Veröffentlichungsjahr: 2014
Was wie ein Buch aussieht, ist eigentlich eine Sammlung von 27 Büchern. Wie ist daraus bloß das neue Testament entstanden? Stefan Schreiber eröffnet auf den Entstehungsprozess lauter überraschende Perspektiven. Er deutet die Evangelien als sich durchaus widersprechende Jesus-Biografien, erläutert warum und wie die neutestamentliche Forschung zwischen echten und nicht-originalen Paulus-Briefen unterscheidet, berichtet, wie das Christen- aus dem Judentum erwuchs. Sein Vortrag ist eine Reise in das Werden »des zweiten Teils« eines der meistgelesenen Bücher der Welt, die Neuentdeckung eines Jahrhunderte alten Buchs.
Obwohl die Geburtsgeschichte von Jesus aus Nazareth die wahrscheinlich berühmteste Geschichte des zweiten, neueren Teils der Bibel ist. Und obwohl diese Geschichte seit Jahrhunderten jedes Jahr in allen christlichen Kirchen der Welt gelesen wird, wird sie seltsamerweise nie bis zum Ende gelesen. Der letzte Vers wird immer weggelassen!
Warum das so ist und warum das Weglassen des Endes alles andere als eine akademische Randnotiz ist, erklärt Siegfried Zimmer mit Nachdruck und Verve. Dabei zeigt er nicht nur wie literarisch formvollendet diese Geburtsgeschichte gestaltet ist, wenn man sie vollständig liest. Er entlarvt auch die »zuckersüße Weihnacht« mit dem Kindlein in der Krippe als ein heimeliges, kleinbürgerliches Produkt der Neuzeit und öffnet den Blick für eine neue, ungeahnte Dimension dieser altbekannten Geschichte: Auf einmal geht es um die Verlierer der Weltpolitik und eine Gegenkraft, eine Hoffnung, die dem Angesicht einer brutalen Wirklichkeit standhält. Nicht weil sie wegschaut, sondern weil jemand genau hinschaut.
Was bedeuten die Dinge, die in der Bibel stehen? Dieser Frage geht Manfred Oeming nach. Seine überraschende Antwort: Vieles. Es kommt darauf an, wer den Text liest. Ein Gebildeter oder ein Ungebildeter, ein Alter oder ein Junger, eine Frau oder ein Mann, ein Reicher oder ein Armer, ein Europäer oder ein Araber. Die Bibel hat allen Menschen etwas zu sagen, aber sie sagt jedem etwas anderes. Heraus kommt kein Chaos an Deutungen, sondern ein Reichtum an Sichtweisen, eine Fülle des Verstehens, eine einmalige Multidimensionalität. Die Bibel spricht ins Leben von Menschen, sie zeigt auf ganzer Breite Auswege, Perspektiven, Hoffnungen. Manfred Oeming bringt es auf eine klare Formel: Bibelleser wissen mehr.
Wenn es vor zweitausend Jahren schon so etwas wie ein Meisterschaft der Gleichnis-Erzählung gegeben hätte, dann hätte Jesus aus Nazareth ganz sicher auf dem Siegertreppchen gestanden. Er hat Gleichnisse eifrig genutzt, um seine Botschaft seinen Zuschauern »vor Augen« zu führen. Deshalb gilt: Wer wissen möchte, was Jesus wichtig war, muss seine Gleichnisse kennen und wissen, was seine Gleichnisse bedeuten. Doch da sich die heutigen Lebensumstände in Deutschland gravierend von den Lebensumständen Palästinas im 1. Jahrhundert unterscheiden, kann dies nur gelingen, wenn man den historischen Hintergrund und die konkreten Situationen der Gleichnisse genau betrachtet. Noch etwas schwieriger wird es, wenn sich in der Bibel die Interpretation eines Gleichnisses findet, die dem Meister in den Mund gelegt wird, aber eigentlich in frühen christlichen Gruppen herangewachsen ist. Das macht diese Interpretation zwar nicht weniger interessant, aber sie verstellt automatisch den Blick für die ursprüngliche Jesus-Botschaft.
Und weil das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen aus dem Matthäus-Evangelium ein Gleichnis ist, auf das dies zutrifft, blendet Siegfried Zimmer die allegorische Interpretation aus Matthäus 13, 36ff aus, und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach, der genauen Untersuchung von Gleichnis-Texten. Das Ergebnis ist so verblüffend wie überraschend. Statt Verdammnis entdeckt Siegfried Zimmer eine Sicht auf die Realität, die die Abgründe des Lebens nicht ausblendet. Doch trotzdem lässt sich diese Sicht nicht zur Destruktivität hinreißen. Denn sie sieht außer all dem Elend und den Katastrophen noch etwas anderes genauso deutlich: Hoffnung.
Für die Christenheit ist das Alte Testament von jeher eine einzige Herausforderung gewesen. Die ersten Christen überlegten, es komplett zu verwerfen, die Aufklärung verdammte es als ethisch inakzeptabel, die Romantik verklärte es als wahrhaft menschlich. Irgendwo dazwischen liegt vielleicht die Wahrheit, nach der sich Manfred Oeming auf die Suche macht. Dass der Alttestamentler eine Lanze für das Alte Testament bricht, überrascht vielleicht nicht so sehr, wie er das tut, dagegen schon. Er hat viel zu sagen dazu, dass die Bibel der Juden auch den Christen viel zu sagen hat. Über das Leben an sich, über die menschliche Existenz, über Liebe und Erotik, über Antworten auf Fragen, die das Leben stellt. Manfred Oeming zeigt das Alte Testament als das, was es ohne Zweifel ist: Ein gleichwertiger Gesprächspartner im Boot des Glaubens.
Das Alte Testament ist verschrien als schwere Kost, als undurchdringlich, langweilig, scheinbar unkonsumierbar. So oder ähnlich dachte anfangs auch Manfred Oeming. Erstaunlich, denn er ist nichts anderes als ein Theologe mit dem Schwerpunkt Altes Testament. Ihn, den früheren Skeptiker, hat das Alte Testament gepackt und nicht mehr losgelassen. Wie konnte es dazu kommen? Woher hat die heilige Schrift zweier Weltreligionen diese Kraft? Vielleicht, weil es an die Anfänge von allem geht, ans grundsätzlich Menschliche, an die Grundzüge menschlicher Existenz, an den Anfang, ans Eingemachte. Zum Elementaren reist Manfred Oeming mit seinen Zuhörern, bereist 1.000 Jahre Literaturgeschichte in eineinhalb Stunden. Eine Reise, die für die, die sich aufmachen, kaum folgenlos bleiben dürfte.
Siegfried Zimmer macht das Unmögliche möglich: Er bietet einen Abriss über die gesamte Geschichte der Bibel in 72 Minuten und hat dabei allerlei Überraschendes parat. Dass die Bibel das Moment der Befreiung ins Zentrum stellt, dass sich das Buch der Bücher nicht vor politischen Dimensionen scheut, dass die Heilige Schrift der Christen sich nicht vor der Weltordnung duckt, sich nicht auf die Seite der Starken, sondern auf die der Schwachen schlägt. Bei Zimmer entpuppt sich die Bibel als das, was sie wirklich ist: Die pure Revolution.
Es ist ein Mythos, ein Ritus, vielen ein Rätsel, manchen ein Missverständnis: das Abendmahl. Siegfried Zimmer nähert sich dem letzten Abendessen Jesu ganz unprätentiös und stellt doch seine ungeheure Dimension ins Zentrum. Jesus nutzt den letzten Abend mit seinen Leuten nicht, um den Zeigefinger zu heben oder um Angst zu machen. Es geht Jesus nicht um Glamour, sondern um Hoffnung, nicht um Appelle, sondern um Integration, nicht um Strenge, sondern um Zuwendung. Zimmer deutet das Abendmahl als Quelle des Friedens, der Gerechtigkeit und der Akzeptanz. Niemand hat Brot und Wein verdient, aber jeder bekommt es – und darf leben.
Der Teufel, Satan, Beelzebub – was hat man nicht schon alles von ihm gehört. Er ist der angebliche Gegenspieler Gottes, der sogenannte gefallene Engel, das personifizierte Böse. »Glaubst du an den Teufel?« – diese Frage ist für viele Christen erstaunlich wichtig. Siegfried Zimmer nicht. Er schaut genau auf die biblischen Texte und erteilt vielen Gedankengebäuden rund um den Fürst der Finsternis mit teils deftigen Worten – Freakstockzeit eben – eine Absage. Dabei rückt er so manches höllisch schiefe Bild himmlisch gerade. Frei nach dem Motto: Wasser auf das Höllenfeuer!
Anmerkung: Der Vortragsstil spiegelt die ungezwungene Atmosphäre des Freakstock-Festivals wider. Siegfried Zimmer stellt sich auf sein Publikum ein, indem er wesentlich salopper und deftiger formuliert als gewöhnlich.
Vorsicht: Siegfried Zimmer entsichert in diesem Vortrag den schärfsten Revolver des Atheismus’ und hält ihn an die Schläfe seiner Zuhörer. Wird er auch abdrücken? Die Frage nach dem Leid der Welt im Angesicht Gottes ist eine der größten Anfragen an das Christentum. Wie kann es sein, dass vor Gottes Augen Kinder sterben, Arme verhungern, Menschen leiden? Kann es einen Allmächtigen eigentlich geben, der das alles geschehen lässt? Zimmer scheut diese Fragen nicht. Er drückt sich nicht. Er stellt sich. Also: Einmal warm anziehen, bitte – und auf in den Kühlschrank der Theodizee.
Anmerkung: Der Vortragsstil spiegelt die ungezwungene Atmosphäre des Freakstock-Festivals wider. Siegfried Zimmer stellt sich auf sein Publikum ein, indem er wesentlich salopper und deftiger formuliert als gewöhnlich.
Siegfried Zimmer bricht mit seinen Zuhörern auf in die Wüste. Klar, dass dieser Vortrag eine besonders heiße Sache ist. Es geht nicht nur mit dem Volk Israel auf den langen Weg ins gelobte Land, sondern auf den langen und steinigen Weg ins gelobte Land eines jeden Menschen. Von einer Kindheit in Geborgenheit und einer Jugend in Abhängigkeit, geht es auf die Suche nach der Bestimmung des eigenen Seins, nach der eigenen Identität und schließlich ins Ziel, in ein selbstbestimmtes und aufrechtes Leben. Zimmers Interpretation des uralten Textes ist eine einzige Befreiung für die Moderne: Heute ist Exodus, heute ist Auszug, heute ist Aufbruch.
Am Ende spricht Siegfried Zimmer über den Anfang. Er geht ans Eingemachte, macht sich ans Grundsätzliche, unternimmt einen sprachlichen Ausflug zu den Grundlagen der Welt. Ist die Geschichte von Adam und Eva, ist der biblische Schöpfungsmythos eine Abhandlung, die historisch-naturwissenschaftlich verstanden werden will? Oder geht es vielmehr um die Grundlage des menschlichen Lebens, um das grundsätzliche Verhältnis von Gott und Mensch und Welt? Zimmers These: Wie man diese Fragen beantwortet, ist entscheidend für das Verständnis der restlichen Bibel. Adam ist nicht Adam – Adam ist jedermann, ist jeder Mensch. Die Tür, die diese Erkenntnis öffnet, ist vielleicht erst einmal das Tor zu einer anderen Galaxie, aber letztlich das Tor zu unserer Galaxie und zu einem angemessenen Umgang mit den Texten der Bibel.