Es geht heute um das Doppelgebot der Liebe, der innerste Kern der christlichen Ethik. Jesus hat bei diesem Doppelgebot der Liebe angefügt. Darin besteht die ganze Thora und alle Propheten. Also das Doppelgebot der Liebe ist nach der Meinung Jesu der Schlüssel in die gesamte Bibel. Denn die Bibel Jesu ist ja das alte Testament, die jüdische Bibel, das ist seine Bibel. Und das Doppelgebot der Liebe ist der Schlüssel zum richtigen Verständnis und zum richtigen Leben, der Weg, der uns in den Segensbereich hineinführt. Tine wird die Matthäus-Fassung jetzt mal vorlesen.
Das Doppelgebot der Liebe gibt es sowohl im Markus-Evangelium, das ist der älteste Text. Matthäus reagiert schon ein bisschen drauf und Lukas hat noch mal eine eigene Darstellung. Also das Doppelgebot der Liebe gibt es bei Markus, Matthäus und Lukas. Und ich habe jetzt mal, ohne dass es tiefere Gründe hat, das Matthäus-Evangelium ausgewählt. Bitte, Tine. Und einer von ihnen, ein Lehrer des Gesetzes, versucht ihn und fragte, Meister, welches ist das höchste Gebot im Gesetz? Jesus aber sprach zu ihm, du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist demgleich. Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. Okay, das war Luther, gell? Ja. Es gibt zwei kleine Bemerkungen. Ein Lehrer der Heiligen Schrift tritt an Jesus heran und fragt ihn. Und das Verb, das hier im Griechischen steht, hat tatsächlich zwei Bedeutungen. Man kann es übersetzen mit und er versuchte ihn, also er wollte ihn quasi eher reinlegen. Aber das Verb hat auch eine ganz normale Bedeutung im Sinne von, er wollte ihn auf die Probe stellen, er wollte ihn prüfen. Diese Bedeutung hat gar keinen negativen Beigeschmack. Und der Lehrer der Heiligen Schrift ist ja auch äußerst zufrieden, wie Jesus antwortet. Und dann, wenn es in den Worten Jesu heißt, darin besteht das ganze Gesetz. Und die Propheten, ist es gut,
wenn wir das Wort Gesetz vermeiden. Im Griechischen steht hier zwar nomos und das bedeutet in aller Regel Gesetz, aber das passt hier nicht gut. Das Wort torah kann man nicht so einfach ins Deutsche übersetzen oder ins Griechische. Das Wort Gesetz passt eigentlich nicht gut. Außerdem klingeln dabei manchen gleich die Vorurteile, die gesetzlichen Juden und so. Also das führt uns nur in düstere Gewässer. Besser ist zu sagen, die torah. Und die torah kann man vielleicht sinngemäß so übersetzen, ist eine Wegweisung. So verstehen es die Juden. Kein bedrückendes, belastendes Gesetz, sondern ein Geschenk. Und es gibt das Fest der Torahfreude. Da tanzen die Juden mit einer Torahrolle im Arm,
auf den Straßen und überall. Weil sie freuen sich irrsinnig. Die Torah ist ein Geschenk Gottes an Israel. Und es ist die Wegweisung in die Wege, die in ein gesegnetes Leben führen. Also das Wort Gesetz sollte man in heutigen christlichen Erwachsenenbildungen, vor allem in Gesprächen mit jüdischen Zeitgenossen, sollte man nicht verwenden. Gut, jetzt aber zur Sache. Es gibt in der Torah 613 Gebote und Verbote. 613. Wesentlich mehr Verbote. Also ich habe es nicht mehr geschafft, das genau nachzugucken. Es gibt also 200 und so und so viele Gebote und 300 und so und so viele
Verbote. Und es gibt dann zusammengezählt 613. Da muss man schon sagen, das ist eine starke Elementarisierung von 613 runter auf zwei. Der Lehrer der Heiligen Schrift, ich sage auch bewusst, der so und nicht Schriftgelehrte, weil da prasseln sofort wieder die christlichen Vorurteile. Also wir müssen von diesen abgelutschten Begriffen weg. Die störenden freien Denken. Also ein Lehrer der Heiligen Schrift, also ein Kollege von mir, der wollte mal Jesus testen. Ist ja auch gut so. Jesus hat es ja auch glänzend bestanden. Ja, also er fragt eigentlich nach dem größten Gebot. Wörtlich heißt es übrigens, was ist das große Gebot? Aber im hebräischen Denken meint man damit,
was ist das größte Gebot? So muss man das übersetzen. Da ist gemeint das wichtigste Gebot. Man kann sich ja schon mal fragen, darf man überhaupt so fragen? Jesus sagt ja mal im Matthäusevangelium, Kapitel 5 Vers 18, wer auch nur das kleinste Jota im Gesetz verändert, der wird auch klein heißen im Reich der Himmel. Also da meint man gerade, Jesus ist also ein irrsinniger Pfennigfuchser. Es heißt in diesem Einleitungsteil im Matthäusevangelium, glaub nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz, die Thora und die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Das heißt übrigens, die Thora kann sich nicht selber erfüllen. Eine ganz interessante Wendung. Es muss jemand kommen, der die Thora erfüllt, gemeint ist,
ans Ziel bringt. Die Thora kann sich selber nicht ans Ziel bringen. Ja, und nach dieser Aussage in 5,17 geht es weiter, wer auch nur das kleinste Häkchen Jota abändert. Damit drückt Jesus schon aus. Die Heilige Schrift ist ein Dokument, da kann man nichts abändern. Das muss gar nicht so kleinkariert gemeint sein. Es ist einfach eine Hochschätzung des berühmtesten Dokuments der Judenheit. Aber es gibt immer wieder Gruppen, die diesen Vers zitieren. Also Matthäus 15, 18, wer auch nur ein Jota abändert. Und dann Jesus war bibeltreu. Ja, dann lest doch mal Matthäus, auch Matthäus. 23, Vers 23, da redet Jesus ziemlich anders und im Doppelgebot der Liebe auch. In 23,
23 sagt er zu den Lehrern der Heiligen Schrift, ihr verzehntet Kümmel und Korn und sonst was, aber dabei verliert ihr das aus dem Auge, was in der Thora wichtiger ist, nämlich Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Also Jesus unterscheidet schon zwischen unwichtigeren Passagen und dem Wesentlichen, dem Wichtigen. Es gibt Juden, Christen und Muslime, die diesen Unterschied schon nicht mitmachen können. Wenn was inspiriert ist, dann hat alles genau die gleiche Autorität. Alles in der Bibel ist gleich richtig und gleich wichtig. Nein, nein, da war Jesus, hat da eine andere Souveränität. Er sagt, in diesen zwei Geboten von den 613 ist alles drin. Also da ist nichts mehr mit
wie ein Jota und Häkchen. Es ist also gar nicht gut für die Psyche von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, wenn man ständig nur Matthäus 5, 18 zitiert. Aber das Doppelgebot der Liebe, der Schlüssel in die ganze Bibel, wie soll man das noch wichtiger nehmen? Nein, nein, man muss das Wesentliche nach vorne bringen. Das Wesentliche muss deutlich herausgestellt werden. Also das steckt dahinter und der Lehrer der Heiligen Schrift wollte bewusst mal sehen, er hat es wohl schon geahnt, Jesus hätte ja auch sagen können, blöde Frage, alle Gebote sind natürlich gleich wichtig, kommen ja alle von Gott, sind alle inspiriert, ist eine ganz gefährliche Frage.
Das ist gar nicht das Problem, aber ich sage euch, heute haben Millionen Christen genau das Problem. Also er zitiert zwei Gebote. Das bedeutet, Jesus proklamiert das Doppelgebot der Liebe nicht von sich selbst her, in seinem Namen. Das Doppelgebot der Liebe stammt nicht aus dem Christentum, sondern aus dem Judentum, muss man deutlich heute sagen, weil es gibt nicht wenige Zeitgenossen, die sagen so, im Alten Testament gilt Auge im Auge, Zahn um Zahn und im Neuen Testament gilt die Nächstenliebe. Also viele Schüler, viele Zeitgenossen, viele Bundesbürger, Bundesbürgerinnen gehen selbstverständlich davon aus, die Nächstenliebe ist eine christliche Erfindung. Nein, das stimmt hinten und vorne nicht.
Das Gebot der Gottesliebe und der Nächstenliebe steht in der jüdischen Bibel. Das ist also eine Erfindung innerhalb des Judentums. Jesus war ja auch selber ein Jude. Jesus lebte im Judentum wie der Fisch im Wasser. Man kann niemals Jesus missbrauchen, um ihn gegen das Judentum zu verwenden. Das ist sofort granatenmäßig falsch. In Jesus ist ja und Amen. Naja, also soweit. Jetzt also, er konzentriert es auf ein Doppelgebot der Liebe. In allen drei Evangelien steht immer das Gebot der Gottesliebe, auf das komme ich dann übermorgen, steht immer zuerst und es steht aber auch nie allein. Nehmen wir mal an, Jesus hätte
tatsächlich gesagt, der jüdische Lehrer fragt, was ist das höchste Gebot und dann sagt Jesus, er zitiert da 5. Mose 6, 4 bis 5, du sollst Jahwe, ich sag das mal so, ich hoffe, dass wir vielleicht keinen Juden unter uns haben. Wenn wir jüdische Zuhörer haben, bitte ich jetzt ganz aufrichtig um Entschuldigung, weil ich diesen Namen ausspreche. Ein Jude spricht ja diesen Namen niemals aus, im ganzen Leben nicht, weil das eben der schönste und wertvollste und kostbarste Name ist. Ich selber mache das auch immer seltener, aber ich sage mal, warum ich es doch auch hin und wieder tue, weil in der Bibel selber, auch in der jüdischen Bibel selber, steht nirgendwo, dass man diesen Namen
nicht aussprechen kann. Er steht in der jüdischen Bibel über 6.600 mal, nur das Wort und ist noch häufiger. Also du kannst sagen, das ganze alte Testament besteht in diesem Gottesnamen. Erst ab einer gewissen Zeit, ich glaube so um 200 vor Christus, setzte im Judentum diese Bewegung ein, die ich auch ganz ernst nehme und der ich ganz positiv gegenüberstehe, man spricht diesen Namen nicht mehr aus. Gut, wir Christen sollen das ernst nehmen, aber ich darf doch in aller Freundschaft sagen, in der Bibel selber gibt es dieses Gebot nicht und ich bin ja kein Jude. Ich habe auch zu diesem Gottesnamen ein anderes Verhältnis, vermutlich wie ein Jude und die Wissenschaft muss auch das Recht haben, bestimmte Dinge einem Tabu zu entziehen. Ich bin also ein wissenschaftlicher
Theologe, bin auch ein gläubiger Mensch, aber in der erwachsenen Bildung ist es schon gut, wenn wir dieses Wort auch immer wieder mal hören. Das kostbarste, teuerste und schönste Wort der Menschheit. Also du sollst Jahwe, deinen Gott lieben und jetzt kommt eine Aufzählung, eine Dreieraufzählung von ganzem Herzen, von ganzer Seele, lasse ich mal, das Wort müsste man erklären. Das heißt so viel wie in allen deinen Bedürfnissen. Das Wort Nefesh im Hebräischen meint, das hat Luther mit Seele übersetzt, ist was ganz anderes wie bei Plato und Psychä und so, darf man nicht verwechseln. Also Nefesh meint deine Bedürfnisstruktur. Der Mensch ist ein
Bedürfniswesen und das stimmt auch. Also mit deinem ganzen Herzen, in all deinen Bedürfnissen und mit ganzer Kraft oder man kann auch sagen mit ganzer Energie. Im Markus-Evangelium, der setzt noch was Fürstes dazu und mit all deinem Denken oder manche übersetzen mit deinem ganzen Verstand. Ja, das steht aber im Alten Testament selber nicht, das Wort Verstand, es kommt aber dann im Neuen Testament manchmal dazu und damit will man ausdrücken, die Liebe zu Gott ist nicht irrational, sie ist nicht unvernünftig, sondern du kannst auch in deinem Denken Gott lieben. Mit Denken ist hier nicht modern Intellektualität gemeint, gar nicht. Das Denken bekommt im 19. Jahrhundert eine
intellektuelle Komponente, die es früher so nicht gab, sondern Denken meint die Fähigkeit, Dinge zu beurteilen, Dinge zu klären, Dinge zu prüfen und eine Entscheidung zu fällen. Das ist damit gemeint, also ganz elementare Dinge. Bei dieser Aufzählung, also von ganzem Herzen, in all deinen Bedürfnissen, von deiner ganzen Energie und in deinem gesamten Denken sollst du Gott lieben, da merkt man, dass die Gottesliebe etwas Besonderes ist. Denn diese Aussagen mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzer Kraft in all deinem Denken, die werden nie auf die Nächstenliebe bezogen, nie. Und bei der Gottesliebe heißt es auch nie, du sollst Gott lieben wie dich selbst, heißt es nie. Also der
Schriftgelehrte fragt nach dem höchsten Gebot, Jesus antwortet mit zwei Geboten, hätte er ja nicht müssen, ungefragt. Er holt er das zweite auch noch und sagt, das andere aber ist ihm gleich. Das heißt, wenn wir viel mehr Zeit hätten, ich würde mich gerne mal irgendwann diesem Doppelgebot der Liebe noch wesentlich tiefer widmen, aber das geht dann in die Zeit. Stellen wir uns mal vor, Jesus hätte so geantwortet, wie der Lehrer das ihn gefragt hat und gesagt hätte, das erste Gebot ist, du sollst Gott lieben von ganzem Herzen. Was meint ihr, wie das auf Kosten der Nächstenliebe gegangen wäre? Dann wäre die Liebe zu Gott in Millionen Fällen auf Kosten der Nächstenliebe
gegangen. Geht sie ja heute auch. Vor allem, wenn man unter dem Nächsten den Andersdenkenden versteht, den Andersgläubigen, der eine andere sexuelle Orientierung hat oder eine ganz andere Ideologie, also wenn sich die Gottesliebe in der Nächstenliebe konkretisiert, dann muss man sehr danach fragen, Nächstenliebe gegenüber Andersdenkenden, Andersgläubigen und Menschen, die einen ganz anderen Lebensstil haben. Da wird es ja dann erst, wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, wenn ihr nur die grüßt, die euch grüßen, wenn der Nächste dann eigentlich in der Gemeinde hockt, weil die
Ungläubigen, die Gottlosen, ja mit denen habe ich eigentlich nichts zu tun, die sind da draußen irgendwo weit weg, also die Nächsten, das sind bei mir die Brüder und Schwestern in der Gemeinde, dann wird es so, untergründig ist es dann so die Nächstenliebe, da verschieben sich aber die Koordinaten gewaltig. Also typisch bei Jesus ist auch, dass er auf dieses Doppelgebot der Liebe nicht nur somarisch hinweist, sondern er zitiert sie wörtlich und diese beiden Gebote, die stehen weit auseinander, das eine Gebot der Gottesliebe ist 5. Mose 6, 4 bis 5, das ist der Beginn des Schema Israel, höhere Israel, unser Gott ist einer. Bekenntnis zum Monotheismus, unser Gott ist einer,
gemeint ist ein einziger und sonst niemand. Also das ist das Schema Israel und dann heißt es, du sollst diesem Gott mit ganzem Herzen und so weiter, das heißt also vom alten Testament her gesehen, hängt die Liebe zu Gott ganz stark an zwei Punkten, nämlich einmal, dass er der einzige ist. Weißt du, wenn du 82 Götter hast, da kriegst du ein Problem mit der Liebe, irgendwie verteilt sie, weiß es auch nicht, aber wenn ein einziger ist, der alles gemacht hat und niemand war sonst beteiligt, ja den, der dich selber ins Leben gerufen hat, also den bitte lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und mit aller Kraft. Also es hängt ganz stark im alten Testament mit der
Einzigkeit Gottes zusammen und der zweite große Grundlage der Gottesliebe ist, dass Gott selber angefangen hat, er hat nämlich die fremden, versklavten, hebräischen Zwangsarbeiter aus dieser Großmacht herausgeholt, er ist ein befreiender Gott und hat sie in eine neue Heimat geführt, wo sie selbstbestimmt leben können in der Verehrung Gottes. Das sind die zwei ganz großen Voraussetzungen der Gottesliebe, du bist ein einziger und alles stammt von dir und du bist ein befreiender Gott, du hast es gezeigt in der Befreiung von Zwangsarbeitern. Gut, jetzt will ich mich dem Gebot der Nächstenliebe zuwenden, dem Gebot der Gottesliebe wende ich mich morgen
hauptsächlich zu. Also das Gebot heißt, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Da kommst du oder ich gleich dreimal vor in dem Satz, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wahnsinn, in einem Satz dreimal komme ich vor. Ja und im Alten Testament steht dieses Gebot der Nächstenliebe im dritten Buch Mose Kapitel 19 Vers 18 fast ein bisschen versteckt, das fällt da gar nicht groß auf, davor geht es so um Verbot der Rache, danach geht es darum, dass man bestimmte verschiedene Tiersorten nicht kreuzen soll und da zwischendrin steht auf einmal, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wenden wir uns mal diesem Satz im hebräischen, im alttestamentlichen
Kontext zu, denn Jesus zitiert ja wörtlich dieses Gesetz. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Da gibt es ein paar Dinge, die wir klären müssen. Dieses wie, wie dich selbst, kann man das noch ein bisschen klarer machen, ja, ist gar nicht ganz so einfach, weil dieser Ausdruck wie dich selbst, also die Nächstenliebe, ist zurück bezogen auf die Selbstliebe, da komme ich noch ausführlich drauf, wie dich selbst. Man kann nämlich diesen Ausdruck wie dich selbst auf zweierlei Weise verstehen, man kann das ganz schwer entscheiden, beide Verständnisweisen sind völlig möglich,
man kann das wie dich selbst so verstehen, du sollst deinen Nächsten lieben wie du dich selber lieben sollst. So kann man das verstehen. Man kann es aber auch so verstehen, du sollst deinen Nächsten lieben wie du dich selbst liebst. Ich sag mal die beiden, da ist nämlich ein echter Unterschied, und man kann diese Frage nicht entscheiden, wir können uns nur überlegen, was ist wahrscheinlicher. Du kannst also diese Worte so verstehen, du sollst deinen Nächsten lieben wie du dich selber lieben sollst, dann sind hier zwei Aufforderungen, zwei, Aufforderung zur Nächstenliebe und Aufforderung zur Selbstliebe. Es ist durchaus möglich, dass es so gemeint ist, niemand kann das hundertprozentig entscheiden. Man kann aber das so auch verstehen, du sollst
deinen Nächsten lieben wie du dich selber liebst. Ihr könnt jetzt hundert Stunden darüber nachdenken, man kann das grammatisch, auch im Hebräischen, man kann es nicht entscheiden. Übrigens muss ich an der Stelle gleich sagen, diese Übersetzung ist die Übersetzung der Septuaginta, die übersetzt, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, in dieser Doppeldeutigkeit. Und die Ur-Christenheit, die Evangelisten haben alle die Septuaginta gelesen und so steht auch im Neuen Testament das Gebot der Nächstenliebe, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Da wird also die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die wird im Neuen Testament zugrunde gelegt. Die Septuaginta wurde so 250 bis 100 angefertigt, sukzessive, zuerst die Thora und dann die anderen
Schriften. Ich halte es für wahrscheinlicher und davon gehe ich jetzt einfach aus, dass das so gemeint ist, du sollst deinen Nächsten lieben so wie du dich selber liebst. Davon gehe ich aus. Dann ist es also nur eine Aufforderung. Aber der Unterschied ist nicht groß, er ist sogar minimal. Denn in beiden Fällen, das ist jetzt entscheidend, ist die Selbstliebe die Voraussetzung der Nächstenliebe. Da haben aber die frommen Bewegungen, die haben da ihre Probleme gehabt, die müssen wir heute alle lüften, dass der Gestank ein bisschen rauskommt aus der Tradition. Da muss frischer Wind rein. Okay, also du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Da merkt man schon den Unterschied,
auch zur goldenen Regel oder zur Sprache der Presse oder der Wissenschaft, weil die Soziologie sagt der andere. Aber das Gebot der Nächstenliebe heißt nicht, du sollst den anderen lieben wie dich selbst, sondern du sollst deinen Nächsten. Das Wort Nächste ist ja ein Superlativ. Nahe, näher am Nächsten. Also da wird vorausgesetzt, wenn das in der Nächstenliebe dann so auch passiert, da ist eine wahnsinnige Nähe da. Das ist dann der Nächste. Denken wir mal ganz kurz an den Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner. Da kommt ein Samaritane auf einer jüdischen Straße, wo eigentlich Samaritane kaum unterwegs sind von Jerusalem nach Jericho. Er sieht da einen Halbtoten liegen, den er gestern
noch gar nicht gekannt hat. Die sind ja himmelweit voneinander entfernt. Er muss ja annehmen, dass das ein Jude ist. Weil Samaritane ja jetzt nicht mehr, wenn er vielleicht nackt, sie zogen ihn aus und ließen ihn halbtot liegen. Da kann man schon nicht mehr erkennen, ob das jetzt ein Jude ist oder so. Ja und er muss ja annehmen, dass das ein Jude ist. Und was entsteht da für eine Nähe? Er geht zu ihm hin, gießt Wein in seine Wunden und so weiter. Dann wuchtet er auf sein Reittier, ob Esel oder Pferd, das ist ja wirklich eine Nähe. Und fünf Stunden waren die ja noch Millionen Lichtjahre voneinander entfernt. Also im Augenblick der Nächstenliebe rechnet man, das ist der Nächste, dein Nächster, nicht von einem anderen. Also das ist eine Wortwahl, die es in der goldenen Regel, man merkt,
da kommen jetzt noch andere Elemente dazu. In der goldenen Regel ist ja nicht von der Liebe die Rede, aber jetzt ist von der Liebe die Rede. Und jetzt müssen wir fragen, warum soll man den Nächsten denn gleich lieben? Reicht es denn wirklich nicht, wenn wir ihn freundlich und mit Respekt begegnen? Reicht es nicht? Nein, nach alttestamentlicher Sicht reicht es nicht. Warum? Weil jeder Mensch auf der Erde kann ein Nächster dir werden und jeder Mensch auf der Erde ist von Gott geschaffen worden. Und dann reicht es nicht, wenn du dem Geschöpf Gottes, der sein Leben genauso Gott verdankt wie du, wenn du dem freundlich und mit Respekt begegnest. Nein, das ist zu wenig,
das ist nicht angemessen. Die Grundlage der Nächstenliebe im Alten Testament ist zum großen Teil folgendes, jeder Mensch auf der Erde ist Gottes eben Bild. Man muss jetzt mal als erstes klären, was ist mit Bild gemeint? Kein Bild, das jemand malt, dann kommen so komische Gedanken, haben wir eine gewisse Ähnlichkeit mit Gott? Ja, wir sind doch Gottes Ebenbilder. Nein, damit hat es überhaupt nichts zu tun. Sondern Bild ist in der ganzen Bibel dreidimensional, bloß jetzt keine bürgerlich-mitteleuropäischen Abirrungen. Es geht um Statuen, Standbilder. Die Kaiser haben ihre Standbilder und das in der Medienlandschaft der Antike sind Münzen und Standbilder. Das ist der Clou vom Pharao, überall wo er herrschte, ließ er Standbilder von sich
aufstellen, damit die Leute sehen können, hier herrscht mein Wille. Und du und ich, ihr Lieben, nach dieser alttestamentlichen Offenbarung, wir sind alle lebendige Standbilder, wir sind lebendige Statuen. An uns kann man erkennen, dass die Welt nach Gottes Willen, nach Schöpferwillen in seiner Fürsorge, also da kann man die Welt nicht ausbeuten, Untertan machen, das sind leider ganz schlimme Geschichten, sondern geht mit der Welt so fürsorglich um, wie es meinem Schöpferwillen entspricht. Da sind wir die Standbilder, also die Eichhörnchen und die Löwen und die Schlangen und die Regenwürmer, die Merken, da gibt es so Lebewesen, die laufen aufrecht, es sind lebendige
Standbilder und da ahnen die, da gibt es Zusammenhänge. Also du kannst ja nicht die Löwen verantwortlich machen für die Schöpfung oder die Eichhörnchen, die können doch keine Gesamtsverantwortung übernehmen, die leben alle in ihrer Welt, aber wir, wir sind die lebendigen Statuen unseres Schöpfers und durch uns durch kann er seine Fürsorge an den Lebewesen durchführen, wenn wir offen sind für seine fürsorgliche Haltung. Also jeder Mensch auf der Erde, ihr hört euch das so cool an, aber ich darf euch sagen, das war eine Ungeheuerlichkeit damals, war höchste Provokation. Jeder Mensch ist eine, ich sage jetzt wieder Ebenbild, gemeint ist also eine lebendige
Statue, jeder Mensch ist ein Gottes Ebenbild. Das waren damals nur die Könige, in allen Staaten des alten Orients waren die Könige ein Ebenbild Gottes, den Ausdruck gab es, aber nur für Könige, nur für die Machthaber und jetzt kommt da ein jüdischer Text und da heißt es, jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, auch der Schwächste und der Ärmste und Ebenbilder Gottes darf ich dir sagen, es reicht nicht, wenn du freundlich, cool und mit Respekt an den vorbeiziehst, das ist nicht angemessen, denn das sind genauso Ebenbilder Gottes wie du und seine Geschöpfe. Die Ebenbildlichkeit bezieht sich nicht auf irgendwas Spezielles, also auf irgendeine Eigenschaft oder Fähigkeit, die vielleicht nicht alle haben, nein, gar nicht, sondern die Gottes
Ebenbildlichkeit meint einfach die Geschöpflichkeit, haben wir alle gleich, ohne Unterschied der Geschlechter, Alter, Rassen, Religionszugehörigkeit, vollkommen egal, alle sind Ebenbilder Gottes und das ist die Grundlage der Nächstenliebe. Alle Menschen sind Ebenbilder Gottes und dies soll man lieben. Jetzt will ich noch kurz auf die hebräische Übersetzung kommen, im jüdischen Raum, auch im deutschsprachigen jüdischen Raum werdet ihr öfters mal, wenn ihr Gelegenheit habt, hören, Juden übersetzen das Gebot der Nächstenliebe ein bisschen anders, weil wir übersetzen nach der Septuaginta, an die sich das Neue Testament gehalten hat. Aber Juden übersetzen das so,
du sollst deinen Nächsten lieben, denn er ist wie du. So übersetzen das Juden. Ich finde diese Übersetzung auch sehr gut, sie widersprechen sich nicht. Was ist da gemeint? Ja, das geht aus dem Alten Testament und aus dem Kapitel 19, Leviticus Tritomo, geht es sehr deutlich hervor und zwar ist da gemeint, der braucht genauso Hilfe wie du. Man könnte also die jüdische Version so übersetzen, du sollst dem Nächsten helfen, wie du dir selber gerne hilfst. So ist es gemeint. Und in dem Kapitel 19, da werde ich noch ein bisschen dabei bleiben, da sind nämlich grundlegende ethische Gebote versammelt, also der Kontext von Leviticus Tritomo 19 ist kein Zufall. Da geht es um
grundlegende Gebote, die unsere Rücksicht verlangen, dass wir Rücksicht nehmen auf die schwachen Mitglieder im Volke Israel, weil die durch irgendeine Notlage und dann sollen wir nicht so handeln, dass wir innerlich denken, ah der ist wahrscheinlich selber schuld an seiner Notlage, wahrscheinlich war er faul, wie ich mal gehört habe von einem Nachbar, wenn in Polen die so fleißig werden wie wir, ja wir kriegen doch das auch nicht alles geschenkt und so wohl schon, wir schaffen ja auch. Also der ist wirklich der Meinung, der Unterschied im Lebensstandard zwischen Polen und Bundesrepublik, das haben wir so erarbeitet. Polen sind auch tendenziell fauler, also meint er. Also da muss man also auch sehr aufpassen. Der Nächste ist genauso schutzbedürftig wie du. Jeder Mensch
braucht immer wieder mal Hilfen, die er nicht aus sich selber heraus entwickeln kann. Also wir sind alle schutzbedürftig, letztlich in ziemlich ähnlicher Weise, wobei es schon die schwachen sozialen Benachteiligen und so weiter gibt, aber trotzdem schutzbedürftig sind wir alle und deswegen liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du. Jetzt will ich mal noch ein paar erklärende Worte hinzufügen. Der Nächste, also das ist ein komisches Wort, ein Superlativ, ist eigentlich ganz merkwürdig, nicht der andere. Ja, der muss nicht mein Freund sein, der Nächste, er muss mir auch nicht sympathisch sein. Es geht bei der Nächstenliebe viel weniger als um Sympathie, geht es um Empathie.
Darum geht es in der Nächstenliebe. Empathie kann ich auch gegenüber Menschen haben, die mir unsympathisch sind. Nämlich Empathie meint, ich kann und soll mich in ihre Lage hineinfühlen. Ich soll einen gedanklichen Rollenwechsel vornehmen. Da entsteht jetzt eine Nähe zur goldenen Regel. Also der Nächste muss nicht mein Freund sein und er muss mir nicht sympathisch sein. Es geht um Empathie, nicht um Sympathie. Jetzt gehen wir mal an den Kontext in Leviticus 19. Tine liest mal bitte, ich sage jetzt immer Leviticus, ich möchte euch auch ein bisschen an die wissenschaftlichen Namen gewöhnen. Dritter Buch Mose heißt Leviticus. Dritter Buch Mose heißt auch im Judentum, diese fünf Thorabücher werden erst im Laufe der Zeit mit Mose verbunden. Mose ist mehr so der
Schirmherr des Rechts, wie David der Schirmherr der Musik ist und Salomo der Schirmherr der Weisheit. Nicht dass ihr denkt, Mose hat die Mose-Bücher geschrieben. Die haben mit ihm eigentlich nicht viel zu tun. Sie wurden ihm unter seine Schirmherrschaft gestellt, denn Mose ist der Schirmherr des Rechts. Also Leviticus 19, 17 bis 18, das sind die zwei Verse vorher. Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich lädst. Gut, du sollst deinen Nächsten zurechtweisen. Komme ich gleich darauf weiter. Du sollst dich nicht rächen, noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volkes. Ja, und jetzt kommt dann die Nächstenliebe. Du sollst keinen Zorn dir bewahren, das ist nicht ganz glücklich übersetzt. Gemeint ist, du sollst nicht nachtragend sein. Also in
diesen zwei Versen vorher geht es um Menschen, die mir geschadet haben. Ganz klar, les sie mal zu Hause durch. Leviticus 19, 17 bis 18, du sollst dich nicht rächen, besser wäre die Übersetzung, du sollst keine Vergeltung, verzichte auf Vergeltung. Das ist Nächstenliebe, wenn du auf Vergeltung verzichtest. Und sei nicht nachtragend. Hier merkt man, dass das Gebot der Nächstenliebe schon im Alten Testament unterwegs ist zum Gebot der Feindesliebe. Das geht schon in die Richtung, denn die zwei Verse vorher richten sich an Menschen, die mir schweren Schaden zugefügt haben. Also könnte man sagen, das geht in Richtung Feindschaft. Und dann antworte nicht Gleiches mit Gleichem. Also das ist schon mal ein ganz wichtiger Punkt. Und dann noch sehr
wichtig ist Leviticus 19, wir bleiben in diesem Kapitel, 33 bis 34. Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch. Und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der Herr, euer Gott. Ja, und jetzt kommt wieder dieser Satz, ich bin Jahwe, euer Gott. Also du sollst einen Fremden, Luther übersetzt Fremdling, das kann man einfach sagen, einen Fremden nicht bedrücken und austricksen, denn ihr wart selber mal Fremde in Ägypten. Ihr müsst ja eigentlich wissen, wie einem Fremden zumute ist. Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst. Also das ist jetzt eindeutig. Das Gebot der Nächstenliebe ist
schon im Alten Testament, nur ein paar Verse weiter, ein Gebot der Fremdenliebe. Also der Nächste ist universal. Fremde waren damals, im Hebräischen Gerim, Ger ist ein Ausländer, ein Nicht-Israelit, der aber sich dauerhaft in Israel wohnbar geworden ist. Der hat hier in Israel Schutz gesucht oder verschiedene Gründe und er hat sich entschlossen, in Israel zu bleiben. Das sind die Gerim. Es gibt noch die Nokrim und die Zarrim, das sind auch Fremde, aber die einen sind durchreisende Kaufleute, die nicht in Israel lebenslang bleiben wollen, sondern die wollen hier ihre Geschäfte machen. Da geht es ethisch, muss man da anders. Und dann gibt es noch die Zarrim, das sind die Fremden, die ins Land kommen als Besatzungssoldaten. Also die Frage der Nächstenliebe ist schon, da muss man schon unterscheiden zwischen Gerim, Nokrim und Zarrim. Und da wird
auch unterschieden, also keine Gleichmacherei, aber auf jeden Fall, die Gerim sollst du lieben wie dich selbst, denn du warst selbst ein Ger. Gut, also ich will damit zusammenfassen, das Gebot der Nächstenliebe ist erst mal schon im Alten Testament universal gemeint. Warum? Ganz sicher, weil die Gottesebenbildlichkeit universal ist, sonst wäre hier ein schwerer Widerspruch. Die Gottesebenbildlichkeit ist auch die Triebkraft, die zur Nächstenliebe motiviert. Und das Gebot der Nächstenliebe ist schon in Leviticus in Richtung Feindesliebe und auf jeden Fall die Liebe des Fremden. Es gibt im Alten Testament noch ein paar Stellen, die in Richtung Feindesliebe
gehen. Dürstet dein Feind, dann tränke ihn. Hungert dein Feind, dann geb ihm zu essen. Damit wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Ist allerdings sehr schwer, was ist damit gemeint, aber erstaunlich, gell? Hungert dein Feind, dann speise ihn. Dürstet dein Feind, dann tränke ihn. Es heißt nirgendwo im Alten Testament, ihr sollt eure Feinde lieben. Also diese klare, einfache Sprache hat Jesus als erster Mensch in der Menschheit geäußert. Das ist so, gell? Aber es gibt im Judentum Entwicklungen, die in diese Richtung schon gehen. Jetzt komme ich zum Hauptteil. Wie hängt die Nächstenliebe mit der Selbstliebe zusammen? Und was ist die Selbstliebe? Das ist in
den letzten Jahrhunderten zum Teil dermaßen schiefgelaufen, krank machend, dass Millionen Kinder, Jugendliche und Erwachsene psychisch krank wurden. Es ist ein ganz heikler Punkt, die Nächstenliebe und die Selbstliebe. Ich will mal ein paar markante Schneisen ziehen. Das Gebot der Nächstenliebe, das ja jetzt Jesus aufgegriffen hat, heißt nicht, du sollst deinen Nächsten lieben anstelle von dir selbst. Das heißt es nicht. Es heißt auch nicht, dass die Nächstenliebe der Selbstliebe vorgeordnet ist. Heißt es auch nicht. Es heißt auch nicht, dass die Selbstliebe verboten ist. Das heißt es schon gar nicht. Sondern das Gebot der Nächstenliebe greift auf das Ursprünglichere
zurück, die Selbstliebe. Auch wenn ich annehme, das ist aber umstritten, also unter den Bibelwissenschaftlern ist das fast, ja die Mehrheit, ich habe da eine Mehrheitsmeinung, aber die Minderheit ist relativ groß, die sagt, gemeint ist, du sollst deinen Nächsten lieben, wie du dich selber lieben sollst. Also ich würde mal sagen, ein Drittel der Neutestamentler ist dieser Auffassung. Dann wäre die Nächstenliebe sogar geboten, nicht verboten, geboten. Also jetzt steigen wir mal in dieses heikle Gebiet ein. Die Nächstenliebe steht in keiner Weise in Konkurrenz zur Selbstliebe, sondern Nächstenliebe und Selbstliebe sind im Gleichklang, sie bestärken sich gegenseitig.
Wer sich selber nicht lieben kann, das gibt es leider, der kann auch keinen Nächsten lieben. Es heißt auch das Gebot der Nächstenliebe nicht, wie das manche bis heute innerlich, die machen sich das in der Regel nicht klar. Das Gebot heißt auch nicht, du sollst deinen Nächsten so lieben, wie du dich früher als Ungläubiger, dich selber geliebt hast, wie du in alten Zeiten, als du noch der alte Adam warst. Nein, heißt gar nicht, sondern du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst. Die Selbstliebe ist die Ausgangsbasis und die Grundlage der Nächstenliebe. Ob es auch der Maßstab ist, da bewegen wir uns wieder in unsicheres Gebiet, geht ein bisschen in die Richtung, aber ich will nichts spekulieren, ich will nur die satten Dinge sagen, die wirklich um der Gesundheit willen klar sind. Man hat lange Zeit in der
Christenheit, katholisch, evangelisch, freikirchlich, geht mir jetzt nicht um Namen, aber es ist eine dunkle, jahrhundertealte Tradition, die in vielen heute noch irgendwie herumwappert. Man war lange Zeit der Meinung, die christliche Liebe, also so wie wir Christen die Liebe verstehen, ist die Liebe selbstlos. Die Liebe ist eine Aufopferung. Man opfert sich in der Liebe auf. Also in diesem Verständnis der christlichen Liebe gibt es keinen Platz für die Selbstliebe. Die Selbstliebe ist irgendwie eine Sünde. Ja, noch viel mehr. Die Selbstliebe ist jahrhundertelang
in allen Denominationen die klassische Form der Sünde. Die Selbstliebe. Da wurde sofort mit Egoismus, mit Selbstzucht, modern ausgedrückt, mit narzisstischen Störungen, mit sowas wurde das gleich in Eins gesetzt. Der Sinn des christlichen Glaubens haben viele große Lehrer der Christenheit gelehrt. Übrigens auch Rudolf Bultmann. Also es geht nicht nur um konservativ oder nicht, das sind ganz andere Lager. Also viele große Lehrer der Christenheit, auch Bultmann, waren der Überzeugung, im christlichen Glauben geht es darum, sich selbst zu überwinden. Darum geht's. Nein, das stimmt nicht. Da ist ein Korn Wahrheit drin, aber das muss man viel genauer und gesünder
aufbröseln. Die Selbstliebe ist keine Sünde. Sie ist kein Laster, sondern eine Tugend. Nirgendwo im Neuen Testament wird die Selbstliebe in irgendeinen Zusammenhang mit der Sünde gebracht. Und nirgendwo im Neuen Testament wird die Sünde in irgendeinen Zusammenhang mit der Selbstliebe gebracht. Wer sich selber von der Liebe ausschließt, es soll also Menschen geben, die schließen sich selber von der Liebe aus. Damit vollziehen sie eine Ausgrenzung, die mit dem Wesen der Liebe nicht zu vereinbaren ist. Es gibt also Menschen, die können sich nicht selber lieben. Es gibt Menschen, die denken viel zu selten an sich. Das ist übrigens eine Sünde. In der Selbstliebe,
ich will mal kurz umreißen, was ich damit meine. Mit dieser gesunden Form der Selbstliebe, die die ursprünglichste, die natürlichste und die grundlegende Form der Liebe ist. Wenn sich jemand nicht selber lieben kann, dann zeigt sich bei ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung, die langfristig sehr negative Folgen hat. Also die gesunde Form der Selbstliebe, damit meine ich folgendes. Selbstachtung, Selbstwertgefühl, Freude an sich selber, Treue zu sich selber und durchaus auch Selbstbehauptung. Also Liebe ist zuerst mal Selbstachtung, Selbstannahme. Wie kommt es eigentlich,
dass es gar nicht so automatisch bei jedem Menschen klappt, dass er ein gutes Verhältnis hat zu sich selber. So einfach ist es gar nicht. Nämlich diese Selbstannahme gelingt nicht einfach überall automatisch. Man braucht dazu eine gewisse Kraft, sich selber annehmen zu können, auch in allen Schwächen und Fehlern, die man hat. Woher kommt diese Kraft? In der Tradition hat man gesagt, ja, die Leute, die sich selber so lieben, sind die, die immer durch andere so bestätigt werden. Da werden sie immer stolzer und arroganter. Die zelebrieren sich selbst. Man verwechselt Selbstliebe mit Selbstsucht. Das muss man total unterscheiden. Der Selbstzüchtige liebt sich nicht
zu viel, sondern zu wenig. Ja, also woher kommt es, dass man sich selber annehmen kann? Christlich jetzt, wir sind jetzt ganz im christlichen Glauben. Die Hauptgrundlage ist die Gewissheit, dass Gott mich liebt. Deswegen kann ich mich auch lieben. Das ist eine ganz gesunde Grundlage. Ich liebe mich selbst, weil Gott mich liebt. Und dem stimme ich zu. Und dass andere Leute mich bestätigen, mir Komplimente machen, naja, das nehme ich nicht ungern in Kauf. Aber das ist nicht die Grundlage. Das kommt dann dazu. Es gibt immer wieder Menschen, nicht wenige, denen hat man es schwer gemacht, dass sie sich selber achten. Es wurde ihnen schwer gemacht. Sie haben ein sehr mickriges
Selbstwertgefühl. Manche können sich nicht sehr gern im Spiegel anschauen. Gibt es doch auch. Ja, warum? Das sind tiefe Verletzungen in der Kindheit. Das sind Mangelerscheinungen. Wenn ein Kind zu wenig die Erfahrung gemacht hat, dass es um seiner selbst Willen geliebt und geachtet wird, im Sinne von Schön, dass du da bist. Oder Du bist wichtig, einfach, weil du da bist. Deswegen bist du wichtig. Der gesündeste Satz eigentlich für die Psyche des Menschen heißt, ich bin wichtig, einfach, weil ich da bin. Deswegen bin ich wichtig. Aber diese Erfahrung kann schwer belastet
sein und gestört werden. Eben die traurigsten Sätze so mit sind, mein Papa hatte eigentlich nie wirklich Zeit für mich. Meine Mama hat mich im Grunde sich nicht sehr für mich interessiert. Ihr waren andere Dinge wichtiger. Oder wie jemand mir sagte, ich habe auf dem Balkon als Sechsjähriger zufällig gehört, wie meine Mutter zu meinem Vater sagte, wenn der, sagen wir mal, Eduard, heißt anders, wenn der nicht gekommen wäre, dann könnte ich heute. Und dieser Eduard hat dann mit 25 Jahren sich unter den Zug gelegt und er hat Jahre vorher mir erzählt, dass er, ja, so kann man in der Kindheit schwerste Verletzungen. Und dann versucht man das zu kompensieren. Durch übertriebenes Gehabe, durch Selbstinszenierung, Selbstverliebtheit. Gibt ja
so Leute, die zelebrieren sich wirklich selber. Das sind arme Säcke. Müsst ihr wissen, ärgert euch nicht zu sehr an denen, obwohl man kann sich an denen ärgern. Aber es sind arme Säcke, die sind nicht glücklich. Es führt in neurotische Formen. Also, man muss die Selbstliebe von der Selbstsucht unterscheiden. In der gesunden Selbstliebe kann man die narzisstischen Elemente, die bei mir auch sehr lebendig sind, kann man einigermaßen in einem gesunden Rahmen halten. Also, ja, ich interpretiere mich halt mal so, gell. Ich halte meine narzisstischen Elemente einigermaßen in einem gesunden Rahmen. Jetzt muss man auch noch Folgendes sagen. In dieser traditionellen Sicht
galt die Liebe als selbstlos. Die Liebe ist selbstlos. Sie opfert sich auf. Und das Modell ist das Kreuz Jesu. Jesus war auch selbstlos. Er hat sich auch selbst aufgeopfert. Und wir sind in der Kreuzesnachfolge. Und da geht es um Selbstverleugnung. Die Liebe ist selbstlos. Nein, das stimmt nicht. Es kann sie zwar sein, die Liebe, die Nächstenliebe, kann tatsächlich mal in bestimmten Situationen, wo die Nächstenliebe aufs Äußerste gefördert wird, kann die Nächstenliebe selbstlos werden. Jubilate. Und kann sich aufopfern für andere. Aber das darf niemals ein Dauerzustand sein. Das sind bestimmte herausragende Situationen. Aber die Nächstenliebe ist nicht
selbstlos und ist keine Aufopferung. Denn ich brauch den Nächsten genauso wie er mich. Nächstenliebe und Selbstliebe widersprechen sich so wenig wie Nehmen und Geben. Wir leben miteinander in dieser Welt im Nehmen und Geben. Die Liebe gibt gern, aber die Liebe nimmt auch gern. Die Selbstlosen, die haben oft Probleme, ein Geschenk anzunehmen oder Hilfe anzunehmen. Und sie haben auch Schwierigkeiten, sich über sich selber zu freuen. Das Merkwürdige bei den Selbstlosen ist, dass sie im Grunde auf ihre Selbstlosigkeit stolz sind. Auch wieder auf eine versteckte Weise. Aber
ich sag euch, die menschliche Psyche ist da viel raffinierter. Wer sich selbst erniedrigt, der will erhöht werden. So funktioniert das. Und dann trägt man seine Demut auf eine peinliche Weise vor sich her. Und manchmal wundern sich die Selbstlosen, die sind nämlich ihr Selbst los. Und die wundern sich dann, dass sie nicht wirklich zufrieden sind. Und sie grübeln, woher das kommt. Weil sie sind doch so selbstlos. Nein, die Liebe ist nicht ihr Selbstlos, sondern die Liebe besteht darin, dass ich mich und andere bejahe. Darin besteht die Liebe. Man muss auch berücksichtigen, nehmen wir mal bestimmte intensive christliche Kreise, die konzentrieren mehr oder weniger,
man darf nicht pauschal werben. Es gibt sämtliche Spielarten. Ich muss da jetzt aufpassen, sonst werde ich sehr schnell ungerecht. Aber es gibt Gruppen, die eine gewisse Tendenz haben, die Nächstenliebe auf die Bruderliebe zu konzentrieren und die Schwesternliebe also auf die Gemeinde. Aber Atheisten und Buddhisten und andere, muss man die wirklich, muss ich jetzt auch noch die Gottlosen lieben? Ich habe doch mit denen nichts zu tun. Ich will mich ja fernhalten von denen. Und wenn dann Kinder aus diesen christlichen Gruppen in weltlichen Schulen sind und von weltlichen Lehrern, die sie ja als Ungläubige einstufen, mit winzigen Ausnahmen,
jetzt belehren Ungläubige unsere Kinder mit gläubigen Eltern. Da kriegen die Schwierigkeiten. Da geht es bis Homeschooling. Denn das kann doch irgendwie nicht sein, dass ungläubige Erwachsene die Kinder von gläubigen Eltern belehren. Das ist doch irgendwie ungesund. Da gibt es auch Schwierigkeiten, wenn man zum Arzt geht und der Arzt wird wichtig, aber er ist ein Ungläubiger. Jetzt hänge ich auch noch von Ungläubigen ab. Das will ich eigentlich nicht. Oder nehmen wir an, ein Therapeut. Es muss ein gläubiger Christ zu einem ungläubigen Therapeuten. Das versuchen die zu vermeiden. Das kriegen die fast nicht hin. Ich habe, nachdem ich blind geworden bin, war ich ein halbes Jahr bei einem Therapeuten, der sehr gut war. Der war schon 64,5 Jahre alt und
der hat mich noch angenommen, obwohl er voll belegt war und hat aber gesagt, Herr Zimmer, ich kann Sie nur ein halbes Jahr übernehmen. Ich mache dann eine mehrjährige Weltreise. Ich bin dann ganz woanders. Dann habe ich gesagt, ja, Herr Sowieso, ich traue Ihnen zu oder ich möchte das mal, die Erfahrung sammeln. Dieser Mann konnte mir ganz schön helfen. Er hatte eine wunderbare Fähigkeit des Zuhörens und er hat mich in den Gesprächen so geführt, dass ich wirklich merkte, es kommt wieder Lebensfreude und Mut. Es kommt wieder langsam zurück. Aber ich kann euch Folgendes sagen. Ich habe ihm immer gesagt, wie ich bete und wie ich Predigten halte. Also der wusste, ich bin Theologe und ich bin in Wothaus. Das hat er auch ein paar Mal gehört. Herr Sowieso,
ich muss mich jetzt wieder vorbereiten für Wothaus. Und dann nach einem halben Jahr war ich auch durch andere Dinge ganz ordentlich wiederhergestellt. Ich sage Ihnen, er hat nie ein einziges Wort über seine Religiosität gesprochen. Und ich kann nach einem halben Jahr sagen, das macht mir auch nichts aus. Das war völlig unwichtig. Ich nehme an, dass er ein nicht religiöser Mensch war. Nehme ich an, aber ich weiß es nicht. Er hat weder so noch so gesprochen. Er blieb da ganz auf seiner therapeutischen. Und ja, was meint ihr, wie viele gläubige Christen, die Hilfe ungläubiger Therapeuten auf das Dringendste nötig hätten? Gut, also ich fasse
zusammen. Die Nächstenliebe und die Selbstliebe darf man nicht gegeneinander ausspielen. Mein Ziel ist es, ein bisschen daran mitzuarbeiten, dass in Zukunft in keiner Predigt, in keiner christlichen Literatur und in keiner christlichen Erwachsenenbildung die Nächstenliebe mit der Selbstliebe gegeneinander ausgespielt werden. Dass das endlich aufhört. Je mehr ich mich selber liebe, desto besser kann ich auch die Nächstenlieben. Selbstverleugnung ist schon etwas Wichtiges. Jesus sagt dann zwei, drei Stellen in der Kreuzesnachfolge, der verleugnet sich selbst. Aber jetzt kommt das Entscheidende. Erst kommt die Selbstentfaltung und dann kann die Selbstverleugnung kommen. Wer sich
selber nicht entfalten kann, ja was will denn der überhaupt verleugnen? Der hat doch gar nichts zu verleugnen. Je besser die Selbstentfaltung, die Persönlichkeitsentwicklung, je besser die klappt, desto reicher werden deine Möglichkeiten, wenn es dann darauf ankommt, dich auch immer wieder mal selber zu verleugnen. Also entscheidend wichtig für die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen, erst kommt die Selbstentfaltung und dann kann die, Jesus redet ja zu Erwachsenen und die Rede von der Selbstlosigkeit, also die Begriffe selbstlos und aufopfern sind völlig gefährlich, schillernd, wir sollten sie vermeiden. Denn besser als Selbstlosigkeit sollte man so reden, sich selber
zurücknehmen zu können, sich selber relativieren zu können. Aber selbstlos, die Rede von der Selbstlosigkeit richtet dann nicht ganz so viel Schaden an, wenn derjenige, der so das hört, wenn der ein starkes Selbst hat. An dem richtet es keinen großen Schaden mehr an. Oder andererseits, wenn man die Rede von der Selbstlosigkeit klar begrenzt auf eine bestimmte Phase, eine Woche, einen Monat oder in meinem England-Aufenthalt, da muss ich sehr mich zurücknehmen. Also das kann mal sein, aber dass die Liebe grundsätzlich ein Leben lang selbstlos ist, das führt in die Psychiatrie, das führt in die Neurose. Und ich muss auch zum Schluss ohne Fishing for Compliments
sagen, es wurde ja vielen Menschen schwer gemacht, sich selber zu achten. Gerade für diese Menschen, die große Schwierigkeiten damit haben, sich selber zu achten, ist die Selbstliebe von aller Bedeutung und hat eine heilende Kraft. Und man muss auch nüchtern zugeben, in den letzten Jahrhunderten hat man es vor allem den Frauen schwer gemacht, sich selber zu achten. Man hat auch christliche Lehre gesagt, also im Opferbringen, das gelingt den Frauen besser wie den Männern. Wollten Sie die Frauen auch noch loben, also den Frauen steht es zu, sich aufzuopfern, das können die und das sollen die. Die sollen ihr Leben als Aufopferung leben. Also die Frauen
wurden hier jahrhundertelang millionenfach geschädigt und da müssen wir etwas zurechtdrücken.
Das Doppelgebot der Liebe (Mt 22,35-40) | 13.6.3
Die Sache mit der Nächstenliebe, das haben sich doch die Christen ausgedacht, nicht wahr? Vor Jesu Zeit auf Erden galt Auge um Auge, Zahn um Zahn, erst Jesus forderte die Menschen auf, etwas sanfter miteinander umzugehen. Am besten so, wie sie auch mit sich selbst umgehen (sollten). Richtig?
Falsch natürlich. Das Gebot der Nächstenliebe steht etwas unscheinbar in einem der Mosebücher zwischen dem Verbot der Rache und dem Verbot, verschiedene Tiersorten zu kreuzen. Jesus allerdings hat das Doppelgebot der Liebe daraus gemacht, denn nicht nur den Nächsten sollen wir lieben, sondern davor noch Gott.
Was so einfach klingt, darüber lässt sich viel erklären – und sogar streiten. Warum muss man den Nächsten lieben? Reicht nicht etwas Nettigkeit aus? Wie sollen wir Gott lieben? Und steckt im Doppelgebot der Liebe etwa ein dreifaches Gebot, nämlich auch sich selbst zu lieben? Oder soll man den Nächsten dagegen nur so sehr lieben wie man es selbst schafft, sich zu lieben?