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Wir befinden uns im Vorfeld eines der großen christlichen Feste, den Weihnachtsfest. Feste sind überhaupt ein sehr guter Zugang zu Religionen. In den Festen spiegelt sich die Eigenart der Religionen. Im Christentum gibt es eigentlich drei grundlegende Feste. Das ist das Weihnachtsfest, der Karfreitag und Ostern. Es gibt noch ein viertes bekanntes Fest, zumindest unter den Christen. Das ist Pfingsten. Aber Pfingsten hat nicht mehr eine so grundlegende Bedeutung wie Weihnachten, Karfreitag und Ostern. Pfingsten ist zwar sehr wichtig, es wird heute unterschätzt. Aber Pfingsten setzt das voraus, was wir in Weihnachten, Karfreitag und Ostern feiern.

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Wäre das nicht geschehen, was wir in Weihnachten, Karfreitag und Ostern feiern, gäbe es auch kein Pfingstenfest. Umgekehrt kann man das nicht sagen, dass Weihnachten, Karfreitag und Ostern Pfingsten vorausrösten. Also das sind die drei grundlegenden Feste. Und diese drei Feste machen auf etwas Entscheidendes aufmerksam. Nämlich es dreht sich im christlichen Glauben alles um eine Person, eine Geschichte, eine Person, die zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Region gelebt hat. Sie heißt Jesus aus Nazareth. Es sind alles drei Weihnachten, Karfreitag und Ostern Jesusfeste. Und man feiert darin etwas, was mit Jesus geschehen ist. Es gibt bei allem Respekt im Judentum keine Mosefeste und es gibt im Islam auch keine Muhammadfeste.

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Ich erwähne Judentum und Islam stets mit Respekt und auch mit freundschaftlichen Gefühlen. Aber da gibt es diese Unterschiede. Die Konzentration auf Jesus aus Nazareth ist sehr auffallend im christlichen Glauben. Also alle drei Feste sind Jesusfeste. Wir feiern im Weihnachten, dass Jesus geboren wurde. Wir gedenken oder feiern im Karfreitag, dass Jesus hingerichtet wurde und dass darin eine enorme Bedeutung für alle Menschen liegt. Und in Ostern feiern wir, dass Jesus auferweckt worden ist. Als erster Mensch überhaupt nach christlichem Glauben. Wenn alle drei Feste Jesusfeste sind und sich alles auf die Person Jesus aus Nazareth konzentriert,

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dann bedeutet es, es geht auch heute Abend und an diesem Wochenende nicht in erster Linie um Programm. Ihr möchtet jemanden für ein bestimmtes Programm gewinnen. Darum geht es im christlichen Glauben nicht in erster Linie. Es geht auch nicht in erster Linie um eine Weltanschauung oder um eine Idee oder eine Ideologie. Es geht auch nicht in erster Linie um eine Moral und es geht auch nicht in erster Linie um einen bestimmten Lebensstil. Alle diese Dinge sind wichtig an ihrer Stelle, aber es geht entscheidend im christlichen Glauben darum, dass wir eine bestimmte Person näher kennenlernen, ihr Vertrauen in sie kennenlernen, im Leben und im Sterben und dass wir durch diese Person zu Gott finden. Darum geht es im christlichen Glauben.

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Das ist die Botschaft dieser drei grundlegenden Feste. Jetzt gehen wir aber speziell zum Weihnachtsfest. Das Weihnachtsfest hat eine spezifische Botschaft. Diese Botschaft drückt sich erstmal ein bisschen vorsichtiger aus. Es ist immer schon eine Botschaft aus dem Glauben. Wir werden sie prüfen. Man muss das alles prüfen. Zunächst sage ich es einfach mal so. In der vorsichtigen Formulierung sagt das Weihnachtsfest nach christlichem Glauben, dass Gott auf eine einzigartige Weise in diesem Mann anwesend war. Tiefer als dieser Mann es vielleicht selbst gewusst hat. Also Gott kann auf eine sehr verborgene und intensive Weise in einem Menschen anwesend sein. Das kann eben nur Gott.

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Man könnte auch sagen, zum Weihnachtsfest gehört die Botschaft, weil wir Christen überzeugt sind, dass wir es in dieser Person Jesus aus Nazareth mit Gott zu tun bekommen. In dieser Person ist uns Gott sehr nahe gekommen. Näher als sonst. Diese Erfahrungen, das sind nicht einfach nur Theorien, das sind Erfahrungen, die die Menschen weitergegeben haben, die mit Jesus sehr intensiv zusammengelebt haben, mit ihm unterwegs auf Wanderungen waren. Das ist ihre Erfahrung. Diese Erfahrung kann man jetzt auch sehr kühn ausdrücken, nämlich in Jesus ist Gott Mensch geworden. Also alle diese Formulierungen meine ich jetzt, ich will nicht einfach immer nur sagen, in Jesus ist Gott Mensch geworden. Das ist so eine gespenster Formel, die man ja gar nicht sofort versteht, sondern ich will sie immer auch so verstehen,

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dass Gott in diesem Menschen auf eine besondere Weise anwesend war. In diesem Menschen bekommen wir es mit Gott zu tun. Und in diesem Mann ist uns Gott sehr nahe gekommen. Aber klassisch ausgedrückt heißt es, wir feiern in Weihnachten die Menschwerdung Gottes. Der Fachausdruck, die Inkarnation, das Wort wurde Fleisch. Jetzt auf heutige Normalbürger, gesunde Leute, die auch skeptisch sind, wirkt diese Botschaft wie ein Märchen und das ist auch völlig klar. Man muss sich fragen, Gott ist Mensch geworden, ist es nicht eine lächerliche Botschaft? Kann man das ernsthaft erwägen? Kann man diese Botschaft ernst nehmen?

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Also die meisten heutigen Zeitgenossen können das nicht. Es ist einfach zu komisch. Es wirkt wie eine neue Art von Mythos. In den früheren mythischen Religionen kam es nämlich tatsächlich oft vor, dass die Götter die Erde besucht haben und sie haben Menschengestalt angenommen. Bei Paulus heißt es einmal, als erstaunliche Wirkungen hatte, in seiner Predigt und Kranke geheilt wurden, da sagten die Menschen, oh, die Götter sind auf die Erde gekommen. Sie haben also Paulus dann als Gott verehrt, der Menschengestalt angenommen hat und da hat Paulus gesagt, bloß nicht, bloß nicht, Leute, lasst es, ich bin ein ganz normaler Mensch. Also da merkt man an diesem Beispiel, dass in den mythischen Religionen die Götter regelmäßig Menschengestalt annehmen, aber das waren keine geschichtlichen Menschen, die tatsächlich gelebt haben, sondern sind alles mythische Figuren.

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Also zunächst muss man eindeutig zugeben, diese Botschaft in Jesus ist Gott Mensch geworden wirkt eindeutig wie ein Märchen, wie eine neue Art von Mythos. Man muss annehmen, hier spielt die religiöse Fantasie eine entscheidende Rolle, es handelt sich um religiöse Spekulation. Angesichts dieser Skepsis, die berechtigt ist, müssen wir fragen, können wir diese Botschaft prüfen, können wir eine Art Qualitätsprüfung machen. Ja, das geht ein Stück weit. Man kann religiöse Dinge nie einfach überprüfen, restlos aufklären, aber ein gut Stück weit können wir prüfen, ob in dieser Botschaft ein Wahrheitsgehalt steckt, ein Realitätsgehalt. Und zwar kann man das auf folgende Weise prüfen.

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Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes, er geht in der Bibel nicht ins Blaue hinein, also irgendwie, das wird nicht irgendwie daher gelabert, sondern die Botschaft von der Menschwerdung Gottes erfolgt in der Bibel, ich meine mit Bibel jetzt immer das Neue Testament, erfolgt in der Bibel in einen ganz bestimmten Zusammenhang. Und dieser Zusammenhang wird bewusst hergestellt. Und die Botschaft von der Menschwerdung Gottes kann man nur in diesem Zusammenhang überhaupt verstehen, was damit gemeint ist. Und diesen Zusammenhang will ich jetzt schrittweise euch versuchen näher zu bringen, damit ihr prüfen könnt. Ihr müsst prüfen. Diese Botschaft will auch geprüft sein. Und die Skepsis in der Religion ist bitter notwendig. In der Religion ist es so wie in der Politik, du darfst bloß nicht alles glauben.

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Du musst skeptisch sein. Ist schon zu viel gelogen worden oder übertrieben worden oder gut gemeint oder schlecht gemacht? Also die Skepsis in der Politik und in der Religion ist gleich wichtig. Es ist schon zu viel schief gegangen, auch in der Religion. Wenn mich jemand fragen würde, Herr Zimmer, was meinen Sie, hat die Religion mehr Schaden in der Geschichte der Menschheit erzeugt oder mehr Nutzen? Da müsste ich sagen, ich weiß es nicht. Also mit beidem muss man schwer rechnen. Also die Religion hat schon auch unendlich viel geschadet. Aber in ihr stecken trotzdem auch tiefe Qualitäten. Also man muss skeptisch sein und prüfen. Ihr müsst also versuchen, euch eure eigene Meinung zu bilden. Und dabei will ich euch behilflich sein.

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Also was ist es für ein Zusammenhang, in dem die Bibel die Botschaft von der Menschwerdung Gottes bringt? Die Bibel redet von der Menschwerdung Gottes im Blick auf eine bestimmte gesellschaftliche Realität. Im Blick auf eine Situation, in der sich die Menschen befinden. Und das ist schon mal sehr anders wie in Mythen und Märchen. Denn in Mythen und Märchen geht es um innere Realitäten, um innere Seelenlandschaften, um Weisheit, die von innen her kommt. Ist auch wichtig, sehr wichtig. Ich habe einen positiven Begriff von Mythen. Die Mythen waren sehr wichtig für die Menschen, um sich beheimaten zu können in den Rätseln des Lebens.

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Also die Mythen haben viel Geborgenheit vermittelt. Aber die Weihnachtsbotschaft ist gesellschaftsbezogen im Blick auf die Realität der menschlichen Gesellschaft und insofern realitätsbezogen. Nämlich die biblische Botschaft möchte eine Gesamtanalyse der menschlichen Gesellschaft leisten. Also die gesamte Realität des Menschseins und der menschlichen Gesellschaft steht jetzt zur Debatte. Wir brauchen eigentlich auch allemal einen Gesamtüberblick. Wer ist der Mensch? Was sind seine großen Fragen? In welcher Situation befindet sich der Mensch? Wie kann man die Realität des menschlichen Zusammenlebens auf den Punkt bringen? Und da macht die Bibel eine Behauptung. Also sie behauptet über die gesellschaftliche Realität und diese Behauptung lässt sich empirisch überprüfen.

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Die können wir überprüfen und das werden wir jetzt machen heute Abend. Die Bibel behauptet nämlich, dass die menschliche Gesellschaft und das Menschsein insgesamt geträgt ist durch einen Mangel an Frieden. Der Mensch ist nicht tief verwurzelt im Frieden. Der Frieden ist eine Mangelware unter den Menschen. Es gibt viel zu viel Unfriede, viel zu viel Friedlosigkeit. Es gibt viel zu viel Entzweihung, Zank, Streit, Gewalt und Krieg. Ich meine jetzt nicht eine gute Streitkultur, die ist enorm wichtig. Wir lernen uns zu fetzen und gut zu streiten und anschließend trinken wir ein Bier zusammen. Also eine gute Streitkultur ist was sehr Wichtiges, aber das ist hier nicht gemeint, sondern wirklich eine Zerrissenheit.

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Die Gesellschaft ist zerrissen. Der Mensch lebt in einem zerrissenen Leben. Also es gibt viel zu viel Streit und Zank und Entzweihung und es gibt viel zu wenig Frieden. Dass unter dieser Prämisse und in diesem Zusammenhang redet die Bibel von der Menschwerdung Gottes, gäbe es auf der Erde genügend Frieden, bräuchte es keine Menschwerdung Gottes geben. Wenn Frieden auf der Erde wirklich herrschen würde, nicht immer wieder mal haben wir auch friedliche Zeiten, wir werden immer wieder suchen, wie friedlich die sogenannten friedlichen Zeiten sind, aber nach der biblischen Botschaft ist es so, wenn der Mensch genügend Frieden hätte und genügend Frieden verbreiten könnte, bräuchte man keine Menschwerdung Gottes. Also die Menschwerdung Gottes geschieht im Blick auf eine schwere Störung in Menschheit.

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Und das wollen wir jetzt mal überprüfen. Mit der biblischen Botschaft ist nicht gemeint, dass der Unfriede halt so ein kleineres Problem wäre bei den Menschen, also ein Ausrutscher, eine kleinere nebensächliche Störung und einer von vielen Aspekten des Menschseins. Nein, nach biblischer Sichtweise, nach der biblischen Perspektive ist die Friedlosigkeit in der Gesellschaft und unter den Schriftsteller und Literaten und Otto-Normalverbraucher jeweils seine Weise. Wir bemühen uns zu verstehen, wer ist der Mensch und was ist das Menschsein. Wenn man so ein Gesamtverständnis erreichen will, dann muss man sagen, ja, man kann das Menschsein unter ganz verschiedenen Blickwinkeln anschauen.

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Und unter welchem Blickwinkel soll man das Menschsein anschauen, wenn es um ein Gesamtverständnis geht? Ich drücke das jetzt immer mit einfachen Worten aus, also ich gehe jetzt nicht irgendwie in philosophische Fachbegriffe. Viele sagen, soll man nicht vom Positiven ausgehen? Also die Bibel geht ja von einer Störung aus, in der Tat. Die Gesamtsicht der Bibel auf die Gesellschaft und das Menschsein ist eine kritische Sicht. Es ist durchaus eine kritische Gesamtbilanz. Da könnte man doch sagen, das ist doch schade, soll man nicht vom Positiven ausgehen. Also man könnte doch auch ausgehen von den menschlichen Begabungen, den menschlichen Fähigkeiten und den daraus resonierenden menschlichen Leistungen. Zum Beispiel eine berühmte Definition des Menschen, die jahrhundertelang im Vordergrund war, ist,

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der Mensch ist ein animal-rationale, der Mensch ist ein vernunftbegabtes Lebewesen im Unterschied zum Tier. Und der Mensch hat eine enorme Denkfähigkeit. Man könnte auch von der Denkfähigkeit des Menschen ausgehen, Coquito ergo summe, ich denke, also bin ich. Also warum gehen wir nicht von der Denkfähigkeit des Menschen aus? Oder von seiner Kreativität oder von seiner musischen, künstlerischen Begabung, haben wir gerade am Flügel eine kleine Kostprobe bekommen. Oder wir können doch auch ausgehen von den technischen Fähigkeiten des Menschen. Also das wären doch auch berechtigte Ausgangspunkte. Und wenn man an die großen Entdeckungen der Menschen denkt, wir könnten doch auch mal eine Bestandsaufnahme beginnen mit Bach, Mozart und Beethoven. Und dann könnte man Goethe und Schiller zum Ausgangspunkt nehmen, Kant, Hegel oder Copernicus, Galilei, Kepler, Einstein.

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Wir könnten Berthold Brecht und Franz Kafka zum Ausgangspunkt nehmen. Oder Van Gogh, Dürer, Shakespeare, Dante, Eiffelturm, Verkabelung zwischen Europa und Amerika. Diese ganzen elektronischen Entdeckungen und so weiter. Dann würden wir doch ein positives Bild vom Menschen bekommen. Ja, in der Tat, man kann vom Menschen sehr beeindruckt sein, bin ja auch immer wieder. Und man kann vom Menschen begeistert sein und fasziniert sein. Denken wir auch an seine sportlichen Fähigkeiten. Also das wäre doch eine Sache. Zum Beispiel in vielen philosophischen Strömungen geht man erstmal davon aus, der Mensch ist ein vernunftbegabtes, sprachbegabtes, denkbegabtes, kreatives, nicht angepasstes, offenes Lebewesen.

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Ist nicht schlecht, ist berechtigt, stimmt auch. Die Bibel wertet diese Dinge nicht ab. Es gibt Salmen, die man aus den Menschen so erschaffen, nur wenig niedriger als die Engel. Du hast sie gekrönt mit vielen Talenten und Begabungen. Also die Bibel redet auch sehr, sehr positiv vom Menschen. Er ist ja ein Schöpf Gottes und die Vernunft ist ein Geschenk von Gott. Das auch, aber in der Bestandsaufnahme hat sie eine kritische Sicht. Es ist eine tiefe Störung im Menschsein, die zeigt sich im Mangel an Frieden und in einem Zuviel an Streit und Friedlosigkeit. Jetzt möchte ich mal in einem nächsten Schritt versuchen, diese Friedlosigkeit mal näher zu entfalten.

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Denn wenn wir mal an die positiven Dinge denken, die Begabungen, Talente, Leistungsfähigkeiten des Menschen, dann muss man noch ein Stück weiter fragen und dann wird die Frage schwieriger. Man muss zum Beispiel mal die Frage stellen, also ja, bei aller Anerkennung, bei aller Dankbarkeit, Mitfreude, Solidarität ist alles völlig gut. Wir müssen aber die Frage stellen, ist durch die Begabung des Menschen, die Talente des Menschen, die Leistungen des Menschen, seine Erkrankungen, durch den technischen wissenschaftlichen Fortschritt, ist die Welt dadurch friedlicher geworden? Die Frage muss man stellen. Bei allem Respekt vor den sportlichen, technischen, musischen, kreativen, denkerischen Fähigkeiten des Menschen, die erstaunlich sind, ist die Welt dadurch friedlicher geworden. Ist der Unfriede deutlich zurückgegangen? Und das werden wir überprüfen. Ich sage mal von vorne weg ein, wir sind vom Frieden so weit entfernt wie in der Altsteinzeit.

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Wir sind dem Frieden nicht nähergekommen. Es gibt auch nur noch wenige Menschen, die sagen, mit zunehmender Bildung, mit zunehmendem technischen Fortschritt und wissenschaftlichem Fortschritt wird die Welt immer besser und immer friedlicher. Das glaubt heute praktisch keiner mehr. Und wenn das einer glaubt, dann muss man ihm sagen, wo klemmt's? Bist du ein bisschen Länsch assistent? Nach dem, was heute passiert ist im 20. Jahrhundert, Weltkriege, ethnische Säuberungen, was es alles gab, Auschwitz, Hiroshima, können wir an keinen Fortschritt mehr glauben. Wir haben erlebt, welche Ohnmacht die Vernunft hat. Die Vernunft ist wahnsinnig ohnmächtig. Sie kann vieles nicht. Der Rationalismus hat übersehen die Grenzen der Vernunft, ihre Ohnmacht. Sie kommt gegen Gelbgier.

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Kannst du mit Vernunft gegen Gelbgier angehen? Nein. Kannst du gegen sonstige wirtschaftliche Interessen? Sind die vernünftig? Nein. Also, wenn wir mal weiterfragen, haben diese Begabungen und Talente die Welt friedlicher gemacht, wird die Sache sofort wieder kompliziert. Und auch die Frage, wie gehen die Menschen mit diesen Entdeckungen und Erfindungen um? Für was benutzen sie sie? Also, nach biblischer Sicht, wenn wir das mal so zusammenfassen, gibt es im menschlichen Gesellschaft und im Menschsein viel Gutes. Ja, das gibt es. Viel Eindrückliches, Lobenswertes, Dantenswertes, ohne jede Frage. Aber direkt daneben gibt es viel Böses, viel Unmenschliches. Bei Tieren können wir nicht sagen, es gibt viel Untierisches. Es gibt nicht Untierisch, aber es gibt Unmenschlich. Also, direkt daneben sehr viel Zerstörerisches, viel Gewalt, viel Gemeinheit, viel Folter, viel Kindesmissbrauch.

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Hart daneben und nicht nur kleine Ausrutscher. Also, die Bibel hat vom Menschsein ein ambivalenten Gesamteindruck. Das Menschsein ist zweischneidig, zweiseitig. Es hat zwei Gesichter. Es kann wunderschön sein und es kann grausam sein, gemein sein. Und diese Ambivalenz, darauf legt die Bibel ihren Finger und sie sagt, das ist ein tiefes Symptom für ganz tiefe Ursachen. Diese Ambivalenz. Und jetzt möchte ich mal eine Bestandsaufnahme des Unfriedens probieren in der Gesellschaft. Damit wir darauf mal gezielt schauen. Bei dieser Bestandsaufnahme des Unfriedens müssen wir aufpassen, dass wir nicht einseitig, billig und oberflächlich werden.

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Also, es hilft kein bisschen weiter, wenn wir jetzt schwarz malen. Es muss eine faire, sachliche, realitätsgerechte Bestandsaufnahme sein. Es geht mir in dem, was ich jetzt mache, auf keinen Fall um Schwarz malen, um übertreiben. Und ihr prüft mal alle mit, übertreibe ich. Ich werde mich jetzt schon konzentrieren auf die Dinge des Unfriedens, aber ihr müsst kritisch, skeptisch prüfen, ist es sachgerecht, ist es fair oder übertreibe ich und male Schwarz. Auf der anderen Seite darf es bei dieser Gesamtaufnahme auch nicht um Schönferben gehen. Also, was ich auch vermeiden muss, ist verharmlosen, ausblenden, was ich nicht weiß, was ich nicht heiß. Optimismus durch Selektion. Optimismus ist oft erkauft durch selektive Wahrnehmung.

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Ich konzentriere mich auf die Schokoladenseiten des Lebens und das will ich einfach nicht so sehen. Es gibt eben auch das Beschönigen, das Verharmlosen. Also, ich muss jetzt versuchen, ich will ihr alle, auch dann übers Internet, ihr alle müsst selber prüfen, ist diese Bestandsaufnahme des Unfriedens fair, sachlich und realitätsbezogen. Wenn wir die verschiedenen Phänomene des Unfriedens behandeln wollen, müssen wir differenzieren, denn der Unfrieden gibt es auf allen Ebenen der Gesellschaft und des Menschseins. Die erste Ebene ist die internationale Ebene, die globale Ebene, nämlich der Unfriede zwischen den Völkern und Nationen. Wir gehen jetzt mal von den krassen Formen des Unfriedens aus, den offensichtlichen, und dann gehen wir immer weiter zu den verkappteren Formen des Unfriedens, den subtileren,

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die nicht mehr so offensichtlich sind und dann fragen wir ständig nach den Wurzeln, wo kommt es her. Also zunächst mal die internationale Ebene zwischen den Völkern. Durch die gesamte Geschichte der Menschheit ziehen sich Kriege seit der Steinzeit. Die Menschheit hat bis heute es nicht geschafft, Kriege grundsätzlich zu überwinden. Es gibt kaum ein Jahr, wo nicht irgendwo gemordet, getötet und geschossen wurde. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind 70, 80 Millionen Menschen getötet worden in den Schlachten des Weltkriegs.

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Übrigens der Begriff Schlacht kommt aus der Jagd, man schlachte Tiere und von diesem Jagdschlachten kommt der Ausdruck Schlacht im Krieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute sind über 700 Kriege geführt worden. Lokale Kriege, begrenzte regionale Kriege, Stammesfäden und so weiter. In London gibt es ein wissenschaftliches Institut zur Erforschung der Kriegsursachen und die führen eine genaue Statistik seit 1992. Mit dem Ergebnis bis heute gab es kein Jahr seit 1992, in dem auf der Erde weniger als 30 Kriege waren, gleichzeitig. In verschiedenen Orten, in verschiedener Größenordnung, wenn man genau nachguckt, wo wird geschossen. Wir dürfen bei dieser krassen Form jetzt bloß nicht bildungsbürgerlich mittelschichtsorientiert Schwabenländle sagen, da machen wir gleich weiter, das betrifft uns nicht besonders.

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Weil wir jetzt gerade nicht unter massiver Kriegsgefahr sind und auch nicht mehr unter den Kriegsfolgen des Zweiten Weltkriegs, wenn man viele, viele Jahre gelitten hat, das darf kein Grund sein zu sagen, da machen wir mal schnell weiter, nein, ich bleibe da jetzt mal ein bisschen. Also die Kriege sind für die Betroffenen voller Schrecken, voller Leid und voller Tod. Ein Krieg ist entsetzlich, schrecklich. Und diese Kriege also konnten nie überwunden werden bis heute, trotz aller Bildung, trotz aller Wissenschaft, trotz aller Psychotherapie, trotz aller Kriegsforschung. Denn durch Aufklärung über die Gründe des Krieges gehen die Gründe des Krieges noch nicht weg. Aufklärung und Bildung genügen niemals gegen Kriegsgefahr. Die Gründe des Krieges sind so tief, dass man sie durch Aufklärung nicht ohne weiteres wegbekommt, obwohl Friedensforschung schon sehr wichtig ist.

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Man muss realistisch sein. Wenden wir uns mal den sogenannten Friedenszeiten zu. In den sogenannten Friedenszeiten herrscht immer auch Kriegsgefahr. Und weil die Kriegsgefahr nie definitiv grundsätzlich einmal überwunden wurde bis heute, deswegen haben alle Staaten, auch die friedlichen Staaten, die Demokratien und die Rechtsstaaten, alle Militär. Und man muss sich nämlich wappnen gegen die Gefahr des Krieges. Und diese Kriegsgefahr ist heute noch viel größer wie bisher, wir können nämlich heute seit ungefähr 50 Jahren die Menschheit in kurzer Zeit ausrotten. Seit der Entdeckung der Atombombe, der ABC-Waffen ist etwas möglich, was jahrtausendelang gar nicht möglich war.

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Wir können die Menschheit innerhalb weniger Tage vernichten. Und es lagern auch in Friedenszeiten mehr Vernichtungsmittel auf dieser Erde, als wir zur Vernichtung der Menschheit brauchen. Und in diesen sogenannten Friedenszeiten geht die Rüstungsforschung genauso weiter und die Entwicklung der Waffentechnik, die Perfektion der Waffen. Es wird wahnsinnig Geld ausgegeben in Friedenszeiten für Rüstung, jede Minute nach den Ergebnissen des London Institute für Erforschung der Kriegsursachen, jede Minute werden auf der Welt fünf Millionen Dollar für Rüstung ausgegeben, jede Minute. Im Jahr weit über eine Billion Dollar, im Jahr. Schon in einem Monat, wenn man mal einen Monat keine Rüstung finanzieren müsste, wäre der Welthunger wahrscheinlich im Großen Ganzen überwunden.

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Ein Monat ohne Rüstungskosten. Wenn wir ein Jahr mal einlegen würden ohne ein Pfennig für Rüstung, wäre der Welthunger definitiv besiegt. Kein Kind müsste mehr an Hunger sterben. Also diese Rüstungsausgaben fehlen natürlich überall anders. Dort sind sie dann nicht mehr. Zu den sogenannten Friedenszeiten gehören auch Waffenexporte. Die Bundesrepublik ist an dritter Stelle weltweit der dritthöchste Waffenexporteur, ist die Bundesrepublik. Also sie verdient in den Friedenszeiten kolossal am Krieg. Und in den Friedenszeiten, zu den sogenannten Friedenszeiten gehört auch, dass viele Friedensbedingungen eigentlich eine Frechheit sind, ein kalter Krieg. Die Welthandelspreise ist ein kalter Krieg. Was wir für Kaffee bezahlen an diejenigen, die arbeiten, ist zutiefst unfriedlich.

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Wir müssten wahrscheinlich das Fünffache an Kaffee bezahlen, wenn wir diesen Arbeitern für ihre Arbeitszeit so viel bezahlen würden wie uns selber. Also auch die Friedenszeiten sind oft ein versteckter, kalter Krieg. Gehen wir mal zu Kriegsursachen. Nach der Friedensforschung, soweit ich sie kenne, sind die Kriegsursachen sehr komplex und sehr tief. Und sie gehen dadurch nicht weg, dass wir sie erforschen. Eine der wichtigsten Kriegsursachen sind tief sitzende Ängste. Die Angst vor dem Anderen. Die Angst vor dem Fremden. Und diese Ängste wiederum führen oft dazu, dass man andere provoziert. Das ist ganz merkwürdig. Menschen, die ängstlich sind und unsicher sind, provozieren, ohne dass sie es merken. Dann ist eine ganz tiefe Kriegsursache das Misstrauen.

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Die Feindbilder. Gerade Menschen, die nach Macht streben und weil sie ängstlich sind, wollen sie so viel Macht haben, dass sie sich absichern. Die Mächtigen dieser Welt sind oft sehr ängstliche Menschen. Hitler war sehr ängstlich. Die Diktatoren sind überdurchschnittlich ängstlich. Die tiefste Spur kann die Angst sein. Sie wollen so mächtig sein, dass nichts mehr passiert, dass sie sich ganz absichern können. Machtgierige Menschen sind in der Realität überdurchschnittlich ängstlich. Sie brauchen die Macht, um sich ein bisschen sicherer zu fühlen. Ein Mensch, der sich sicher fühlt, braucht keine Macht. Dann sind auch schreckliche Kriegsursachen ungerechte Zustände. Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für Frieden. Ohne Gerechtigkeit kein Frieden und es gibt eben sehr viel Ungerechtigkeit. Dann ist eine Kriegsursache wirtschaftliche Interessen, Geldgier.

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Dann ist eine schwere Gefahr für den Weltfrieden, wenn eine Kultur und eine Zivilisation sich dominant machen will über die ganze Welt. Sagen wir mal die westliche Kultur. Es gibt auf unserer Erde mehrere Kulturen. Es wird nie eine Welteinheitskultur geben, schon aufgrund unterschiedlicher klimatischer und geografischer Bedingungen. Dass Menschen eine andere Hautfarbe haben, dass es heiser ist, dass kein Regen fällt oder sehr viel Regen fällt, das beeinflusst die Mentalität und so entstehen Kulturen. Wir haben die westliche Kultur, die islamische Kultur, die russische Kultur, die afrikanische Kultur und die asiatische Kultur. Es gibt fünf Kulturkreise. Frieden wird nur möglich sein auf Augenhöhe bei einer völligen Gleichberechtigung dieser Kulturen. Sobald eine Kultur nach der Weltherrschaft strebt, ist es eine schwere Gefahr für den Weltfrieden.

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Aber die wirtschaftlichen Interessen gehen nicht dadurch weg, dass man sagt, wirtschaftliche Interessen sind eine Kriegsursache. Also was können wir machen? Wir können, soweit ich das sagen kann, wir können nur eindämmen. Wir können aufklären, Friedensbildung betreiben, Konfliktfähigkeit steigern. Man kann da schon was tun, aber wir sollen alles tun, was wir können. Aber wir können nur eindämmen. Wir können die Kriegsgefahr nur begrenzen. Wir kommen nicht an die Wurzel ran. Die zweite Dimension des Unfriedens ist der Unfriede innerhalb einer Gesellschaft, innerhalb von einem Volk. Es gibt den äußeren Feind, dafür ist die Armee zuständig. Und es gibt den inneren Feind, dafür ist Polizei und Strafvollzug zuständig.

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Die sind auch uniformiert, so wie die Armee. Das ist auch ein Feind. Es gibt den äußeren Feind und den inneren Feind. In Baden-Württemberg gibt es so ungefähr 30 Gefängnisse. Ich war jahrelang mit Studenten regelmäßig in Gefängnissen, habe mit Strafgefangenen, mit dem Gefängnisdirektor, mit dem Gefängnisfahrer, mit dem Gefängnisarzt usw. gesprochen. Und Baden-Württemberg gibt pro Jahr 250 Millionen aus für die Gefängnisse. Und bessern Sie was? Die Rückfallquote ist enorm, zwei Drittel, über 50 Prozent auf jeden Fall zurückfällig. Viele lernen im Gefängnis erst noch die höheren Weihen der Kriminalität. Die Profis unter sich. Und kommen Sie friedlicher raus, wie Sie reingehen? Was geben wir für Riesensummen aus? Sind Gefängnisse intelligent? Dann sollten wir nicht vielleicht noch auf andere Möglichkeiten kommen.

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Vor allem, wenn es nicht um gemeingefährliche Gewaltverbrecher geht. Das sind nur fünf bis acht Prozent in den Gefängnissen. Über 90 Prozent ist Eigentumskriminalität und Beschädigungskriminalität. Und da gäbe es sicher intelligentere Formen. Also die Kriminalitätsrate ist nie gesenkt worden. Sie ist seitdem nie konstant. Unsere Universitäten, unsere Bildungsprogramme, Milliarden für Bildungsprogramme haben die Kriminalitätsrate nicht drücken können. Allerdings muss man andererseits auch sagen, gäbe es keine Polizei und keinen Strafvollzug, würde die Kriminalitätsrate sofort nach oben gehen. Und zwar stark. Es gab mal ein Beispiel in Quebec in den 50er Jahren. Da kam in der Zeitung, dass die Polizei mal streikt, eine Woche lang streikt. Die Zahl der Verbrechen hat sich verzwanzigfacht in dieser Woche. Wenn man weiß, dass man gar nicht verfolgt wird, dann geht es allerdings los. Also wir brauchen schon diese Abschreckung.

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Aber sie kann nur begrenzen, nur eindämmen. Wir kommen nicht an die Wurzel ran. Dann weitere Formen des Unfriedens in der Gesellschaft. Die ganzen Konfliktfelder, Spannungsfelder zwischen den Ethnien, Wallonen und Flamen in Belgien, Türken und Deutsche hier und wo, das ist überall. Zwischen den Ethnien, aber auch zwischen den Generationen, zwischen den Geschlechtern. Zwischen den Schichten, zwischen den Parteien. Und wie viele mühsame Kompromisse. Viele Kompromisse sind ja dermaßen schwer errungen, weil man weiß, es ist noch besser wie Krieg. Jetzt allein Mindestlohn und so weiter. Jahrelanges Gezerfe. Weil eben in unserer Gesellschaft Gruppeninteressen sehr stark sind. Wir kriegen es nicht hin, dass das Allgemeinwohl wirklich herrscht.

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Wir sind gesplittet in Begriffe, Interessenverbände und die suchen ihren Vorteil. Baden-Württemberg ist, glaube ich, das letzte Bundesland, in dem ein Fach im Unterricht immer noch Gemeinschaftsgründe heißt. Dieser Ausdruck ist ein Witz. Denn eine Gesellschaft ist keine Gemeinschaft. Und das soll man auch keinen Schülern vorgaukeln. Wir haben Interessenkonflikte. Wir müssen auch für Kompromisse suchen. Aber eine Gesellschaft ist keine Gemeinschaft. Das Fach muss einfach heißen Politikunterricht. So wie es auch in den meisten Bundesländern üblich ist. Also auch innerhalb einer Gesellschaft geht die Schere zum Beispiel von Reich und Arm weit auseinander. Es leben zurzeit 70.000 Kinder in der Bundesrepublik auf der Straße. 70.000 Kinder. Das waren früher mal 8.000 oder 10.000. Die Gesellschaft wird kälter.

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Die Ellenbogengesellschaft breitet sich aus. Es gibt wertvolle Gegenkräfte, das muss ich sagen, damit ich nicht ungerecht werde. Die sehe ich auch. Musikvereine, Sportvereine. Es gibt Bürgerinitiativen. Musik überhaupt ist eine Friedenskraft. Wobei Musiker dann auch streiten und um irgendwelche Quoten kämpfen. Aber die Musik selber ist eine wirklich friedliche Kraft. Der Sport hat auch sehr friedliche Möglichkeiten. Kann aber natürlich instrumentalisiert werden. Die Musik übrigens auch. Warum wir nur Mastmusik und sowas denken. Also es gibt friedliche Gegenkräfte, die vereinen überhaupt die Familie. Der Schutz der Familie, die Hilfe in der Familie. Aber auch Pflegeberufe, Fürsorgeberufe. Es gibt viel Hilfsbereitschaft unter den Menschen. Also das ist schön. Mir wird, seit ich so sehbehindert bin, so viel geholfen.

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Ich bin wirklich ganz beeindruckt. Es ist wie wenn ich das Gute in den Menschen vorkitzle. Also ich habe schon so viel Hilfe erlebt von Menschen. Das will ich würdigen. Aber es tröstet mich nicht über die anderen Dinge hinweg. Die Gesellschaft wird härter, sie wird kälter. Also auch innerhalb der Gesellschaft gibt es tiefe, starke Formen des Unfriedens. Des Konkurrenzkämpfen. Noch eine Ebene weiter in den Privatbereich, in den Nahbereich. Viele Menschen haben ein bisschen die Illusion, die großen Probleme sind alles bloß die blöden internationalen Probleme. Die blöden Machthaber und die doofen Politiker, auch eine pauschale Abwertung der Politik. Wir brauchen heute Menschen, die in die Politik gehen. Das ist anstrengender, die Privatidylle zu pflegen. Also heute engagiert sich ja kaum mehr jemand.

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Wir amüsieren uns zu Tode. Wir amüsieren uns, aber amüsieren höchstens partiell und zeitweise. Aber nach zwei Jahren geht schon der Schnaufer aus. Also wir brauchen dieses langfristige Engagement der Fürsorgeberufe, Pflegeberufe, die ja beschämend schlecht bezahlt werden. Wann wird der Staat lernen, dass er ohne Pflegeberufe, ohne Fürsorgeberufe, da wischt auch dem Manager im Herzinfarkt keiner die Scheiße unterm Po weg. Dann wird er dann die Pflegeberufe brauchen. Die verdienen ein Tausendstel. Also es gibt gute Gegenkräfte, aber wie werden sie bezahlt? Wie werden sie gewürdigt? Also jetzt gehen wir mal in den Privatbereich. Viele denken ja, ein Privatbereich ist besser. Der Unfriede ist nur außen draußen in der großen Welt.

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Nein, auch in den kleinen Privatbereichen gibt es so viel Zank und Streit. Es wird da nicht besser. Es sind neue Formen des Unfriedens. Wie viele Freundschaften gehen mit der Zeit auseinander? Wie viele Beziehungen gelingen? Wie viele Prozent, ich weiß es nicht. Wie viele Prozent der Beziehungen misslingen, vielleicht nach einer gewissen Zeit? Wie viele Beziehungen bleiben hinter dem zurück, was möglich wäre, sind blockiert. Ein Strafgefangener, der Literaturpreise bekommen hat, weil er im Gefängnis angefangen hat, Kafka und Precht zu lesen. Es war ein Ofensetzer, ein Hauptschüler. Er hat aber später dann viele Literaturpreise bekommen. Ich war mit ihm befreundet. Er ist inzwischen gestorben, mit so 62. Kuno, zur Erinnerung an meinen Freund Kuno, der einen Mord begangen hat.

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Und der mich öfters gefragt hat, Siggi, ich habe einen Mord begangen. Bin ich jetzt ein Mörder? Bin ich jetzt mein Leben lang unter diesem Begriff Mörder? Habe ich nicht auch noch andere Sachen in meinem Leben gemacht? Ich schätze, diese verdammte Tat, die mir schon zwei Minuten später auf Leid getan hat und für die ich ja acht Jahre Zuchthaus habe, bin ja abgesessen, das Zuchthaus war fast noch schlimmer. Und er hat folgendes Motto gehabt, Kuno Bärenbold, Motto von Kuno Bärenbold aus Karlsruhe, Dollach. Zu ahnen, was möglich wäre und nicht geschieht, macht traurig. Das war sein Motto in seinen Büchern. Er hat viele Bücher geschrieben. Zu ahnen, was möglich wäre zwischen Menschen und nicht geschieht.

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Diese Bequemkeit, diese Trägheit, diese Gleichgültigkeit, das geschieht nicht. Nicht nur, was wir tun, ist problematisch, sondern auch, was wir unterlassen, was wir nicht tun. Also im Privatbereich, wie viel Vorurteile, wie viel Abgrenzung, wie viel Neid. Wie viel sich gegenseitig taxieren wie eine Ware auf dem Markt. Wie viel Scheidungsquote, wie viel Streit, wie viel Verletzung. In einem Schulbus sagt man, wenn eine Achtklässlerin einer Sechsklässlerin laut im Schulbus, wenn es so aussähert, wie du, dann hätte ich mich schon längst umgebracht. Ich habe als Gemeindepfarrer einen Mann beerdigt, ungefähr 50 Jahre alt. Die Tochter, die gerade vor zwei Wochen Konfirmation hatte, hat ihn erhängt in der Garage gefunden.

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Sie hat ihren eigenen Vater erhängt in der Garage gefunden mit 14 Jahren. Ich habe dann Gespräche geführt, wie das wohl kam. Ich weiß es natürlich nicht. Aber eines habe ich gehört, dass während der Konfirmationsfeier eine Verwandte zu diesem Mann sagt, du warst ja immer schon ein Nied. Laut und deutlich, so richtig wie mit Schmackes, öffentlich auf der Konfirmationsfeier. Ich meine, das ist schon eine Vernichtung. Wie viel Verletzung und Beschädigung. Wir sind alle beschädigt. Wir sind alle Beschädigte. Wir sind alle Verletzte. Und deswegen haben wir so einen engen Tellerrand und können nicht so großzügig sein. Wir haben unsere Grenzen, denn wir sind selber verletzt. Gehen wir mal in den Innenbereich, in uns selbst hinein.

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Haben wir in uns drin, in unserer eigenen Person, Frieden? Nein, auch nicht. Der Mensch ist nicht einfach eins, einig mit sich selber. Er ist ein Mensch im Widerspruch. Er liegt mit sich selber oft im Streit. Wie viele Selbstvorwürfe, wie viele Selbstanklagen, wie viele Menschen sind verzweifelt. Wie viele Menschen können sich selber nicht mehr leiden. Sie gucken sich nicht gern im Spiegel an. Seid froh, wenn ihr es macht. Es gibt Menschen, die machen es nicht mehr. Diese Zerrissenheit in unserem Wohlbewerb. Mir sagt eine junge Frau, ich will jetzt einfach keine näheren Angaben machen, seit Jahren, ich weiß nicht, was ich werden soll. Wolle jetzt diesen Beruf ergreifen oder nicht? Seit drei Jahren, die gehen vorüber, sie weiß nicht.

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Unser Wohlbewerb ist auf sehr zerrissen. Man sagt immer wieder mal, ich möchte endlich mal tun und lassen können, was ich will. Was willst du eigentlich, wenn es so einfach wäre? Weißt du, was du willst? Also der Mensch ist auch in sich selber zerrissen. Ein Mensch im Widerspruch zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Vernunft und Trieben. Wir haben hin und her gerissen, das Phänomen des Zwiespaltes. Dann will ich es noch kurz zum Ende bringen, damit wir die verschiedenen Ebenen mal kurz im Blickfeld hatten. Wie gehen wir mit anderen Lebewesen um, mit den Tieren? Münchner Oktoberfest, zwei Millionen Göttel unter rotatierenden Messern weg. Kennt ihr die Schlachthäuser der EU? Wart ihr mal zwei Tage in einem Großschlachthaus?

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Die Arbeiter dort müssen nach spätestens einem Monat gewechselt werden. Das hält kein Schwein aus. Diese Grausamkeit. Die Tiere waren noch nie so chancenlos wie heute. Wie geht der Mensch mit Tieren um für Kosmetik und für sonstige Sachen? Wir sind schon in einerseits das Jahrhundert der Tiere. Wir haben Zoos, Wilhelma in Stuttgart. Alte Menschen sind wirklich glücklich, wenn sie eine Katze oder ein Hund oder Meerschweinchen haben. Das kann wirklich eine große Hilfe sein. Wir haben Tierfotografie, wir haben wissenschaftliche Zoologie. Wir wissen so viel über die Tiere. Aber noch nie ist der Mensch so grausam, so industriell vernichtend mit seinen Mitgeschöpfen umgegangen wie der heutige Mensch. Wie geht der Mensch mit der Natur um? Jeden Tag sterben Tier- und Pflanzenarten unwiderbrimmelig aus.

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Keine Menschheit bisher, die Steinzeitmenschen, die antiken Menschen, haben die Welt so kaputt gemacht wie wir. Wir gebildeten technisch-wissenschaftlichen Menschen. Nur Stichwörter sagen Regenwälder, Gletscherschmelze, Klimawandel, Kitten der Meere und so weiter. Unfriede auch gegenüber der Natur. Wir haben unzerstörbare Schäden, unreparierbare Schäden angerichtet. So weit mal prüft selber. Ich habe mich jetzt darauf konzentriert, aber es ging mir um eine realistische, nicht beschöningende, aber auch nicht schwarzmalende Bestandsaufnahme, Formen des Unfriedens tiefer Art auf allen Ebenen. Jetzt haben wir eigentlich zwei Möglichkeiten. Wenn man so eine Analyse mal, da gibt es noch härtere, also meine war noch moderat.

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Man könnte noch stärker argumentieren. Aber ich glaube, dann wäre die Erzeugungskraft nicht höher. Und man wird ja richtig deprimiert. Ich kann sagen, wenn man mal die Unfriedeformen der menschlichen Gesellschaft, auch der westlichen, wissenschaftlichen, gebildeten Gesellschaft mal so Revue passieren lässt, dann macht das die menschliche Gesellschaft einen einigermaßen verheerenden Eindruck. Da trösten einen die guten Sachen, die es gibt, nicht. Jetzt haben wir eigentlich zwei Möglichkeiten. Letztlich haben wir alle nur zwei Möglichkeiten. Und die will ich mal offen sagen, damit ihr damit umgehen könnt. Wir können jetzt erstens Folgendes sagen. Ja, Sigi, im Großen und Ganzen stimmt das. Man könnte sogar noch einiges draufsatteln. Aber andere sagen, ha, bist du vielleicht doch übertrieben. Das kann jeder sagen, wie er will.

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Da kann jetzt einer sagen, Siegfried, ich rücke trotzdem das Gute im Menschen nach vorne. Ja, das stimmt. Das sind bedauerliche Seiten der menschlichen Gesellschaft. Das sind Unfälle. Es sind auch Ausnahmen, Sachen, die sind bedauerlich. Aber sie ändern letztlich nichts am Guten im Menschen. Deswegen trotzdem das Gute, die sportlichen Leistungen VfB und Beethoven und Söhne Mannheims usw. Ich höre mir diese Sachen an. Das ist doch gut, das sind doch Begabungen. Ja, das kann man machen. Also du kannst sagen, diese Sachen gibt es, aber sie sind bedauerlich. Sie sind unangenehm. Aber es sind mehr doch Ausnahmen. Die ändern im Tiefsten grundsätzlich nichts daran am Guten des Menschen. Und das bringe ich nach vorne. Gut, Amen, Halleluja, kannst du machen. Es gibt aber auch eine zweite Möglichkeit und die sieht so aus.

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Diese Formen des Unzufriedens sind keine Ausrutscher. Sie sind auch nicht bedauerliche Ausnahmefälle, sondern sie sind echte Symptome für eine fundamentale Störung im Menschen. Und der Mensch ist bis heute nicht in der Lage gewesen, diese Störung zu überwinden. Und es spricht alles dafür und nichts dagegen, dass er es auch in Zukunft nicht hinkriegt. Es sind Symptome einer tiefen Störung, die wir nicht verharmlosen sollten und nicht weggucken und nicht schönreden. Die Bedürfnisse nach Schönreden sind groß. Und diese Sicht, dass diese Formen des Unzufriedens ein Symptom sind für ganz tiefe Ursachen, nämlich einer wurzeltiefen Störung im Menschsein, das ist die Botschaft der Bibel.

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Dieser Meinung ist die Bibel. Und jetzt können Sie prüfen, ob das realitätsbezogen ist, zu sagen, in diesem Mann hat sich eine Menschheit um Gottes vollzogen, dass Gott uns nahegekommen ist auf eine einzigartige Weise gegenwärtig. Warum? Weil der Mensch viel zu wenig Frieden hat, viel zu viel Streit, viel zu viel Zerrissenheit, Zank. Das ist die Realitätsprüfung. Stimmt diese Behauptung der Bibel, diese empirisch nachprüfbare Behauptung, zu wenig Frieden, zu viel Friedlosigkeit? Dann bekommt auch die Botschaft von der Menschheit und von daher einen realitätsbezogenen Touch, zumindest das. Stimmt die Botschaft nicht, dann verstärkt sich der Eindruck des Märchens. Das ist eine Art von Mythos. Also, das muss man abwägen. Im Blick auf diese Gesamtlage der Menschheit, über die sich die Bibel nichts vormacht,

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mit nüchternem Realismus, sagt sie, der Mensch wird das nicht auf die Reihe kriegen. Die Störung ist so tief, an die kommt der Mensch nicht heran. Er kann eindämmen, der Rechtsstaat dämmt ein, ich bin froh, dass er im Recht ist. Aber wie viel Unrecht im Recht? Wie viel Rechtsbeugung? Der Rechtsstaat kann nur begrenzen, aber er kommt nicht an die Wurzel heran. Und nach biblischer Botschaft gibt es eine Wurzel, also es gibt einen Grund für diese verheerenden Symptome. Nämlich, der Mensch ist entfremdet von seinem eigenen Schöpfer, von dem Wurzelgrund des Daseins. Der Mensch kennt den Grund seines Daseins nicht. Er vertraut nicht dem Grund seines Daseins. Er kann sich nicht tragen lassen.

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Er will lieber selber sein Dasein bewerkstelligen. Das habe ich mir alles selber aufgebaut. Ich habe auch geschuftet, ich habe jahrelang strategisch gearbeitet. Und jetzt will ich keine geschenkte Identität, dass ich von Geschenken lebe. Nein, der Mensch möchte sein Dasein selber durch seine Qualifikationen, seine Anstrengungen, er möchte es alles selber aufbauen. Und in diesen Dingen, da entfremdet er sich von den Grundlagen seines Lebens. Jetzt komme ich mal auf diesen Menschen zurück, zum Schluss, um den sich im christlichen Glauben alles dreht, alle Feste, auch das Weihnachtsfest. Wir feiern die Geburt dieses Menschen. Die biblische Botschaft, die einen so nüchternen Blick für den Unfrieden hat und sagt, dieser Unfriede ist das entscheidende Symptom. Da kommt es raus, wer wir sind. Es kommt nirgendwo so raus, wer wir sind, wie an diesem Punkt.

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Da macht sich die Bibel nichts vor. Viel weniger als die Menschen heute. Die machen sich da ziemlich viel vor. Und die Bibel hat also für Weihnachten folgende Botschaft, und der werden wir uns dann morgen zuwenden. Das soll ja nur so ein Aufwärmer sein, ein Heranführen an die Problematik. Dass es morgen nicht um etwas geht hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen, sondern dass es um eine knallharte Realität geht. Die christliche Hoffnung hält sich der härtesten Realität, die wir haben. Und die ist teilweise ziemlich bescheuert. Wie viele Kinder sterben und leiden. Die Bibel sagt, in diesem Mann aus Nazareth ist etwas geschehen, da haben sich zwei Menschen gefunden, Gott und Mensch. Und weil die Trennung von Gott die tiefste Ursache ist,

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ist das Zueinanderfinden von Gott und Mensch in diesem Mann die Quelle, der Ausgangspunkt von Möglichkeiten des Friedens. In diesem Mann ist Gott und Mensch ganz nahe, nicht mehr entfremdet. Da haben sich zwei gefunden. In dieser Person ist auf eine geheimnisvolle Weise, die wir uns nur langsam ein bisschen bewusst machen können, hat sich Gott und Mensch vereint. Da ist etwas gelungen, was sonst misslungen ist. Hier ist es gelungen. Die Freunde und Freundinnen dieses Mannes, die mit ihm monatelang unterwegs waren auf einem Wanderleben, die haben gemerkt, der Mann ist nicht zerrissen. Er ist dem Grund seines Daseins nicht entfremdet. Bei dem ist irgendwas im Lot.

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Und ich will zum Schluss nur zwei, drei Tupferchen sagen. Ich will mal ein Beispiel sagen, das fast unbekannt ist. Jesus aus Nazareth hat ja Jünger berufen. Und dieser Jünger war sehr bewusst, dass er irgendwie da eine Keimzelle geschaffen hat. Und in dieser Jüngerschaft beruft er einen Zeloten, Simon den Zelot. Das sind Extremisten, Gewaltbereite, römische Widerstandskämpfer, also gegen Rom. Die stechen auch gern Römer ab und ihr ganzer Sinn ist diese verdammte gottlose Militärmaschinerie, die aus Palästina raushauen. Das sind die Zeloten, Widerstandskämpfer gegen die Römer. Und er hat in sein Jünger das Zöllner berufen, Kollaborteure mit den Römern, Levi der Zöllner. Es ist bis heute ein Rätsel, wie das möglich war.

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Denn die Feindschaft zwischen Zeloten und Zöllnern galt im Judentum als vollkommen unüberbrückbar. Es waren Todfeinde. Er beruhte aber beide in seinen Jüngerkreis. Dieser Mann hat Friedensmöglichkeiten, die wir nicht kennen und von denen wir viel lernen können. Liebt eure Feinde, hat auch noch kein Mensch vorhergesagt. Also in diesem Gesamtkontext bewegt sich das Weihnachtsfest. In einem Menschen finden sich Mensch und Gott zum Frieden in einer verdammt friedensarmen Zeit. Kann das etwas ändern? Kann daraus eine Hoffnung entstehen? Das ist die große Frage.

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Unfriede als fundamentales Problem des Menschen – eine Bestandsaufnahme aus biblischer Sicht | 1.6.1

Wortspital – Öhringen: 11. November 2011 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Obwohl wir nicht genau wissen, wann und wo der jüdische Mann aus Nazareth das Licht unserer Welt erblickt hat, setzt mit seiner Geburt die Stunde Null unserer Zeitrechnung ein. Und gleichzeitig beginnt damit auch die eigenständige Geschichte des Christentums. Es ist eine Geschichte in der sich Schönes und Gutes mit viel Brutalität, Gier, Heuchelei, Ausgrenzung und Unmenschlichkeit vermengt. Mit einem Blick in die Historie der Menschheit könnte man sagen, dass das normal ist. Mit einem Blick auf die Botschaft des Mannes aus Nazareth könnte man sagen, dass das schizophren ist. Doch wenn man Siegfried Zimmer zuhört, dann liegt es nahe zu sagen, dass das vollkommen absurd ist. Denn er ist der Überzeugung, dass der Grund für den seltsamen weihnachtlichen Inkarnationsvorgang, der gerne als “Menschwerdung Gottes” bezeichnet wird, eben genau jene Unmenschlichkeit, jener Unfriede unter den Menschen ist. Kann man das ernst nehmen?