bibeltext irgendwie beschweren, dass er nicht eurer Ethik entspricht. Kann ja sein. Jetzt will ich noch einen kleinen Schlussgong machen, nehmen wir mal Kapitel 4, 1, ich glaube 1 bis 7, fang mal einfach an vorzulesen. Also ich mache das relativ rasch. Es gibt im Hohen Lied, das gehört zu den großen Auffälligkeiten, Beschreibungslieder, da besingt die Frau oder dichtet, es ist ja unklar, ob die Texte wirklich gesungen wurden, ist ja auch völlig egal, oder ob das eben Gedichte sind. Also

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die Frau beschreibt den Mann, hat formvoll endete Schenkel und so weiter. Und bei 4, 1 bis 7, da beschreibt der Mann den Körper der Frau und das wollen wir mal auch kurz mal anhören. Siehe meine Freundin, du bist schön. Siehe, schön bist du. Deine Augen sind wie Tauben hinter deinem Schleier. So weit. Das Wort schön, also ich will grundsätzlich sagen, die Angaben zu den Körperteilen sind im Orient anders gemeint, wie ihr es gewohnt sind. Wenn wir von Körperteilen reden, dann steht bei uns im Vordergrund die Gestalt, die Umrisse, die Form dieser Körperteile. Sagen wir mal Flaschenhals. Da ist also Hals, ja das ist halt so ein längeres, engeres Stück da und da kann man sagen Flaschenhals. Oder man kann sagen Bullauge. Ja, die Augen sind irgendwie rund

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und da nennen wir die runden Fenster im Schiff Bullauge. Oder Felsennase. Da hat der Felsen wirklich so einen Zacken raus. Also unsere Beschreibungen von Körperteilen sind gestalthaft orientiert, aber im Orient nicht. Im Orient sind die Körperteile dynamisch, sie haben eine Wirkung, sie haben eine Aura. Also zum Beispiel das Wort schön ist anders wie bei uns nicht einfach, du bist klassisch schön, also da kannst du einen Schönheitswettbewerb oder irgendwie so, sondern schön meint schon auch die Beziehung. Die Beziehung zu dir ist schön. Also es geht nicht nur um die Schönheit, das natürlich schon auch, aber es geht immer da um mehr. Dann deine Augen sind wie Tauben, das ist ein ganz typischer Vergleich, denn Augen sind im Orient nicht, dass sie Hund sind wie

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ein Bullauge, sondern die Blicke der Augen, die sind es. Man kann den Satz übersetzen, deine Augen sind wie Tauben, man kann aber genauso gut übersetzen, deine Blicke sind wie Tauben. Und was ist die Taube im Orient? Das ist die Botschafterin der Liebe. Die Tauben haben im Schnabel irgendwelche Botschaften, selbst in der Sintflut war ja die Taube eine Botschafterin. Also die Taube ist die Botschafterin der Liebe und deine Blicke auch. In deinen Blicken liegt eine Botschaft. Man sagt nicht zu Unrecht, ein Blick kann mehr sagen als tausend Worte. Also bei den Augen geht es um die Blicke der Augen. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Also

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das kennen wir jetzt schon, Ziegenhaare sind schwarz. Haare, also nach den Augen gleich die Haare. Haare sind sehr wichtig und wenn die so herabwallen, machen wir mal weiter. Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwämme kommen. Alle haben sie Zwillinge und es fehlt keiner unter ihnen. Ja, da merkt man auch Oberschicht, da gibt es keine Zahnmücken. Zwillinge sind immer gemeint, der Zahn im Oberkiefer sitzt genau drüber, es sind Zwillinge, sind alle da. Die Zähne sind etwas sehr Wichtiges für die Aura eines Menschen. Weiter. Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur und dein Mund ist lieblich. Lippen, scharlachfarben ist tiefes Rot, gell. Und der Mund ist lieblich. Lieblich, jetzt machen wir weiter. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Wow, machen wir weiter. Dein Hals ist

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wie der Turm Davids. Dein Hals ist wie der Turm Davids, da merkt man, nicht Flaschenhals, sondern Hals ist sehr stark Selbstbewusstsein. Ist wie ein Turm, aufrecht, selbstbewusst, kann bis Richtung Stolz gehen. Und da merkt man, also Turm, da geht es jetzt nicht um, dass der Hals, sondern es ist innerlich gedeutet. Weiter. Der Turm Davids mit Brustwehr gebaut, an der tausend Schilde hangen, alle Köcher der Starken. Wow, weiter. Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitze, Zwillinge einer Gazelle, die unter den Lotusblüten weiden. Also deine zwei Brüste, nochmal, weil es so schön ist, sind wie zwei Kitze. Sind wie zwei Kitze, meine ich. Ja, Gazellenkitze, Zwillinge einer Gazelle. Kinder einer Gazelle. Gazelle ist übrigens auch immer bei Liebesgöttinnen, gibt es immer eine

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Gazelle, weil die Gazelle hüpft auch so und die Frauen hatten ja keine Behaar und wenn die gerannt sind, hüpft es. Es waren wie Gazellen, gell. Ja, und da übersetzen übrigens bei der allegorischen Deutung die beiden Brüste jüdisch. Das eine ist der eine Cherubim auf der Lade und der andere Cherubim. Das ist wirklich gemeint mit den Brüsten und christliche Ausleger. Christus liegt zwischen den Brüsten und gemeint ist zwischen dem alten Testament und dem neuen Testament. Und das jahrhundertelang, das muss man sich mal geben. Aber es geht ja abwärts, jetzt ist er bei den Brüsten, mal sehen. Bis es Tag wird und die Schatten schwinden,

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will ich zum Mürrenberge gehen und zum Weihrauchhügel. Er will zum Mürrenberg gehen und zum Weihrauchhügel. Also der will die Nacht nicht zwischen den Brüsten verbringen, sondern der Mürrenberg ist der Venushügel und der bei vielen in der Oberschicht parfümiert war mit Weihrauch. Also völlig klar. So ich fasse zusammen. Die fromme Welt hält diese Liedersammlung nicht aus. Sie kann damit nicht fertig werden, weil das fehlen die eisernen Regeln. Sinnenrausch, wenn dann pünktlich dann und dann. Aber wisst ihr, die Liebe ist stark wieder tot und die

70:02
Leidenschaft ist unwiderstehlich. Es ist nicht das Interesse des Hohen Liedes, die Leidenschaft, die Sehnsucht, die Lust und die Erotik zu bändigen. Das ist gar nicht das Ziel. Es wird nicht auch regelbetont, ordnungsbetont, gleich kontrollieren, pass auf, es ist gefährlich. Nein, das Hohen Lied ist sehr unbeschwert. Fröhlich ist ein heiteres Lied. Es erfreut sich der Flamme Jahwes. Die Leidenschaft ist etwas, was Jahwes selber in die Welt gesandt hat. Es ist so weit von der Moral entfernt wieder tot. Ja, die Liebe hat etwas Chaotisches. Sie kann nicht gebändigt werden. Und deswegen heißt es dreimal im Hohen Lied, störe die Liebe nicht. Die Liebe ist unantastbar. Stört

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die Liebenden nicht mit euren unsauberen Regeln. Die Liebe ist unantastbar. Sie hat ihre eigenen Welt, ihre eigenen Regeln und das Hohen Lied erfreut sich dieser Flamme, erzählt von dieser Flamme, staunt über diese Flamme, bewundert diese Flamme. Und so macht das Hohen Lied, ohne dass wir es merken, uns menschlicher.

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Das hohe Lied der Liebe – der körperfreundlichste Text der Bibel | 13.9.2

Worthaus Sommercamp 2023 – Volkenroda: 5. August 2023 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Natürlich geht es in der Bibel um die Liebe. Rauf und runter: die Liebe Gottes zu den Menschen, zu seinem Volk, zu ganz bestimmten Menschen, die Liebe der Menschen untereinander, Nächstenliebe, Feindesliebe. Aber körperliche Liebe? Leidenschaft, Lust, Begehren? Das gehört sich doch nicht!
Oder?
Diese Vorstellung war in der Geschichte des Christentums zeitweises so absurd, dass Luther den Titel des sinnlichsten Texts in der Bibel so übersetzte, dass er an einen anderen Text erinnerte, in dem es tatsächlich nicht um die sinnliche, körperliche Liebe geht. So absurd, dass sich Theologen jahrzehntelang darüber stritten, ob der Text nicht doch anders gemeint sein könnte.
Siegfried Zimmer hat da keine Scheu, sondern sagt es ganz deutlich: Beim hohen Lied der Liebe im Alten Testament geht es um die körperliche Liebe, um Leidenschaft und Erotik. Nirgendwo sonst im Buch der Bücher wird dieses Thema so einzigartig, so intensiv besprochen, voller Metaphern, Andeutungen und Eindeutigkeiten. Zimmer erklärt, wer das »Lied der Lieder« verfasst haben könnte, was einige Bilder im Text bedeuten und wie Gelehrte immer wieder vergeblich versuchten, ausgerechnet diesen Text zu beherrschen.