Das Thema, das wir uns gestellt haben, heißt einen unverstellten Blick gewinnen. Ich muss mit einem badischen Dialektdichter beginnen. Mir ist nämlich ein Gedicht eingefallen von einem meiner Lieblingsdichter. Der heißt Harald Horst und wohnt in Karlsruhe-Durlar. Und eines seiner Gedichte heißt Gute Fernsicht heut. Das will ich euch mal kurz vortragen. Gute Fernsicht heut. Man sieht ganz deutlich mit dem bloßen Aug das Brett vorm Kopf. Also, da hat irgendeiner einen verstellten Blick. Und das Thema, das wir uns erklärtermaßen gestellt haben, heißt einen unverstellten Blick gewinnen. Das Thema lohnt sich. Es lohnt sich dafür, ein paar Tage nach Weimar zu kommen.
Denn das Thema heißt ja, einen neuen Blick gewinnen. Etwas sehen lernen, was man bisher gar nicht im Blickfeld hatte. Neuland zu betreten. Natürlich hat keiner von uns einen unverstellten Blick. Ich selber selbstverständlich auch nicht. Wir nehmen alles selektiv wahr. Es gibt eine Menge Faktoren, die unseren Blick trüben. Wir haben Ausblendungen. Und es wird auch so bleiben bis zu unserem Tod. Also, keine falschen Hoffnungen. Trotzdem ist das Ziel gut. Denn so absolut ist es ja nicht gemeint, dass wir überhaupt nicht mehr beeinflusst werden würden. Sondern es gibt schon Bretter vor dem Kopf. Die können wir tatsächlich beiseiteschieben. Und es ist ein lohnenswertes Ziel, die Brille, die wir alle auf der Nase haben, zuzugeben, zu erkennen.
Das ist der erste Schritt, dass wir sie ein Stück weit abnehmen können. Wir werden uns in den folgenden Tagen mit einem Geheimnis beschäftigen. Das Wort Geheimnis spielt eine große Rolle in der Homepage von Wordhaus, und zwar völlig zu Recht. Es geht darum, dass wir einen unvorstellteren Blick auf ein Geheimnis gewinnen. Ein Geheimnis ist etwas anderes als ein Rätsel. Rätsel haben eine Lösung. Und wenn man die Lösung kennt, dann ist der Reiz des Rätsels dahin. So ist es bei einem echten Geheimnis nicht. Erstens haben echte Geheimnisse keine einfache Lösung. Sondern es läuft da ganz anders. Je mehr ich mich mit diesem Geheimnis beschäftige, je mehr ich mich diesem Geheimnis öffne, desto geheimnisvoller wird es.
Und je mehr ich es spüre, desto stärker wird der Sog dieses Geheimnisses auf mich. Seit ungefähr ganz grob 20 Jahren, das weiß ich von unseren Philosophieprofessoren an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg, seit ungefähr 20 Jahren, können auch 30 oder 25 sein, sind sich die führenden Wissenschaftstheoretiker der Welt international einig in den großen Philosophie-Kongressen, dass man den Menschen nicht definieren kann. Der Versuch ist prinzipiell zum Scheitern verurteilt. Es heißt also nicht, wir können leider jetzt noch nicht wissenschaftlich sagen, wer der Mensch ist, sondern es ist Einigkeit unter den führenden Fachleuten, dass es prinzipiell unmöglich ist, mit wissenschaftlichen Mitteln zu sagen, wer ist der Mensch.
Es gibt zwar eine psychologische Anthropologie, eine biologische Anthropologie, es gibt eine medizinische Anthropologie, eine soziologische, eine pädagogische, eine sportwissenschaftliche Anthropologie, also Lehre vom Menschen, aber wenn man alle diese Anthropologien zusammenaddiert, wissen wir immer noch nicht, wer der Mensch ist. Wir wissen zwar viel mehr über den Menschen als früher, aber wir wissen nicht, wer er ist. Also es ist heute Einigkeit unter den führenden Wissenschaftstheoretikern. Der Mensch ist ein unergründliches Wesen, er ist ein Geheimnis. Die Frage, wer ist der Mensch, ist offen. Und in der offenen Situation schlagen die Mitarbeiter von Wordhouse vor, dass wir einmal probeweise die Frage, wer ist der Mensch,
kombinieren mit der Frage, wer ist Gott. Das heißt, wir verknüpfen das eine große Geheimnis mit einem anderen großen Geheimnis, aber vielleicht kommen wir so weiter. Hängt das Geheimnis, wer ist der Mensch, vielleicht entscheidend zusammen mit dem Geheimnis, das wir mit dem Wort Gott bezeichnen? Wenn Menschen mit einem echten Geheimnis konfrontiert werden, werden sie mit ihren eigenen Grenzen konfrontiert. Was sie nicht wissen, nicht durchschauen, was sie nicht erobern können, was sie nicht organisieren können, was sie nicht beherrschen können. Also sie werden mit ihren Grenzen konfrontiert. Und das kränkt. Das kränkt uns alle, wenn wir uns nicht umgekehrt haben. Wenn wir deutlich auf unsere Grenzen hingewiesen werden. Und viele Menschen, das kann ich auch gut verstehen,
haben keine Lust, sich kränken zu lassen. Sie beschäftigen sich lieber mit anderen Dingen, die sie können, wissen, durchschauen und beherrschen. Sie wollen sich lieber mit Dingen beschäftigen, wo man ziemlich sicher von vornherein sagen kann, dass es sich lohnt. Aber wir sollten auch bedenken, Geheimnisse können ganz schön spannend werden. Echte Geheimnisse haben einen tiefen Reiz. Und es kann schon sein, dass wir feststellen und uns eingestehen müssen, sapper lot, ich hab das unterschätzt. Dieses Geheimnis ist ja viel spannender als ich dachte. Wir werden also dieses Geheimnis in den nächsten Tagen nicht lüften, sondern wir werden tiefer hineingezogen werden. Und wir vom Wothaus haben mal so gesagt, wir werden mal probeweise die Frage nach dem unverstellten Blick,
nach diesem Geheimnis, probeweise aus einer bestimmten Perspektive wahrnehmen. Nämlich aus einer christlichen Perspektive. Wir fragen also nach dem Geheimnis des Menschseins und dem Geheimnis Gottes probeweise aus einer christlichen Perspektive. Wir fragen das aber mit wissenschaftlicher Qualität und wissenschaftlicher Redlichkeit bei voller Freiheit des kritischen und skeptischen Denkens und ohne traditionelle Vorgaben. Soweit mal ein paar Annäherungen. Und jetzt versuche ich ein paar Schritte, uns diesem Geheimnis anzunähern. Als zweiter Schritt erste Klärungen. Die erste und entscheidende Klärung ist,
dass es im christlichen Glauben, aus dessen Perspektive wir jetzt probeweise mal alles durchbuchstabieren, dass es im christlichen Glauben entscheidend um eine Person geht. Um eine einzige bestimmte Person, die geschichtlich gelebt hat. Der Name dieser Person ist Jesus aus Nazareth. Und der christliche Glaube steht und fällt mit dieser Person. Der christliche Glaube ist so attraktiv, wie diese Person attraktiv ist, so glaubwürdig, wie diese Person glaubwürdig ist. Jesus aus Nazareth ist das Attraktivste, was der christliche Glaube zu bieten hat. Also es geht entscheidend um diese Person. Wenn man das mal vergleicht mit Mose im Judentum, ein Jude glaubt nicht an Mose, aber Christen glauben an Christus.
Juden bezeichnen sich auch nicht als Mosianer. Muslime legen Wert darauf, dass sie nicht Mohammedaner sind. Aber wir Christen nennen uns nach Christus, nach Jesus Christus. Es gibt die fünf Bücher Mose. Aber in diesen fünf Büchern Mose spielt Mose selber bei Weitem nicht eine so zentrale Rolle wie Jesus aus Nazareth in den Evangelien. Es heißen zwar die Mosebücher Mose und die Evangelien heißen Evangelien. Die zentrale Stellung Jesu in den Evangelien ist aber weitaus größer. Auch Muslime glauben nicht an Mohammed. Wenn ich jetzt mal so Blicke auf andere Religionen werfe, und das ist sehr wichtig, will ich an der Stelle vorneweg sagen, ich werfe Blicke auf andere Religionen lernbereit und freundschaftlich. Ich glaube, dass die Weltreligionen Freundschaft miteinander schließen müssen,
denn unsere Welt ist so bedroht wie niemals zuvor. Ohne Frieden zwischen den Religionen wird es keinen Frieden zwischen den Nationen geben. Ich habe zum Beispiel ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis zum Judentum und ich habe ein freundschaftliches Verhältnis zum Islam. Nur damit es von vornherein klar ist. Ich teile mein Büro mit einem Imam und Islamwissenschaftler. Wir sind befreundet, wir haben viel voneinander gelernt. Wir werden mit 30, 33 Studierenden im September die Islamwissenschaftliche Fakultät der Universität Rabat besuchen und mit berühmten islamischen Professoren interreligiöses Lernen probieren. Denn Islam und Christentum sind die zwei größten Weltreligionen. Es wird für die Zukunft der Menschheit sehr wichtig sein, wie diese Weltreligionen miteinander umgehen. Ob argwöhnisch, misstrauisch oder freundlich, friedlich und lernbereit.
Also ich stehe anderen Religionen durchaus freundschaftlich und lernbereit gegenüber. Ich bin sicher, dass ich von Hinduisten viel lernen kann. Trotzdem muss man solche Vergleiche jetzt mal machen. Also Jesus steht auf eine Art und Weise im Mittelpunkt im christlichen Glauben. Zwar nennen sich auch Buddhisten nach Buddha. Das kann man trotzdem nicht ganz vergleichen. Denn nach der Wiedergeburtslehre kommt Buddha immer wieder. Es gibt immer wieder Verkörperungen von Buddha. Es gibt nicht den einen historischen Buddha, aber es gibt nur den einen historischen Jesus aus Nazareth. Also das ist ein großer Unterschied. Gut, also wenn man denken kann, der Dustininkern mag sich noch mal auf dieser Ebene der Religionen. Früher gab es Naturreligionen, fast alle Religionen der Antike
sind Naturreligionen. Ich nehm mal als Beispiel die kananaische Fruchtbarkeitsreligion. Mit der hat Israel am meisten zu tun gehabt. Ich hab noch nie eine Religionsstunde erlebt in 19 Jahren Praktikum in Schule mit Studenten. Dass ein Student oder eine Studentin eine freundschaftliche Religionsstunde eine sehr sympathische, kananäische Fruchtbarkeitsreligion gehalten hat. Niemals habe ich eine faire und freundschaftliche Stunde über die Kananäer gehalten. Immerhin, wir verdanken ihnen den Wein und das Alphabet. Und diese Kananäer hatten also eine ziemlich sexy Fruchtbarkeitsreligion. Sie verehrten den Regen als Sperma. Wenn also es regnet, haben die Götter einen Orgasmus. Und dieser Regen befruchtet die Erde. Natürlich sind alle Naturreligionen polytheistisch. Das ist auch gut so. Das ist eine Weisheit der Völker. Wir dürfen ja nicht sagen, die blöden Völker
mit ihrer polytheistischen Religion. Also polytheistisch heißt, sie glauben an viele Götter. Ich möchte Ihnen mal kurz beschreiben, warum das so ist. Alle Menschen der Welt, ob Wikinger oder in Sumatra oder in Afrika, spüren, dass es starke Kräfte im Leben gibt, die viel mächtiger sind als sie selber. Zum Beispiel die Fruchtbarkeit. Oder die Gemeinschaft. Es gibt keine Singles im Orient. Gehen Sie mal als Single in die Wüste. Sind Sie gar nicht lebensfähig. Also der Klan, die Sippe, die Gemeinschaft ist eine wunderschöne starke Kraft. Ohne sie könnte ich nicht leben. Ich könnte gar nicht aufwachsen. Oder nehmen wir mal das Licht, die Sonne, das Licht. Stellen Sie mal vor, wir hätten nur drei Stunden am Tag Licht und 21 Stunden Dunkelheit. Da hätten Sie eine völlig andere Philosophie. Ihr ganzer Lebensstil, Ihre ganze Philosophie hängt schon mal damit zusammen, dass Licht und Dunkelheit ungefähr gleich stark sind.
Das sind ganz tiefe Voraussetzungen, die wir uns überhaupt nicht bewusst machen. Aber diese Weisheit der alten Völker, die alle ausnahmslos polytheistisch waren, und es muss ja einen satten Grund haben, die waren ja nicht dumm. Nein, die haben gemerkt, es gibt die Fruchtbarkeit, es gibt die Gemeinschaft, es gibt das Licht, es gibt aber auch das Wachstum und andere Kräfte. Und diese Kräfte, denen verdanken sie ihr Leben. Und deswegen waren sie dankbar und glücklich, dass es Licht gibt, Fruchtbarkeit, Wachstum und Gemeinschaft. Und sie wollten diese Dankbarkeit ausdrücken. Und wie drückt man es aus im Bekenntnis, im Gebet, in Liedern? Und so verehrten sie diese Grundkräfte des Lebens. Ist doch irgendwie schön, ist doch auch weise, ist klug. Was ist denn da dumm? Also, es ist völlig klar,
dass alle Religionen, Naturreligionen polytheistisch sind, weil es gibt nicht nur eine Grundkraft, sondern es gibt mehrere. Man kann ja nicht sagen, Licht ist das Gleiche wie Wachstum oder wie Gemeinschaft. Nein, es gibt mehrere Grundkräfte, denen ich mein ganzes Leben verdanke. Und diese Dankbarkeit haben sie ausgedrückt in ihren Riten und Gebeten. Da gehe ich schon davon aus, dass der Schöpfer alles Lebens diese Völker liebt und dass er sie versteht. Gut, was gab es sonst noch an Religionen in der Antike? Es gab Stammesreligionen, Volksreligionen und Staatsreligionen. Aber jetzt gehen wir mal einen Schritt weiter. Nach diesen antiken Völkern, da waren ja alle religiös. Jeder hat die Sonne verehrt und den Regen und das Wachstum. Denn es waren geheimnisvolle Kräfte. Wir wissen übrigens heute auch noch nicht, wir haben ja eine promovierte Biologin unter uns,
also ich bin kein Biologe, aber was Wachstum letztlich ist, so bin ich von biologischen Wissenschaftlern belehrt worden, ist auch heute, wir können vieles beschreiten, aber Wachstum ist im Tiefsten auch für uns heute ein Geheimnis. Also das war die Ehrfurcht vor diesen Geheimnissen. Danach entstehen aber nur noch fünf Weltreligionen. Judentum, Christentum, Islam und noch älter Hinduismus und Buddhismus. Es ist also nicht so, dass alle fünf Jahre eine neue Religion entsteht. Da hat mal jemand sich was religiös ausgedacht und da hat mal jemand eine religiöse Erfahrung geschickt, vermarktet, und zack, haben wir eine neue Religion. Das sind sehr dümmliche Erklärungen. Wir haben seit 1.200 Jahren keine neue Weltreligion mehr. Die letzte ist der Islam. Man könnte noch sagen, Bahai-Religion, im gewissen Sinn ist es auch eine Weltreligion. Und auch die Zara-Tustra-Religion gibt es bis heute.
Also wenn man die dazu nimmt, dann hätten wir sieben Weltreligionen. Aber von den großen klassischen Weltreligionen, denen Hunderte von Menschen jahrhundertelang Geborgenheit verdanken, das entsteht nicht einfach so Flux, weil mal einer sich religiös was ausgedacht hat. Religionen, Weltreligionen, entstehen äußerst selten. In 1.000 Jahren eine oder zwei. Da muss schon was dahinterstecken. Und von dieser Erfahrung her, Religionen entstehen sehr selten. Zumindest Religionen, die Hunderten von Millionen Menschen jahrhundertelang Geborgenheit geben können. Das entsteht nicht alle zehn Jahre. Da muss schon was sehr Tiefes passiert sein. Und jetzt will ich mal fragen, welche Voraussetzungen hatte eigentlich Jesus aus Nazareth,
um Religionsstifter zu werden? Er war letztlich eigentlich gar kein Religionsstifter, das werde ich noch erklären. Aber ich werde ihn jetzt mal als Religionsstifter betiteln, damit ich ihn vergleichen kann mit anderen Religionsstiftern. Jetzt will ich mal versuchen, die Voraussetzungen, die Jesus hatte, Religionsstifter zu werden, die waren sehr schlecht. Nämlich, ich zähle mal die ersten schlechten Voraussetzungen auf. Erstens, er hatte keine einflussreichen Eltern, kam nicht aus einem der großen, mächtigen Clans, er kam nicht aus der Oberschicht. Und zweitens, er wuchs auch nicht in einer der großen Metropolen, kulturell gesellschaftliche Metropolen auf, sondern er war ein Provinzler, er wuchs in einem kleinen Dorf auf. Und das sagt jetzt noch nicht viel, das war bei anderen auch so.
Aber jetzt machen wir mal weiter, es summieren sich bei ihm die Dinge. Jesus aus Nazareth gründete nie eine Organisation, er bekleidete nie ein Amt, er hatte nie Geld. Gut, das haben andere auch nicht gehabt. Aber es wird schon seltener. Aber jetzt kommen noch viel gravierendere, schlechte Voraussetzungen. Nämlich, Jesus war nur sehr kurz öffentlich aktiv. Nur zwei bis drei Jahre. Vielleicht sogar ein bisschen weniger als zwei Jahre. Also sagen wir mal, zwei bis drei Jahre, das ist wahnsinnig wenig. Buddha war ungefähr 40 Jahre aktiv, Konfuzius mehr. Der ist schon mit 25 Jahren öffentlich tätig gewesen und starb mit 75, also der war 50 Jahre ungefähr öffentlich aktiv. Mohammed war auch ungefähr 35 Jahre öffentlich aktiv.
Aber Jesus zwei bis drei Jahre. Das fällt völlig aus dem Rahmen. Und außerdem kommt hinzu, dass er nichts Schriftliches hinterlassen hat. Keinen einzigen Satz. Konfuzius hat viele Schriften geschrieben. Aber Jesus hat keinen Satz hinterlassen. Er war nur zwei bis drei Jahre öffentlich aktiv. Kann man ja gar nicht traditionsbildend wirken. Ohne Schriftlichkeit, obwohl er sicher hat lesen und schreiben können. Er hat nicht mal seine Gleichnisse schriftlich herausgebracht. Es gibt keine Briefe von Jesus. Wir haben von Paulus Briefe und von vielen anderen. Aber von Jesus haben wir keinen Brief. Das ist merkwürdig. Es ist übrigens viel tiefer, diese Gründe, als man so denkt. Das hat ganz tiefe Gründe, auf die ich jetzt nicht eingehe, dass Jesus nichts schriftlich hinterlassen hat. Er hat nicht mit Feder und Papier gearbeitet. Aber jetzt kommen die allerwichtigsten Unterschiede.
Jesus wurde gar nicht alt. Er starb mit Mitte 30. Wir wissen nicht genau, wie alt Jesus geworden ist. Irgendwie so zwischen 33 und 39. Man kann es nicht genauer sagen. Er war nicht 40 und er war über 30. Also er starb im besten Alter. Und das ist allerdings schlimm. Denn der frühzeitige Tod gilt in allen Religionen, die wir kennen, und in allen Kulturen als Fluch und als Strafe der Götter. Ein Buddha, der mit 37 Jahren stirbt, ist undenkbar. Mohammed mit 34 Jahren gestorben, völlig ausgeschlossen. Moose wurde nach biblischen Zahlenangaben 120 Jahre alt. Aber das Allerstärkste ist, Jesus starb nicht einfach friedlich im Bett oder an einem Unfall oder an einem Kriegsfeil ihn getroffen hätte. Nein, er wurde hingerichtet. Er starb einen Verbrechertod.
Der Tod Jesu war nicht die Vollendung eines gesegneten Lebens, sondern er war eine Katastrophe. Seine Jünger sind geflohen. Nur einige Frauen schauten von Ferne. Der Kreuzigungstod ist der brutalste, schimpflichste Tod. In der römischen Schickeria redet man darüber gar nicht. Es könnte ja einer der Damen schlecht werden. Das ist ein unanständiger, schmutziger Tod. Es gab schon in der Antike Krimis. Und ein Professor in der Universität Tübingen, Martin Hengel, hat mal diese Krimis übersetzt und gelesen. Und in diesen Krimis kam es hin und wieder, in diesen billigen Groschenromanen, kam es hin und wieder vor, dass der Gute, der Held, um einen Haar gekreuzigt worden wäre. Kommt hin und wieder vor. Aber natürlich, kurz bevor es so weit ist, wird er befreit und der Böse wird gekreuzigt. Wenn der Gute gekreuzigt worden wäre, dann wäre er kein Held, dann wäre er nicht der Gute.
Also, die Kreuzigung galt auch im damaligen jüdischen Volk als Strafe Gottes, als Fluch. Es gibt bis heute keinen jüdischen Märtyrer, der gekreuzigt worden ist. Wer gekreuzigt wird, kann kein Märtyrer sein. Und in griechisch-römischen Kultur war das einfach absurd, dass Gottes Sohn am Kreuz verendet. Das kann man ja ästhetisch gar nicht mit richtig annehmen. Das ist ja geschmacklos, das ist eine Geschmacksverirrung. Die Religion hat doch mit dem Guten, Wahren und Schönen zu tun. Dass die Kreuzigung eines Mannes überhaupt etwas mit Religion zu tun hat, auf die Idee ist bis dorthin kein Mensch gekommen. Also, schlechte Voraussetzungen, gell? Keine einflussreichen Eltern, Provinzler, kein Geld, kein Amt, keine Organisation.
Nur zwei, drei Jahre öffentlich aufgetreten, ohne was schriftlich zu hinterlassen. Stirbt er auch noch früh, kann nicht mal eine vollständige Biografie vorweisen, hat die Weisheit des Alters gar nicht verschmeckt und stirbt auch noch einen schändlichen Tod. Ich sage euch, keine guten Voraussetzungen. Und jetzt mal ein Blick auf die Wirkungen dieses Mannes. Über keinen Menschen der Weltgeschichte sind auch nur annähernd so viele Bücher geschrieben worden wie über diesen Mann. Der Abstand zum Zweiten ist riesig. Da kommt erst mal lang gar nichts. Nehmen wir mal Napoleon oder Alexander der Große, vielleicht zwei Prozent oder ein Prozent. Meine Kollegen, ich habe Kollegen, die haben schon relativ viele Bücher geschrieben. Zehn, fünfzehn. Ich selber habe nur drei geschrieben, das ist wenig. Ich habe mir schon mal überlegt, wenn ich mal sterbe, wie viele Bücher werden wohl über mich geschrieben werden?
Ich glaube nicht, dass mal über mich im Buch geschrieben wird. Oder ich frage mal euch, was schätzt ihr? Was meint ihr, wenn ihr tot seid? Wie viele Bücher werden über euch geschrieben? Fünf oder zwölf? Ja. Also, es gibt schon Theologen in Tübingen, so die zwei, drei berühmteste, die haben nicht nur selber 20, 30 Bücher geschrieben. Über diese Theologen Küng oder Moltmann oder Junge, da wurden auch schon fünf Bücher geschrieben. Es gibt Kollegen, die zählen eigentlich nur die Bücher, die über sie geschrieben werden. Nicht die, die sie selber schreiben, das ist ja eh klar. Aber die Bücher zählen, die über mich geschrieben werden. Das ist eine ganz andere Liga, das ist Champions League. Ja, aber wie viele Bücher sind über Jesus aus Nazareth geschrieben worden? Jedes Jahr weltweit Hunderte von Doktorarbeiten. Japanisch, brasilianisch, italienisch, schwedisch. Jedes Wort, da gibt's schon paar Doktorarbeiten drüber.
Es gibt keinen Menschen der Weltgeschichte, dessen Worte so akribisch wissenschaftlich untersucht worden sind wie die von Jesus aus Nazareth. Aber über Jesus aus Nazareth sind nicht nur mit riesigem Abstand die meisten Bücher geschrieben worden, sondern auch die meisten Gedichte. Was meint ihr, wie viele Gedichte, überlegt mal, so Liebesgedichte oder so. Wie viele Gedichte sind schon über euch gedichtet worden? Ich hab mir das auch überlegt, und mir ist ein Gedicht eingefallen. Hat mal jemand ein Gedicht über mich gemacht? Vielleicht so vor 15 Jahren auf einem Treffen von Religionslehrern hat ein Ulmer Religionslehrer auf mich ein jittisches Gedicht geschrieben. Das hab ich noch heute. Und hin und wieder les ich es, und bin ich ganz gerührt. Es ist schon mal über mich ein Gedicht geschrieben worden. Über Napoleon sind auch schon Bücher geschrieben worden. Aber wie viele Gedichte? Wie viele Gedichte sind über Bismarck und Adenauer geschrieben worden?
Gedichte. Und wenn es Leute gibt, die schon mehrere Gedichte bekommen haben, wie viele Facharbeiten sind über die geschrieben worden? Wie viele Doktorarbeiten? Ja, da ist aber beides schon vorne dran. Jetzt machen wir mal weiter. Lieder, Lieder. Es gibt keinen Menschen, der jemals gelebt hat, über den auch nur annähernd nicht mal ein Prozent so viel. Lieder zur Verehrung. Wie viele Lieder sind über Napoleon geschrieben worden, über Bismarck und über Adenauer? Wie viele Lieder über Adenauer? Und die meisten Gebäude errichtet zur Verehrung dieser Person. Und heute richtet sich die gesamte Zeitrechnung nach ihm. Also, wenn ich Journalist wäre, würde ich schon sagen, Leute, das ist aber wirklich eine Story. Diese Voraussetzungen, Provinzler, ungebildete Eltern, kein Geld, kein Amt, keine Organisation, nur zwei, drei Jahre öffentlich aktiv,
nicht schriftlich hinterlassen, früh gestorben, und zwar als Verbrecher hingerichtet. Und dann die meisten Bücher, die meisten Lieder, die meisten Gedichte, die meisten Bauwerke und die gesamte Zeitrechnung. Was meint ihr, wie man das erklären kann? Hat jemand von euch da eine echte, satte Erklärung? Gut, jetzt zum Schluss noch zwei weitere Bausteine. Fragen wir uns mal, was wissen wir grundlegend über den Lebensrahmen Jesu? Also, mit seiner Botschaft werden wir uns ja ab morgen beschäftigen. Aber jetzt einfach mal, was wissen wir über seine Biografie, über seine Lebensdaten? Zunächst fällt auf, das hab ich schon erwähnt, über 95 Prozent seines Lebens wissen wir gar nichts. Wir wissen ja überhaupt nur etwas über die letzten zwei bis drei Jahre. Seine berufliche Entwicklung, schulische Entwicklung null.
Stellen wir uns mal vor, ein Bewerbungsschreiben, bitte fügen Sie Ihren Lebenslauf der Bewerbung bei. Ja, da kann man... Jesus könnte sich gar nicht bewerben. Wir haben gar keinen Lebenslauf. Über 95 Prozent seines Lebens wissen wir überhaupt nichts. Wir mit acht, mit 16, mit 21, 25. Ich glaube nicht, dass ein Mensch, über den wir so wenig wissen, solche Wirkungen hatte. Das ist schon faszinierend. Der Mann hat 90, 95 Prozent seines Lebens vollkommen unauffällig gelebt. Ist niemandem was aufgefallen? Im Sandkasten, in der Pubertät, lebte der da in Nazareth und... War nix. Und auf einmal, die letzten zwei Jahre, katapultiert es ihn an die Öffentlichkeit. Ja, warum? Geheimnisvolle Fragen.
Also, wir wissen 90, 95 Prozent gar nichts. Wir wissen nur über seine letzten zwei, drei Jahre und nur aus den Evangelien. Außer christliche Quellen über Jesus gibt es ganz wenige, und die haben keine detaillierten Inhalte. Wir sind als Quelle allein auf die Evangelien angewiesen. Und in den Evangelien ist auch so, dass die letzte Woche, die Jesus gelebt hat, am ausführlichsten beschrieben wird und von der letzten Woche der letzte Tag. Also, über den letzten Tag wissen wir detailliert Bescheid, über die letzte Woche auch relativ viel, und über die letzten zwei, zweieinhalb Jahre auch ziemlich. Ziemlich, ja, aber davor gar nix. Jetzt will ich aber mal das wissenschaftlich zusammenstellen, was wir an Grunddaten wirklich sicher wissen. Und das sollte man auch ernst nehmen. Bei dem Vielen, was wir nicht wissen, sollten wir uns doch vielleicht mal auf das konzentrieren,
was wir wissen. Erstens wissen wir, Jesus war ein Orientale. Das wissen wir. Der war kein Texaner. Er war auch kein Süddeutscher. Er hieß nicht Jimmy und hieß auch nicht Wladimir. Der war ein Orientale, ein Semit. Und bevor Europa und die westliche Kultur diesen Orientalen und diesen Semiten zu stark instrumentalisieren und vereinnahmen, sollten wir ernst nehmen, er war kein Europäer. Er hieß nicht Sepp oder Günther. Er heißt auch nicht Jesus. Der Mann heißt Jesua. Wenn wir das schon latinisiert, wie Pilatus, Augustus, Jesus, man denkt gerade schon, Rom geboren. Aber Jesus war kein Italiener, der heißt Jesua. Da merkt man dann, dass er kein Europäer ist. Wir haben ihn schon im Namen latinisiert. Jesus Christus.
Ja, klingt wie Pontius Pilatus. Wo ist denn da noch was Hebräisches? Der Mann war ein Semit, ein Orientaler. Vielleicht müssen wir damit rechnen, dass Araber und Inder Jesus besser verstehen als Texaner und Schwarzwälder. Das Zweite, was ganz sicher ist, Jesus ist ein Jude. Ja, wenn man das wenigstens ernst genommen hätte bei all dem spekulativen religiösen Unsinn und Legendenbildung. Einfach mal ernst nehmen, dass er ein Jude ist. Jesus war kein Christ, der war weder katholisch noch evangelisch. Er hat auch nicht das Christentum gegründet. Jesus ist kein Religionsstifter. Er wollte gar keine neue Religion gründen. Das ist wissenschaftlich ganz sicher. Er hat sich mit seiner Botschaft nur an das jüdische Volk gewandt. Jesus war ein Jude und er blieb ein Jude bis zum Tod. Er blieb ein Jude. Er hat das Judentum nie verlassen. Jesus lebte im Judentum wie der Fisch im Wasser.
Wir können uns gar nicht mit Jesus beschäftigen, ohne dass wir dem Judentum begegnen. Wir können Jesus nicht vom Judentum abtrennen. Das berühmte apostolische Glaubensbekenntnis, ich glaube an Gott den Vater und an Jesus Christus, an seinen Sohn und an den Heiligen Geist, hat die große schwere Schwäche, dass gar nicht deutlich wird, dass Jesus ein Jude war. Der hätte aus China kommen können. Und auch das Wort Israel kommt im apostolischen Glaubensbekenntnis überhaupt nicht vor. Und er heißt Jesus Christus, so wie Pontius Pilatus, und er heißt nicht Jesua. Also Jesus war ein Jude. Christen glauben an einen Juden. Da könnt ihr den Rest eures Lebens mal ein bisschen drüber nachdenken. Das Dritte, was wir ganz sicher wissen, Jesus kommt aus der Unterschicht.
Er war ein Mann vom Bau. Jesus kommt vom Bau. Er war ein Bauhandwerker. Luther übersetzt Zimmermann, das ist aber nicht richtig. Sondern das Wort, das hier steht, ist ein Oberbegriff für alle Arbeiten mit Holz und Schmieden. Holz und Stein. Technon ist ein Oberbegriff. Da gehören Dachdecker, Zimmermann, Flughersteller, Steinmetz, Tischler, alles Technon. Also Jesus war ein Bauhandwerker. Der hat es schaffen müssen, hatte Arbeit, nicht verwöhnt. Jesus war ein Mann vom Bau. Und das Vierte, was wir wissen, Jesus ist in einem Kuhnest geboren, in Nazareth. Wir wissen heute archäologisch 200 bis 400 Einwohner. Das ist ein Kuhnest. Zu Nazareth führt überhaupt gar keine Straße. Wer nach Nazareth gehen will, muss querfeldein laufen. Nazareth hat keine Stadtmauer.
Es ist überhaupt keine Stadt, es ist ein winziges Dorf. Nazareth hat keinen Markt, hat keine öffentliche Gebäude. Es kommt im ganzen Alpen Testament nicht vor. Es kommt überhaupt in keiner jüdischen Schrift vor. Deswegen wusste man lange Zeit gar nicht, wie man Nazareth hebräisch schreibt. Weil es gibt keinen hebräischen Text, wo das Wort Nazareth vorkommt. Es gibt nur im griechischen Neuen Testament das Wort Nazareth. Aber wie schreibt man es hebräisch? Hat man zum ersten Mal, entdeckt 1965, in Caesarea Philippi. Da wurde eine Tafel ausgegraben, archäologisch. Da ist von einigen Priester die Rede, die in Nazareth wohnten. Und da hat man zum ersten Mal das Wort Nazareth 1965 zum ersten Mal das Wort auf Hebräisch gesehen. Ein Kuhnest, wo natürlich jeder sagt, heilsgeschichtlich ist ja völlig unbedeutend. So wie Klein-Bott war oder Oschelhagen, das ist so im Stuttgart.
Du kommst aus Oschelhagen. Wo liegt denn das? Was kann denn aus Nazareth kommen? Sie haben ihn einfach genannt Nazarener. War eigentlich alles klar. Und dann kommt er aus Galiläa. Galiläa, das klingt so wie Oberbayern oder Ostfriesland. Für Jerusalemer ist Galiläa so wie Ostfriesland. Weit weg, gar kein jüdisches Kernland, gemischte Bevölkerung, schwätzen auch so komisch, verschlucken die Entsilpen. Er ist ein Galiläer, ein Nazarener. Und dann, seine Familie aber war religiös. Sie gingen immer auf die Feste nach Jerusalem. Und dann kamen alle Kinder. Jesus hatte vier männliche Geschwister, vier Brüder und mehrere Schwestern, die wurden gar nicht gezählt. Also vier Brüder und die Namen Jakobus, Joses, nicht Jakobus, ist auch schon... Jakov heißt das hebräisch, gell? Joses, Simon und Judas.
Das sind alles Namen von Patriarchen oder Patriarchensöhnen. Das heißt, es ist eine gläubige Familie gewesen. Jesus ist ganz in jüdischer Tradition aufgewachsen. Er hatte also mindestens acht Kinder, was eher kinderarm war für damalige Verhältnisse. Zehn bis 20 Kinder waren normal. Kinderreichtum war natürlich was Positives. Billige Arbeitskräfte können schon mit fünf Jahren den Hof wägen. Heute steckt man viel in euch rein, wann lohnt es sich? Ganz spät oder überhaupt nicht. Also, kinderreiche Familie. Und der letzte Punkt, den ich noch wichtig finde, Jesus war merkwürdigerweise unverheiratet. Das ist eine ganz komische Sache. Denn ein gesunder Mann im Judentum heiratet. Es geht gar nicht anders. Denn das erste Gebot in der Bibel, ich meine nicht das erste Gebot der zehn Gebote, sondern das erste Gebot, das in der Bibel überhaupt vorkommt,
auf dem ersten Blatt der Bibel heißt, seid fruchtbar und mehret euch. Das gilt im Judentum als das erste Gebot der Heiligen Schrift. Und das hat man gefälligst einzuhalten. Also, ein jüdischer Mann hatte zu heiraten. Vor allem, wenn er ein Rabbi war, sich mit Religion beschäftigte. Rabbiner hatten die Pflicht zu heiraten. Es wird aber in den Evangelien nirgendwo was von der Frau Jesu oder seinem Kind erwähnt. Es gibt heute Pseudo-Fachleute, die sich nicht wirklich auskennen. Die sagen, Jesus war selbstverständlich verheiratet. Ist doch ganz klar, das muss man gar nicht sagen. Jeder jüdische Mann war verheiratet. Also, Jesus war selbstverständlich verheiratet. Jetzt muss sich jeder von euch fragen, wer euch das lieber, dass Jesus verheiratet gewesen wäre, also normalen Sex hatte, oder dass er nicht verheiratet war. Ich frag euch jetzt mal so prophylaktisch, rhetorisch, was wär euch denn lieber?
Und dann gleich die Frage, warum? Warum wär's euch lieber, dass Jesus unverheiratet war? Oder warum wär's euch eigentlich lieber, dass er verheiratet war? Das sagt nichts über die Wahrheit aus, sondern nur über eure Religiosität, gell? Also, mir wär's übrigens viel lieber, Jesus wäre verheiratet gewesen und hätte ein normales, gesundes, reichhaltiges Sexleben gehabt. Das wär mir viel sympathischer. Aber es kommt nicht drauf an, was mir sympathisch ist. Jesus war ganz offensichtlich unverheiratet. Und zwar kann man das sehr sicher entscheiden mit folgendem Argument. Ich hab dieses Argument auch schon so mit Fachleuten diskutiert, die sagen, Jesus war selbstverständlich verheiratet. Braucht man ja nicht sagen, wenn's nicht da steht, war er's halt. Das ist blanker Unsinn. Und zwar aus folgendem Grund. Jesus wurde nach seinem Tod ja sehr bald als Auferstandener verehrt,
dass er von Gott, von den Toten auferweckt wurde. Und dann wurde er als Retter der Welt, als Erlöser verehrt. Schon innerhalb von ein, zwei, drei Jahren. Also dieser Prozess, dass Jesus aufgrund seiner Auferweckung verehrt wurde als Retter der Welt, als Erlöser der Menschheit, setzt sehr früh ein. Jetzt müsst ihr euch mal vorstellen, Jesus war verheiratet und hatte Kinder. Wenn er schon verheiratet war, muss man mit Kindern rechnen. Da wären die Kinder gekommen und haben gesagt, das ist mein Papa. Das ist mein Papa. Erlöser der Welt, das ist mein Papa. Da wären die Kinder aber gekommen, sag ich euch. Und so eine Frau Au, wo waren sie denn? Ja, es hat sie nicht gegeben. Übrigens ja auch Johannes der Täufer war sehr wahrscheinlich auch unverheiratet. Paulus auch. So selten war es dann auch wieder nicht. Außerdem gibt es eine Stelle in Matthäus 11, da hat man zu Jesus gesagt,
vielleicht bist du ja ein Einuch, also impotent. Ein verschnittener, beschnittener Einuch. Weil du bist ja nicht verheiratet, wahrscheinlich kannst du gar nicht. Falls aber Jesus wirklich ein gesunder Mann war und in Freiheit entschieden hat, ich heirate nicht, ist das ein tiefes Geheimnis. Da hat er sich eine Freiheit herausgenommen, die gar nicht üblich war. Soweit mal eine erste Annäherung an ein Phänomen. An das Phänomen Jesus aus Nazareth. Auf ihn werden wir ja noch uns ein paar Tage konzentrieren.
Wer war Jesus von Nazareth? – Annäherungen an ein Phänomen, an das Gesicht des Geheimnisses | 1.1.1
Etwas Aufregung lag in der Luft. Siegfried Zimmer hatte sein Zimmer in der kleinen Residenz bereits am Nachmittag bezogen, um sich optimal auf seinen Grundlagenvortrag vorzubereiten. Die letzten Teilnehmer schafften es gerade noch rechtzeitig den Hörsaal des Anna Amalia Studienzentrums zu erreichen, um pünktlich bei dem Start der ersten Worthaus Vorlesung überhaupt dabei zu sein. Und dann ging es auf einmal ganz unspektakulär los. Es war kein lauter, furioser Start, sondern eher ein Hineingleiten, ein sanftes Aufbrechen in die Thematik. An diesem ersten Abend war es so als ob sich Worthaus warm läuft. Doch wer wäre auch so töricht und würde einen Marathon mit einem Sprint beginnen? Und trotzdem stellt dieser Vortrag perfekt die Weichen für das, was kommt. Denn in aller Nüchternheit öffnet er ein Fenster zu einer verborgenden Wirklichkeit voller Geheimnisse.