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Ja, herzlich willkommen zum fünften Vortrag unserer Reihe Geschichte der Bibelauslegung. Heute das Thema Anfänge der historisch-kritischen Methode, Anfänge der historisch-kritischen Bibelwissenschaften, Teil 1 im Humanismus, am Beispiel von Erasmus von Rotterdam. Erasmus von Rotterdam hat ein merkwürdiges Geschick. Jeder kennt ihn, keiner weiß, wer es ist. Man kennt den Namen irgendwie, jeder Schüler, jeder Studierende hat er da schon irgendwie mal gehört, da gibt es Geld für schöne Reisen machen und so. Wir werden uns heute mit ihm beschäftigen, mit einem bestimmten thematischen Interesse. Wie hat sich die Bibelauslegung in seiner Zeit im 15. 16. Jahrhundert

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verändert? Was ist da Neues gekommen? Kann man sagen, muss man sagen, dass hier die moderne historisch-kritische Bibelwissenschaft angefangen hat oder wäre das übertrieben? Damit werden wir uns heute beschäftigen. Noch mal ganz kurz, warum interessiert uns das? Naja, weil das Thema Bibelauslegung bis heute quer durch die Christenheit so ein heißes Eisen ist. Es gibt laute Flügel, laute Pole, die da eine sehr klare Meinung haben. Die einen sagen, für das moderne Christentum ist es selbstverständlich, die Bibel wissenschaftlich auszulegen. Wissenschaftlich hat sich ein Gebürger zu sagen, historisch kritisch. Das ist auf der Höhe des geschichtlichen Bewusstseins der Neuzeit, das ist der Pfad der Wahrheit. Jenseits dieses Pfades ist nur Wahnsinn und Selbstverstockung und so. Also jenseits davon ist das jenseits der Vernunft. Und dann gibt es andere, die sagen,

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die historisch-kritische Methode ist vom Teufel. Sie ist eine Abirrung, sie ist eine gigantische Heresie, sie hat das Christentum zutiefst beschädigt, sie hat die Bibel unglaubwürdig gemacht, sie ist die eigentliche Ursache von Säkularisierung, von Glaubensabfall und wir müssen von diesem ihr Weg radikal runter. Und das sind Flügel, das sind Pole, die einander gegenüberstehen, sie reden nicht miteinander, sie schreien einander an und sprechen einander den Glauben oder die Vernunft ab. Das ist kein besonders ersprieslicher Zustand. Da bringt man sich vielleicht auch um Lernchancen und um nicht direkt in so einen Streit einzusteigen, diese Vortragsreihe überhaupt erstmal verstehen, wie sind wir dahin gekommen, wo wir sind? Warum gibt es diese Auseinandersetzung? Wie hat sich die Bibelauslegung in der Geschichte entwickelt? Vier Vorträge zur Altenkirche, zur

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Antike gab es bereits, jetzt sind wir in der Neuzeit angekommen. Jetzt hätte ich auch Lust gehabt, was über das Mittelalter zu machen, es ist immer so ein bisschen, macht so einen geringschätzigen Eindruck, als würde man sagen, die letzten tausend Jahre waren für die Füße, das lassen wir jetzt mal links liegen. Bibelauslegung im Mittelalter wäre ein großartiges Thema, wäre ein sehr schönes Thema und da ist ganz viel auch zu finden. Nicht für das, was uns interessiert, das ist einfach der Punkt. Man könnte hier manches wiederholen, was wir in der Antike festgestellt haben, man könnte noch ältere Wurzeln hier und da auch finden für die neuzeitliche Entwicklung. Faktisch aber sind Renaissance, Humanismus, also diese geistigen Strömungen, wo irgendwo so dieses neuzeitliche Moderne beginnt, das was für unser Interesse maßgeblich ist. Ich habe deshalb auch Erasmus ausgewählt, weil er, wir können sagen, er ist im Grunde jemand, der in die Neuzeit hinein ragt

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und er hat aber auch viel Mittelalter an Bord. Also wir werden ein kleines Gefühl gewinnen davon, wo er aufbricht, wo er herkommt und so werden wir es dann halt machen. Ja, Erasmus von Rotterdam, wir werden biografisch einsteigen, naja, weil es auch dem Format entspricht. Es gibt ja die Bücher, kann ja jeder sich irgendwie die Geschichte der historisch-grünen Bibelauslegung anschauen. Es ist für den Einstieg immer ganz schön, Denken verpackt zu haben in Erzählungen, in Stories, in Geschichte. Und dann ist es tatsächlich so, dass die auch die methodischen Durchbrüche einer Zeit, die gedanklichen Durchbrüche oft Hintergrundgeschichten haben. Jetzt haben Sie ganz viele Hintergrundgeschichten. Erasmus ist aber eine exemplarische und darum werden wir uns bei ihm ein wenig anschauen, wie er geworden ist, der er ist und welchen Beitrag er geleistet hat

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zu den neuen Bibelwissenschaften. Exemplarisch viele andere haben mitgetan. Wir werden uns aber hier auf ihn konzentrieren. Er heißt Erasmus von Rotterdam und das ist schon lustig, weil er, ja man hätte auch sagen können Erasmus von Basel oder Erasmus von Freiburg, Erasmus von London, von Cambridge, man hätte ziemlich viel sagen können. Erasmus Biografie war nicht immer ein Vergnügen, vor allem nicht in der ersten Lebenshälfte. Erasmus ist der Sohn eines Priesters. Ist heute noch ein bisschen ungewöhnlich. Heute ist er nicht das erste, was man so in der Schule sagen würde, was machen denn deine Eltern. Ja, mein Papa ist katholischer Priester. Da würden sich immer noch alle Gesichter umdrehen oder so. Alle hätten das Gefühl, interessant. Mit dem versuche ich warm zu werden, da gibt es bestimmt interessante Stories. Damals war es nicht nur interessant, es war schon auch echt schwierig, echt schwierig. Eine Frau verwitwet, ein Priester

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zusammengekommen. Es kam vor, es kam ehrlich gesagt immer vor. Ja, nicht so, dass man sagen kann, 1000 Jahre Zölibat, alle waren glücklich und dann drehen im 20. Jahrhundert die ersten durch und rütteln an den Wahrheiten auf die Mutterkirche und so. Ich habe mit Bedacht 1000 Jahre auch gesagt, eine lange Geschichte, bis das wirklich konsequent umgesetzt wird, bis weit in die Antike hinein, Frühmittelalter ist es gar nicht so streng überwacht. Aber es war nicht richtig, Kinder kriegen war schon mal gar nicht richtig und da hat man auch nicht nur ein Gespräch bekommen, so beim Bischof, der dann sagte, ja, hören Sie mal, wir haben, wir kennen den Fall, wir zahlen auch dafür eine gewisse Anzahl von Kindern, alle müssen sich jetzt schon ein bisschen mehr am Riemen reißen und nichts merken lassen. Es war damals schon ein bisschen schwieriger. Es gab die Mutter, es war auch bekannt, auch der Name des Vaters ist bekannt, aber es wurde ein Vormund bestellt,

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ein Lehrer. So, er war im Grunde, er hatte einen Vater, aber er war faktisch auch vaterlos. Es war so ein Leben im unordentlichen Bereich. So, war ein bisschen unordentlicher Bereich. Ja, eigentlich, wenn man so will, Bildungsschicht. Mutter hatte auch, wir würden heute sagen, bürgerlichen Hintergrund, also keine agrarische, bäuerische Umgebung, eigentlichen Familienhintergrund, der einen auf Bildung einstellen würde, aber ohne Familie, die ihn da bezahlen, finanzieren, unterstützen würde, zumindest offiziell nicht. Es wurde noch schwieriger, als er Lateinschule überlebt hatte, hat ihm gar nicht gefallen, sehr viel Druck, sehr viel Drill, er wies sich als sehr begabt, aber er wollte eigentlich mehr, als so die normale Schule bot, als für ihn in Frage kam, der kann studieren, der ist richtig klug, sterben kurz hintereinander beide Eltern an einer Seuche,

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nicht ganz klar, englischer Schweiß oder es wird in den Quellen immer alles Pest genannt. Im Detail muss man da immer gucken, kann man jetzt nicht mehr rauskriegen. Beide Eltern tot, er ist 18, so und jetzt ist alles noch schwieriger, ein Priester vererbt ja jetzt nicht ein Haus oder so, das ist ungesicherte Verhältnisse. Der Vormund muss entscheiden. Und was entscheidet der Vormund? Der Vormund sagt, ja Bildung wäre schon dein Ding, man kann immer irgendwie gucken, ob du mit Schwertkampf oder so zurechtkommst, also Söldner werden immer gebraucht, du kannst dich auch beim Bauern hinten anstellen, aber dafür bist du zu zart, dann wirst du auch nicht alt auf beiden Wegen. Bildungsweg, also nur dass ich dich jetzt finanzielle, hätte ich jetzt nicht so gedacht. Kloster, Kloster, du trittst ins Kloster ein, du wirst Mönch. Ist für ganz viele Kinder mit so einer Herkunft wie bei dir und so. Man ist auch raus aus der Welt, man wird nicht doof angeguckt, man hat

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nicht tausendmal im Leben die Situation, aha und wer ist der Herr Vater und so, hat man immer gefragt damals und so. Kloster. Das war jetzt nicht so der Traumweg für Erasmus, aber war jetzt auch nicht die Option zu sagen, nö, dann gehe ich jetzt nach London oder nach Berlin oder was Besseres als den Tod finde ich allemal. Nee, dann war das so, dann Kloster. Er ging ins Kloster, wurde zu einem Mönch umgebaut, hat ihm auch nicht gefallen und so. Also die ganze Biografie der frühen Zeit, Erasmus seufzt im Nachhinein viel über die Schule, über das Kloster und so, wird Priester auch und auch da merken die, der ist begabt, der ist klug, der kann viel mehr. Studium wird bewilligt, es war ja damals überhaupt nicht selbstverständlich, dass man Theologie studiert, um Priester zu werden. Das wird ja erst nach der Reformation selbstverständlich, insofern war das so für

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Spitzenkräfte, Bewilligung des Studiums. Erasmus ging nach Paris, war eine dolle Adresse, aber ja, der Orden sagte ja, komm aber wir zahlen dir Basis-Tarif, sieh mal zu. Er wurde da in die letzte Kaschemme untergebracht, es war kalt, es war ungeziefer, Essen war häufig verschimmelt, es war sehr wenig, es war schlecht, es war eng, es war kalt. Erasmus sagte später immer, ja viele Krankheiten, die ich so habe, kommen alle aus meiner Studiumszeit. War nicht cool, war gar nicht cool, war nicht so Studentenjahre waren die besten meines Lebens und so. Nee, war nicht der Fall. Auch das Studium in Paris, wir sind jetzt, um 1490 befinden wir uns jetzt, also so Kaiser Maximilian und Ritterspiele und vieles ist noch anders als auch in der Lutherzeit. Studium war sehr stark

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verschult, verschult in dem Sinne, dass sehr klar war, was man reinkriegen muss. War jetzt nicht so Befähigung zum selbstständigen Denken, sondern Vorlesungen bestanden darin, dass es Bücher gab, das war da, da stand drin, was gilt. Und dann gab es Kommentare zu den Büchern und die wurden vorgelesen, etwas aus dem Buch, dann aus dem Kommentar zu dem Buch und die allergrößten hatten vielleicht noch einen Zusatz dazu, aber im Grunde ging es ständig um große Download-Aktionen, dass das, was in den Büchern und im Gehirn des Professors stand, irgendwie runtergeladen werden musste ins Gehirn des Studenten und wenn er das wiedergeben konnte, so ja dann, dann war gut. Da, wenn er so auf die Schiene gebracht wurde und dieses Ganze auf die Schiene gebracht werden, das wurde dem Erasmus mit jeder Lebensphase verhasster, denn er wurde immer auf Schienen

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gesetzt, aber oft nicht sehr schöne, weil die Herkunft nicht stimmte und das Geld nicht stimmte und die Familie und das Ordensvermögen und die Burse in Paris und so. So und dann aber irgendwann ist Erasmus Mitte 20 und kommt langsam in die glückliche Situation, ein bisschen was in seinem Leben machen zu können. Und da kann man sagen, die ersten 25 Jahre in seinem Leben saß er nie am Steuer, er war immer Passagier und das ist gar nicht so schön, wenn das eigene Leben geführt wird, durch alle möglichen, aber nicht durch einen selbst. Und mit der Zeit kriegt er aber schon, durch seine Begabung, durch seine Fähigkeiten, Möglichkeiten auf sein Leben einzuwirken, als Hauslehrer natürlich, man verdient sich, man kriegt ein bisschen Geld, man kann ein bisschen auch mal satt werden, ein bisschen auch mal Wärme bekommen und er kann anfangen, sich selbst zu vermarkten. Er kann anfangen, sich selbst zu verkaufen, jetzt als Gelehrter, als Sekretär,

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als jemand, der schreiben kann, jemand, der Korrespondenz übernimmt und das wird für viele Jahre jetzt Erasmus leben. Er hat nichts irgendwie, er hat kein Erbe, er hat kein altes Geld, aber er hat Begabungen, die er verkaufen kann. Er muss das immer mit dem Orden verhandeln, er wird aber relativ geschätzt auch von seinem Abt, ein paar Kämpfe sind immer und so. Für ihn ist klar, er will nicht im Kloster sitzen und da am Tag sieben Gebetszeiten und was weiß ich, von Montag bis Mittwoch ein A malen und von Mittwoch bis Freitag ein B. Das nicht. Das will er gar nicht. Er will lernen, er will studieren, er will schreiben, er will was machen. Jetzt kriegt er ganz viele Arrangements, in die Details müssen wir gar nicht. Zum Beispiel wird er Reise-Sekretär bei einem Bischof. Der Bischof muss nach Italien, er muss dahin, er muss Korrespondenz führen, er muss verhandeln und da

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ist einer, der es drauf hat, ganz gut. Er wird so eine Art Staatssekretär im kechlichen Dienst und für Geld macht er dann da alles Mögliche und das gehört zum Deal. Er hat die Freiräume, da auch Studien zu machen, Bibliotheken zu besuchen, Kontakte zu knüpfen und so lernt er nach und nach Leute kennen. So und wie das jetzt alles geht, das muss uns im Detail nicht interessieren. Was interessant ist, er wird Europäer. Schlecht den Europäer. Darum ist es auch schlau von der Europäischen Union, Erasmus-Studien, Erasmus-Stipendien mit seinem Namen zu verbinden. Erasmus hat weder Muttersprache noch Vaterland. Ab einem bestimmten Alter spricht er nur Latein, nur. Er hat keine Muttersprache, er lehnt es auch ab. Er hat da nichts, er hat keinen sicheren Hafen. Für ihn wird Latein seine Sprache. Er lebt, denkt, träumt, schreibt alles im Latein. Jeden Brieflein muss

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man mal irgendwie Unterkunft oder so, sich da auf irgendwas bequemen, aber es ist nicht sein Ding, er lässt es. Er lebt in Europa, hat jahrelange Reisen nach Norditalien. Norditalien ist damals weit vorn kulturell, viel weiter vorne als Deutschland, wo noch viel mehr im Mittelalter ist. Norditalien, Kunst, Renaissance, da kann man einen riesen Exkurs sparen, wir glauben das, da ist viel. Da ist zum Beispiel auch viel angekommen durch die Krisen in Venedig und Konstantinopel, Istanbul. Es gab, also Byzanz, Konstantinopel, Byzanz, später Istanbul. Das hat dazu geführt, dass ein ganzer Strom von Gelehrten aus Ostrom, aus der griechischsprachigen Welt nach Italien gekommen ist. Die haben ihre Manuskripte mitgebracht, die haben ihr Wissen mitgebracht. In Norditalien ist ein Markt entstanden für griechische Studien. Das sprach man nicht im 13.

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oder 12. oder 11. Jahrhundert in Europa, in Nord- und Mitteleuropa, das war im Osten. Auf einmal war das da und für die Gebildeten faszinierend. Man hatte Zugang zu Platon im Original, man hatte Zugang zu Aristoteles im Original, man las die Retoren, man las die Tragödien, die Komödien, das war ein ungeheures Bildungserlebnis für viele Humanisten in Norditalien. Ein weiterer bevorzugter Aufenthaltsort für Erasmus wurde England. Er bekam in England bekannte, einflussreiche Freunde. Thomas Morus, der Verfasser von Utopia, das Wort Utopie, Utope, stammt daher, berühmter Humanist. Er bekam Kontakt zu Heinrich dem VIII., wir wissen alle, wie viele Frauen er hatte und was sonst noch so alles war und welche Kinder und Enkelin, das ist uns so bekannt, das war ein gebildeter Mann. Das war einer, der selbst Bücher schrieb,

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theologische Abhandlungen, der sich sehr interessierte für die humanistischen Studien, der das förderte. Erasmus von Rotterdam begann mit ihm ein Briefwechsel, er wurde gefördert, er lebt auch jahrelang in Cambridge, hat da Lehraufträge, er unterrichtet, so und zwischendurch ist er aber auch wirklich gern auf Reisen, wirklich immer wieder mal gern in den Niederlanden seiner ursprünglichen Heimat oder Basel, er ist Europäer. So, das ist ein kleiner biografischer Hintergrund, in den ersten 30 Jahren, 35 Jahren kennt kein Mensch Erasmus von Rotterdam, wofür auch er läuft da rum und so, viele laufen rum, paar Gelehrte gibt es ja, aber er kriegt mit der Zeit und Mitte der 30er Jahre einen herausragenden Ruf als Stilist, als Denker, als Kenner auch der alten Wissenschaften, sind so ein paar Schriften, die ihn ab 1500 richtig bekannt machen und wenn wir

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so diesen Erasmus anschauen, Anfang des 16. Jahrhunderts, kann man bei ihm zwei Stränge unterscheiden, naja man muss drei Stänge unterscheiden, das eine ist der Gelehrte, der Gelehrte, der alte Quellen kennt, der Quellen herausgibt, den man immer fragen kann, den man Briefe schreibt, mit denen man im Diskurs steht, das ist aber ein Gelehrter, naja, da gibt es so manchen, dafür muss man ihn auch nicht kennen. Er schreibt dann aber als Literat Bücher in herausragendem Stil, das eine was er schreibt, er schreibt zeitkritische Bücher, zeitkritische Bücher, wo er Probleme der eigenen Welt anspricht und daneben schreibt er Erbauungsbücher und bis heute kann man hier zwei Werke benennen, die erhaltbar sind in ganz vielen Verlägen, online, in Deutsch, in Latein, in allen möglichen Weltsprachen, das eine Buch heißt Lob der Torheit, Lob der Torheit ist ein Buch, wo Erasmus die Torheit auftreten lässt, naja und Frau Torheit,

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so Frau Weisheit, Frau Torheit, man kennt das schon aus dem Buch Sprüche, Frau Torheit zieht dann vom Leder, könnte sagen sie macht eine sehr eloquente Büttenrede, sie lästert einfach los, es ist so eine Art Kabarett, es ist hoch intelligentes Kabarett, weil man bei ihm merkt, dass das ist nicht irgendwie so ein Latein, was er auf der Straße gelernt hat, sondern Erasmus hatte den Anspruch ein Latein zu sprechen, mit dem er klar käme zwischen Cicero, Horats und Ovid, das war sein Anspruch und er hat immer wahnsinnig gelitten an diesen Theologen, er fand das so, er hat ein kleines Sprachgefühl, die konnten das nicht, das war so ein Gossen Latein irgendwie, mittelalterlich und er wollte Hochlatein sprechen und schreiben und denken und wer das Buch las, war schnell von den Socken und merkte, wow, das ist Niveau, da weiß man nach zwei Seiten Bescheid und dann war es eine sehr

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raffinierte Idee, Frau Torheit lästert, also man darf wirklich an Kabarett denken, so er kommt nicht in eigenem Namen, ist ja nur eine Rolle, so und sie geht dann durch die ganze Gesellschaft durch, sie lästert ab über die Kaufleute und über die Soldaten und über die Reichen und über die Eingebildeten und so und er geht so durch, dann kommt er auf die Theologen zu sprechen, die Theologen macht er rund, es sind die, er sagt, sie reden garstiges Kauderwelsch und konfuses Zeug, nur ein Verrückter könnte das ernst nehmen, sie haben im Grunde einen Sport entwickelt, solange man noch verstehen kann, was sie wollen ist nicht gut, sie wollen auch immer auf das Level, dass man gar nicht mehr weiß, was die wollen, vorher fühlen die sich nicht wohl, wenn man dann versucht es zu verstehen, merkt man, es ist ja alles Blödsinn, egal, das machen die, damit verwirren die uns, sie machen da lauter Schulgründungen, sie hängen sich an irgendwelche mittelalterlichen Gelehrten, sie zanken, sie kämpfen, sie werden bezahlt, man weiß nicht

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wofür, Bibel spielt fast keine Rolle, sind gar nicht in der Lage, die Bibel zu verstehen, im Original interessiert sie gar nicht, weil sie so eingegraben sind in ihren Dingen, es bringt nichts für die Frömmigkeit, nichts für die Bildung, so erzählt es, so, da haben viele sich auf die Schenkel geklopft, die aber im nächsten Kapitel dran kommen und das war das Raffinierte an diesem Buch, es kommen alle dran und jeder hatte irgendwie eine Passage, wo er laut gelacht hat und eine, wo er selbst drankam und ja, das war dann aber auch schwierig, weil wenn man ihn zur Rede stellte, er sagen könnte, da ist ja die Frau Thorheit, die hier redet, ich bin ja nicht ich, ist ja die, die redet darum, also ja völlig klar, dass es völlig überdreht und übertrieben ist und vielleicht ist bei manchen was dran, aber ist eine Kunstform. So, so kommt er auf die Mönche zu sprechen, es sind die bejammernswertesten Geschöpfe unter der Erde, sagt er, sie sind so verhasst, wenn man sie auf der

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Straße trifft, hat man das Gefühl, oh Gott, heute passiert noch was Schlimmes oder so. Warum? Weil sie im Grunde so demütig tun und so gering und so und sind so demütig, dass sie nicht mal mehr lesen lernen, dass sie auch wirklich vollkommen verblöden und nichts wissen und trotzdem lassen sie es sich nicht nehmen, jeden Tag Psalmen rauf und runter zu lesen, von denen sie kein Wort verstehen, sie machen aber immer weiter und sie plärren wie die Eselinnen im Tempel und glauben, den Himmel in Staunentzücken zu versetzen und es ist, so lästert er sich durch, irgendwann sind die Päpste dran. Die Päpste, er sagt, es gibt keine Menschenklasse, die dermaßen verweichlicht ist und dekadent geworden ist, theatralische Schauspiele, großes Gepränge, sie lassen sich mit Titel anreden wie Gott begnadeter, hochwürdiger, allerheiligster, es ist alles ein Spiel, es ist alles ein Schein und so und also man könnte sagen,

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er traut sich wirklich was, er traut sich da extreme Sachen, aber sagt ja nur die Torheit. Es gibt eine Schrift von ihm, die heißt Julius Exclusus, Schrift von ihm, man glaubt, dass Erasmus das geschrieben hat, er hat es aber nie unter eigenem Namen herausgegeben, sich auch nie dazu bekannt, weil es eine Schrift ist über Papst Julius II., wer im Fernsehen mal Serie Borgia und so geguckt hat, also wo Päpste, Gottesdienst, dann gehen sie erstmal in ihre Gemächer, da warten drei Frauen, dann hoch die Tasse und so, dann kommt der Bastard von irgendeiner Hure, dem man gezeugt hat irgendwo, dann wird der zum Herzog irgendwo in Burgund, dann besäuft man sich, zwischendurch sagt man, oh ich muss noch einen Konkurrenten umbringen, ah wieder Gottesdienst und so. Also Borgia, wer die Serie gesehen hat, das ist nicht übertrieben, Kenner der Zeit sagen, da gibt es noch schlimmere Geschichten, die wird aber die Serie dann auf ab 16 oder ab 18 schalten

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oder so und Julius II. war da hochbegabt, Tiefpunkte der Kirchengeschichte zu setzen und die Schrift, die wahrscheinlich von Erasmus ist, funktioniert so, Julius II. kommt an der Himmelstür an und hoch zu Ross und will da rein, aber da steht ein Türwärter, sagt du kommst hier nicht rein, also nicht ganz so, aber der Sache nach wird er nicht reingelassen und in diesem Gespräch wird dann alles auf erzählt, weil warum er nicht würdig ist. Das ist sehr scharfe Kirchenkritik, sehr kluge Kirchenkritik, wurde jetzt auch nicht groß in allen Märkten verkauft, aber es ging so unter der Hand her und man merkte, dieser Erasmus, der hat ein Mütchen zu kühlen mit der bestehenden Kirche, er macht es aber immer mit dem Floret, sehr fein, so dass bei ihm nichts hängen bleibt, aber er macht es durchaus drastisch und das ist etwas, was den Humanismus betrifft, der ganze Humanismus wird kirchenkritisch, weil er merkt, es ist oft viel mehr Schein als Sein, sehr viel

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Gepränge, sehr viel Machtanspruch, sehr viel Durchsetzungswille, aber oft auf ganz schmaler Basis und man merkt irgendwann, viele Ansprüche sind nicht gerechtfertigt, die konstantinische Schenkung ist das spektakulärste Beispiel. Kirche hat ihren Besitz, ihr Staatsgebiet letztlich, was sie ja hatte, Mittelitalien, darauf gegründet, dass sie sagte, Kaiser Konstantin, der Große, der Erhabene, der von Gott Gesandte, der Retter der Christenheit, hat den Kirchenstaat den Nachfolgern Petri geschenkt per Urkunde. Lorenzo Waller und andere haben sich das angeguckt und gesagt, stimmt nicht, das ist kein Text aus der Antike, das ist eine Fälschung aus viel späterer Zeit. Das war für viele dann klar irgendwann und für die Humanisten war das so der Punkt, dass sie

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sagten, uns wird auch viel Mist erzählt, wir werden auch ganz schön belohnt. Und wenn man mal anfängt, kritisch zu werden, entdeckt man nach und nach Dinge. Thomas Morus hat es angedeutet, Utopia beschreibt, was sich so in diesen Renaissance-Humanismus-Kreisen für ein Ideal gebildet hat. Das Buch, was er, die Welt, die er beschreibt, ist eine Welt ohne Geld und voller Bildung. Es war so das Ideal, eine Welt, wo du nicht unterschieden wirst, wo du herkommst und was du hast und was du erbst und welchen Tiegel du hast. Ist alles weg. Es geht um Bildung. Es geht um eine Welt, wo Menschen das, was sie sind, werden durch das, was sie lernen, was sie wollen, was sie können. So, das ist das Ziel. Es ist auch eine Welt voller religiöser Toleranz. Und alle noch irgendwie gläubig in Utopia, aber alle wissen auch, dass ihnen Gott nicht gehört. Und es sind verschiedene Verehrungsformen Gottes

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nebeneinander und die lassen einander stehen und haben auch Respekt vor dem Glauben anderer. Naja, das ist auch im 21. Jahrhundert noch Utopia, zeigt aber, in welche Welten Erasmus und viele seiner Freunde lebten, von daher natürlich auch sehr kritisch auf ihre Zeitschau. Das Zweite, was Erasmus aber auch macht, er ist nicht nur Kirchenkritiker, Zeitkritiker, er schreibt ein Erbauungsbuch, Enchiridion, ein Erbauungsbuch für den christlichen Streiter. Und er sagt, was ist das Wesen des Christentums, worum geht es eigentlich? Es geht um die Praxis, es geht um Nachfolge Jesu, es geht nicht um dogmatische Rechthaberei, es geht nicht darum, alles besser zu wissen, sondern es geht um das gute Leben. Das Leben, wo wir einander helfen, wo wir einander fördern, wo wir Geduld und Nachsicht

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haben mit den Fehler unserer Nächsten, wo wir sie aber auch zu verbessern, zu fördern versuchen. Und ja, ein solches Lebenskampf, denn wir alle sind hin und her gerissen, versucht, wir werden versucht von Eifersucht, von Neid, wir wollen alle was darstellen, wir sind zum Zorn versucht, wir werden wütend über das, was uns passiert, sagen manchmal Dinge, die nicht gut sind. Und das alles macht die Welt aber immer schlimmer und kaputter. Wir müssen auf einen Weg des Guten gebracht werden, und das ist Arbeit an sich selbst. Und dafür ist aber Christus gekommen, als Lehrer, als Erzieher, als Heiland, der uns hilft, an uns zu arbeiten, ja der selbst in uns arbeitet. Wenn wir uns so umgestaltet, dass wir Liebende werden, Menschen, die in den tugenden Leben, die Jesus vorgelebt hat. Manchmal hat man gesagt, ja Erasmus hat ja da ein ganz moralisches Buch ausgemacht. Es ist immer schlecht,

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wenn moralisch so negativ konnotiert wird. Und jetzt muss man sagen, also ja, es ist ein moralisches Buch. Er würde sagen, es geht um Verbesserung des Lebens, aber es ist darin auch eine ganz religiöse Moral. Eine religiöse Moral, wo Christus jetzt nicht nur Vorbild ist. Er ist Urbild in dem Sinne, dass man an ihm sehen kann, wie der Mensch sein soll. Und er ist so Urbild, dass die, die an ihn glauben, ja Anteil bekommen an seinem Geist, an seiner Kraft, an seiner Liebe. Er prägt uns, er gestaltet uns, er wird unser Erzieher, unser Arzt, unser Lebensbegleiter. Und in diese Bewegung hineingenommen zu werden, das ist Glaube. Das ist praktischer Glaube. Machen wir uns an der Stelle mal klar, wie Erasmus hier die Bibelauslegung des Mittelalters aufgreift und wie er sie auch

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erneuert. Im Mittelalter hat sich ein bestimmter Umgang mit der Bibel entwickelt, eine geistliche Schriftauslegung, die im Haupttyp so aussah, man sagte, die Bibel hat einen vierfachen Schrift- sinn. Der vierfache Schrift-Sinn sieht so aus, viele Geschichten, Ereignisse werden erzählt und ja, das ist dann so passiert. Und aus der Bibel selbst lernen wir ja, vieles was da passiert ist, hat aber einen tieferen Sinn. Also gucken wir uns das bei Paulus an. Paulus sagt, ja es gibt die Geschichten von Sarah und Hagar, es wird ja erzählt. Aber der tiefe Sinn ist eigentlich, Sarah ist eine Weissagung auf das Christentum hin und Hagar ist eine Weissagung auf das Judentum, was sich Jesus verweigert. Es ist das Jerusalem, was droben ist, das freie Jerusalem und das Jerusalem in Knechtschaft und Gefangenschaft. Oder Paulus legt die Geschichte aus, der Fels,

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der Nachvolk, der Volk in der Wüste und Paulus sagt dann ganz lapidaj, ja und der Fels war Christus. So Christus war beim Exodus schon dabei, ersten Korintherbrief, war dabei, so dass es der tiefere Sinn, dass Christus hier im Grunde schon Hilfe und Quelle gewesen ist des Glaubens für das Volk damals. Selbst mit moralischen Aussagen ist es so, Paulus zitiert eine Anweisung aus dem Thora, du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden. Dann fragt Paulus rhetorisch, ja sorgt sich Gott denn um die Ochsen? Er meint das rhetorisch, natürlich nein, das muss ja einen tieferen Sinn haben. Was heißt denn, du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden? So und Paulus gibt sofort die Antwort, ist ja völlig klar, was es heißt. Diejenigen, die für das Evangelium arbeiten als Prediger und Pastoren, die soll man auch dafür bezahlen. Ganz klar. Ob das jetzt so stimmt, egal, aber er macht es so. Und das ist geistliche

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Schriftauslegung, das fand alle faszinierend, weil es ist ja eine gigantische Methode, ganz viele Texte, wo man denkt, ja ist so passiert, ist auch lange her und so. Ja viel spannender zu machen, indem man sich fragt, was ist der Sinn heute? Die große Schwierigkeit ist, wie macht man aber das? Paulus haut da ein paar Dinge raus, machen alle irgendwie, darf da jeder machen, was er will. So in dieser vierfache Schrift sinn, funktionierte so, dass er eine Methodik vorschrieb. Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel. Christus ging in den Tempel und vertrieb die Händler. So bis heute ist das für die Exegese ein spannender Text. Kann man sehr viel darüber nachdenken, was da so war. So der historische Sinn ist, nachher er ging in den Tempel und vertrieb die Händler. Das kann man ganz lange über den historischen Sinn nachdenken und warum macht er da eine Geisel aus Stricken und schlägt auf sie ein, als wäre er Klaus Kinski, was ist da los und so. Und aber die sagten sich

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damals, ja passiert, hat ja tieferen Sinn. Hat ja tieferen Sinn, kann es ja nicht einfach Tische umstoßen und einfach so. Was ist der tiefe Sinn? Naja allegorisch ist die tiefere Bedeutung, Christus kommt in unser Herz und vertreibt die Laster und Begierden. Unsere Gier, unseren Geiz, unsere Habsucht in unser Herz. Christus kommt in unser Herz und er stößt die Tische um und vertreibt diese ganze Geldgier, die wir in uns drin haben. Und das ist die Bedeutung des Glaubens, das ist das Glaubensauge, was erkennt, was Christus in uns bewirkt. Das ist der allegorische Sinn. Und dann sagte man, und darin steckt auch ein moralischer Sinn. Dieser moralische Sinn lautet ganz schlicht so. Naja und wir sollen Christus in unserem Herzen willkommen heißen. Wir sollen ihn

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bitten uns zu befreien von Gier und Habsucht und wir sollen mitmachen. So er befähigt uns, all das, was in uns drin ist, an Anhaften, an Besitz aus uns auszutreiben. Wir selbst sollen das machen. So er ist unser Vorbild. Wir sollen in unserem Herzen aufräumen, all das, was da nicht zu suchen hat. Und dann sagte man, ja und darin steckt auch ein futurischer Sinn, nenne ich das jetzt hier mal, ein Hoffnungsmotiv. Einmal wird Jesus kommen und alles Böse aus dieser Welt vertreiben. So, wir leben in einer Welt voller Habsucht und Gier und Kriege und Eifersucht und Neid und das bringt so viel Unglück über die Welt. Und einmal wird Jesus wiederkommen und dann wird er richtig aufräumen und dann wird er die großen Börsen und Bänke und dann wird Frieden, weil er alles vertreibt, was an Bösen in dieser Welt ist. So und wir haben gesehen, es gibt den historischen Sinn und dieser

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historische Sinn wird dreifach aufgefächert in einen Sinn des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Das ist der mehrfache Schrift-Sinn. Der Glaubens-Sinn fragt, was hat Gott in Christus für uns getan? Der Liebes-Sinn fragt, was sollen wir tun? Wie sollen wir uns durch die biblischen Geschichten umgestalten lassen in Richtung der Liebe, die Christus vorgelebt hat? Und was dürfen wir hoffen? Was ist in diesen Texten drin an Verheißung, was einmal ganz und gar geschehen wird, wovon wir jetzt immer nur Ansätze singen? So, das macht Erasmus auch. Übrigens Luther hier und da auch. Eigentlich kann man sich Predigtkultur bis heute nicht vorstellen, ohne dass man nicht irgendwie so was macht. Jeder Kindergottesdienst lebt davon, dass man das irgendwie so tut. Nur in der Regel hat man es nicht mehr so klar im Kopf, worauf man da achten kann. Bei dieser Methodik merkt man ja

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auch, dass das Glaubensbekenntnis dafür der Schlüssel ist. Du verstehst irgendwie was nicht. Dann guckst du in deinen Instrumentenkoffer, so welche Glaubenswahrheit oder welche Liebestugung passt, diesen Text aufzuschließen und dass es nicht willkürlich und beliebig wird. Dafür hast du deine Dogmatik, deine Ethik. Dann ist es irgendwie auch ein seriöses Geschäft, es so zu machen. So, Erasmus macht es so, aber man merkt, er hat im Instrumentenkoffer einen ganz klaren Liebling, den moralischen Sinn. Das ist bei ihm der Punkt. Er erzählt, was Jesus so macht und es ist immer dann das Thema und er tut es in dir und das Entscheidende ist, er tut es in dir, dass du es tust, dass du dich von ihm verändern, erneuern, gestalten lässt, dass du ihm gleichförmig wirst. Und das ist für Erasmus auch der Grund, warum er in seiner ganzen Frömmigkeit sehr Jesus-zentriert

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ist und sehr Bibel-zentriert. Und wir sehen schon, darin nimmt er viel von der Reformation vorweg. Er hat das Gefühl, dass in der bisherigen Welt, naja, intensive Frömmigkeit war was für Ordensleute, aber er kannte das, es hat ihn nicht beeindruckt. Da war sehr viel auch Gier und Macht und so, überhaupt nicht beeindruckt. Die Weltmenschen sagt man, ja, wir sind wie Tiere oder Kinder oder so. Erasmus Punkt war, alle sind wir doch berufen als Gottes Geschöpfe, Gottes Kinder, Jesus nachzufolgen. Und da müssen wir Maß nehmen an dem, was Jesus lebt. Und wir müssen dann auch Maß nehmen an der Bibel, denn die Theologen überlagern das ja alles durch lauter heiligen Geschichten und Traditionen und Lehren. So, dass Erasmus sehr früh sagt, die Bibel ist das Allerwichtigste. Alle sollten sie in der Hand haben können, selbst die Bauern, so die Frauen, die Arbeiter, die einfachen Leute, alle

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sollten möglichst Bibelgeschichten kennen und sich von Jesus prägen lassen. Darin ist Erasmus sehr traditionskritisch, weil das war nicht das, was er kennengelernt hat in dieser zweigeteilten Welt der Ordensleute und der Weltleute, wo man sagt, ja, wie willst du als Soldat christlich leben, kannst du doch gleich vergessen. Interessant ist, wie Erasmus in seinem Antitraditionalismus auch spannende Ideen bekommt, wie die Welt sein könnte. Es gibt so eine Sammlung von Geschichten von ihm, Gespräche, kleine Dramaversuche. Da gibt es zum Beispiel ein Gespräch von einem Abt und einer gebildeten Frau. Und da ist eine Frau, die trifft auf einen Abt, die Frau kann lesen, kann schreiben, beschäftigt sich mit Bildungsgütern, fängt mit dem Abt ein Problem an, der sagt, um Gottes willen, jetzt fangen die Frauen noch an lesen und schreiben zu wollen und so. Sie sagt ja nun klar,

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selbstverständlich freust du dich nicht auf, wenn deine Mönche lesen und gebildet werden. Der Abt sagt, ne, gar nicht. Warum denn nicht, fragt sie. Er sagt, ja, dann fangen sie an, nicht mehr zu gehorchen. Dann stellen sie Rückfragen, dann kommen sie mir mit Bibelzitaten oder Kirchenväter, ich muss diskutieren. Ganz furchtbar. Und so stelle ich es mir auch ganz schlimm vor, wenn ein Mann eine gebildete Frau hat, ja will die dann auch diskutieren mit ihm. Die soll doch gehorchen. So, und die Frau bleibt aber hartnäckig und sagt, also ne, das findste jetzt echt irgendwie von gestern. Es gibt immer mehr gebildete Frauen in vielen humanistischen Haushältern, Töchter von Thomas Morus oder Pirkeimer in Nürnberg. Der hatte nur Töchter, der hatte so viel Wissen im Gehirn, das tat ihm auch leid, dass er da keinen erziehen kann, Finger an seinen Töchtern, Latein, Griechisch beizubringen. Das wurden richtige Bildungsmaschinen und so. Sie erzählt solche Beispiele, es sind alles so Freundeskreise von Erasmus und sie sagt, wir können viel mehr,

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als ihr denkt. Ihr könntet mit uns diskutieren und reden. Der Abt will davon nichts wissen und die Frau sagt, ja, aber pass mal auf. Also es wird noch so weit kommen, dass wir Frauen in den theologischen Fakultäten den Vorsitz führen, auf die Kanzeln steigen und euch eure Bischofsmützen wegschnappen. Der Abt fällt in Ohnmacht und sagt, da sei Gott vor. So, und dann ist das Stück aber auch bald zubei. Das ist ja immer noch ein bisschen Science Fiction für die Mehrheit des Christentums, aber interessant, was man vor 500 Jahren für Gedanken haben konnte, wenn man auf die Idee kam, die Welt könnte anders sein. Es muss gar nicht alles so festgezurrt sein. So, das war jetzt ein langer biografischer Anmarschweg zur Bibel. Wir haben gesehen, die Bibel war für ihn schon noch ein Buch der Befreiung. Die Bibel war eine Autorität, die niemand in Frage stellte, sie war Wort Gottes. Sich auf die Bibel zu berufen, war für so einen Humanisten immer eine

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gute Sache. Das konnte man so nicht vom Tisch wegen. Und Erasmus hat viel investiert, die Bibel zugänglich zu machen. Und eine Sache lag ihm schon länger auf der Seele. Er merkte, naja, was ist die Bibel in der Zeit? Die Bibel ist die Vulgata, die lateinische Version aus der Spätantike. Das war die Bibel. Es gab kein griechisches Neusestament, es gab kein hebräisches altes Testament. Manche denken, es gab auch keine Bibel in Volkssprachen. Das stimmt so nicht. Es gab sehr viele deutschsprachige Bibeln vor Luther, das unterschätzen viele, weil viele Reform-Ordensgruppierungen anfingen, die Bibel zu übersetzen. Also da war es nicht so, wie manche denken. Aber eigentlich die Bibel war die Vulgata und Erasmus war inzwischen klug genug zu merken, der hat Probleme.

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Da gibt es Fehler drin, da sind manche Sachen schlecht übersetzt, falsch übersetzt. Manchmal ist die Textgrundlage auch nicht in Ordnung, da müsste man mal was machen. Und Erasmus Plan war, letztlich eine neue lateinische Bibel zu bekommen. Latein war seine Sprache. Das war das Ziel. Und um dahin zu kommen, aber startete er ein Veröffentlichungsprojekt, die Bibel auf Latein und daneben auf Griechisch. Griechische Quellen, das Original, wie man dachte, mit dem Ziel, die lateinische Bibel nach dem griechischen verbessern, erneuern zu können. So, er nahm, was er kriegte. Jetzt muss man auch sehen, das war noch nicht so viel. Also er bekam griechische Textzeugen, er hatte da einiges beisammen, er hatte fast das ganze neue Testament vollständig. Es gab ein paar Sachen in der Offenbarung des Johannes, da hatte er keinen griechischen Text. Da kam er

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auf die ganz schwierige Idee, mal so eben aus dem Lateinischen das selbst ins Griechisch zu übersetzen. Menschen machen Fehler, auch Erasmus. So, aber das war sein Ding. 1516, zwei Jahre später, neue Auflage. Jeder, der ein bisschen was von der Reformation weiß, weiß, dass es für die Reformation eine riesige Bedeutung hatte. Und Luther Melanchthon nochmal richtig Schwung bekam dadurch, dass sie sagten, wir müssen auf den griechischen Text gehen. Sieht nochmal völlig anders aus. Und die ganze Entdeckung auch der Rechtfertigungslehre hat sehr viel damit zu tun, dass dieser Text auf einmal da war. Für Erasmus war es ein Bildungsprojekt, das Fernziel, wir brauchen eine bessere Bibel und die muss Grundlage sein, dann auch wirklich unters Volk zu kommen. Alle müssen das lesen können. Es geht um die Erneuerung des Lebens. Er macht eine Einleitung, er beschreibt dann so paar Sachen, wir müssen zu den Quellen, wir müssen zu den Ursprüngen zurück. Und dieses zu den Quellen heißt

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natürlich Traditionskritik. Heißt, dass das, was heute so gilt, oft nichts ist. Oft viel Anmaßung und nichts dahinter. Er rät den Lesern auch, lerne die antiken Sprachen, Latein sowieso, aber lerne Griechisch, lerne Hebräisch, auch die Laien, nicht nur die Theologen, alle, alle die können. Das Leben sollte eine Universität sein. Du musst dich da reinfriemeln, sonst kannst du nicht richtig tief in die Bibel einsteigen. Er warnt vor den Streitigkeiten der Theologen, er sagt, was die daraus machen, die kommen dann Fragen, wie Gottheit und Menschheit in Christus vereint sind und spekulieren dann über Trinität und dann so. Am Ende geht es doch darum, nicht richtige Gedanken über Christus zu haben, sondern wie Christus zu leben, zu werden, von ihm geprägt zu werden. Das

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ist so sein Punkt. Es war eine Pioniertat, es war ein Durchbruch. Dieser Durchbruch setzte eine Riesenbewegung im Gang, weil man auf einmal merkte, ja, interessant ist das schon. War nicht so leicht zu sagen, Schnapsidee oder so. Also die werdenden Protestanten waren hellauf begeistert. Auf katholischer Seite war schwer zu sagen, dass das jetzt Blödsinn ist. Nur so nebenbei, die Textgrundlage, die Erasmus hatte, war weitgehend aus dem Mittelalter. Es waren Texte, die in der Regel tausend Jahre mindestens nach dem Neuen Testament verfasst worden sind. Man kann heute oft lesen, wie großartig und wunderbar das Neue Testament überliefert ist. So viel besser als alles andere und so. Dazu muss man ganz schlicht sagen, naja, das gilt seit knapp über 100 Jahren. Das Christentum hatte 1800 Jahre lang eine sehr schlecht überlieferte Bibel, hatte da überhaupt kein Auge

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drauf, auch überhaupt keinen Plan, nicht mal ein Wissen darum, wie viel unklar ist und so. Und das, was wir heute haben, verdankt sich Quellenfunden des 19. Jahrhunderts. Diese sehr gute Überlieferung des Neuen Testaments, die wirklich außerordentlich und einzigartig ist, ist natürlich ein Produkt der historisch-kritischen Textforschung und der Bibelwissenschaften, wo man im 20. Jahrhundert sagen kann, immerhin, nach über 1900 Jahren haben die Christen jetzt echt eine Bibel, wo die eine ziemlich solide Textgrundlage haben. Dann kann man auch mal darüber nachdenken, was das dann heißt, dass die Christenheit 90 Prozent ihrer Geschichte also nicht damit angeben konnte, eine Supertextbasis zu haben. Da kann man sich Gedanken darüber machen. Das Erasmus, das hier so raushaut, setzt diesen Prozess in Gang, weil im 18. Jahrhundert merken auch ganz fromme Leute, Pietisten, es ist schon wichtig, es ist schon interessant. Und hier steht so, da steht es so,

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da fehlt was. Was ist denn hier? Allein, wenn man es mal sieht, merkt man auf einmal, jetzt hat man aber richtig zu tun. Und bis heute läuft ja letztlich dieser Prozess im Alten Testament, läuft es so spätet an. Auch das sind interessante Themen, sich mal näher anzuschauen, aber nicht hier bei uns. Wir schauen uns jetzt etwas anderes an, was für den Umgang mit der Bibel bei Erasmus echt interessant ist. Erasmus fing an, ein paar Kommentare zur Bibel zu verfassen, paar Anmerkungen, paar Hinweise, erklärte da Dinge. Und da schauen wir uns jetzt mal zwei Beispiele an und zwar so, dass wir sofort in eine Debatte einsteigen, die Erasmus aufgenötigt bekam von Johannes Eck. Eck, alle Leipziger kennen ihn, der Rest überlegt noch mal kurz. Eck spielt in der Geschichte von Luther eine große Rolle. Er ist so der große Kritiker, der katholische Theologe leipziger Disputation,

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1519, der da glaubt, den Luther, den schlachte ich jetzt und dann ist wieder Frieden in der Kirche. Der Eck war kein einfacher Mensch. Er war so die Sorte Mensch, die man in Corona-Zeiten ganz bestimmt nicht als Nachbar hätte haben wollen. So, das ist so ein Mensch gewesen, wenn du da im Treppenhaus ihm begegnest, der wird dir nicht nur sagen, dass die Nase ein bisschen weiter raushängt, als gut ist, ob man da nicht mal drauf achten könnte oder so. Der wird dir sofort ein Protokoll geben, gegen welche Auflagen du in den letzten 24 Stunden alles verstoßen hast, an Abstand und Nase raus und mit den Händen die Maske berührt und die Kinder nicht im Griff gehabt und unten rot Anzeiges raus drunter geschrieben. So war der drauf, ein bisschen streitsüchtig und sehr genau und jetzt schrieb er dem Erasmus auch Briefe. Luther hätte sehr gelacht, sich das anzugucken. Eck

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schreibt dem Erasmus folgendes. Ja, lieber Erasmus, bist ein kluges Haus, also Schleim gehört zum Geschäft, das ist immer erst mal. Schmiert man sich Honig um den Bart, ist die Kultur. Und dann fängt er an, als erstes, um damit zu beginnen, ärgern sich viele darüber, dass du über das Matthäus-Evangelium geschrieben hast, dass die Evangelistinnen ihre Zeugnisse nicht aus Büchern genommen haben, sondern im Vertrauen auf ihr Gedächtnis, sodass ihnen Irrtümer unterliefen. Natürlich ein rhetorischer Trick, etliche ärgern sich über dich. Der Eck ärgert sich wie Sau und wirft ihm das vor. Mit diesen Worten scheinst du anzudeuten, dass die Evangelisten auf menschliche Weise geschrieben haben, dass sie verabsäumt haben, nachzuschlagen, dass sie im Grunde geirrt haben. Höhere Erasmus, glaubst du, ein Christ kann einfach hinnehmen, dass den Evangelisten in den Evangelien Irrtümer unterlaufen sind? Wenn hier die Autorität der Heiligen Schrift ins Wanken gerät, welcher andere Teil bleibt dann ohne Irrtumsverdacht? So hat es in einem trefflichen

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Argument Aurelius Augustinus zusammengefasst. Das sind ja Debatten, die manchen bis heute noch vertraut sind. Können da Irrtümer in der Bibel vorkommen? Das Interessante an der Stelle ist jetzt schon, also es ist nicht einfach eine Postkarte, Erasmus, du bist aufgeflogen, die Heilige Inquisition ist unterwegs, wir sehen uns nächsten Freitag, wenn du verbrannt wirst auf dem Marktplatz und so. Das ist nicht der Punkt. Es ist überhaupt nicht bei Eck, dass er jetzt sagt, du bist ja schlimmer als Luther, der glaubt ja noch an die Bibel, aber du glaubst, dass da Irrtümer drin sind. Nee, das ist, ich sag mal, die Mehrheitslehre. Das ist gar kein Dogma. Überhaupt kein Dogma, wo Eck jetzt sagen kann, du verstößt hier gegen die heiligsten Konzilien. Er sagt ja am Ende selbst, Augustin hat das so gelehrt, Teil seiner Theologie, die Bibel ist ohne Irrtum. So und

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daraufhin wird Eck, macht Eck den Erasmus rund und sagt, du kannst hier nicht einfach etwas behaupten gegen die Autorität des Augustins. Das ist schon so die Mehrheitslehre, die wir haben. Eck kommt auf ein zweifelgespiel und sagt, ja, ich habe auch noch anderes bei dir gefunden. Du schreibst Erasmus, da die Apostel Grieche schreiben, verwenden sie oft die Eigenarten ihrer Sprache. Und weiter unten schreibst du, denn die Apostel haben Griechisch nicht aus den Reden des Demosthenes gelernt, sondern aus der Volkssprache. Zitat Ende von Erasmus Eck fährt fort, hier meinen viele, dass das für einen Christen nicht mit Augenmaß geschrieben wurde. Mit Verlaub, mein Erasmus, ich bin ein offenherziger Mensch und kann nicht schmeicheln. Welcher Christ leugnet oder könnte, wenn er wollte, leugnen, dass die Apostel als Geschenk des Heiligen Geistes verschiedene Sprachen gekannt haben. Nachdem sie am Pfingstag die Gnade des Heiligen Geistes empfangen hatten,

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priesen die Apostel in verschiedenen Sprachen die Großtaten Gottes. Somit erlernten sie nicht von den Griechen, sondern vom Heiligen Geist die griechische Sprache, damit von ihnen Griechen, Römer, Ägypter, Pater und andere gemäß der Apostelgeschichte Zeugnis ablegten. Auch Paulus zählt hier die Sprachengabe auf. Das Interessante ist ja eine andere Welt. Also wenn wir Zungrede hören, haben wir vor unserem geistigen Auge irgendwas Charismatisches, Pentecostales und so, was in der Regel ja Lalllaute sind, die nicht als Sprache identifizierbar sind. Das hatte im Mittelalter noch nie jemand gehört. Noch nie. Ekstatisches Lallen gar nicht. Die Vorstellung war ganz klar, Pfingsten kriegt jeder so einen Beipack im Grunde mitgegeben für die Missionstätigkeit. Jeder Apostel konnte im Grunde aller möglichen Sprachen der Welt. Der Apostel Thomas geht nach

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Indien, ja dann spricht er, was da nötig ist, weil das hat er ja Pfingsten bekommen, die Sprache. So und das war auch die Vorstellung, dass der Apostel Petrus, der geht nach Rom, er spricht da Griechisch, ist galiläischer Fischer, aber er spricht da Griechisch, hat er ja bekommen. Das ist die Vorstellung und Erasmus hat ja mehr oder weniger behauptet, das ist kein gutes Griechisch, was die sprechen. Er macht das vornehm eigentlich, indem er sagt, das ist nicht wie Demosthenes, das ist ein berühmter Rätor der klassischen Zeit. Heute ist das seit ewigen Zeiten kein Thema mehr. Wir wissen, so neu ist es in der heutigen Zeit, wird ein Koiné griechisch gesprochen. Das ist kein klassisches Hochgriechisch. Das ist in vielerlei Hinsicht, es funktioniert, ist auch nicht falsch in der damaligen Zeit, aber es ist ein bisschen verflacht und nicht mehr so spitz und eindeutig. Ein paar,

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ein bisschen Ghetto-Slang ist da mit reingekommen. So und das deutet Erasmus hier ganz vornehm an. So, so ein Brief hat Erasmus gekriegt. So Briefe zu bekommen, macht ja auch Freude. Erasmus hat da richtig Zeit. Er gibt eine Antwort, das hören wir uns jetzt mal an. Was schreibt Erasmus dazu? Er schreibt ihm, mein lieber Eck, meiner Meinung nach wird nicht die Autorität der ganzen Heiligen Schrift in Frage gestellt, wenn ein Evangelist irrtümlich einen falschen Namen nimmt. Das war ein Beispiel. Da kommt ein Jeremiah-Zitat und dann heißt es da Jesaja bei Matthäus und das ist ganz offensichtlich. Irgendwie ist da was nicht richtig. So und Erasmus sagt, na ja, davon hängt die Aussage des Textes doch gar nicht ab. Wie wir folglich auch nicht über das ganze Leben des Petrus schlechtes denken, nur weil Augustin und Ambrosius behaupten, er sei nachempfangen des himmlischen Geistes immer wieder gefallen. Also nehmen wir den Konflikt zwischen Paulus und Petrus,

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wo ja Paulus den Petrus richtig rüffelt und ihm widersteht ins Angesicht und sagt, falsch, und so, obwohl er den Heiligen Geist hat, obwohl er eigentlich Papst sein müsste, so nach einer bestimmten katholischen Lesart. Und da sagen aber Ambrosius und Petrus, na ja, offensichtlich, Paulus, Galaterbrief ist ja in die Bibel gekommen, die Gegendarstellung von Petrus, fand der Heilige Geist nicht aufhebungswürdig oder wie auch immer, ist aber kein Problem. Darum, so Erasmus, kann es auch nicht ein Problem sein, wenn es Irrtümer in der Bibel gibt, vor allem, wenn diese nicht den Glauben betreffen. Augustin und Hieronymus lesen wir ja auch als Ehrfurcht, auch wenn niemand leugnen kann, was vieles in ihren Büchern steht, was von der Wahrheit abweicht. Das ist ja sehr vornehmend. Luther würde sagen, die haben manchmal den letzten Dreck geschrieben oder so. Zu Augustin hätte das nicht gesagt, aber zu anderen hat er das so gesagt. Erasmus ist ganz

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vornehmend und so. Dann schreibt er, diese Art von Skrupulantentum hat mit dem Christentum nichts zu tun. Das ist für Erasmus Verhältnisse ziemlich deutlich. Daher können wir auch den Autoren des Neuen Testamentes nicht den Heiligen Geist absprechen. Es ist vielleicht nicht unsere Sache vorzuschreiben, auf welche Weise sich der Heilige Geist seiner Diener als Werkzeuge zu bedienen hat. Er hat sie so genommen, wie sie waren, so er hat sie Mensch sein lassen und wir müssen die biblischen Bücher nehmen, wie wir sie vorfinden, ohne dass deswegen der Glaube an die ganze Heilige Schrift ins Wanken gerät. Wir sehen für Erasmus ist das keine große Sache. Er weiß, es gibt diese Position. Er weiß, Augustine hat das gelernt, dass die Bibel ohne Irrtum ist. Er guckt rein und sagt, ja, wäre auch schön gewesen, aber ich gucke doch nur, was da steht und dann

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muss ich im Matthäus-Evangelium auch gar nicht so lange gucken. Da kommt man bald auf Probleme und macht das aber hier auch ganz vorwärts. Mit dem zweiten Vorwurf, wie gesagt, es ist ja noch viel leichter, weil heute jeder weiß, dass Ecke hier einfach auch keinen Plan hat. Erasmus schreibt dazu, es ist nicht nötig, bei allem, was die Apostel schrieben, gleich ein Wunder zu fordern. Christus hat geduldet, dass den seinigen Irrtümern unterlaufen, auch nach Empfang des Tröstes, eben nicht bis zur Gefährdung des Glaubens, wie wir ja bekennen, dass die Kirche in vielen irren kann, abgesehen von ihrer Unterscheidungskompetenz in Fragen von Frömmigkeit und Glauben. So liest Erasmus die Bibel. Bis heute gibt es ja da Auseinandersetzungen drum, aber hier kann man deutlich sagen, hier ist Erasmus modern, modern, ein Schritt in neuere Zeiten und nimmt ganz sicher etwas vorweg, was für die historisch-kritische Methode wesentlich ist. So, nun müssen wir

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natürlich noch eine große Geschichte ansprechen, nämlich das Ringen Erasmus und Luther. Die, die sich ein bisschen für theologische Fragen interessieren, haben davon gehört. Die einen kennen Erasmus, weil sie auf ein Stipendium hoffen, die anderen, weil sie wissen, ist das nicht der Typ, mit dem Luther mal gestritten hat, hat er. Und dieser Streit ist jetzt schon auch noch mal so interessant, dass wir ihn heute erzählen und nicht nur heute, ich werde ihn heute ganz aus Erasmussicht erzählen. Wir werden dann in einem anderen Vortrag das Ganze aus Luthersicht nochmal präsentiert bekommen. Ja, wie kam das zustande? Der Erstkontakt ging von Luther aus. Er schrieb Erasmus im Grunde so eine Art Fanboybrief, wie es fast alle taten, denn man war angekommen im Olymp der Gebildeten, wenn man an Erasmus schrieb und er schrieb zurück. Das war das Höchste. So,

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man wusste, Erasmus schreibt Briefe, die lernt man auswendig, die wird er vielleicht irgendwann auch veröffentlichen, das hat er auch gemacht, er hat eigene Briefe, Zuschriften veröffentlicht und dann war man unsterblich, wenn man irgendwo drin stand, als jemand dem Erasmus geschrieben hatte. Und Luther schreibt ihm, er schreibt ihm demütig, er sagt, du Wunder der Welt, du großes Licht, so viel von dir gelernt, ich bin auch dankbar, er kannte natürlich das griechische Neustestament schon von Erasmus. Und Luther schreibt aber auch einen verblüffend selbstbewussten Brief, so nach aller Demut, die er ja raus hat als Mönch und so, schreibt er, jetzt bringe ich es einfach mal auf die Essenz, er macht es rhetorisch ganz vornehm, aber er schreibt ihm, Erasmus, du könntest mich auch unterstützen, ich habe da Probleme, das ist vielleicht von gehört, ich habe da so einen Streit am Laufen, da hätte dein Wort Gewicht. Mehr oder weniger läuft es darauf hinaus. Erasmus schreibt ihm sehr vornehm zurück und sagt, ich habe auch schon von dir

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gehört, ich habe Freunde, die bewundern dich und find's auch großartig, dass du Autor bist und Bücher schreibst, jetzt muss ich sagen, was du geschrieben hast, ich habe es noch nicht zu lesen geschafft, kann da nichts zu sagen, ehrlich gesagt, bin gespannt, aber kann das noch nicht beurteilen, was jetzt so echt deine Botschaft ist, ich mache mir grundsätzlich Gedanken über uns, die wir irgendwie was machen und so, ich würde immer auch sagen, man sollte nie zu polemisch sein, nie zu stolz und zu laut, es ist immer gut langsam und behutsam vorzugehen und streitsüchtig zu sein, weil auf Dauer, Bildung wirkt immer ganz langfristig, da muss man viel Geduld haben, ich bin lange schon im Geschäft und so, so ist einfach mein Tipp ganz grundsätzlich und gehabtlich wohl im Herrn Erasmus. War nicht das, was Luther gehofft hat, aber war so,

61:00
weil für Erasmus ist der ganze Luther, es ist die Herausforderung seiner zweiten Lebenshälfte, es ist irgendwie auch so wild, Erasmus hat ja einen langen Anmarschweg gehabt aus dem Leben, wo er gesagt hätte, die ersten 35 Jahre brauche ich weit überwiegend nicht noch mal und dann, du lieber Himmel, er schreibt sich mit Königen, mit Würdenträgern, er ist im Olymp, er gilt als das Licht Europas, als die Instanz für Bildung. So, es ist dann ein ganz schönes Leben, ehrlich gesagt, allseitig bewundert, man kann auch Dinge bewegen, man wird auch immer satt und hat es auch warm und das ist schon schön und er ist sicher auch sicher das verdient zu haben. So und jetzt merkt er diese ganze Luther-Kiste, was ist da los? Zunächst mal sind da Dinge los, wo Erasmus sagen würde, ja, das sind jetzt ehrlich gesagt meine Anliegen. Was macht der Luther? Er verweist auf Christus,

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er verweist auf die Frömmigkeit, er schreibt Predigten, er bauliche Bücher, man hört selbst die Gegner sagen, das ist ja ganz gut, was er da macht. So, dann dringt Luther auf die Bibel, er will die Bibel irgendwie bekannt machen, man soll die Bibel lesen und nicht so in seiner Schultheologie hängen, ist ja eigentlich auch das, was Erasmus gemacht hat. Dann, Luther übt Kirchenkritik und wenn man sich die 95 Thesen anschaut, fast lernt Luther auch bei den Humanisten, 95 These sind ja sehr raffiniert. Luther schreibt da ja nicht, ich finde der Papst hat zu viel Geld und er sollte mal mehr abgeben, sondern er schreibt, die Leute fragen sich, warum beim Heiligen Vater in Rom so viel Geld angekommen ist. Sie fragen sich das ernsthaft, weil sie auch Armut sehen um sich herum und sie fragen sich, warum der Heilige Vater aus seinem Reichtum nicht den Armen hilft und

63:00
für sie sorgt. Luther sagt, ich sehe ja nur, was die Leute sagen und so und so. Und so ist er natürlich wahnsinnig geschickt, das so zu machen, da hat er sicher auch Kampftechniken vom Humanismus gelernt und das findet Erasmus alles gut, das findet er alles super und er findet es natürlich furchtbar, wie manche versuchen den Luther in die Ecke zu stellen und auszuschließen und dass diese Wahrheitsfragen die Luther aufwirft zu einer Machtfrage zu machen. Und letztlich ist das ja passiert, wenn man Prierias, Kajetan, Eck sich anschaut. Eck will am meisten noch diskutieren, aber davor wird im Grunde die Abweichung festgestellt, die Luther aufweist in Lehrfragen und der Rest ist Exekution der Machtvollmachten des Papstes. Wieder rufe oder stirb. So und das ist Erasmus natürlich zutiefst verhasst, aber er sieht auch, wie Luther sich wehrt. Luther schreibt

64:05
jetzt nicht lauter parfümierte lateinische Brieffragen, alle Gelehrten dieser Welt, bitte helft mir, dass wir eine Disputation in Gang kriegen und so, also da hat Erasmus sicher was gemacht. Nein, Luther fängt an in dieser Bauernsprache Deutsch Leute aufzuputschen. Er fängt an auf Deutsch die Leute wuschig zu machen und er spricht niedere Instinkte an, so wirkt das für Erasmus, dass er hier im Grunde die Wut des Pöbels auf die da oben anstachelt. Man könnte sagen, Luther ist aus Erasmus Sicht neben allem gut, was man sagen könnte, nicht frei von der Seuche eines völkischen Populismus, der so vorurteile von Deutschen gegen die da in Italien und die da oben und die Gelehrten und die Kirchenfürsten und da kann Erasmus so gar nicht mit, weil er sagen würde, du kannst das Volk nicht aufwiegeln,

65:07
das ist gefährlich das Volk, ehrlich gesagt. Die Menschen ohne Bildung sind wilde Tiere, es ist wirklich wahr, die haben sich nicht, das kann man so nicht machen und Erasmus ist ganz hin und her gerissen und irgendwie, aber warum Luther, warum kann da nicht jemand anders diese Reform anliegen voranbringen, denn Luther ist irgendwie ein grober Klotz, er ist so ein Grobian, er hat so was Teutonisches, was dem Erasmus gar nicht behakt. So und dann kommt ein schicksalhafter Moment, wenn Zeitreisen mal möglich sind, das ist so ein Punkt, wo man echt sehr aufpassen muss, das überlebt das Universum nicht, was da kaputt gehen würde, ein schicksalhafter Moment für den weiteren Gang der Reformation, nämlich ein Treffen von Kurfürst Friedrich mit Erasmus von Rotterdam.

66:04
Kann das ja alles nachgucken, Kaiser Maximilian ist tot und so, Vorgriffsrecht haben die Habsburger, die Habsburger sind weit rausgewachsen aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, gibt den Ferdinand in Wien, es gibt Karl in Spanien, muss man irgendwie gucken und ja, es läuft auf die hinaus, aber ja, der kommt aus den Niederlanden außerhalb des Reichs, er ist in Spanien ganz außerhalb des Reichs, er spricht Spanisch, er kann fast kein Deutsch, er hat aber im Grunde schon Thronrecht, er muss jetzt aber die Reichstände gewinnen, also gibt viele Geschichtsbücher und in dieser Zeit, es läuft so ein bisschen zu auf Karl, den Habsburger, wieder an Karl der V. der ist, naja normalerweise wird er ins Studium gehen, der wird jetzt irgendwie nach Köln in eine WG und erstmal ein Semester Nachtleben, der ist jung, der ist Anfang 20 und so und der muss jetzt gucken, deutsches Reich,

67:03
die geistlichen Kurfürsten, muss er sich keinen Kopf machen, da Köln, Trier, Mainz, das läuft schon, bei den anderen, er sollte sie gewinnen, wäre immer leicht, dass man die für sich hat, wer ist da wichtig? Naja der sächsische Kurfürst, der sächsische Kurfürst, der hat schon eine gewisse Hausmacht, das ist halt dann schon so der deutsche Kurfürsten in der Mitte, damals ist es ja Mitte, Mitte Ost, je nachdem wie großzügig man es nehmen will und ja der ist jahrzehntelang im Geschäft, das ist ein alter Fuchs und auf den muss Karl jetzt schon gucken, der Kurfürst Friedrich der Weise, wie man später sagt, weiß auch, er ist ja im Grunde, er muss da schon irgendwie abnicken, aber er kann auch verhandeln und er kann das auch erschweren und er kann da was bewegen und Friedrich hat jetzt diese ganze Lutherkiste am Laufen und ihn ärgert das, ihn ärgert das,

68:00
weil Wittenberg seine Universität, das ist ja gerade gegründet im Grunde erst und er sieht, die anderen haben so schöne, große Universitäten und er hat da ein kleines Dorf, Thorgau, Wittenberg, ist ja alles ganz schön geworden, aber selbst Erfurt macht ja mehr her, wenn wir ehrlich sind und so und jetzt weltweit mit Paris oder Bologna oder Cambridge, Oxford kann man sich nicht messen und Friedrich will auch eine Hochschule und will da was bauen und jetzt hat er mal einen Professor, wo alle sagen, Donnerwetter, der ist exzeptionell, der ist schon herausragend, vielleicht eine Heretiker, aber da kommen Leute, es kommen Leute in die Stadt und sagen, boah, was ist das spannende, herausragende und Friedrich will sich das eigentlich nicht kaputt machen lassen. Jetzt ist Friedrich ja selbst altgläubig, ganz viele Reliquien, katholisch natürlich noch, er steht

69:00
auch im Vatikan in hohem Ansehen, Friedrich ist unsicher, er ist unsicher, was er mit dieser Luther-Kiste machen soll. So und man trifft einander in Köln, er trifft Erasmus und sagt, Erasmus auf ein Wort, ich habe da so einen Professor, heißt Luther, hast du vielleicht mal gehört, was soll ich denn mit der ganzen Kiste machen? So, das ist dieser empfindliche Punkt für Zeitreisen, weil was Erasmus jetzt sagen wird, das ist schon spannend. So, es ist so ein Moment, wo die ganze Weltgeschichte gefühlt den Atem anhält, weil es wird die ganze Welt sagen, jetzt bin ich auch mal gespannt, was wird der Erasmus auf die Frage sagen und fast spürt Erasmus selbst, dass die ganze Welt stehen bleibt und jetzt gespannt ist, weil das irgendwie wichtig ist, ja und er quält sich, er windet sich wie im Brief und sagt, ja, ich höre Gutes über Luther,

70:01
so, es sind Dinge, wo ich so, wo alle ja auch sagen, das ist echt gut, es sind manche Sachen vielleicht echt schwierig und was soll ich dir jetzt sagen, wie wäre es, dass man schon guckt, das müsste öffentlich diskutiert werden, da muss man ein bisschen Druck rausnehmen, ein bisschen Dampf ablassen, man müsste eigentlich öffentlich, dass man da die Gelernten und so drauf schauen, das müsste zur Diskussion gestellt werden. So aus Erasmussicht ist das, vielleicht dachte am Abend, was bin ich für ein kluger Kopf, weil ich könnte sagen, Luther ist das allerbeste, was der Welt passieren könnte, gib Gas und so, ja, aber dann bin ich schuld, wenn die Dinge immer schlimmer werden, wenn die den Luther aber abwuchsen, wenn ich dem Friedrich sage, hier, dein Luther, das ist ein Ketzer in Rom, sind die Würfel gefallen, ist schade, aber er wollte auch

71:05
zu viel kommen, lass ihn verbrennen, wir haben alle ein ruhigeres Leben. Erasmus ahnt vielleicht auch, naja, wenn der Luther brennt, also meine Aktien steigen dadurch nicht, so ist ja insgesamt eine Atmosphäre, alle gucken schärfer hin und sobald der Luther wirklich verbrannt ist, werden sie alle sagen, wie konnte so was passieren, also ist das nicht auch die Folge, dass der Erasmus die ganze Zeit hier auch rumstichelt. So also ja und nein sind schwierige Antworten für Erasmus und wahrscheinlich hat er das Gefühl, oh wie schön, dass ich schlau bin, weil mein Tipp versucht ja diese ganze Streitfrage im Grunde wieder zu einer Sache der Gelernten zu machen und je länger wir reden, reden es immer gut, Bildung am Ende setzt sich durch. So und Friedrich hört das aber und sagt, dann weiß ich, was ich zu tun habe, der Rest ist Weltgeschichte, steht überall geschrieben, er geht zu Karl und

72:01
sagt auf ein Wort, ich habe da Probleme mit Rom, alle mal Probleme, so können uns hier auch gegenseitig helfen. Wir in Deutschland haben schon die Vorstellung, dass wir den Papst in allen Ehren, aber die Dinge müssen auch in Deutschland besprochen werden, bald ist Reichstag in Worms und die Idee wäre, dass mein Professor kommt und der Vatikan schickt seine Gelernten, es ist eine wichtige Frage, viele in meinem Land sind da aufgewühlt, es muss öffentlich darüber diskutiert werden. Dann kommen die Dinge ins Laufen, hier stehe ich, ich kann nicht anders, der besterfundene Satz, der nicht gesagt wurde aller Zeiten und die Reformation läuft und alles geht seinen Gang, weil Luther ein Performer ist. Das hatte Erasmus vielleicht nicht so einkalkuliert, Luther hatte eben nicht die Idee zu sagen, ja und ich bin so geil auch darauf, jetzt ganz lang mit euch zu diskutieren, dass wir Symposien und sonst wie, sondern Luther war Bekenner. Er bekannte und er hatte inzwischen auch Freude daran

73:08
gefunden, die Menschen in Wallung zu versetzen und er merkte seine Bücher wirken und es ist jetzt die Stunde des Zeugnisses und des Bekenntnisses und es kamen Dinge ins Rollen, die bis heute nicht ausgerollt sind, sondern die ganze Gestalt der Christenheit beschäftigen. So war das in diesem Moment ja und Erasmus sah das ganze Laufen mit sehr melancholischen Gedanken, weil dieser ganze Zerstrittenheit der Christenheit ihm natürlich wehtat. Er merkte, es gibt immer weniger eine Kultur der Diskussion, des Respekts voreinander, dass das wird immer polemischer, immer giftiger auch, immer brutaler, es werden Menschen verfolgt, verbrannt, Familien trennen sich, es ist eine

74:02
Katastrophe und Erasmus hatte in dieser Zeit das Gefühl, ja es ist schon auch diese evangelische Bewegung, die so viel Druck macht und die so viel Wut freisetzt. Man kann es ja verstehen, aber die Welt ist groß, kein spanischer Bauer oder Edelmann versteht diese ganzen Fragen. Erasmus selbst verstand die Probleme gar nicht so gut ehrlich gesagt, die Luther da beschäftigten, er wusste gar nicht, was das wirklich alles soll. Er hatte das Gefühl, sollen wir uns denn jetzt hier von den Bildungszentren in Italien abkoppeln? Was ist denn, wenn in England das auch ausbricht? Na ja, genau das passiert. Englische Geschichte des 16. Jahrhunderts, du lieber Himmel, da hat Schiller noch Dramen draus gedreht. Das kommt alles ins Rollen und Erasmus hat ein ganz mieses Gefühl dabei. Er kann sich nicht wirklich entscheiden, weil er sich nicht wirklich entscheiden kann, bleibt er wo er ist, er bleibt altgläubig, will sich aber auch jetzt nicht wahnsinnig dazu drängen

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lassen, Luther zu verdammen. Dann irgendwann 1524 macht er doch eine Schrift und er versucht nochmal sein Erasmus-Ding. Er schreibt ein Buch, eine Streitschrift gegen Luther, ganz höflich, voller Respekt und sagt, ja, ist viel passiert, viel los und so, aber es gibt theologische Fragen, die muss man auch mal rausnehmen aus diesem Streit, die müssen wir theologisch und inhaltlich und gründlich behandeln und er, Erasmus, habe sich jetzt Luthers Lehre nochmal angesehen, er möchte ein Hauptproblem herausgreifen, das Kritisieren, weil er schon glaubt, dass in Luthers Lehre auch ein Problem besteht und das müsste man diskutieren, die Frage der Willensfreiheit. Luthers Theologie ist von Anfang an auf die Spur gesetzt von Augustin, Rückgriff auf Paulus, seine eigene Schrifterkenntnis,

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dass der Mensch keinen freien Willen hat, dass er nicht mitwirkt bei seinem Heil, dass er sich nicht für den Glauben entscheiden kann, sondern dass der Glaube ein Geschenk ist, dass der Heilige Geist in uns wirkt durch die Verkündigung des Evangeliums, Punkt aus. So, und Erasmus triggert das. Jetzt könnte man sagen, ja, aber ist das nicht wunderbar gnädig, ist doch großartig, dass der Glaube ein Geschenk ist, so großartig, so einen gnädigen Gott zu haben. Ja, aber Erasmus triggert das. Warum? Dafür habe ich diesen langen biografischen Anmarschweg gesucht, weil Erasmus das kennt, dass Honorationen glauben, für Gott sprechen zu können und sagen können, und Gott hat das alles so gefügt. Gott hat das so gefügt, dass die Krone und der Adel es zu sagen haben und die Einfachen halt nicht und dass ein Kleriker ohne Frau bleibt und wenn er ein Kind kriegt, ist es ein Bastard.

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Und wenn wir den verachten, ist das ganz gut, dass alle spüren, geht gar nicht so. So, und ein Mönch ist ein Mönch und der gehorcht und alles ist, weil Gott es so geordnet hat. So, das ist doch der tiefe Schmerz des Erasmus, eine Welt, wo er ständig gegen Wände rennt, weil alles so geordnet ist, von wem? Von Gott höchstpersönlich. Und die ganze Lebenserfahrung des Erasmus ist, dass diese gemachten Wände oft auch von Menschen hingeknallt werden, die sich dafür auf Gott berufen und dass man Wände verschieben kann. Durch Anstrengung, durch Bildung, durch Lernen. Man kann die Welt verändern durch Bildung. Das ist sein tiefstes Credo, dass Christus unser Erzieher ist. Und jetzt kommt er, der Luther, her und sagt, Bildung ist alles Käse. Der Heilige Geist wirkt Glaube und Verstockung im Grunde auch so. Und da kannst du alles nichts machen. Alles läuft nach Gottes Willen.

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Das wäre das Ende der ganzen erasmischen Missionen, die Welt durch Bildung zum Guten zu verändern. Erasmus schreibt dieses Buch vom freien Willen. Er schreibt jetzt nicht das, was ich gesagt habe, sondern er macht es so, Luther, du hast da eine These vertreten. Es ist halt eine extreme These. So sie wurde in den letzten tausend Jahren so gut wie nicht vertreten. Wir finden sie in manchen Schriften Augustins und da wissen wir aber auch, der frühe Augustin hat es anders gesehen. Dann hat es Augustin mal so gesehen, aber selbst in seinem Orden hat man das nicht übernommen. Die meisten Kirchenväter haben das nicht so gesehen. Und Erasmus sagt weiter, jetzt müssen wir in der Bibel mal prüfen, wie sich das verhält. Du berufst dich auf die Bibel, okay, müssen wir gar nicht groß durch die Tradition. Und Erasmus sagt, ja, in der Bibel finde ich einfach verschiedene Aussagen. Ich finde in der Bibel Aussagen, die du so gerne zitierst, dass es nicht an jemandem,

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das Wollen oder Laufen liegt, sondern allein an Gottes Erbarmen steht da. Ich finde in der Bibel aber auch Aussagen. Ich habe euch Leben und Tod vor Augen gestellt, wählt so mehrfach. Mose macht das, Joso macht das, Jesus ruft zur Nachfolge. Der Apostel ruft auch ständig auf, ständig irgendwelche Forderungen in der Bibel und wer dem nicht folgt, wird dafür verantwortlich gemacht. Und es ist ein gemischtes Bild. Und Erasmus geht das jetzt im Detail durch. Wir müssen die Frage gar nicht klären. Ich sage jetzt nur mal in Klammern, ich stehe in der Frage auf der anderen Seite, auf der lutherischen Seite, ist für diesen Vortrag aber jetzt mal egal. Es kommt ja noch ein anderer Vortrag. Erasmus verbindet das aber auch mit Überlegung zur Bibel insgesamt. Und Erasmus sagt ja, wir müssen doch in der Bibel anerkennen, dass da vieles nicht klar wird. Die Frage wird

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nicht so richtig klar. Erasmus sagt am Ende, er hat auch unterschiedliche Akzente, erst sagt er, ja freier Wille ist, dass man sich entscheiden kann für Gott. Dann nimmt er es wieder ein bisschen zurück. Am Ende sagt er, also es gibt verschiedene Tendenzen in der Bibel. Ihm scheint die goldene Mitte zu sein, dass wir unser Heil schon der Gnade verdanken. Ohne Gnade können wir nicht gerettet werden. Aber wir müssen ein bisschen mitmachen. Wie Erziehung, alles gibt fast der Vater. Er gibt uns alles an der Hand. Er zeigt, er lehrt, er gibt, er hilft. Man muss ein bisschen mitmachen. Und das ist doch unsere Würde, dass wir es können. So und damit kommen wir doch alle eigentlich ganz gut durchs Leben. Und dann gibt es einfach schwierige Aussagen in der Bibel. Bei Paulus ein paar, wo Erasmus sagen würde, lassen wir es doch stehen. Vieles in der Bibel Menschwerdung, wie das funktioniert. Du lieber Himmel, Jungfrauengeburt, was das sein soll, Trinität.

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Da sagt Erasmus, es sind Geheimnisse Gottes. Ich möchte alles stehen lassen, was die Kirche als Dogma formuliert hat. Das möchte ich anbeten, auch wenn ich es nicht ganz durchschaue. Und so müssten wir es eigentlich tun, dass wir diese ganzen Streitfragen ruhen lassen, um als Christen zu leben. Denn was passiert, wenn wir uns an diesen schwierigen Dingen verzanken? Wir treiben uns gegenseitig hinein in immer krassere Übertreibungen. Das ist Erasmuseindruck, Luther übertreibt. Ja, die Gnade. Aber Luther macht das mit so einer schwarzen Anthropologie, dass der Mensch nichts tun kann, nichts bewegen kann, dass er nichts im Griff hat. Das würde jede Bildung, jede Wissenschaft kaputt machen. Naja, und die Gesetzlichkeit und die Werkgerechtigkeit der Katholiken, wo man durch äußerliche Anstrengungen, das ist ja auch ganz furchtbar. Diese Übertreibungen

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sind das Problem. Erasmus wird am Ende ein bisschen düster. Er sagt, der Zusammenstoß solcher Übertreibungen, das ist doch das Unglück unserer Zeit, daraus entstehen die Blitze und Donnerschläge. Und wenn beide Parteien weiter an ihren Übertreibungen festhalten, wird es zwischen ihnen zu tödlichen Kämpfen kommen wie zwischen Achille und Hektor. In der Ilias von Homer nachlesen gibt es ja auch im Kino und so wurden auch nicht alle glücklich mit. Das ist Erasmussicht. Erasmus ist einer der ersten Pazifisten konsequent. Er sagt, was haben alle Kriege mitgebracht, deren Geschichte ich je studiert habe? Grauen, Horror, Schrecken, Waisenkinder, verstümmelte, gelähmte, Blinde. Wofür? Wofür? Für Grenzverrückung, für Macht, für gekränkten Stolz. Diese Kriege sind ein Unglück und Frieden ist ein ungeheuer hohes Gut. Den Frieden zu wahren sollte das höchste

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Ziel sein, was wir alle haben. Luther schreibt ein Gegenbuch. Er macht Erasmus richtig rund. Erasmus ist beleidigt und verstupft, bleibt im alten Glauben, schreibt selbst noch mal ein Gegenbuch. Niemand liest es. Und Erasmus hat noch zehn, zwölf Jahre, wo er melancholischen Gedanken anhängt. Alles läuft schlecht. Sein Freund Thomas Morus gerät in englische Scharmützel, kommt zu Tode. Bauernkriege, Aufruhr, Streitigkeiten. Die Türken stehen vor Wien. Erasmus kriegt Druck aus beiden Seiten, ja auch in der Schweiz. Zwingli war sehr stark beeinflusst von Erasmus. Macht auch Druck. Erasmus, komm doch zu uns. Du bist doch schon in Basel. Er möchte halt nicht. Dann als Basel reformiert wird, evangelisch, geht Erasmus. Er zieht nach Freiburg. Schöne Stadt, inzwischen

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auch bei Netflix gewöhnlich. Aber für die damalige Zeit also schon Winkel. Und dann sitzt er da, ist noch melancholischer, kriegt am Ende Frage. Wir machen dich zum Kardinal, wenn du noch mal so so richtig auf diesen Luther eindrischt. Erasmus kann und will nicht mehr. Er stirbt und hat seine Ruhe. Im Rückblick. Erasmus ist ein großer Europäer. Ich finde, er sollte viel bekannter sein, als er ist. Wir haben heute oft so ein Bild. Mittelalter, Mittelalter, dann gibt es das Mittelalter doppelt evangelisch und katholisch. Dann fangen die an, gleichzeitig Hexen zu verbrennen, Ketzer zu verfolgen, 30-jährige Kriege zu bestreiten. Am Ende ist irgendwie europäischer Frieden, weil alle nicht mehr können. Und alles ganz furchtbar. Und dann Aufklärung. Das Licht

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der Vernunft geht auf. Die Menschen werden humaner. Frieden, Toleranz, Verständigung. Und das ist so ein Alltagsmythos, den viele im Kopf haben. Und das ist nicht gut. So, ich bin ja in manchen Punkten der Meinung, hier ist Erasmus als Theologe manchmal auch gar nicht interessiert an Fragen, die wichtig sind. Da würde ich mich ja auch entschieden haben in der Weggabelung des 16. Jahrhunderts. Und es gibt nicht nur erste Fragen. Es gibt auch Fragen zu Politik und Gesellschaft und Frieden und Kultur und Bildung und Wissenschaft. Und da ist Erasmus einer, den man heute sehr weitgehend lesen kann, ohne sich ständig zu Tode schämen zu müssen. Ich würde jetzt gerne das noch glorioser sagen. Und leider Gottes Antisemitismus findet man bei Erasmus auch. So, also richtig. Ich habe noch keinen gefunden, wo ich sagen würde, da wird doch jetzt mal alles nur fantastisch außer Jesus hätte ich keinen gefunden. Auch bei Erasmus muss man sagen, auch er hat Teil an den Erbübeln der Christenheit. So und ansonsten aber finden wir bei ihm eine

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Bescheidenheit, eine Unabhängigkeit, auch ein Mut, eine Selbstständigkeit, ein Mensch für sich zu sein, der sich dem Druck, Parteigänger zu werden, widersetzt, so gut er es kann. Erasmus ist Bürger einer anderen Christenheit, der in seiner Zeit der große Verlierer wird. So langfristig werden in Pietismus, in Aufklärung, in Moderne sehr, sehr viele Anliegen von Erasmus aufgegriffen werden. Ich möchte zur Bibelwissenschaft einfach seinen Beitrag nochmal zusammenfassen. Das erste, was wir Erasmus verdanken, ist überhaupt dieses Dringen zur Bibel. Die Bibel ist entscheidend, traditionskritisch zu sagen, der Rückgang auf die Bibel ist absolut wichtig für Frömmigkeit, für Leben, für alles. Bei Erasmus auch ganz christocentrisch. Der zweite große Impuls ist,

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die Bibel muss unter das Volk, dafür brauchen wir eine solide Grundlage, dafür braucht es ganz schlicht Textkritik. Wir brauchen die Urtexte, wir brauchen die Originale und da ist viel Arbeit drin. Erasmus hat ganz wesentlich diese Arbeit begonnen. Das dritte, was wir Erasmus verdanken, ist Traditionskritik. Es ist kein Argument zu sagen, ja, das sehen wir doch schon seit 1500 Jahren so. Es ist kein Argument, weil manche Irrtümer 1500 Jahre, 1800 Jahre, 1900 Jahre gehalten haben. Der Antisemitismus und Antijudaismus hat in der Christenheit bis ins 20. Jahrhundert durchgehalten, teilweise bis heute. Dieses kritische Bewusstsein, dass Irrtümer nicht fast wahr werden, wenn sie sich über 1000 Jahre halten, kann man bei Erasmus lernen. Vierter Punkt, Lebensorientierung. Nicht das Recht haben, dass sich durchsetzen die Selbstbehauptung ist

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entscheidend, sondern die Wendung zum praktischen Leben. Christus ist das Leben, sein Weg ist entscheidend. Dieser praktische Zugang ist bei Erasmus sehr stark ausgeprägt. In seiner Bibelauslegung kann man sehen, das führt ihn zu einer genauen Aufmerksamkeit auf die Zeit, auf die Umstände, auf die Sprache, auf den Stil, in dem gearbeitet wird. Echtes historisches Interesse wird bei Erasmus da möglich, wo er viele dogmatische Zuschreibungen von Texten auflöst und sagt, ich möchte verstehen, ich möchte nachahmen, ich möchte lernen und dafür möchte ich möglichst genau sehen, was es war. Mit diesen Impulsen ist Erasmus bis heute einer der größten Anreger einer modernen, wissenschaftlichen und eben auch historisch-kritischen Bibelauslegung.

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Anfänge der historisch-kritischen Bibelauslegung – Erasmus von Rotterdam | 10.6.1

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 29. August 2020 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

An jeder Uni hat man schon mal vom Erasmus-Programm gehört, bei dem Stipendien für Auslandssemester in Europa und weltweit vergeben werden. Jackpot für jeden Studierenden, dankbar ist man da der EU. Aber was hat dieser Erasmus damit zu tun? Kurz gesagt, war Erasmus einer der wohl ersten Europäer. In keinem Land Europas so richtig, dafür in sehr vielen ein Stück weit Zuhause. Geboren in den Niederlanden, studiert und gelebt in Paris, England und Italien, Schweiz und Belgien, auch nach Freiburg zog es ihn. Er hatte Brieffreunde auf dem ganzen Kontinent, schrieb mit dem Humanisten Thomas Morus und mit dem König von England. Erasmus war ein Influencer seiner Zeit, wer ihm schrieb – und Antwort bekam – ging in die Geschichte ein. So wie der Disput zwischen ihm und Martin Luther, der schließlich in Buchform ausgetragen wurde. Thorsten Dietz führt in diesem Beitrag der Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung« mit Erasmus von Rotterdam in die Anfänge der historisch-kritischen Bibelauslegung ein. Er erzählt von diesem großen Gelehrten, dem unehelichen Sohn eines Priesters und seiner Haushälterin, einem der ersten Pazifisten – und einem Antisemiten. Er war einer der ersten, der Bibeltexte von unkritischen dogmatischen Zuschreibungen befreite und ihren Hintergrund verstehen wollte. Und der sich schließlich mit einer der entscheidendsten Fragen des Glaubens beschäftigte, die sicher jeden Gläubigen irgendwann einmal umtreibt.

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung«.