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Wie kann man heute an Jesus Christus glauben? Das ist der Titel für den heutigen Vortrag und ich möchte zu diesem Thema drei Schritte gehen. Erster Schritt, wie kann man so eine komische Frage stellen? Was ist das für eine Frage? Wie muss man beschaffen sein, dass man diese Frage stellt oder dass man bereit ist, sich einen Vortrag anzuhören, der sich um so eine Frage dreht? Einen zweiten Schritt wollen wir machen, wo wir noch einmal über das Thema Geheimnis nachdenken. Inwiefern ist dieser Jesus so geheimnisvoll, dass diese Frage trotzdem immer wieder gestellt wird, auch wenn schon so lange her ist, dass er hier gelebt hat? Und das dritte Thema, der dritte Schritt wird sein der Segen der historischen Bibelwissenschaften. Das ist eine Formulierung, die kann gemischte Gefühle auslösen, aber darum habe ich es hier auch gewählt. So, erste Frage,

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wie kann man heute an Jesus Christus glauben? Die Frage ist alles mögliche, aber nicht selbstverständlich. Für viele in Mitteleuropa oder im Westen kann man allgemein sagen, ist das nämlich eine schlechthin uninteressante Frage. Und ich kann bei mir anfangen, ich fand es viele Jahre lang denkbar uninteressant, wenn im Religionsunterricht es wieder hieß, ja, nächste Woche fangen wir wieder eine Einheit an, diesmal ist das Thema Jesus Christus, da war ich raus. Weil, Religionsunterricht, ich habe es eigentlich ganz gern gemacht, weil, wenn da Buddhismus gemacht wurde, das fand ich interessant. Das fand ich irgendwie exotisch, das fand ich irgendwie prickelnd, da war ich neugierig und so, andere Religionen auch. Oder wenn es ging um Drogen, wie man Drogen, ob man das kann, darf, soll und was da hilft, fand ich auch spannend. Oder so Sachen Leben oder Sterben, Selbstmord und so. Also das waren Fragen, die hatten mit dem Leben zu tun,

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die fand ich gut. Nur, wenn es dann ging, ja, wir machen jetzt eine Einheit zur Bibel, da gibt es was, das heißt synoptischer Vergleich und so, dachte ich, boah, das ist es nicht wert. Warum? Guckt euch die Welt an, an jeder Ecke, in jedem Stadtteil stehen Kirchen, stehen Kreuze, stehen Bilder von Jesus. Nicht, dass ich es ihm nicht gönne, aber mir würden zu viele einfallen, die wenigstens mal so ein kleines Standbild verdient hätten. Gab so viele elende, hilfreiche und gute Menschen und so. Vielleicht ist jetzt auch einfach mal ein bisschen genug, 2000 Jahre Jesuskult und wir machen mal so paar andere Sachen, die auch wichtig sind. Ich fand Jesus nicht schlecht, nicht doof, nicht böse, nicht gefährlich, das alles nicht. Ich fand ihn vorwiegend langweilig. Was so das erste Gefühl, schon der Name löste in mir so eine Art Bewölkung bleiernder Müdigkeit

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aus. Boah, dass ich irgendwie so das Gefühl hatte, von einem Anfänger-Dementor geküsst zu werden, der mir so ganz langsam die Lebensgeister aussaugte und ich so in einen inneren Sog tauber Erwartungslosigkeit fiel, mit dem Bedürfnis irgendwie mental wegzudämmern und dann hatte ich es irgendwann geschafft zum Glück und über irgendwas Spannendes nachgedacht, wie Fußball oder sonst wie oder so. So ging es mir. Ich fand es nicht interessant und ich fand es nicht interessant, siebenmal in meinem Leben im Kindergarten, in der Grundschule, in der Schule, Oberstufe und so weiter. Er wurde gekreuzigt und man sagt, er sei auch erstanden. Man sagt, er sei auch erstanden, vorher wurde er gekreuzigt und so. Man hat das Gefühl, man dreht sich im Kreis und die einen sind dafür, die anderen sind dagegen und so. Nicht interessant. Einfach nicht prickelnd, nicht irgendwie faszinierend. Es war eine tote Frage. So und das ist so interessant, es gibt ja Christen, die sich wahnsinnig ärgern über Religionsunterricht, das verständigt

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was kommt mit Buddhismus und Drogen und Selbstmord und so, die das Gefühl haben, da kommt viel zu wenig Jesus. Das gibt es ja. So es wäre mir damals total fremd erschienen, hätte sich damals irgendeine Bürgerbewegung gegründet für mehr Jesus im Religionsunterricht. Ich wäre erst bei Ethik gewesen oder so. Er hätte gesagt, ich bin raus. Er macht ja das ganze Interessante da weg, was in dem Fach noch ist, dass man da nur noch irgendwie gequält wird mit dem, was da irgendwie zur Tradition gehört. Und das ist vielleicht interessant. Wie kommt es, dass Jesus für manche Menschen sehr faszinierend ist, total zentral, total lebendig, etwas, was sie bestimmt, wo sie Lieder auf ihn singen und dichten und schreiben und von ihm bewegt und begeistert sind, dass sie jubeln und lachen und weinen und all das und andere lässt es unsagbar kalt. Das berührt sie

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überhaupt nicht. Wie kann das sein, dass es so eine Spreizung, so eine Unterschiedlichkeit ist? Über die Frage möchte ich ein bisschen nachdenken. Wie kommt es eigentlich, ob Fragen lebendig sind oder tot, ob Fragen heiß sind oder kalt? Was trägt dazu bei, dass eine Frage lebendig wird, dass man sie überhaupt als Frage akzeptiert, die man stellt und nicht nur zur Kenntnis gibt, dass es immer noch Menschen gibt, die sich damit beschäftigen? Wie kommt das? Um da eine Annäherung zu finden, möchte ich eine kleine Geschichte erzählen, die viele kennen werden, eine Geschichte aus der Bibel, wo es im Neuen Testament mal um die Frage ging, was ist der Jesus eigentlich für einer? Warum laufen dem manche hinterher und andere nicht? Und die Geschichte geht so, Jesus ging mit seinen Jüngern in die Dörfer von Caesarea Philippi. Dann fragte er sie und sprach zu ihnen, wer sagen die Leute, dass ich sei? Und sie aber sprachen zu ihm, sie sagen, du seist Johannes der Täufer. Andere sagen, du seist Ilia. Wieder andere, du seist einer der Propheten. Und

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Jesus fragte sie, ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei? Er antwortete Petrus und sprach zu ihm, du bist der Christus. Und Jesus bedrohte sie, dass sie niemand von ihm sagen soll. Ja, bis hierhin mal ein bisschen verstörende Geschichte. Man hört sie, dem einen ist sie vertraut, anderem neu, aber ein bisschen, man muss sich erstmal sortieren, wo ist das, die ganze Geschichte, wo findet das statt? Wir fahren in Caesarea Philippi. Ist das wichtig? Muss man das wissen, müssen wir sagen, ah ja, in Caesarea Philippi, ja, ich weiß es, war ich neulich im Urlaub, tolle Gegend. Nein, fremd, komisch, merkwürdig, Caesarea Philippi, vielleicht ist es wichtig, dass es da stattfindet. Ein Ort, hoch im Norden von Israel, noch jenseits von Galiläa, gehört nicht mehr zu Galiläa, wo Jesus Herr ist, nicht mehr da, wo sein Tetraich Herodes der Leiter ist, sondern das Gebiet von Herodes

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Philippos, einem Bruder, auch einem Herodessohn, der ist der Tetraich, einer der Herodessöhne, die nach Herodes dem Großen, dem König, verschiedene Landgebiete bekommen haben. Da ist das, und es ist eine Stadt im Grenzgebiet unterschiedlicher geistiger Strömung. Ihr kennt vielleicht so Bibelfilme über Jesus, die sind wahlweise in Spanien oder auf dem Balkan gedreht und es ist immer so der Subtext, damals war alles noch Natur. Wüste, ab und zu mal Strauch, Geigenklänge, dann wieder Wüste, ein Berg, ein Berg, ein See, er spricht, er segnet und so, und alles war noch Natur. Und so ist es nicht, es war eine bunte Welt, es war eine radikal bunte Welt. In dieser Gegend gab es Juden, ja, und es gab auch Berge und Sträucher und Wüsten und Seen und das gab es alles, aber es gab auch viele Römer. Es gab viele römische Soldaten, es gab

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einen großen Tempel, von Herodes Philippos gebaut zu Ehren des römischen Kaisers Augustus und der Göttchen Roma geweiht. In der Nähe gab es auch einen großen Zeus-Tempel, etwas weiter war ein Tempel des Pan, dem Pan und den Nymphen geweiht, habe ich in Bibelfilmen alles noch nie gesehen und so, aber all das gehört zur alten Welt, es war eine bunte Welt. Und vielleicht ist es interessant, in einer solchen bunten Welt weit weg von Jerusalem, weit weg von jüdischen Kernlanden, in einer Welt, wo vieles geht und alles möglich scheint, die Frage zu stellen, und was ist mit Jesus? Was ist mit dem, was ist das für einer und was denkt ihr? So, jetzt wissen wir ungefähr, wo wir sind und gucken noch ein bisschen näher hin. Was geben dich für Jünger für komische Antworten? Es sind so komische Antworten, einige sagen, du bist Johannes der Täufer, andere sagen,

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du bist Elia, wieder andere einer der Propheten. Das ist jetzt nicht nur, dass die alten Namen stelle ich euch mal vor, es gäbe heute irgendjemanden, wo ihr sagen würdet, für den stelle ich mein Leben auf dem Kopf. Ich gehe nach Hause, grüße meinen Mann und die Kinder oder Frau und die Kinder und sage, tschüss, ich habe meinen Meister gefunden, ich ziehe mit ihm los, ob ich wiederkomme weiß ich nicht, vielleicht sterbe ich, aber das ist es wert. So und die wird fragen, was ist das für einer und so. Wer würde ansatzweise auf die Idee kommen zu sagen, es ist Napoleon oder es ist Sophie Scholl oder es ist John Lennon oder Katharina die Große, so der Mann oder die Frau würden ja den Arzt rufen und uns sagen, mit meinem Ehepaar ist was ganz Schlimmes, er fiebert, er ist irgendwie, wir würden auch keine vergleichbaren neuen Namen nennen. Wir würden auch Menschen, die wir wichtig finden,

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nicht so erklären. Man würde vielleicht manchmal sagen, was weiß ich, er hat ein bisschen was von irgendwem, den ich aus einer Serie kenne oder so, so ein bisschen Schuss von Arya Stark oder sonst was mag einem gefallen an irgendwem, aber wir würden nicht diese großen historischen Namen nennen, warum nicht? Wie muss man beschaffen sein, dass man solche Antworten gibt? Man muss so beschaffen sein, dass man sehr stark in der eigenen Geschichte lebt, dass man die eigene Geschichte kennt, dass man die Namen und die Schicksale und die Lebensläufe sehr weiß, sehr präsent, sie sind gegenwärtig, dass man lebt mit einer Wolke der Zeugen, dass man lebt mit den Ahnen, mit den Vätern und Müttern des Glaubens und dass wir so relevant hält, dass diese Namen Maßstab sind für alles, was gut und heilig und gerecht und Gott wohlgefällig ist. Man muss sehr stark in der eigenen Geschichte leben. Um uns das so angucken, diese Antwort, können wir auf die Idee kommen,

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wir leben nicht sehr stark in unserer eigenen Geschichte. Menschen, die Angela Merkel gut und wichtig finden, würden nicht sagen, weil sie ist für mich die neue Katharina die Große oder die neue Elisabeth die Erste oder die neue Margaret Thatcher. Wir würden auch nicht sagen, sie ist der wiedergekehrte Bismarck oder der wiedergekommene Adenauer. Wir fänden das alles doof, komisch, auch sonderbar. Sie ist halt sie selbst. Kein Mensch würde sagen, Jürgen Klopp ist der geilste Trainer, er ist Sepp Herberger heute oder so. Nein, wir finden an Menschen, die wir gut, großartig finden, das Individuelle fantastisch, das Persönliche. Das, was sie, nur sie haben, das finden wir gut. Wir sind nicht so geschichtsverwurzelt, nicht so traditionsbewusst, dass wir das, was ist, bemessen an der Vergangenheit. Und wenn es gut ist, dann finden

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wir eine Kategorie aus unserer Vergangenheit und dann ist es in Ordnung. Nein, wir finden das Neue gut. Das Neue, das Originelle, das Individuelle, das Spezielle, das finden wir gut, das finden wir faszinierend. Wenn uns jemand sagt, da ist ein neuer Film und der ist genauso wie dieser Schinken von 1952, alles gleich. Was sag ich dann? Muss ich nicht gucken. Warum? Nur für 3D, das ist ja alles nur Geldmacherei, brauche ich nicht. Wir merken, die damals die Antworten zeigen bereits, hier gucken Menschen auf die Welt irgendwie anders. Sie gucken auf die Welt mit einer anderen Brille oder wir können auch umgekehrt sagen, wir schauen mit einer anderen Brille auf die Welt. Damit habe ich das Motiv eingeführt, über das ich jetzt noch so ein bisschen nachdenken möchte. Wir sehen die Welt

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nicht einfach so. Wir betrachten die Dinge nicht an sich, wie sie objektiv wirklich sind, sondern wir betrachten die Welt durch sehr unterschiedliche Brillen. Mancher erinnert sich vielleicht mal, ich habe hier die Originalbrille vom Freakstock 2017, die große Metapher für die historische Bibelwissenschaft. Eine 3D-Brille, was macht die? Diese 3D-Brille schaut auf die alten Texte und mit dem anderen Auge schaut man hier auf den Hintergrund, auf den historischen Hintergrund, die Texte, die Zeit, die Kultur, all das, um Texte zu lesen, zu verstehen in ihrer Zeit, in ihrem Kontext. Und dann sieht man ein bisschen mehr, man weiß ein bisschen mehr. Cesarea Philippi ist was anderes als Castrop-Raux. Das ist eine Erkenntnis. Es ist also eine andere Art, eine andere Lebensform, eine andere Lebensweise, eine andere Herausforderung. So, diese 3D-Brille ist nicht die einzige Brillenbetrachtung, wie es ist, dass man sagt, wir gucken eigentlich immer alle

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ganz normal, es sei denn, wir arbeiten mit Hilfe der historischen Bibelwissenschaften. Dann, dann setzt man sich was komisches auf. Man merkt es ja hier vielleicht, wenn ich die Brille absetze, die 3D-Brille, habe ich immer noch eine Brille auf. Zufall hast du Pech gehabt, könnte man sagen. Ich behaupte jetzt, das ist aber ein schönes Symbol, so ist es immer. Wir tragen immer schon Brillen. Und die Jünger damals und die Menschen damals tragen eine andere Brille, eine Brille, die sehr, sehr, sehr stark getönt und gefärbt und bestimmt ist von ihrer Glaubensgeschichte, von ihren heiligen Texten, von ihren Überlieferungen und alles, was sie sehen und alles, was sie wahrnehmen, ordnen sie ein in diese Geschichte, die sie kennen und in der sie leben und die für sie ganz, ganz wesentlich ist. Und Menschen tragen solche Brillen auf der Nase. Es hat aber eine ganze Zeit lang gedauert, bis das aufgefallen ist. Denn man könnte es sich ja jetzt

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auch einfach machen und sagen, nee, das mit den Brillen, nee. Also wir können ja auch einfach sagen, die damals haben es doch genau richtig gemacht. Die damals haben die Welt betrachtet durch meinetwegen die Brille ihrer Heiligen Schrift, aber sagen wir einfach gedeutet im Horizont ihrer Heiligen Schrift, ihres Glaubens, ihrer Geschichte und das war richtig. So, so schauen Menschen des Glaubens auf die Welt. Und wir heute, du lieber Himmel, wir sind eine Welt im Niedergang. Wir schauen auf die Welt geschichtslos, geschichtsvergessen, ganz gegenwärtsfixiert. Wir sind im Grunde von unserer Gegenwart so aufgesaugt und vergessen, uns fallen gar keine guten Beispiele mehr ein. Wir sind halt immer neu geflasht von dem, was aktuell ist und die Überlieferung,

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die Geschichte und so weiter vergessen wir und das ist schlecht. Wir sind Menschen ohne Wurzeln, ohne Geschichte, ohne Erinnerung, ohne Gedächtnis und darum geht ja auch alles den Bach runter. Darum geht ja alles schief, darum wird ja alles immer schlechter und immer schlimmer und alles wird immer chaotischer und grenzenloser, weil es diese gute Prägung durch die Brille nicht mehr gibt. Man kann das so machen oder man kann auch sagen, die damals, die damals waren im Grunde rückwärts gewandt. Die damals lebten in der Vergangenheit, darum kapieren sie auch nichts. Wir, die wir achten auf das Individuelle, Persönliche, Aktuelle und Existenzielle und Wesentliche und so, wir sind im Grunde fortgeschritten. Wir sind überlegen denen. Man kann es so sagen, man kann es so sagen und man könnte auch sagen, die sind anders als wir und wir sind anders als die und vielleicht

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sollte man das mit dem Besser-Schlechter weglassen. Vielleicht können wir lernen zu akzeptieren. Es gibt sehr unterschiedliche Brillen, sehr unterschiedliche Töne unserer Wahrnehmung und die haben Vorteile und Nachteile, aber es ist erstmal anders. Es hat lange gedauert, bis Menschen das Denken konnten. Im Grunde ab dem 19. Jahrhundert setzten sich solche Ideen durch. Dass Menschen sagen, Denkweisen sind kulturgeprägt. Auch so was wie Moral und Werte und Ideale und Zukunftsvorstellungen sind kulturell höchst wandelbar. Sehr abhängig von der Zeit, sehr abhängig von den Erfahrungen, die Leute machen und Antikes Denken ist anders, ist nicht falsch oder schlecht oder sonst wie generell und grundsätzlich. Es ist anders. So und es gibt verschiedene Denkräume und Kultur-Traditionen und dies und das und die sind einfach erstmal verschieden. Es ist eine Frage

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unterschiedlicher Brillen, mit denen man das Ganze betrachtet und es gibt kein Sehen ohne Brillen. Wir haben das bis jetzt benommen als Metapher, als Metapher für das, was man in der Hermeneutik bezeichnet als Vorverständnis. Was wir heute machen, ist eine Art Hermeneutik der Jesus-Frage, Hermeneutik der Jesustexte in der Bibel und wir sind hier auf diesen Punkt gestoßen. Es ist immer ein bisschen mehr im Spiel als das, was man sagt, was man denkt, was man versteht. Bei dem, was in Texten geschrieben steht und bei dem, was wir verstehen, spielt immer mit hinein unser jeweiliges Vorverständnis. Unsere eigene kulturelle Prägung, unsere intellektuelle, sprachliche, religiöse, weltanschauliche Einfärbung und Tönung, die spielt immer eine große Rolle dabei. Und das ist eine der Schlüsselentdeckungen der Hermeneutik. Diesseits von richtig und falsch,

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brauchbar und unbrauchbar, gibt es sehr, sehr, sehr unterschiedliche Brillentönungen, Brillenfärbungen. Wir haben das jetzt als Bild genommen für Verstehen, für Begreifen, für Weltdeuten. Das Interessante ist ja, das gilt der Sache nach schon ganz wortwörtlich beim Sehakt als solches. Man denkt ja normalerweise, also als Kind sowieso und viele für sich ihr Leben lang, dass man in die Welt guckt und dann sieht man halt, wie die Welt ist und alles ist noch gut. Man kann darüber reden und alle sehen die Wirklichkeit, so als wären wir im Grunde ein Körper, da drin ist ein Geist und der Geist hat auf einmal zwei Fenster gefunden, guckt raus aus seinem Körper und dann sieht der Geist eins zu eins die Wirklichkeit und hat in sich, wie abfotografiert, wie abgefilmt die Wirklichkeit in seinem Gehirn und da macht er was damit. Und dann, dann, dann kommen Fehler zustande, wenn man anfängt zu denken und Sprache und Kultur, da kommen lauter komische

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Einflüsse. Naja, wir wissen heute, Sehen ist nicht das, was man sich unter Sehen so vorstellt. Sehen ist nicht einfach, dass im Gehirn einfach abgebildet wird die Wirklichkeit durch eine super, super Film, Fotokamera, die wir haben. Sehen hat sehr, sehr viel konstruktive Anteile. Ja, da kommt was von außen, da kommen irgendwie Lichter, Effekte, Strahlung und so weiter, aber das Bild, was sich im Gehirn erzeugt, hat sehr, sehr viel, was nicht durch diese Impulse, durch diese Informationen kommt, sondern da wird viel mit eingespeist aus meiner bisherigen Geschichte, aus meinen bisherigen Wahrnehmungen, aus meinen bisherigen Seherlebnissen. Alles Sehen ist immer schon kontextuell geprägt, hat immer sehr viel zu tun mit Helligkeit, mit Licht und Schatten, mit Abstand, mit Perspektive, mit Größe. Ist sehr stark von dem Kontext, von der Blickrichtung,

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von all dem, was ich habe. Dann, wie gesagt, die eigene Biografie prägt das Sehen, nicht erst das Deuten, nicht erst das Verstehen, sondern ich bin schon im Sehen aufmerksam für Sachen, die irgendwie für mich mal relevant waren. Das fällt mir auf. Ein Biologe sieht im Wald hundertmal so viel wie, was weiß ich, jemand, der Spiele programmiert und denen das Ganze gekrächt sei, da sowieso auf die Nerven geht. So, die Sehen nicht dasselbe. Und wenn Sie gefragt werden, was Sie alle gesehen haben, geben Sie höchst unterschiedliche Antworten. Drittens ist das, was wir sehen, schlicht geprägt durch unser Interesse. Wir sind fokussiert, immer, so oder so. Wir können uns auch darauf fokussieren, möglichst viel wahrzunehmen. Dann sind wir darauf fokussiert. Dann können wir sammeln und sammeln und sammeln und entdecken und entdecken. Oft sind wir das nicht. Vielleicht kennt der eine oder andere

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dieses Schauvideo, wo man gesagt wird, das ist jetzt so ein kleines Spiel, eine kleine Challenge. Und es geht darum, konzentrieren, so, jetzt werden ein paar Basketballspieler sich Bälle zuspielen. Und die Herausforderung ist, mitzählen, wie oft der Ball geworfen wird. Das ist voll schwierig. Die Allerwenigsten schaffen es, die genaue Zahl mitzuzählen. Viele vertun sich da irgendwie. Probier mal, ob du das schaffst. Wer das probiert hat, man guckt und zählt und zählt und zählt und sieht den Ball und zählt und zählt und sagt am Ende, so schwer war es nicht, 47. Man musste sich konzentrieren. Ich bin mir ziemlich sicher, 47. So und kriegt dann die Antwort, vielleicht, aber ist ehrlich gesagt egal. Der Witz ist, hast du den Gorilla gesehen mitten im Bild? Und überlegt, Gorilla, war das auf dem T-Shirt oder so von einem der Basketballspieler? Nee, guck's noch mal, da war ein Gorilla. Und man guckt denselben Film noch mal und die Bälle werden geworfen und so. Und auf einmal sieht man da, da läuft ein Gorilla durchs Bild und so. Und viele schaffen es, ihn

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nicht geahnt zu haben. Es trifft sie völlig unvermittelt, dass da ein Gorilla durchs Bild gelaufen ist, weil sie darauf nicht fokussiert war. Es gibt's, wenn man sich auf eine bestimmte Sache fokussiert, sieht man die und sonst nichts. Mal eine Brillenmetapher dafür. Es gibt solche Brillen. So, diese Brille ist so krass, dass ich zwei ganz schwache kleine Monde sehe. Naja, diese beiden Scheinwerfer ist eigentlich viel angenehmer. Ich glaube, ich mache es so weiter. Das ist super. Ja, das hilft der Konzentration. Nein, das sind diese Brillen, die man zu Sonnenfinsternis hat. Und diese Brille, man sieht nichts, außer der Sonne. Außer der Sonne, Sonnenfinsternis und so. Dafür ist sie stark genug. Eine Taschenlampe direkt ins Auge, sieht man als kleines schwaches Licht. Das ist eine Seeeinstellung. Du fokussierst dich. Du blendest alles ab und siehst nur, was dich interessiert. Menschen laufen mit so Brillen

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rum. Es gibt Menschen, die sind fokussiert auf ihre Karriere, auf ihren Erfolg, auf ihr Weiterkommen. Und sie sehen die Menschen links von rechts von sich nicht. Sie sehen nicht, wie es denen geht. Sie sehen nicht, ob die was stört oder ob die was fragen oder sagen wollen. Also das sehen sie nicht. Und wenn man sie fragt, hast du nicht gemerkt, dass so und so, sagen sie, nee, weil ich war fokussiert. Ich habe anders geschaut. Es ist im Sehen so, dass wir vieles nicht so sehen. Und es ist natürlich in der Weltwahrnehmung auch so, dass wir vieles ablenken. So, wir haben uns ein paar Gedanken gemacht über Brillen und gesehen, selbst im normalen Sehen spielt viel von unserer Vorgeschichte mit hinein, unser Vorverständnis, unsere Erwartungshaltung. Das ist beim Denken, Verstehen, Glauben noch viel ausgeprägter. Und wir sehen es an dieser Geschichte.

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Menschen, die so Antworten geben, haben eine sehr andere Vorverständnisweise als wir. So, und jetzt geht es weiter. Es war ja noch nicht das Ende. So, Jesus hat diese Frage gestellt, dreht sie weiter, fragt die Jünger, wer sagt denn ihr, dass ich sei? Und Petrus antwortet und sagt, du bist der Messias. Und wer weiß, was er sich erwartet hat. Also, boah, er geht hier in der Position, er outet sich, er sagt es als Erster. Vielleicht hat er erwartet, dass Jesus in Tränen ausbricht vor Glück und ihn umarmt und sagt, mein erster, erster Gläubiger, das werde ich dir nie vergessen. Und du wirst meine Hand sein und du wirst zu meiner Rechten sitzen und zu meiner Linken, auch wenn das möglich wäre. Immer bist du der, der so. Das wäre ja auch sehr schön gewesen. So und die Reaktion Jesu war dann ein bisschen verstörend. Er bedroht sie, was bedroht er sie

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gleich. Er hätte ja sagen können, ja, aber bitte, bitte Zurückhaltung und so. Warum muss er sie bedrohen? Und es geht danach auch in einer insgesamt auch etwas verstörenden Art und Weise weiter. Ich meine, es war jetzt ein Höhepunkt, fühlt sich an wie ein Höhepunkt. Und für die meisten von uns, die man so von der Kinderbibel irgendwie mal was gehört hat, ist das jetzt auch alles nicht so ein großes Ding. Man denkt sich, ja, ich weiß doch, Messias, ich kenne es doch, das ist doch immer wichtig. Das ist bei Harry Potter total wichtig. Es gibt in jeder guten Geschichte alte Prophezeiungen, die ein Erlöser weiß sagen. Mir fällt gerade keine gute Geschichte ein, wo das nicht so ist. Es ist immer so so, wenn die Not groß ist, sagt irgendjemand Es gibt eine alte Weißsagung. So wie lautet sie und und dann und das ist in Matrix so. Da gibt es auch eine alte Weißsagung, ein bisschen komisches Orakel irgendwie Weißwander. Aber Hauptsache, es gibt die alte Weißsagung, um dem Erlöser läuft und so und so ist es in Star Wars und so und so ist es in Game of Thrones.

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Und es ist eigentlich immer so, es gibt einen Erlöser und dann hat man den und dann war man eigentlich mit der Kinderbibel glücklich. Und wenn man die Geschichte hört, ist man eigentlich auch glücklich. So das ist so einer der Punkte, wo diese komische 3D Brille der historischen Bibelwissenschaften nicht automatisch das Glück verdreifacht, dadurch, dass man es noch genauer weiß. Wenn man durch die Bibel guckt, diese Brille guckt, merkt man, das ist gar nicht so einfach gewesen zur Zeit Jesu, was man sich unter einem Messias vorgestellt hat. Da gab es Juden, die haben nicht auf den Messias gewartet, sondern auf zwei. Wenn Petrus gesagt hätte, du bist der Messias und die wären dabei gewesen, hätten sie gesagt, welcher? Weil für die war wichtig, es gibt einen priesterlichen und ein königlichen. Es gab auch welche, die gesagt haben, komm, hör auf, wie lange haben wir keinen richtigen König mehr? Ich meine Herodes war König, der war nicht mal

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Jude. Und davor, ja die Maccabea, war schon schön, aber jetzt sitzen wir hier mit den Römern, da haben die uns auch ein kleines bisschen mit eingefädelt. Und der letzte gute König, du lieber Himmel, lassen wir mal. Und wieder andere haben einen Messias erwartet. Ja, es gab es. Es gab eine Messias-Erwartung, es gab Menschen, die gesagt haben, ja, ich warte auf einen Messias. Wenn man dann gefragt hätte, du wartest also darauf, dass der Sohn Gottes Mensch wird, hätten die gesagt, bitte was? Messias, du bist wohl von woanders, Messias ist bei uns ein Gesalbter, ein König. Ich erwarte einen Menschen aus dem Hause Davids, gesalbt, König zu sein, der mit Gottes Kraft und Hilfe. Hier wieder ein jüdisches Reich und mit euch hat das nichts zu tun, nichts, nichts. Und ich will da auch keine zweite Gottesfigur oder sonst wie, sondern einfach

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ein König, das wäre hier wieder für uns und fertig. So, und das ist aber verschieden. Und es war nicht so einfach und nicht so klar, was ist denn ein Messias? Und wir sehen jetzt, das Brillenproblem kommt in dieser Geschichte an. Die erste Runde war ja, wir sehen die Jünger, die Menschen damals haben irgendwie eine andere Grundtönung ihrer Sonnenbrille gehabt als wir, mehr geschichtsverwurzelt, wir mehr gegen wahr zukunftsorientiert. Okay, jetzt sehen wir, die haben aber auch Brillenprobleme. Was ein Messias ist, was dieses Deutungsmuster, dieses Symbol wirklich bedeutet, ist so klar offenbar nichts. Und es wird immer unklarer. Direkt danach fängt Jesus an, was zu erzählen und das klingt komisch, das klingt merkwürdig. Die Evangelien berichten da irgendwas, sind sich einig, die Jünger haben da dunkle Erinnerungen an irgendwelche Sprüche, wo sie aber alle nicht wussten, was das soll. Irgendwas mit Leiden

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verworfen werden, sterben, getötet und so. Und Petrus hört das, dann heißt es, er nahm Jesus bei Seite. So, wenn er Jesus bei Seite nimmt, merkt man schon, er hat noch dieses Selbstbewusstsein tief in sich. Ich war der erste Messias und jetzt nehme ich ihn mal bei Seite. Manchmal muss man den Erlöser auch vor sich selbst schützen. Und vielleicht, wie Petrus eben gesagt haben, Jesus, es ist vielleicht eine schwache Stunde, selbst die Größten hatten das. Auch Mose, auch David, die Größten können schwache Stunden haben. Sei doch froh, dass ich jetzt an deiner Seite bin und dir einfach nochmal den Rücken stärke und dir sage, du bist groß. Und das ist eine kleine Schwächeanwendung. Du bist größer, vielleicht sogar als du denkst. Und guck dir die Leute an, sie hängen an deinen Lippen und sie kommen und sie strömen und sie strömen. Das ist der Anfang. Und was wird sein, wenn wir in Jerusalem sind? Du bist groß und größer und noch größer und darum, das mit dem Leiden und Sterben war Schwächeanfall. Lassen wir weg. So, irgendwie so und ist ja gut

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gemeint. So, Jonathan muss David auch mal stärken und stützen und aufrichten und so, gut gemeint. Und jetzt ist Jesus aber irgendwie unzufrieden. So, also das Brillenproblem ist jetzt richtig heiß geworden. Petrus hat offenbar eine Brille auf, die Jesus nicht gefällt. Und Jesus sieht das anders. Und jetzt hätte er sagen können, du Dummchen. So, oder irgendwas hätte er sagen können. Die, die die Geschichte kennen, wissen, was er sagt. Er sagt, weiche von mir, Satan. Oha. Ich müsste lange überlegen, wenn ich wüsste, ab welchem Grad Tiefen angepisst seins ich jemand als Teufel beschimpfe. So, also da würde mir noch eine erhebliche Zwischengradualität der Beschimpfung einfallen. Man könnte ja Dummchen noch steigern, steigern als du, du Depp, du Idiot, du Volltrottel,

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du Hornochsel und viel, viel einfallen, bevor ich beim Teufel bin. Es muss Jesus, es ist wahnsinnig falsch vorkommen. Er muss richtig Wut haben auf diese Brille. Das Brillenproblem ist hier sehr, sehr akut mittendrin. So, und wir sehen auch hier wieder, hier sind unterschiedliche Optiken und Perspektiven im Spiel. Das ist das große Thema der Hermeneutik. Wie kann man andere verstehen, wenn das, was sie sagen und denken, von ganz anderer Prägung herkommt, eine ganz andere Sprache im Hintergrund ist, eine ganz andere Erfahrungsgeschichte, dass das, was für jemanden ganz logisch und nachvollziehbar und natürlich ist, für andere völlig befremdlich, völlig verstörend, völlig sonderbar. Das wird hier auf mehreren Ebenen durchgespielt und auch das Messias-Verständnis

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macht es auch deutlich. Die Menschen verstehen das sehr verschieden. Das, was Petrus darunter versteht, ist schlechterdings nicht in Übereinstimmung zu bringen mit irgendetwas, was nicht Siegerfolg, Halleluja, Triumph, ewige Glückseligkeit ist. Für ihn ist der Messias mächtig, Sieger und so. Alles andere passt da nicht rein. Und das ist im Neuen Testament insgesamt interessant zu beobachten. Menschen bringen Deutungsmuster mit zu Jesus. Sie bringen Brillen mit. Sie betrachten ihn so und Sie betrachten ihn anders. Ja, und nichts passt richtig. Wie sieht man ihn denn richtig? Was ist denn die richtige Betrachtung dafür? Gönnen wir uns eine Zwischenüberlegung. Die Frage, Jesus hat es ja in sich. Er sagt ja nicht nur, wer bin ich? Was sagen die anderen? So, jetzt seid ihr dran. Und so, er spitzt ein bisschen zu. Wer sagt ihr, dass ich sei? Also,

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wer bin ich für euch? So, und das ist eine Frage, die einen so ein bisschen anders reinverwickelt. Wenn man in solchen Fragen Stellung bezieht, sagt man nicht nur etwas über den Sachverhalt, man sagt etwas über sich selbst. Wenn Petrus Jesus als Messias bezeichnet, wie immer er sich das vorstellt, macht er damit auch für sich eine Position klar als jemand, der nachfolgt, der dient, der gehorcht, der sich senden lässt, der nicht mehr sich selbst gehört, sondern er weiß, er steht jetzt im Dienste dieser Sache. Es gibt eine schöne Geschichte von Berthold Brecht, wo Berthold Brecht das mal so ganz grundsätzlich durchspielt. Eine Geschichte von Herrn Keuner. Einer fragte Herr K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte, ich rate dir nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Berthold Brecht ist ja immer sehr

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klug. Das heißt nicht, dass man nicht auch trotzdem manchmal schrecklich daneben liegen kann, aber er liegt auch immer klug daneben, wenn er daneben liegt. Und diese Frage ist auch wieder sehr klug, weil er bringt hier zur Gegenstandserfassung etwas sehr interessantes. Was hat denn die Gegenstandserfassung und Klärung mit deinem Leben zu tun? Macht es einen Unterschied. Stell dir vor, du kommst mit einer Haltung des klaren Glaubens oder des klaren Unglaubens in eine Situation, wo sich das definitiv klären würde. Du weißt, in einer Stunde ist dein Glaube vielleicht hinfällig oder bestätigt oder dein Unglaube ist vielleicht bestätigt oder hinfällig geworden. Würde dich das nervös machen, was würdest du hochrechnen für dein eigenes künftiges Leben? Würdest du einen Unterschied machen? Würdest du dein Leben völlig auf den Kopf stellen? Würdest

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du dein Leben beenden wollen, weil du unter den neuen Bedingungen nicht bereit bist, weiterzumachen? Oder würdest du einfach so weitermachen? Es kann für Christen eine ganz interessante Frage sein, wenn Sie sich fragen, was würde sich wirklich ändern, wenn es keinen Gott gäbe? Wenn die Antwort ist, ich wüsste sehr lange Zeit nicht, was sich ändern könnte, weil so viel Konsequenz in meinem Glauben auch, weiß ich jetzt gerade nicht und so. Das ist ja auch ein interessanter Befund. So kann man so oder so durchrechnen und checken, würde sich etwas ändern? So und Brecht macht es weiter in dieser Geschichte von Herrn Koiner. Er sagt, würde sich dein Leben nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen. Wenn die Antwort auf diese Frage, ob es Gott gibt oder

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wer Jesus ist oder so, wenn das sowieso keine Auswirkung hätte auf dein Leben, ist diese Frage für dich nicht relevant. Dann ist sie tot, dann wird sie gar nicht gestellt. So und dann fährt er fort. Wenn sich aber dein Leben ändern würde, kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden. Du brauchst einen Gott. Das ist jetzt sehr raffiniert. Man möchte sagen, warum? Wenn ich mein Leben ändern würde, heißt es doch nicht, dass es, das verstehe ich nicht. Warum brauche ich denn dann Gott, wenn sich mein Leben ändern würde? Worauf will der Brecht hinaus? Naja, betrachten wir es mal so. Wenn sich das Leben ändern würde, wenn man das schon denkt, nimmt man die Frage bereits ernst. Man rechnet es bereits durch. Man prüft, man fragt vielleicht. Man ist von der Frage in irgendeiner Weise bestimmt.

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Es ist eine lebendige Frage. Man versteht bereits, dass sie was mit einem zu tun hat. Es gibt viele Fragen, die uns so gleichgültig sind, dass sie uns wirklich unberührt lassen, dass sie uns wirklich nicht interessieren. Oder dass wir uns nicht vorstellen können, dass die Frage so positiv sein könnte, dass mich das Ergebnis überzeugen würde. Machen wir mal ein schönes Gedankenexperiment. Ich gehe davon aus, wir haben hier evangelische und katholische Menschen im Raum. Vielleicht auch alles mögliche andere, aber evangelische und katholische müsste hinkommen. Zunächst mal ein kleines Gedankenexperiment für evangelische Christen. Stell dir vor, du hast einen guten katholischen Freund, Nachbarn, Menschen in deiner Nähe, der dir wichtig ist und der kommt zu dir und sagt, ja, du weißt doch, uns verbindet viel der Glaube, Jesus, die Bibel, wir haben viel

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gemeinsam. Ich möchte dich zu etwas einladen, was für meinen Glauben ganz wertvoll ist und ich glaube, das wäre für dich auch gut. Ja, was denn, fragst du? Ja, eine Pilgerfahrt nach Medjugorje. Ich bin da seit vielen Jahren und weißt du, dass das Heilige ist, die Muttergotte spricht an diesem Ort. Und ich habe da Sachen erlebt und du wirst es erleben, wir werden da eine Woche sein und wir werden ganze Nächte den Rosenkranz beten vor ihrem Angesicht auf den Knien. Und es werden Dinge passieren, du wirst Menschen treffen, die sind geheilt worden, die waren blind, die saßen im Rollstuhl und die sind geheilt. Du kannst ihre Zeugnisse hören und wir werden auf den Knien weiter beten und ihre Botschaft hören. Und sie wird sagen, betet und tut Buße und kehrt um und wir werden es tun und es wird uns verbinden und es wird dein Leben bereichern. Und für mich ist das so wunderschön und heilig und wertvoll. Ich möchte einfach dir daran auch teilgeben. Ich kann das nicht für mich behalten. Wäre das für dich ein verführerisches Angebot, dass du sagen würdest,

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du hast mir so den Mund wässrig gemacht, ich will sofort dahin. Wäre das ein verführerisches, verlockendes Angebot? Also für manche weiß ich nicht. Ich schätze nur, ein Großteil der Protestanten würde sagen, ich weiß jetzt nicht, wie ich es sagen kann ohne unsere Freundschaft, die mir total wichtig ist zu gefährden. Ich habe einfach irgendwie da, das ist weit, weit, weit außerhalb meines Einfühlungsbereichs, was du da erzählst und ich glaube, ich möchte nicht vor dem Angesicht der Muttergottes auf den Knien die ganze Nacht bei ihr sein. Nichts gegen dich und wenn mir alle, wenn mir Notare und Ärzte und alle möglichen Koryphäen bestätigen würden, dass da wirklich Wunder passieren und wenn du mir zeigen würdest, dass da Weissagungen eingetroffen

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sind, unwahrscheinliche, unfassbare Prophezeiungen, wenn ich 0,0 das wiederlegen und erklären könnte und nicht alles sehen würde, ich würde immer noch nicht wollen. Ich kann es nicht erklären, aber es ist für mich einfach jenseits meiner Vorstellungskraft, dass das mein Weg ist. So, jetzt das umgekehrte Beispiel für katholische Christen. Genau derselbe Versuchsaufbau, evangelischer Nachbar, ihr seid euch nah, ihr habt vielleicht schon mal zusammen gebetet beim Weltgebetstag der Frauen oder irgendwo, egal, ihr seid euch nah und ihr wisst, Jesus und Glaube und die Bibel, das ist total wertvoll und jetzt sag dein evangelische Freund zu dir, du ich möchte dich mal einladen zu etwas, was mir total wichtig ist, das ein Pfingst, Jugendtreffen, aber nicht so was langweiliges, was du dir denkst. Da kommen gesalbte Gottesmänner, die sind aus Nigeria, aus Mali, auch Uruguay und die haben Tote auferweckt und die können in Zungen sprechen und die reden in

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anderen Sprachen und die wirken große Wunder und sie wirken Heilung und Machttaten und wir werden da nächtelang auf den Knien in fremden Sprachen beten und wir werden miteinander Abendmahl feiern, Schwestern und Brüder und wir werden singen und lachen und weinen und in menschlichen und übermenschlichen Geräuschen die Gegenwart Gottes feiern und du kannst ja danach auch wieder katholisch, da gibt es auch Leute, die das auch und möchtest du mit, ich möchte mit dir teilen, was mir so wahnsinnig wertvoll ist. Was würdest du sagen, katholischer Mensch? Es gäbe manche, die sagen würden, super bin ich dabei, ja, da habe ich mich schon immer nachgesehen, dass ich dazu eingeladen werde und ich würde sagen, viele hätten so ein ähnliches Stammeln, weißt du, unsere Freundschaft ist mir echt total wichtig, darum fällt es mir wirklich schwer und so weiter und so weiter und so weiter. Es ist einfach, nee, ich kann das nicht und selbst, wenn ich die Wunder sehen würde und wenn ich Prophezeiungen höre und wenn da irgendeiner

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von den Fidschi-Inseln was sagt und dann springt einer aus Finnland auf und sagt, das war eine Botschaft auf Finnisch für jemand und er redet dann Finnisch und dann steht jemand auf, der ist irgendwie aus Mosambik und er sagt, ich habe es verstanden, ich habe es verstanden, es war eine Botschaft und du hörst es und du siehst es und trotzdem kann es dir passieren, dass du sagst, ich möchte trotzdem nicht niederknien und auch in fremden Sprachen reden und den Geist empfangen und bei euch dann immer, ich möchte es nicht, ich kann es nicht erklären, es ist mir zu fremd, es ist mir zu anders, es ist nicht meins. Das sind Fragen, die für einen nicht lebendig sind, es ist außerhalb, außerhalb des Vorstellungsvermögens, dass das wahr ist und jetzt müssen wir uns ja auch klar machen, das waren ja jetzt so Nachbarbrillen, das waren ja Nachbarbrillen, das waren ja so evangelische, katholische Menschen, die leben manchmal in derselben Straße, die kann man ja

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treffen, also ich musste jetzt da nicht Kreaturen erfinden, die es nur in Fantasyromanen gibt, es gibt Menschen, die genau dergleichen tun und die kennen sich manchmal auch und es kann sich sehr sehr fremd sein. Wie groß ist der Abstand zwischen Menschen, für die Gott, Religion, Glaube, alles Irrsinn ist, passé Wahnsinn, wie groß ist da der Brillenabstand? Ich glaube, es ist für alle Seiten immer wieder eine hilfreiche Meditation, solche Abstände zu betrachten. Die Frage Gott oder Glaube ist für manche Menschen mausetot. Das ist überhaupt kein Thema, überhaupt nicht elektrisch, überhaupt nicht faszinierend, sondern Sie selbst sagen für sich, ich bin halt religiös unmusikalisch und guck mal, wenn du marianisch unmusikalisch bist oder du pentecostal unmusikalisch, wenn du das sogar bist, wie viel mehr müsstest du verstehen können, warum mich deine Religion

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überhaupt nicht anhört? Es ist mehr fremd, unbegreiflich. So Brillen, wie kommt man mit solchen Brillendifferenzen weiter? Wie dreht sich hier dies weiter? Wie kommen Jesus, Petrus, wie geht es jetzt hier weiter? Wir haben ja gesehen, wie, das heißt wir haben noch nicht gesehen, das müssen wir jetzt noch sehen, wie dreht Jesus denn jetzt dieses Gespräch mit Petrus weiter? Er hätte sagen können, Petrus du Dummchen, meinetwegen sagt er auch Petrus du Teufel, aber irgendwann dann hätte man sagen können, Jesus erklär es mir doch. Ich bin was du willst, aber erkläre es mir in klarem, deutlichen, dogmatischen Paragrafen. Gib mir sieben Paragrafen, ich habe so ein Vorschussvertrauen zu dir, ich unterschreibe sie jetzt schon, aber gib sie mir, ich möchte es klar haben worum es geht, ist ja für alle anderen auch interessant.

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So dann wissen sie woran sie sind. Was Jesus dann sagt in der Fortsetzung der Geschichte ist aber irgendwie keine sieben Paragrafen, wer er denn jetzt ist. Das heißt er rief das Volk zu sich und sprach und jetzt hätte er sagen können ihr Dummchen, ihr Dummchen, jetzt kommen die Paragrafen, das ist die richtige Antwort, sagt er nicht. Er sagt, will mir jemand nachfolgen, der verleugne mir sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren, wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden. Und ein bisschen verstörend was er da sagt. Ein bisschen verstörend, weil was sagt er damit im Grunde. Du sollst nichts kapieren an sich. Es gibt keine Paragrafen, es gibt keine Objektivitätseinstellung, wo zack, zack, zack, zack, jenseits aller Brillen, quer durch alle Horizonten hindurch,

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es hingestellt wird wie es immer und ewig ist, sondern Jesus beschreibt einen Weg. Er beschreibt eine Bewegung, eine Dynamik, ein Verhalten, ein Handeln. Ein Verhalten, was ganz und gar auf Jesus, auf Gott setzt, das eigene Leben zurückstellt, Selbstverleugnung, Hingabe, ein Leben, was völlig anders gelebt wird und nicht ein Denken, was ganz anders aufgestellt wird. Warum? Was ist der Witz dabei? Warum diese Wende zum Hörer, der doch einfach vielleicht nur langsam wissen möchte, wer dieser Jesus wirklich ist. Möchte der Leser des Evangeliums vielleicht wissen, der Hörer irgendwelcher Podcast oder so. Ja, was ist er denn jetzt, wenn er das alles nicht ist? Kommt da noch eine Lösung so oder wird der Handlungsfaden jetzt einfach gekillt und jetzt kommt irgendwie was

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anderes? An der Stelle nehmen wir nochmal beim Stichwort des Geheimnisses. Letztes Jahr, Worthaus 8, habe ich die These aufgestellt und sie ist nicht von mir, evangelische Theologie, Ebert, Güngel, viele andere. Gott als Geheimnis der Welt. Gott ist kein Gegenstand, kein Sachverhalt, kein etwas oder jemand, den man an und für sich beschreiben kann in einer objektiven Einstellung, völlig abgesehen von dir und deiner Geschichte und deiner Haltung. Dazu kein Ding, auch nichts, was du begreifen, ergründen, durchrechnen, erschließen kannst, sondern er bleibt ein ewiges und durchdringliches, ganz präsentes, dir ganz nahes, aber am Ende doch faszinierendes Geheimnis. Und, das ist noch nicht alles, dies Geheimnis hat zutiefst mit deinem Leben zu tun.

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Gott ist das Geheimnis der Welt, Gott ist auch das Geheimnis eines jeden Menschen. Jeder Mensch ist gottoffen, ist gottbezogen, sagen die, die glauben. Jeder Mensch ist auf Gott in irgendeiner Weise bezogen, sodass über Gott gar keine Antworten oder Thesen oder Paragrafen denkbar sind, in denen Menschen sich nicht verändern, wandeln, darauf einstellen und in eine Bewegung geraten, in der sie an diesem Geheimnis Anteil haben. So ist das Geheimnis Gottes, so ist das Geheimnis Jesu Christi. Es gibt ja andere Geheimnisse, wo es nicht so ist. Also viele gute Geschichten bauen Spannung auf dadurch, dass sie ein Geheimnis haben. Und das Geheimnis ist etwas, was wichtig ist und man weiß es noch nicht. Und es ist zum Beispiel Harry Potter, sehr früh kriegt man mit, da ist zwischen Harry Potter und Lord Voldemort irgendwas ist da. Irgendeine Verbindung, irgendwas ist da

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zu wissen, wir wissen es noch nicht, sind wir mal gespannt. Wer bis zum Ende durchhält, Band 6, Band 7, sagt mal, oh oh oh, aha, so Kronleuchter gehen auf, Geheimnis gelüftet und dann ist es auch weg. Das ist ein ehemaliges Geheimnis. Und es gibt viele so Sachen, die sind geheimnisvoll und wenn du es gelüftet hast, ist es weg. So, da gab es das arme arme Mädchen, das Stroh zu Gold spinnen musste. Und da hat sich da ein Helferlein angestellt und der hat schon noch geholfen, der hat aber irgendwie so ein fieses Angebot gemacht und so, er hilft ihr und sie zahlt dafür mit ihrem ersten Kind, es sei denn, sie kriegt seinen Namen raus. So, und das war dem Mädchen egal und so, hat das alles gemacht, war auch alles super. Als dann das erste Kind in Erwartung guter Hoffnung und der Unhold kam, geschlichten, oh oh oh, da war das Geheimnis des Namens sehr

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interessant für sie, sehr. Und man fiebert mit und so und dann kriegt sie es raus, wie er heißt, das böse Helferleinchen, Rumpelstielchen. So, und das ist aber auch dann wirklich Ende im Gelände, der Unhold packt sein Bein, reißt sich in zwei Stücke, als Kind hat mich das immer ein bisschen verstört, aber dann ist vorbei, dann ist der ganze Alptraum vorbei und das Geheimnis ist gelutscht und dann ist es gut. So, und so ist es mit vielen Geheimnissen, sobald sie gelüftet sind, hören sie auf Geheimnisse zu sein. So, mit den biblischen Geheimnissen ist es anders, sie bleiben geheimnisvoll. Das biblische Geheimnis ist das Geheimnis des Reiches Gottes oder das Geheimnis des Evangeliums, das Geheimnis Jesu Christi oder das Geheimnis unseres Glaubens, lauter biblische Formulierungen, die sind offenbar, du weißt, was das Geheimnis des Glaubens ist, Jesus Christus, der in der Zeit erschienen ist und es bleibt geheimnisvoll. Und für die, die daran glauben, bleibt es faszinierend

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und es bewegt sie. Es gibt andere Geheimnisse, die lassen dich kalt. Wir hatten vorhin die Beispiele. Oder nehmen wir hier das T-Shirt. Vielleicht hat der ein oder andere zwischendurch mal nachgedacht, was trägt der Kerl immer für komische T-Shirts? Ist da irgendwie eine Botschaft drin? Also die, die es jetzt im Auto hören, ich trage ein T-Shirt, da ist ein Zitat drauf in Anführungsstrichen, das Zitat ist kurz, es lautet einfach nur Hodor. Und dann steht der Sprecher dieser Aussage direkt darunter und doverweise heißt er auch Hodor. Und warum trägt der Typ ein T-Shirt, auf dem steht Hodor, sagt der Hodor. So, das ist ein Rätsel. Das ist eine Zeichenhandlung, wenn man so will. Es ist ein Rätsel. Und jetzt kannst du ein IQ von 160 haben und du kannst es nicht knacken. Und du kannst promoviert haben in Theologie und Medizin und du kannst es nicht knacken. Wieso steht da Hodor, sagt der Hodor auf dem sein T-Shirt. Und ich bin so schlau und mein Nachbar scheint das zu wissen und der wirkt nicht sehr schlau. Und wie kommt das? So, und naja,

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manche hier im Saal, die fühlen sich jetzt sehr schlau, sie flüstern zu ihrem Nachbar vielleicht und so. Das ist auch so eine Serie, so, was die Leute, junge Leute gucken das heute. Genau. Und dann wird auf YouTube diskutiert und das ist diese Serie Game of Thrones, Lied von Eis und Feuer. Und unter diesen Klugen gibt es jetzt aber zwei Gruppen. Da gibt es die einen, die haben jetzt nur so die ersten Staffeln oder ersten Bücher gelesen und die fühlen sich auch schon schlau. Weil sie sagen, ja, das ist irgendwie ganz lustig, das ist so ein Typ, der ist riesengroß und der sagt immer nur ein Wort, Hodor, total komisch. Der sagt immer nur Hodor, darum heißt der auch Hodor. Ja, und das ist wahrscheinlich der ganze Witz. So, und dann gibt es andere, die sind schon durch mit der ganzen Geschichte. Die, die haben Bonuswissen. Die wissen, dass das nicht einfach irgendein Spinnkram ist, sondern dass es ein tiefes Geheimnis ist, dass in diesem Wort sein ganzes Leben steckt, seine Bestimmung, seine Existenz, dass dieser Mensch einen einzigen Auftrag in seinem Leben hatte und

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den hat er erfüllt, den hat er nach Hause gebracht. Aber hallo, wenn die ganze Serie so zu Ende erzählt werden wäre, wie von Hodor, wäre sie die beste der Welt, was sie nicht geschafft hat. So, aber wir sehen, es ist ein Rätsel. Man kann da ein bisschen was wissen und man kann alles was wissen. Ich bin mir aber auch ziemlich sicher, dass es Menschen gibt, die sagen, hoffentlich ist er mit dem Beispiel bald durch, weil es interessiert mich gar nicht. Es interessiert mich überhaupt nicht. Ich will nichts wissen von Serien, wo Hexen und Zombies und Zauberer und Sex und Gewalt, nein. Und wenn du mir wie sonst wie sagst, da sind aber auch sehr schöne Landschaftsaufnahmen aus Nordirland oder so, weil nicht mal dafür würde es mich, es interessiert mich gar nicht, überhaupt nicht. Eine Brillenfrage. So, ist das eine lebendige Frage oder nicht? Dies Geheimnis ist ein kleines Geheimnis, ein schwaches Geheimnis. So, ein Geheimnis, irgendwie ein Geheimnis, aber es ist egal. Gott als

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Geheimnis ist ein großes Geheimnis. Ein großes Geheimnis, was mit dem Universum und jedem einzelnen Menschen zu tun hat und in dieser Form offen ist. Was ist nun das Geheimnis Jesu? Wir sehen, es gibt jetzt offenbar nicht die Objektivitätsbrille, die man aufsetzt und dann kann man sagen, so, diese Brille übersetzt dir das Ganze in mitnehmbare Paragrafen. Du kommst jetzt auf Thesen, du kommst jetzt auf irgendein Ergebnis, wer Jesus ist und dann kannst du heute an ihn glauben, wenn du es verstanden hast, musst du an ihn glauben, das ist alles relevant, aber das können wir jetzt definitiv erklären. Naja, was ist das Geheimnis Jesu? In dieser Antwort in seinem Auftreten sein Geheimnis ist, er hat sein ganzes Leben auf Gott gesetzt. Alles, was er tut, alles, was er sagt,

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alles, was er erzählt, alles, was er dichtet, in jeder Weisung, in jeder Drohung, in jedem Gebot, in jeder Verheißung, lebt und denkt er auf Gott hin, ist er der ganz und gar auf Gott bezogene Mensch und alles bei ihm dreht sich um Gottes Reich, das ist seine Botschaft und alles, was er verkündet und bezeugt und tut, ist Gottes Wille und alles dreht sich darum, dass der Name Gottes geheiligt wird, dass Gott groß wird. In jeder Geschichte, in jeder Handlung, in jeder Umgangsweise mit anderem, das ist es. Das ist diese Dynamik und das ist nicht auf Formeln zu bringen, ob das was ist, ob das akzeptabel ist, interessant. Aktuell hat Art Schlicht damit zu tun, ob man diese Gottesfrage als relevant empfinden kann, aufgreift, akzeptiert, für diese Gottesfrage in irgendeiner

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Form wachgeküsst wird. Man kann für diese Frage in einem sehr, sehr, sehr tiefen Schlaf sein, wo sie einem noch egaler ist als Hodor, sagt der Hodor, einfach völlig egal. Höchstens, dass man so ein bisschen Überdruss hat und dass das ständig irgendwie kommt und nicht endlich mal irgendwie abgefrühstückt ist das ganze Thema. Es kann sein und naja, seit 2000 Jahren immerhin schon, was eine lange Zeit ist, gibt es immer wieder Menschen, die sich an diesen Namen und dieser Frage entzünden lassen. Menschen, denen auf einmal so ist, als würden sie wach und die hineingeraten in eine große Sehnsucht und in eine Suche und in ein Verlangen und in ein Klopfen und ein Probieren und in ein Abtasten und in einem sich Vorfühlen und Fragen und vielleicht mal

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irgendwo wirklich mit hinfahren, bevor man immer Angst gehabt hat, um mal zu hören, um mal dabei zu sein, weil auf einmal ist es so, als wäre so eine andere Brille denkbar. Man hat sie noch nicht auf, aber man kann auf einmal verstehen, es gibt Menschen, die tragen eine Gottesbrille und das ist nicht idiotisch. Es ist anders, es ist mir sehr fremd, es ist mir völlig unvertraut. Ich muss es aber nicht für Quatsch oder Unsinn oder Verboten erklären und ich kann anfangen, mich darüber zu wundern, warum ist diese Gottesbrille so langlebig? Was sieht man dadurch? Ich kann mich der Idee annähern, dass man diese Gottesbrille tragen könnte und dass man vielleicht irgendetwas sieht, was anders ist, was schön, was heilig, was groß, was faszinierend, dass da irgendetwas

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gesehen wird, was andere nicht sehen. Und das ist nicht sofort falsch und es ist nicht sofort richtig, aber es kann eine Frage werden. Wir haben in dieser Geschichte gesehen, Jesus sprengt alle Brillen, die die Menschen so im Angebot hatten. Er ist größer als alle mitgebrachten Deutungsschemata, er sprengt alle Begriffe, sie genügen allen nicht. Vielleicht kann man es auch so drehen, vielleicht ist er nicht einfach jemand, den man durch irgendeine Brille richtig sieht. Vielleicht ist das die falsche Frage, wie müsste meine Brille sein, dass ich Jesus richtig sehe? Vielleicht müsste man anders fragen, und was ist, wenn Jesus die Brille ist? Was ist, wenn ich von ihm her oder im Blick auf ihm überhaupt erst mich richtig sehe, andere richtig sehe? Was ist, wenn er die Brille ist,

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er diejenige, durch den ich Gott auf einmal neu sehe, nicht besserwisserisch, nicht bedrückend, nicht bevormundend, nicht raumeinnehmend und luftabdrückend, sondern befreiend, barmherzig, faszinierend, begeisternd? Was ist, wenn ich durch ihn durch auf einmal einen Gott sehe, der anders ist als das, was ich mir immer unter Gott vorgestellt habe? Und was ist, wenn es noch mal anders ist, wenn dieser Genitiv Brille Gottes funktioniert wie eine Brille? Es gibt so Genitiv, da kann man durch beide Richtungen durchgehen. Man kann sagen, die Brille, durch die man Gott sieht, aber auch die Brille, durch die Gott mich sieht. Was ist, wenn Gott uns durch diesen Jesus anschaut? Wenn das passiert, wenn ich nicht auf einmal Jesus sehe durch eine andere Brille, sondern umgekehrt,

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er das ist, durch das hindurch ich mich und Gott und die Welt in ganz anderer Weise wahrnehme und mich wahrgenommen und angesehen weiß. Ich hatte am Ende versprochen, auf den Segen der Bibelwissenschaft zu sprechen zu kommen. Was kann der Segen der Bibelwissenschaft in solchen Fragen sein? Muss man zunächst mal natürlich sagen, Segen der Bibelwissenschaft, das ist ein bisschen Provokatier formuliert, das erleben nicht alle so. Manche schon. Also es gibt Menschen, die kommen heute an der Universität und für die ist die Bibelwissenschaft so ein kleiner Segen. Weil, sagen wir, wie es ist, es gibt immer mehr Menschen, die kommen so ins Theologiestudium hinein aus einer Vorprägung, wo sie die Bibel noch nicht so intensiv kennen und lesen gelernt haben. So, also es gibt Menschen, die stolpern im Theologiestudium in die Bibel hinein,

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wie moderne Volksparteien in YouTube. So, dass man auf einmal irgendwie denkt, so auf einmal Neuland, Hilfe, alles unreguliert oder so, ich kenne mich hier nicht aus, kann mir jemand helfen und so. So, und für so Menschen ist die Bibelschaft ein Angebot, die sagt ja, ihr Arme, wer liest das noch, wir sind das gewohnt, aber guck mal, wir helfen dir. Also ein bisschen Bibelkunde und wir lernen alte Sprachen, wir sitzen in kleinen Kreisen heutzutage zusammen, wir bringen dich so ein bisschen hier auf die Sprünge, das ist alles gut. Und für so Menschen, die machen das ganz gern, Exegese, weil sie lernen die Bibel kennen und es geht bei ihnen auf nichts kaputt, da war nichts, was irgendwie in Gefahr war oder so und ist gut. So, es gibt sogar Menschen, die kommen ins Theologiestudium und erleben die Bibelwissenschaften als großen Segen, weil sie kommen ins Theologiestudium und kennen die Bibel, so ein bisschen, sie haben auch gelesen, recht viel für junge Menschen, das sind seltene, zarte Exemplare, die es heutzutage gibt, aber es gibt's, die kennen gut die Bibel schon so ein

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bisschen und sie kommen ins Studium und haben was mitgebracht. Die haben so einen Spannungskopfschmerz mitgebracht. Die wissen nicht mehr, was angefangen hat, aber die kennen das so, dass sie immer wieder mal so, ah, kleine Anfälle, manchmal beim Bibel lesen, lesen sie was und es fällt ihnen irgendwas ein aus dem Physikunterricht und so und sie blättern schnell weiter, aber es bleibt so ein Spannungskopfschmerz. Und es gibt andere, sie lesen da irgendwie, was das und das sollst du machen und es rutscht ihnen der Gedanke raus, warum? Und sofort schlucken sie ihn wieder runter, weil sie in der Gemeinde sind, wo man so nicht laut warum fragt. Das ist nicht üblich, das gehört sich nicht. Es ist ihnen rausgerutscht, es ist ihnen ein bisschen peinlich oder so und sie haben so einen Spannungskopfschmerz und sie hören manchmal Predigten, wo sie manchmal irgendwie so das Gefühl haben wie ein Flugzeug, so ein Luftabsacker oder so, wo sie denken, oh, hoffentlich sind wir bald

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gelandet, weil mir geht's nicht gut damit. Das, was ich glaube, ich glaube es ja und ich will es auch glauben und was ich höre und was ich in der Welt sehe und was ich woanders lerne, ich kriege es nicht zusammen. Spannungskopfschmerzen. So und wenn da in der exegetischen Ausbildung jemand ganz freundlich sagt, hast du schon mal überlegt, dass deine Spannungskopfschmerzen daherkommen, dass du die Bibel mit einer Brille liest, die dir wirklich gut tut. So mit einer Voreinstellung, dass du in der Bibel alles für 100 Prozent und 1000 Prozent immer chronologisch und historisch und geologisch und geografisch und alles exakt und richtig, das ist eine Brille. Du siehst das so, na klar, aber was du siehst, ist die Tönungsfarbe deiner Brille. Wenn du die Texte anders liest,

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ohne die Brille deiner Gemeindeprägung, probier mal, ob die Spannungskopfschmerzen nachlassen. Und so kann die Bibelwissenschaft regelrechte Heilungswunder bewirken. Also ich hab Menschen vor Augen, die sind selbst durch Worthaus da auf Trips gekommen, die hätten sie in einer früheren Frömmigkeitssprache als Heilung gefeiert, weil Spannungskopfschmerzen sich auf einmal auflösen, nur dadurch, dass man bestimmte Dinge in der Bibel nicht mehr so liest und sagt, das war meine Färbung, meine Eintönung, das steht da gar nicht. Ist da gar nicht gemeint. Das ist gar nicht der Sinn. Und für solche Menschen, für solche Schmerzen können die Bibelwissenschaften ein großer Segen sein. Man sollte an der Stelle aber auch nochmal wahrnehmen, das geht nicht allen so. Also mir zum Beispiel, es ist gar nicht so gegangen, mein exegetisches Pro-Seminar hat mich für Jahre traumatisiert, muss ich sagen. Ich bin da nämlich reingekommen mit sehr viel Vorfreude

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und Begeisterung. Ich hatte davor in einem halben Jahr die Bibel anderthalb mal komplett gelesen und war im Bibel Jesus Hallelujah Rausch und hatte das Gefühl, ich bin am Ende einer langen Lebensreise, ich war 20, aber man fühlt sich so wahnsinnig abgeklärt mit 20, man studiert und so. Also so selbstbewusst ist man lange lange nicht mehr. So, aber so kam ich da rein und dachte nach meiner langen Lebensreise, ich habe Gott gefunden und ich habe das Licht gesehen. I saw the light und ich habe das Wort gehört und Jesus und so und jetzt exegese, jetzt wird das alles noch verhundertfacht an Kraft und Tiefe. Und dann kam ich da rein und da wurden dann Brillen anprobiert und so. Und jeder bekam einen und wir sollten sie aufsetzen, dann sollten wir auf die Texte schauen und ich hatte eine ganz grobe, also ich bekam Spannungslaufschmerzen, weil auf einmal las ich Texte, die mir lieb und

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teuer waren und ich guckte da rein und Gott war weg. Da dachte ich, ja wie, der war doch gerade noch da. Das war doch, das waren Geschichten und jetzt, was ist das für ein Uploadfilter hier in dieser Brille? Ich habe das Gefühl, hier ist so eine Blockierfunktion, dass alles, Gott, heiliger Geist, Wunder verboten. So, es wird alles abgeblockt und alles ist irgendwie in unendlich weite Ferne gerückt und dann ist es dreidimensional und ich habe so Schwindelgefühle, mein Gleichgesichtsinn ist darauf nicht eingestellt und ich werde belästigt, wie viele Typen es gab, die Herodes gehießen haben. Ich dachte, es gäbe nur einen und dann multiplizieren die sich und vier, fünf kommen in der Bibel vor und dann gibt es noch viele andere. Das hat mir alles nicht geschmeckt und ich habe mich dann über die Brille beklagt und habe versucht zu diskutieren und zu streiten und gesagt, hören Sie mal, mit Ihrer Brille ist was nicht in Ordnung. Also ich habe da ganz klar Dinge erkannt im Glauben

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und mit diesem komischen Ding alles weg. Ja, da stimmt doch was nicht, wenn das Wichtigste in dieser Brille ständig gelöscht ist. Aber ich war da nicht sehr erfolgreich, so hat man mir erklärt, nee, hören Sie mal zu, die Brille wird hier getragen und wir erwarten von Ihnen, dass Sie einen Bibeltext auslegen, so dass Sie permanent dabei diese Brille aufhaben. Sie dürfen auch nicht zwischendurch da mal heimlich gucken, oder? Nein, das lassen Sie weg, das wird Punktabzucht, das werden Sie in Ihrer Note merken, wenn Sie es tun. Das war übrigens auch die schlechteste Note, die ich da bekommen habe, seit der siebten Klasse und in meinem ganzen Leben irgendwie, Exegensches Pro-Seminar, weil ich habe manchmal so geguckt, aber das wurde dann so angestrichen am Rand und so, das kam ganz schlecht an, dass ich da so irgendwie das Gefühl habe, jetzt muss ich noch mal Zeugnis geben oder so. Dass die das für falsch fanden, fand ich wirklich sehr, sehr unverschämt. Also, es war für mich kein Segen, es war für mich kein Segen, es war eine Zumutung, es war für mich

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irgendwie ein völlig falsches Konstrukt, eine Fehlkonstruktion, Menschen mit solchen Brillen zu foltern, dass das gehört, eigentlich bestraft. Was ist Segen? Wir haben bisher das Wort so im Alltagsverständnis genommen. Die Gesegneten des Herrn in der Bibel sind nicht immer die, mit denen man spontan tauschen möchte. Ihr könntet Jakob mal fragen, der hat schon mal eine ganz komische Nacht mit Jakob. Die ist auch mit 3D-Brille, ist die immer noch komisch, also kann jeder probieren, eine ganz komische Nacht, wo aber Jakob gesagt hat, komm, jetzt ist die Nacht schon so komisch, jetzt siehst du durch, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Und dann wird er von Gott gesegnet, aber er kann auch nie wieder richtig geradeaus gehen. Ständig hat er einen Humpel, er hat was an der Hüfte, er ist verletzt, er ist verwundet, er ist beschädigt. Und sehr viele

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Segensträger zahlen einen großen Preis für ihren Segen. Können sie alle durchgehen. Mose, der sein ganzes Leben auf ein Ziel hinlebt und dann ist er vor der Tür und dann heißt es, du kommst hier nicht rein. Oder Aaron, der seine Söhne verliert. Wir können jetzt alle, alle, alle, viele Segensträger. Gottes Segen ist nicht heile, heile Segen, ist kein Rosenbett, ist nicht ein betüttelt werden, ist nicht voll Kasko. Gott segnet manchmal ganz schön heftig, weil sein Segen wachsen lässt, Gedeihen schenkt Reifung, Fruchtbarkeit, Wachstum. Und Wachstum ist immer mit Wachstumsschmerzen verbunden, immer. Was machen denn die Bibelwissenschaften mit ein? Ja, sie machen schlimme Dinge, sie nehmen einem Gott weg. Die Bibelwissenschaften nehmen dir

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deinen Jesus weg. Und wenn du mit deinem Jesus glücklich warst, ist das nicht vor Genügung steuerpflichtig, dass dein Jesusbild, wo Messias und Sohn Gottes noch so alles wunderschön ineinander passte, dass du da auf einmal mit so ganz komischen Mosaik stehst und dein Jesusbild lauter Risse und Sprünge bekommt. Was soll daran gut sein? Naja, du kannst das lernen, dass Jesus nie dein Jesus ist, dass er immer größer ist, immer anders. Und die Bibelwissenschaften lehren das auf eine harte Tour. Sie machen dir beim Bibellesen deutlich, wie viel brillengesteuert vieles ist und wahr oder wider sein wird, was du denkst. Und immer wieder der Abgleich, gucken und die Texte und die Worte und die Wortbedeutung und die Grammatik und der Hintergrund und so weiter,

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ist ein hartes Geschäft, ist eine harte Prüfung, ein immer wieder neues Rütteln und Schütteln. Kann das gemeint sein? Ist es richtig? Oder musst du bestimmte Verständnisweisen nochmal ganz neu denk, nochmal loslassen, dich nochmal auf die Suche begeben, nochmal ganz neu fragen, wie ist es denn eigentlich? Und ja, ich würde sagen, darin liegt ein Segen. Wenn du gezeigt bekommst, dass du eine Brille trägst, kann das manchmal schlimm sein. Ist ja ein intimer Bereich. Wenn dir hier einer hinfasst, gibt ja Menschen, die machen dir Erfahrungen, wenn du ihm so zeigst, guck mal, da ist so eine Brille, da sagen sie, au, du hast mir ins Auge gestochen, das tat weh. Also manche Menschen machen mit Wort aus die Erfahrung, dass sie sagen, der hat mir ins Auge gestochen, so meine Brille zeigen, von wegen. Das ging voll auf die Nase. Weil es ein intimer Bereich ist, hinterfragt zu werden, im eigenen Glauben, im eigenen Jesusbild, daran zu rütteln, an Dinge, die für manche zentral

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sind. So, das ist keine, das ist eine gewichtige, gravierende Sache. Und trotzdem ist es immer ein Segen, Voreinstellungen zu entdecken, die der Sache nicht gerecht werden. Von Brillen befreit werden, die eine falsche Färbung mit sich bringen. Jetzt mag man fragen, ja, Moment, Moment mal, aber was ist, was ist, wenn die Bibelwissenschaften selbst eine ideologische Färbung und Tönung in die Bibel reintragen? Wird immer so getan, als wären die Bibelwissenschaften irgendwie das wahre und das wissenschaftliche und das neutrale und objektive. Was ist, wenn die, wenn die das drin haben? Naja, das Thema begleitet die Bibelwissenschaften seit Generationen. Also, wenn du glaubst, bei einem Bibelwissenschaftler damit einen Wirkungstreffer zu erzielen, indem du ihn fragst, hast du schon mal überlegt, dass deine bibelwissenschaftliche Arbeit auch

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ideologiegesteuert ist, auch irgendwie voreingenommen? Dann wird er sagen, ja, frage ich mich dreimal am Tag. Ich habe es mich tausendmal gefragt. Ich habe es so oft gelesen, dass ich gar nicht mehr mitzählen kann. Das ist mein Alltagsgeschäft. In der Geschichte unserer Wissenschaft entdecken wir je und je und je ständig, dass alle Versuche, historisch und wissenschaftlich Jesus zu zeigen, sehr viel Prägung reinbringt, sehr viel Kultur. Seit Jahrzehnten wird in der Bibelwissenschaft bemerkt, da müssen sich ältere, renommierte Exegeten von jungen Assistentinnen an die Brille tippen lassen. Ob da nicht vielleicht das Problem ist, dass sie Exegese treiben durch eine Brille, die alles einfärbt weiß, westlich und männlich? Erst haben die Kollegen gesagt, ja, das kann ja gar nicht sein, ich mache ja Wissenschaft hier. Inzwischen ist die große Mehrheit bereit zuzugeben, stimmt vielleicht, vielleicht, ja, weiß, westlich und

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männlich. Jetzt muss ich noch mal nachdenken. Nein, also die meisten akzeptieren das, dass das so ist, dass ihr Geschäft ständig Ideologie bedroht ist, ständig Ideologie anfällig. Man entdeckt es natürlich bei der Vorgänger-Geration am leichtesten, da kann man immer zeigen und ganz genau und die Ahnung spielt aber immer mit. Und was ist mit uns? Der Vorteil halt ist, Bibelwissenschaften sind ja kein Kuschelklub, wo man sich alle immer heimlich abends treffen und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, dass sie so prima Läutchen sind und die weiß halb mit Löffel gefressen haben. Es ist ja im Grunde ein kollektives Unternehmen zur gegenseitigen Überwachung und Kontrolle und Anschwärzung und Ausmerzung aller Engführung. Es ist ein kämpferisches System, wo es immer geht,

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es noch besser und noch genauer und klarer und präziser und kritisch gegenüber dem bisherigen Forschungsstand zu sagen. Man kommt nie, nie aus der Gefahr heraus, ideologisch verblendet zu werden, eingefärbt in weiß westlich oder männlich oder vielleicht auch noch ganz andere Filter. Es ist aber immerhin etwas, wenn man grundsätzlich bereit ist, sich da ständig zu prüfen. Und das findet statt in den Bibelwissenschaften. Darum glaube ich, können sie ein Segen sein. Ein Segen, Dinge zu hinterfragen, Dinge zu überprüfen und sie nochmal ganz neu und anders wahrzunehmen.

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Die Nachfolge – Wie kann man heute an Jesus Christus glauben? | 9.1.1

Worthaus 9 – Tübingen: 7. Juni 2019 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

»Jesus? Der schon wieder! Hat der nicht genug Aufmerksamkeit bekommen 2000 Jahre lang? Der ist doch langweilig.« So gähnte nicht nur Thorsten Dietz als Schüler. Andere dagegen treibt die Frage nach diesem Jesus ein Leben lang um. Und auch Dietz hat angefangen, sich damit zu beschäftigen, schließlich ist er Professor für Systematische Theologie. Kompliziert und akademisch ist sein Auftaktvortrag zur neuen Worthaus-Reihe trotzdem nicht. Im Gegenteil, wie immer wortgewandt und witzig reißt er seine Zuhörer mit, erklärt diese Frage und die Menschen, die sie stellen. Und dann setzt er sich auch noch eine alte Festival-Brille auf und rückt damit unsere Weltsicht zurecht.