Ich habe jetzt ganz bewusst als erste Überblicksvorlesung die Gotteserfahrung Jesu gewählt, weil ich sie für grundlegend halte. Die Gotteserfahrung Jesu ist der Schlüssel zu seinem Verständnis. Ich will zunächst mal ein paar Vorbemerkungen machen, allgemeiner Art. Der Lebensstil der Menschen und auch die Lebensüberzeugung der Menschen ist sehr stark geprägt und beeinflusst von den Erfahrungen, die sie machen. Das geht uns allen so. Es gibt grundlegende, prägende Erfahrungen, die für Jahre und Jahrzehnte einen enormen Einfluss haben.
Und das muss bei Jesus genauso gewesen sein, wenn er ein echter normaler Mensch war. Und davon gehen wir natürlich aus. Ich nähe mich jetzt also diesem Phänomen Jesus aus Nazareth ganz von der menschlichen Seite. Das ist einfach der beste Weg. Man kann nicht mit religiösen Spekulationen beginnen. Also wenn Jesus ein echter Mensch war, dann ist auch er von seinen wichtigsten, grundlegenden Erfahrungen beeinflusst worden. Und weil Jesus in der Mitte aller seiner Reden von Gott geredet hat, das ist überhaupt gar kein Zweifel möglich, dass in der Zeit, in der Jesus dann öffentlich aufgetreten ist, hat er Gott in den Mittelpunkt seines Redens gestellt. Und daraus kann man mit großer Sicherheit folgen, das ist nur möglich, wenn man voraussetzt, dass Jesus als seine entscheidenden Erfahrungen seine Gotteserfahrungen angesehen hat.
Also Jesus muss wohl, ohne dass wir Einzelheiten wissen, er muss wohl seine wichtigsten, prägenden Lebenserfahrungen als Gotteserfahrungen gedeutet haben. Jeder von uns deutet ja auch seine Erfahrungen oder sagen wir mal seine Erlebnisse. Man unterscheidet übrigens in der Pädagogik und in der Philosophie zwischen dem Wort Erlebnis und Erfahrung. Eine Erfahrung ist ein gedeutetes Erlebnis. Es gibt Menschen, die erleben viel und erfahren wenig, weil sie ihre Erlebnisse nicht auswerten, nicht interpretieren und sie nicht verarbeiten. Ich habe nach vier Jahren Schulzeit, ich bin von Haus aus Hauptschullehrer, war vier Jahre lang Lehrer, ich habe nach vier Jahren den Eindruck gehabt, ich muss jetzt nicht unbedingt nochmal zehn Jahre in der Schule sein, um auszuwerten, was ich hier erlebt habe in den vier Jahren.
Es gibt also Menschen, die sind 20 Jahre wo, aber sie haben eigentlich wenig ausgewertet. Und es gibt Leute, die sind kurz wo und werten diese Erlebnisse aber intensiv aus. Und das nennt man dann eine Erfahrung. Also Jesus hat wohl seine entscheidenden Erlebnisse, muss ich jetzt präziser sagen, als Gotteserfahrungen gedeutet. Über die Einzelheiten seiner Gotteserfahrungen ist nichts bekannt. Jesus hat offensichtlich darüber nicht viel gesprochen, also wann und wie oft und bei welcher Gelegenheit und so weiter, darüber wissen wir nichts. Zumindest ist nichts überliefert. Trotzdem können wir entscheidende Dinge rekonstruieren. Und zwar muss man generell unterscheiden, Menschen reden über Gott in der dritten Person,
auch wir jetzt in dieser Vorlesung, wir reden über Gott, aber man kann auch zu Gott reden im Gebet. Das sind die beiden Möglichkeiten, reden über jemand und reden zu jemand. Das Reden in der dritten Person und das Reden in der zweiten Person. Und in der Art und Weise, wie Jesus über Gott geredet hat, er hat ja zu anderen Menschen, zu seinen Jüngern und zu anderen, über Gott geredet, vor allem aber die Art und Weise, wie er zu Gott geredet hat, lässt Rückschlüsse zu auf seine Gotteserfahrung. Also ich will es nochmal mit anderen Worten sagen, ich gehe jetzt in dieser Vorlesungsreihe davon aus, dass die Grundlage für das öffentliche Auftreten Jesus' seine Gotteserfahrung war. Wir müssen also versuchen, die Art und die Qualität seiner Gotteserfahrung so klar wie möglich zu erkennen,
denn sie ist der Schlüssel, warum Jesus so geredet hat und gelebt hat, wie er gelebt hat in der Zeit seines öffentlichen Wirkens. Und in diesen letzten zwei, drei Jahren hat er sehr intensiv gelebt, also müssen seine Gotteserfahrungen sehr intensiv gewesen sein. Und ich unterscheide jetzt zwischen dem Reden über Gott und dem Reden zu Gott. Am wichtigsten ist das Reden zu Gott. Ich werde jetzt also als Schlüssel zum Verständnis Jesu sein Gebet nehmen. Das erscheint mir und vielen anderen auch, also das, was ich jetzt sage, ist nicht von mir aus entwickelt worden, das sind verschiedene bedeutende Neutestamentler, an die ich mich da anschließe. Also wir nehmen als Schlüssel zum Verständnis Jesu in erster Linie seine Gebete zu Gott, soweit sie überliefert sind. Das Reden zu Gott ist was ganz anderes als das Reden über Gott.
Gebete sind sozusagen der Ernstfall des Glaubens. Wie ich zu Gott rede, das zeigt viel tiefer, wie ich zu ihm stehe. Und deswegen nehme ich also diese Gebete Jesu für so wichtig. Aber ich werte schon auch sein Reden über Gott aus, zum Beispiel seine Gleichnisse, sein Reden über Gott. Und weil sein Reden über Gott das bestätigt, was man in der Analyse seiner Gebete herausfinden kann, deswegen betreten wir hier sehr soliden Boden. Denn man kann Dinge sehr klar erkennen in seinen Gebeten und diese Dinge werden bestätigt auch in der Art, wie Jesus über Gott redet. Und jetzt als Schluss dieser allgemeinen Vorerfahrungen. Jesu Gottes Erfahrungen müssen bei Jesus damit zusammenhängen, wie er Vater erfährt.
Denn in den Gebeten Jesu ist die auffälligste Neuigkeit, die bei ihm kommt, wie er Gott als Vater anredet. Also die Gotteserfahrung Jesu kreist ganz zentral um die Vatererfahrung. Und jetzt möchte ich also, damit wir die Dinge gründlich angehen, über die Bedeutung der Vatererfahrung überhaupt in der Menschheit das Allerwichtigste sagen. Ich muss jetzt also relativ weit ausholen, damit wir die Tragweite dieser Veränderung der Vatererfahrung, die in den Gebeten Jesu stattfindet, dass wir diese Tragweite überhaupt aufnehmen können. Das kann man nicht geschwind einfach sagen. Man muss sich Schritt für Schritt klar machen, um was es dabei geht. Ich beginne also ein erstes Kapitel mit der Überschrift Die Vatererfahrung als Basis des Patriarchats.
Das Wort Vater, wie natürlich auch das Wort Mutter, gehört zu den Urworten der Menschheit. Alle Kulturen, alle Völker seit der Altsteinzeit haben Worte für Vater und Mutter. Bei der Vatererfahrung, auf die ich mich jetzt konzentriere, weil nur sie ist die Basiserfahrung des Patriarchats. Mit Patriarchat bezeichnet man eine Gesellschaftsordnung und eine Weltanschauung, in der das Männliche dominiert. Im Patriarchat ist die Vatererfahrung die Grundlage. Machen wir uns zunächst einmal bewusst, wie wichtig ist das Patriarchat für die Menschheitsgeschichte. Sie ist viel, viel wichtiger als Sie jetzt vielleicht geschwind, Schwabe sagt immer geschwind, wie Sie jetzt vielleicht denken.
Nämlich bis ins 20. Jahrhundert herrschte interreligiös, interkulturell auf allen Erdteilen, in allen Hochkulturen, die wir kennen, selbstverständlich unumstritten das Patriarchat. Also viele tausend Jahre lang auf der ganzen Welt. Es gibt keinen anderen kulturgeschichtlichen Faktor der Weltgeschichte, der so eine prägende Kraft hatte, wie das jahrtausende lange, selbstverständliche Patriarchat. Das Patriarchat ist nicht nur eine Eigentumsordnung, das ist es auch. Es ist nicht nur eine Gesellschaftsordnung, das ist es auch. Es ist auch eine Weltanschauung. Und deswegen gehört zu jeder Art des Patriarchats eine entsprechende Religion. Jedes Patriarchat hat eine patriarchalische Religion.
Das heißt, es hängt ganz eng zusammen. Eigentumsordnung, Gesellschaftsordnung, Weltanschauung und Religion ist eine Einheit in der Antike. Jahrtausende lang, selbstverständlich, jedes Kind ist von frühester Kindheit, ob Junge oder Mädchen, von diesen Vorgaben tief bis ins Unterbewusste geprägt. Jetzt will ich mal die entscheidenden Punkte dieser Einheit aus Gesellschaftsordnung und Religion mal versuchen bewusst zu machen. Die Grundlage aller Vatererfahrungen auf allen Erdteilen der Erde, jahrtausendelang für alle Kinder, von Anfang des Lebens an, ist die Erfahrung des Hausvaters. Der Hausvater. Das Haus im hebräischen Bayit, im griechischen Oikos, ist die Keimzelle des Lebens.
Jeder beginnt sein Leben in einem Haus. Haus ist ein vielschichtiger Begriff. Das Wort Familie gibt es noch gar nicht. Das Wort Familie entsteht erst im 18. Jahrhundert. Und dann die heutige kleinbürgerliche Familie, die in Mietwohnungen lebt, zwei Kinder hat oder eins, das ist eine ganz andere Welt. In einem Oikos, in einem Bayit, in einem Haus, leben durchschnittlich 30 bis 50 Personen. Drei Generationen, Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel, vier Generationen oft, unverheiratete Verwandte bleiben auch im Oikos und Sklaven. Und das alles zusammen 30 bis 50 Personen. Und der klare Chef ist der Hausherr. Der Hausvater heißt auch Hausherr. Man konnte in der Antike nicht Vater gegen Mutter ausspielen.
Es ging nicht, weil die Macht war nicht geteilt zwischen diesen beiden. Die ganze Macht war nur in der Hand des Hausvaters. Alle anderen waren unter seiner Vormundschaft, auch seine Ehefrau oder seine Ehefrauen. Sie waren unter der Vormundschaft des Vaters. Alle Frauen des Hauses, alle Kinder des Hauses, alle unverheirateten Verwandten des Hauses und alle Diener und Sklaven standen unter der Herrschaft des Vaters. Man konnte in der Antike auch die eigenen Kinder töten. Das war gar kein Unrechtbewusstsein. Jeder Hausvater kann die Kinder töten, die er nicht will. Es war keine Strafe drauf, das ist selbstverständlich. Er war Herr über Tod und Leben. Nehmen wir mal in Rom, wenn ein Kind geboren wurde, wurde es nackt vor die Füße des Dominus, des Hausvaters gelegt. Und der Hausvater guckt das nackte Würmle an. Und wenn er lächelt, darf es leben. Und wenn er sich abwendet, wird es in Tiber geschmissen.
Oder auch in irgendwelche öffentlichen Toiletten. Die werden einfach gleich entsorgt. Und deswegen heißt es auch, sein Angesicht über mir leuchten lassen. Daher kommt es. Wenn jemand das Kind anguckt und er lächelt, sein Angesicht leuchtet, dann heißt es, du darfst leben. Und daher kommt die Redensart, Gott lässt sein Angesicht leuchten über uns. Wer wurde umgebracht? Natürlich alle missgebildeten Kinder. Krüppel, hat man gesagt, die waren chancenlos. Sofort weg. Aber auch bei den Mädchen, so ab dem dritten Mädchen, hat man die in der Regel nicht aufgezogen. Die Römer haben die männlichen Söhne, wenn sie gesund waren, aufgezogen und durchnummeriert. Primus, Secundus, Quintus, Octavian, der Achte, gar keine Namen gegeben, einfach nummern. Also, das Patriarchat hatte das Recht auf Tötung der Hausvater, das Recht auf Erziehung, das Recht auf Besitz,
Verkauf von Besitz, das ganze Geschäftsrecht, war alles in der Hand des Hausvaters. Der Hausvater war der höchste Repräsentant des Hauses. Und dieses Haus war auch eine Wirtschaftseinheit. Hier bewähren sich die Menschen oder sie versagen im Haus. Das ist sozusagen der primäre Ort für das Gelingen oder Misslingen des Lebens. Das Haus prüft die Menschen, keiner bleibt anonym, jeder kennt sich, kann sich dem anderen nichts vormachen. Also, und der Chef des Hauses ist der Hausvater. So erlebt es jedes Kind jahrtausendelang. So wie die ewige Ordnung von Sonne, Mond und Sterne, so ist schicksalhaft ganz klar der Hausvater. Der Hausvater hatte eine Doppelfunktion. In erster Linie war er der Herrscher. Deswegen sagt man auch Hausherr. Aber er war auch der Fürsorger des Hauses. Er sollte für sein Haus sorgen.
Aber ganz klar, die erste Funktion ist seine Macht. Und die zweite Frage ist, wie geht er mit seiner Macht um? Also, die erste Frage ist immer, die erste Feststellung ist immer, der Hausvater hat die Macht. Und daraus ergibt sich eine Frage, wie geht er mit der Macht um? Aber die Voraussetzung ist immer, er hat sie. Und manche gehen mit der Macht despotisch um, diktatorisch, cholerisch, schwillt die Zornesader. Und deswegen sagt man zu den Vätern auch ihr, man redet sie mit sie an in der Antike. Denn weißt du, wenn der Vater mal zornig wird, du, das kann schlimm ausgehen, da kannst du auch gleich mal tot sein. Und deswegen hat man schon eine tiefe Angst und Scheu vor den Vätern. Denn es kann schon da mal um Tot und Leben gehen, schneller als du denkst. Und das weiß man vom Nachbarn und so weiter. Aber es gab auch Väter, die ziemlich gute Fürsorger waren.
Nicht alle Väter der Antike waren despoten und autoritäre, cholerische Typen, vor dem das ganze Haus gezittert hat jahrelang. Es gab schon auch sehr fürsorgliche, gemäßigte, künstliche Hausväter. Also, der Hausvater war Herr und Fürsorger des Hauses. Und diese Vatererfahrung, die jeder Mensch in den ersten prägenden Jahren seines Lebens gemacht hat, wurde jetzt zum Modell genommen für die Landesväter. Die Hausvaterschaft ist das Grundmodell der politischen Macht. Die Landeskönige sind die Landesväter und ihre Untertanen sind die Landeskinder. So haben ja manche Ministerpräsidenten bis ins 20. oder 21. Jahrhundert geredet, der Landesvater und die Landeskinder. Und genau die gleiche Doppelfunktion, er hat die Macht. Man sagt ja auch eben, es sind Herrscher. Man sagt nicht, es sind Fürsorger. Der König ist nicht der Fürsorger, er ist erst mal der Herrscher.
Aber dann hofft man natürlich, dass Leute König werden, die nicht nur despoten sind, sondern die dem Land auch gut tun, die für das Land auch sorgen. Und das gleiche Modell der Hausvaterschaft übertrug man auf den Himmel, auf die Götter. Das sind dann eben die Götterväter. Alle Religionen waren politistisch, sie hatten ein Pantheon, die Götter, die für die verschiedenen Bereiche des Lebens zuständig waren. Und der oberste Gott ist in allen Hochkulturen der Welt, China, Indien, Indianer, Mayas, Inkas, Azteken, aber auch Griechen, Römer, Sumerer, Hetitter, Asyrer, Babylonier, Ägypter usw. Überall, überall, ohne eine einzige Ausnahme, ist der oberste Gott immer ein Vater, der Vatergott. Das ist der Chef im Pantheon. Jupiter, da steckt das Wort Pater drin.
Jupiter ist der oberste Gott im römischen Pantheon und ist einfach der Vater. Jupiter ist der Vater und der Erzeuger der Götter und Menschen. Zeus ist der oberste Gott im griechischen Pantheon. Zeus ist der Erzeuger und Vater der Götter und Menschen. In Babylonien ist der oberste Gott der Mondgott Shin, er ist der Allvater. Und bei den Ägyptern ist der oberste Gott der Sonnengott Re, er ist der Vater und Erzeuger der Götter und Menschen. Das ist also überall gleich. Und so haben wir jetzt ein Gesamtsystem Hausvater, Landesvater, Göttervater. Die stabilisieren sich alle gegenseitig. Die Landesväter und die Hausväter fühlten sich ehrlich, aufrichtig als die Repräsentanten des göttlichen Vaters. Alles läuft über die Väter. Und natürlich, auch die Götterväter haben eine väterliche Religion, die Oberpriester sind alles Männer, Chef des Tempels ist immer ein Mann.
Und die Priester, die Männer, das sind eben die geistlichen Väter eines Volkes. Also Hausvater, Landesvater, Göttervater und Priestervater. Das ist eine Einheit, die sich gegenseitig stabilisiert und gegenseitig legitimiert. Und diese Einheit, unbefragt bis ins Unterbewusste abgesichert, verlieh diesen Kulturen auch eine ganz schöne Stabilität. Man kann also nicht einfach sagen, das war falsch, das wäre ein bisschen sehr kurzschlüssig. Im Nachhinein kann man leicht reden. Also es verleihte diesen Kulturen, es verlieh diesen Kulturen eine hohe Stabilität. Und jede Kultur war patriarchalisch. Also es ist so, wie wenn es gar keinen anderen Weg gegeben hat. Und insofern könnte man sagen, der Begriff Vater war auch religionspsychologisch ein Idol, ein Idolbegriff. Vater ist das zentrale gesellschaftliche, politische und religiöse Idol der Vater.
Man kann sich jetzt fragen, rein historisch, was sind denn die Gründe, dass sich tatsächlich überall in Asien, Afrika, Amerika, in den Hochkulturen, überall das Patriarchat durchgesetzt hat. Also man sagt, im heutigen Stand der wissenschaftlichen Forschung nennt man drei Gründe. Man sagt, ganz umfassend kann man das gar nicht mehr richtig erklären, weil es ist ungeheuer vielschichtig, ungeheuer komplex. Aber drei Gründe gelten eigentlich heute allgemein unter den Fachleuten als die Hauptgründe. Das eine ist, dass der Mann einfach physisch stärker ist, als die Frau. Also wenn es zum Boxkampf kommt, setzt sich in der Regel der Mann durch. Und manche Dinge wurden dann eben schließlich physisch gelöst. Und da setzte sich der Mann durch. Der zweite Grund ist, der Mann ist nicht so beschäftigt mit Schwangerschaft und Stillen.
Sie müssen sich mal überlegen, bei zehn bis zwanzig Kindern war die Frau hauptberuflich schwanger. Ab dem vierzehnten Lebensjahr war sie beruflich mit Schwangerschaft beschäftigt. Und nach der Schwangerschaft langes Stillen, nicht nur drei Monate, manchmal ein Jahr. Also durch Schwangerschaft und Stillen, da kannst du nicht mehr auf die Jagd gehen, kannst auch nicht politisch dich groß aktivieren, du bist so ans Haus gebunden. Bei fünfzehn Geburten und danach, bei der vierzehnten bist du tot, da stirbst du im Kinderbett. Also Frauen konnten gar nicht politisch öffentlich irgendwie so aktiv werden wie Männer. Das hängt eben mit der hohen Kinderzahl zusammen. Und der dritte Grund könnte sein, dass er ihnen völlig unbekannt ist. Aber der Grund ist so wichtig, dass er zum ABC der Grundlagenbildung gehört heute. Das Sperma des Mannes kann man mit bloßem Auge sehen, aber die Eizelle sieht niemand.
Die ist unsichtbar. Erst seit es Mikroskope gibt, die Mikroskope sind im 17. Jahrhundert erstmalig so entwickelt worden, aber die Mikroskope mussten eine hohe Qualität haben, bis man zum ersten Mal in der Welt eine Eizelle sah, das war 1843, hat zum ersten Mal ein Mensch gesehen, dass ein Kind zu 50 Prozent vom Mann stammt und zu 50 Prozent von der Frau. Es hat kein Mensch gewusst jahrtausendellang, sondern jeder, auch Martin Luther, kann man niemanden vorwerfen, die haben alle so gedacht, das Sperma flutscht da in die Frau rein, in die Gebärmutter, und da knapper, knapper, knapper, knapper, Ernährungsmaterie, die Frau stellt eigentlich nur die Ernährungsmaterie zur Verfügung, kommt das Kind wieder raus und es gehört natürlich dem Vater. Der Vater hat es durch das Sperma reingesteckt und dann kommt es wieder.
Deswegen, die Frau gebierte dem Mann Kinder. Erst das Mikroskop hat die Gleichberechtigung der Frau ermöglicht. Das Mikroskop hat dem Patriarchat einen schweren Schaden zugefügt, weil erst durchs Mikroskop weiß man, ein Kind gehört zur Hälfte, hat zur Hälfte Erbanlagen vom Mann und von der Frau. Das ist natürlich eine ungeheure Revolution gewesen. Ohne dass Sie dieses Ereignis kennen mit seiner ganzen Bedeutung, können Sie das Patriarchat nicht ermessen, dass die Frau dem Mann Kinder gebärt. Also das sind die drei Gründe, warum es überall zum Patriarchat gekommen ist. Jetzt will ich am Ende von diesem ersten Baustein schon sagen, also die Vatererfahrung des Hausvaters, der dann als Modell genommen wurde für den Landesvater, für den Göttervater und für den Priestervater. Diese Vatererfahrung war die Grundlage aller Grundlagen.
Es war die Grundlage des ganzen Lebensgehäuses der Menschen. Wer an dieser Vatererfahrung ansetzt, wer diese Vatererfahrung verändert, verändert die Grundlagen der Grundlagen des Systems. Aber warum soll einer da ansetzen? Warum? Aus welchem Interesse? Mit welchem Ziel? Jetzt kommt der zweite Baustein. Wir schauen mal ins Alte Testament, wie Gott im Alten Testament dargestellt wird. Schauen wir mal ins Alte Testament rein. Wissenschaftlich, unter bewusster Vorsicht gegenüber eigenen Vorurteilen, gegenüber eigenen Klischees. Das gehört zur wissenschaftlichen Betrachtung, dass man mit eigenen Vorurteilen ganz stark rechnet, dass man selbst kritisch wird.
Also beginnt man mal so, die wissenschaftliche Erforschung des Alten Testaments kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Aber erst wenn man so fragt, so gezielt, denn im Alten Testament gibt es erstaunliche Elemente, die dem patriarchalen Weltsystem nicht entsprechen. Das Alte Testament ist schon auch patriarchalisch geprägt, in vielen Dingen, man kann sagen, in hunderten von Dingen. Aber es gibt einige wichtige, brisante Dinge, die dem Patriarchat nicht entsprechen. Und die sind jetzt mal von besonderem Interesse. Das Allerallerauffälligste ist, und da können Sie jetzt mal Ihr zweites Arbeitsblatt, das Arbeitsblatt Nummer zwei, nehmen Sie das mal zur Hand. Kann mir jemand mal dieses Arbeitsblatt bringen?
Martin, hast du ein zweites noch? Irgendwo lag auch meine eigene... Danke. Die anderen brauch ich nachher auch, die kannst du alle gleich... Also jetzt guckt mal in das Arbeitsblatt zwei rein. Sigmund Freud, ein Jude, der um die Jahrhundertwende in Wien gelebt hat, einer der wichtigsten Begründer der Lehre vom Unbewussten, das ist eine wahnsinnig wichtige Entdeckung, der hat mal gesagt, das Alte Testament ist eine Vaterreligion. Das ist der größte Unsinn, den man sagen kann. Also der Sigmund Freud war sicher ein Genie. Man kann viel von ihm lernen. Wir haben hohen Respekt, aber da hat er sich nun wirklich nicht ausgekannt. Nämlich das Alte Testament ist gerade erstaunlicherweise als einziges religiöses Dokument der Antike überhaupt keine Vaterreligion. Und es muss einem erst mal auffallen.
Mir ist es zum ersten Mal erst durchs Universitätsstudium aufgefallen, obwohl ich schon jahrelang Christ war. Es fällt einem irgendwie nicht auf. Die wichtigsten grundlegenden Dinge fallen einem nicht ohne weiteres auf. Und wenn man zehn Jahre lang in der Bibel liest, ich kenne viele, die haben 50, 60 Jahre lang in der Bibel gelesen, als sie das hörten, haben sie gesagt, Zappala, das ist mir noch nie aufgefallen. Also der Name Jahwe, auf den ich gleich kommen werde, das ist der Name für Gott im Alten Testament, oder ich sage jetzt besser, statt Alten Testament, die jüdische Bibel. Es ist gut, wenn wir lernen, nicht immer nur Altes Testament zu sagen, sondern das ist ein belastetes Wort. Das kommt in der Bibel gar nicht vor, das Alte Testament. Das entsteht ungefähr im Jahr 200. Von da an wird das Alte Testament als Altes Testament bezeichnet. Und das ist schon die Zeit, wo die Kirche sich vom Judentum getrennt hat und das Judentum pauschal negativ bewertet, Gottesmörder.
In der Zeit entsteht der Ausdruck Altes Testament. Juden hören den Ausdruck nicht gern. Und deswegen hat man in der wissenschaftlichen Theologie, die sehr lernbereit ist und sich auch selber korrigiert, sagt man jetzt eher die jüdische Bibel. Damit wir auch lernen, unser Altes Testament ist die heilige Schrift einer Weltreligion. Also schaut man in die jüdische Bibel rein und achtet mal auf die Gottesbezeichnungen, wie Gott genannt wird. Und zählt sie mal durch. Dann kommt, also Sie können das auch schriftlich nachlesen, ich habe es auch dabei, da stehen die Zahlen alle genau drin. Im Häufigsten wird Gott mit Jahwe bezeichnet 6800 mal. Noch ein bisschen mehr, fast 6900 mal. Das ist das häufigste Wort für Gott. Dieses Wort Jahwe ist ein Name, es ist kein Titel, es ist keine Bezeichnung, es ist wirklich ein Name, so wie Siegfried. Also der Name Gottes heißt Jahwe und der kommt über 6800 mal vor.
Der Titel für Gott ist Elohim, das heißt einfach Gott. Das kommt ungefähr 2500 mal vor. Dann wird Gott auch bezeichnet als Adonai, Herr, kommt ungefähr 450 mal vor. Dann wird Gott bezeichnet als Zebaot, 250 mal. Und dann wird er bezeichnet als König, vielleicht 150 mal, weiß ich nicht genau, als der Heilige Israels und so weiter. Aber wie oft wird er eigentlich als Vater bezeichnet? Wo doch alle Kulturen, alle Religionen, der oberste Gott, Jupiter, Zeus, Shin, Re, sind ja alles Väter. Und die werden ständig als Väter bezeichnet, besungen, angeredet. Also in den Religionen kommt es tausende Mal vor. Das ist das Allerwichtigste am obersten Gott ist, dass er Vater ist. Unser aller Vater. Und jetzt schauen wir mal in die jüdische Bibel hinein.
Also ich trage euch jetzt die Ergebnisse von jahrzehntelanger bescheidener, harter Forschung vor. Nämlich Gott wird einige Male im Alpentestament, das ist ganz oben, die obersten Zeile mit einem Vater verglichen. Gott ist wie ein Vater. Das sind sieben, acht oder neun Stellen, die finden Sie ganz oben. Die lasse ich jetzt mal weg. Ich konzentriere mich jetzt mal auf die Stellen, wo Gott nicht nur wie ein Vater, sondern wo er wirklich als Vater bezeichnet wird. Das sind insgesamt 15 Stellen. 15. 15. Das muss man mal registrieren. 6800 Mal Jahwe, 2500 Mal Elohim, 450 Mal Adonai, 250 Mal Zebaot und dann noch König und Herr der Herr und Heiliger Israels. Alles viel öfters. Die seltenste Gottesbezeichnung für Gott in der jüdischen Bibel ist Vater.
Die seltenste überhaupt. Man kann auch sagen, 17 Stellen, nämlich eine Stelle wird zweimal zitiert. Das ist die Stelle von der Nathan, 2 Samuel 7. Die Stelle wird zweimal in den Chronika-Büchern wörtlich noch mal zitiert. Deswegen kann man sagen, es gibt 15 Stellen oder es gibt 17 Stellen. Beides stimmt, weil 16 und 17 ist die Wiederholung einer dieser Stellen. Jetzt ist es aber noch interessanter, wenn man die Verteilung dieser 15 Stellen mal sich anschaut. Dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Sigmund Freud als Jude hatte davon keine Ahnung. Also gehen wir mal zur Thora. Thora ist die jüdische Bezeichnung für die fünf Bücher Mose.
In den fünf Büchern Mose kommt die Bezeichnung für Gott eigentlich überhaupt nicht vor. Es gibt eine einzige Stelle, ich habe hier die wissenschaftlichen Abkürzungen. Da steht DT bei euch. Erste Stelle DT, DT heißt Deuteronomium, das ist die wissenschaftliche Bezeichnung fürs fünfte Buch Mose. Fünfte Buch Mose, 32, Vers 6, ist die einzige Stelle in den fünf Büchern Mose. Und die fünf Bücher Mose ist der wichtigste Teil der Heiligen Schrift im Judentum. Das ist die Grundlage. Die fünf Bücher Mose haben die höchste Autorität. Die prophetischen Schriften haben auch hohe Autorität, aber nicht mehr so hoch wie die Thora. Und die restlichen Schriften der Heiligen Schrift haben auch hohe Autorität, aber nicht so hoch wie die der Propheten und bei weitem nicht so hoch wie die der Thora. Also im Judentum hat nicht die ganze Heilige Schrift die gleiche Autorität, sondern Grundlage sind die fünf Bücher Mose,
zweite Grundlage sind die prophetischen Schriften, dritte Grundlage der Rest. Und in diesen fünf Büchern Mose, nur im fünften Buch Mose, 32, 6, da hört übrigens die Thora auf. Die Thora hat nur im fünften Buch Mose 32 Kapitel. Das heißt, ganz am Ende, kurz bevor es aufhört, kommt einmal der Ausdruck Vater. In der wissenschaftlichen Bibelexegese hat man herausgefunden, mit guten Gründen, die ich euch jetzt nicht aufzählen kann und vor allem ich kann sie euch nicht erklären, ist man sich ziemlich einig, diese einzige Stelle ist ein später Nachtrag. Sie ist erst später reingesetzt worden. Also gehen wir mal davon aus, dass es stimmt. Es spricht alles dafür und nichts dagegen, dass es stimmt. Dann stehen wir vor dem Ergebnis, in dem entscheidenden Teil der Heiligen Schrift
wird Gott niemals als Vater bezeichnet. Sollte diese wissenschaftliche These falsch sein, dann müssen wir sagen, ein einziges Mal, ganz am Ende, ist euch das schon jemals aufgefallen. Was heißt denn Bibeltreu? Wenn man nicht mal das, das ist das nicht mal, das A vom ABC, wenn man das nicht kennt und die Bedeutung dieser grundlegenden Dinge, was soll denn das Wort Bibeltreu bedeuten? Dann das nächste, was auffällt, ist, es kommt in den Psalmen, geht mal zu dem Zahl 2, in den Psalmen des Gebetsbuch der Bibel, es gibt zwei Psalmen, zweimal. Es gibt ja insgesamt 150 Psalmen. In den 150 Psalmen wird Gott zweimal als Vater bezeichnet. Zweimal.
Seltenste Bezeichnung auch in den Psalmen. Und jetzt das nächste ist, es häuft sich bei den Propheten. Also 90, 95 Prozent aller Stellen, die Gott als Vater bezeichnet, sind prophetische Stellen. Also bei den Propheten ändert sich das Bild, aber es bleibt sehr selten. Wenn man diese prophetischen Stellen auf eurem zweiten Arbeitsplatz, alle diese Stellen wörtlich zitiert, das schaffe ich jetzt zeitlich nicht, wer diese Dinge weiter genauer verfolgen will, der sollte alle 15 oder 17 Stellen wörtlich lesen. Also auf dem nächsten Arbeitsplatz sind die alle wörtlich abgetippt. Und natürlich sind die in der wissenschaftlichen Theologie hundertfach erforscht worden, weil man gespürt hat, wie wichtig diese Dinge sind. Wenn man also diese prophetischen Dinge genauer untersucht nach ihrer zeitlichen Reihenfolge, dann stellt man fest, der älteste Text ist bei Jeremia und dann gibt es bei Deuteron Jesaja einige Stellen,
aber die jüngsten Stellen nach dem babylonischen Exil bleiben auch selten. Man kann also nicht sagen, die Vaterbezeichnung ist zwar selten, aber sie nimmt langsam kontinuierlich zu. Sie bleibt bis zum Ende des Alten Testaments selten. Es gibt eine einzige Häufung, jetzt muss ich mal gucken, wie ich das hier formuliert habe, weil ich kann das nicht so schnell in die nicht wissenschaftlichen Begriffe übertragen. Guckt mal die Stellen an Jesaja 63, 16 zweimal, da kommt Vater in dem Vers zweimal vor, das ist eine Sensation. Und dann gibt es noch Jesaja 64, Vers 7. Das sind also drei Stellen ganz dicht Jesaja 63 zweimal, Jesaja 64 auch schon wieder. Drei Stellen in zwei Kapiteln, das ist der Höhepunkt in der Bibel. Und diese Jesaja-Stellen, die gehören einem Trito Jesaja, nennt man den wissenschaftlich,
der ist aufgetreten im babylonischen Exil. Als Jerusalem zerstört war und selber wieder Opfer einer patriarchalischen Großmacht wurde, nämlich der Großmacht Babylon, da kommt eine gewisse kleine Häufung vor, und das sind Klagelieder, Volksklagelieder, das sind Gebete. Jetzt möchte ich Ihnen mal diese prophetische Entwicklung, also da spielt sich das meiste ab, mal jetzt in eigenen freien Worten ein bisschen wiedergeben. Ich fange mal nochmal bei der Thora an. In der Thora, wo Gott überhaupt nicht als Vater bezeichnet, was wir alle so gewohnt sind, Gott ist unser Vater, ja, in der Thora gibt es das nicht. Wir tun das mal genauer anschauen. Am Anfang stehen die Schöpfungserzählungen. In allen Religionen, Griechen, Römer, Sumerer, Hethiter, Assyrer, Babylonier, Ägypter,
das sind so die großen Hochkulturen, ist immer die Vaterschaft Gottes bei der Schöpfung am wichtigsten. Also es geht gleich los, wenn die Menschen geschaffen werden, Zeus ist der Vater, und die ersten Menschen, das ist Sohn und Tochter. So ist es typisch. Also die Vaterschaft Gottes, wenn es zum Thema Mensch geht, dann ist immer gleich bei der Schöpfung des Menschen wird klargestellt, Gott ist der Erzeuger, der Vater, und die beiden ersten Menschen sind Sohn und Tochter. Bei Adam und Eva wird das streng vermieden. Adam und Chava, so heißen die im Hebräischen, Adam und Chava, es werden nie als Sohn und Tochter bezeichnet, und Gott wird in den Schöpfungserzählungen niemals als Vater bezeichnet. Sehr auffällig. Jetzt kommt die zweite Grundlagenerzählung, das ist die Erzvätergeschichten. Gott wird niemals als Vater bezeichnet, bei Abraham, Isaac, Jakob, niemals, oder bei Joseph.
Jetzt kommt die Exodusgeschichte, das ist die dritte Grundlagenerzählung, Schöpfungsgeschichte, Vätergeschichte, Exodusgeschichte. In der Exodusgeschichte am brennenden Dornbusch bei Mose, da fragt Mose, wer bist du denn? Was soll ich sagen, wer mich schickt? Und dann sagt die Stimme aus dem Busch, ich bin Jahwe. Da wird dieser Name zum ersten Mal genannt. Der Name stammt also aus dem Exodus. Jahwe und Exodus, Exodus ist die Befreiung der hebräischen Fronarbeiter, Zwangsarbeiter aus einer patriarchalischen Großmacht. Pharaot, das ist ein Supervater, das ist ein echter Vateridol. Und die Hebräer waren aber die Knechte von diesem Supervater. Also Jahwe ist der, der die Fronarbeiter rausholt.
Jahwe ist kein Steigbügelalter der Könige und der Herren und der Väter, sondern Jahwe ist eine Gefahr für die Herren dieser Welt, kein Steigbügelhalter. Als Mose dann zum Pharao geht und sagt, können wir da mal feiern in der Wüste? Dann sagt der Pharao, das hätt euch so gefallen, nix schaffen, ihr faulen Säcke. Und wer schickt euch denn? Dann sagt Mose, der Gott der Hebräer. Hebräer heißt eigentlich Fronarbeiter. Ist nur ein anderes Wort für Fronarbeiter. Dann sagt der Pharao, was? Der Gott der Fronarbeiter? Kenn ich gar nicht. Hab ich noch nie gehört. Völlig unbekannt. Für die Väter dieser Welt. Jahwe ist kein Vateridol. Er tritt gegen die Väter dieser Welt an, denn die Väter sind nicht die Väter der Welt. Die Väter sind die Unterdrücker. Und Jahwe ist der Befreier. Wenn Jahwe der Befreier ist, dann kann er doch nicht selber Vater heißen.
Augustus und Pharao, das sind die Väter. Du kannst doch nicht eine Befreiungserfahrung mit dem Unterdrückerbegriff benennen. Deswegen kann der Vatername in der Exodus-Erfahrung unmöglich kommen. Das Vateridol muss erst mal demontiert werden, ermordet werden. Man muss dieses Vateridol erst mal gründlich beseitigen. Und das wird in der Thora gemacht. In der Thora wird das allgemeingültige Vateridol erst mal gründlich demontiert. Und dann kann langsam was Neues beginnen. Jetzt will ich mal das Wort Jahwe... ...euch erklären. Also jetzt mal eine kleine Frage in der Vorlesung Selten. Weiß von euch jemand, was das hebräische Wort Jahwe bedeutet? Hat jemand da mal was gehört? Hat jemand eine Idee oder eine Vermutung?
Seid mal so mutig und äußert euch, was bedeutet Jahwe. Weiß das jemand? Ich bin der, ich bin...so hat es Luther übersetzt. Jemand hat gesagt, ich bin da. Wer war das? Petra? Woher hast du das gehört? Frage von dir. Also ist schon eine bessere Übersetzung, ich bin da. Also ich sag's euch mal schnell, weil es sehr wichtig für die weiteren Schritte. Jahwe ist ein hebräisches Wort und zwar ein substantivierter Infinitiv. Das Verb heißt haja und es heißt einfach sein. So wie ich bin, du bist, er ist. Infinitiv heißt sein. Und dieser Infinitiv sein heißt im hebräischen haja. Zweite Silbe betont, haja. Schwaben sagen auch oft haja, aber die meinen noch was ganz anderes. Und dieses der Infinitiv, der substantivierte Infinitiv heißt dann Jahwe.
Was bedeutet das? Hat man zum ersten Mal in der wissenschaftlichen, in der modernen Bibelwissenschaft herausgefunden durch lange, lange Forschungen. Weil das Wort kann man nicht übersetzen ins Deutsche. Luther hat dann einfach gesagt, ich bin der, ich bin. In der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, in der Antike hat man eine griechische Übersetzung gemacht. Da wurde das einfach als Kyrios übersetzt, als Herr. Aber Adonai heißt ja Herr im Hebräischen. Das heißt, die griechischen Übersetzer haben gesagt, man kann das Wort nicht übersetzen. Das kann man einem Griechen nicht erklären mit einem Wort Jahwe. Dann sagen wir einfach Kyrios Herr. Dadurch kommt auch, dass Gott immer so als der Herr bezeichnet wird. Aber Jahwe, versuche ich euch das mal zu erklären, weil das ist ABC. Also ich sage euch mal, es gibt Verben im Deutschen. Ich kann zum Beispiel sagen, ich arbeite.
Kann man einen Punkt machen, ist ein vollständiger Satz. Ich arbeite. Ich lese. Ich spreche. Ich singe. Also es gibt Verben, die bilden mit dem Subjekt ich einen vollständigen Satz. Das sind die meisten Verben. Es gibt aber besondere Verben, ich sage jetzt mal geheimnisvolle Verben. Da kannst du das nicht machen. Nicht viele, aber ich sage euch mal, ich umarme. Kannst du nicht sagen. Kannst du keinen Punkt machen. Du musst sagen, wen, wen. Du kannst nicht sagen, ich umarme. Ich sage mal ein paar andere Worte. Du kannst nicht sagen, ich vernichte. Also es ist nicht nur positiv, es ist auch nicht nur negativ. Ich vernichte. Kannst du nicht sagen. Ich zerstöre. Du kannst auch nicht sagen, ich küsse. Irgendwie ist es komisch.
Und diese Verben, wo du nicht danach einen Punkt machen kannst, sondern sagen musst, wem es gilt, die nennt man in der Linguistik enklitische Verben. Enklitische Verben sind Verben, die sind an sich schon im Blick auf jemand gedacht und du musst den nennen. Die sind so stark adressatenorientiert, dass du den Adressaten nennen musst. Sonst gibt das Verb an sich keinen Sinn. Ich umarme. Ja, kannst du dich ja nicht selber umarmen. Und deswegen ist es ein enklitisches Verb. Und jetzt hat man herausgefunden, vielleicht vor 60, 70 Jahren, dass das hebräische Wort haja ein enklitisches Verb ist. Im Deutschen kannst du sagen, ich bin, Punkt. Aber im Hebräischen nicht. Das ist der tiefe Unterschied. Du musst sagen, für wen du da bist.
Das ist ein enklitisches Verb. Und deswegen genügt es auch streng genommen, noch nicht zu sagen, ich bin da. Wobei, wenn ein Kind Angst hat und die Mutter kommt und sagt, ich bin doch da. Ja, das ist jachwe. Sie meint natürlich, ich bin jetzt da für dich. Wenn man so meint, dann ist es genau richtig. Man muss aber das Wort jachwe so übersetzen, ich bin für dich da. Man kann es aber auch übersetzen, ich bin für euch da. Man kann nicht Singular oder Plural unterscheiden. Und jetzt ist das Verblüffende in der hebräischen Sprache, die hebräische Sprache hat keinen Unterschied zwischen Präsens und erstem Futur. Denn Unterschied gibt es nicht im Hebräischen. Du musst bei jedem hebräischen Satz überlegen, ist das präsentisch gemeint oder futurisch. Das ist ja meistens klar. Aber jetzt, das heißt jachwe, kannst du genauso gut übersetzen,
ich werde für dich da sein oder ich werde für euch da sein. Also ich mache jetzt mal eine Zusammenfassung. Jachwe bedeutet, wenn man das ins Deutsche vollständig übertragen will, vier Bedeutungen, die alle vier gleich wichtig sind. Ich bin für dich da, ich werde für dich da sein, ich bin für euch da und ich werde für euch da sein. Blick auf die Uhr. Haben wir 35? Jawohl, wunderbar. Gut, was bedeutet es, wenn Gott am brennenden Donbuss, er spricht aus einem Donbuss, kann man im Donbuss wohnen? Kein angenehmer Aufenthalt, Menschen können da nicht wohnen. Also eine Stimme aus dem Donbuss und der Mose sagt, wer bist du? Was soll ich sagen, wer du bist? Und dann sagt die Stimme, ich bin Jachwe. Ich bin für dich da, ich bin für euch da,
ich werde für dich da sein, ich werde für euch da sein. Wenn das der richtige Name für Gott ist, dann ist in diesem Namen nichts Autoritäres, nichts Unterdrückerisches, nichts Angstmachendes, keine Machtgehabe, kein Imponiergehabe. Die religiösen Namen, Wotan, der Schreckliche und so weiter, die haben immer als religiöse Symbole der Stier, der Löwe, der Adler. Denn die Vätergötter sind die Herren, die haben Macht, sie sind auch Fürsorger, aber in erster Linie sind sie die Herrscher. Und das merkt man an Löwen, Stieren und Adlern. Das ist Imponiergehabe, das ist Verschüchterung der Menschen. Die Titel der Götter sind Imponiergehabe. Sie drücken ihre Überlegenheit aus. Sie sind Überlegen und sie sind die Götter der Überlegenen. Aber Jachwe setzt alles auf die Zuwendungslust.
Wenn das Geheimnis, von dem alles Leben kommt, Jachwe ist, dann ist das Göttliche an Gott die Zuwendungslust und die Zuwendungskraft. Denn Exodus ist auch kräftig. An Exodus zeigt sich Jachwe, denn er ist für die Fronarbeiter da und es drückt er auch aus und es setzt er auch in die Tat um. Jachwe und Exodus sind wie zwei Seiten einer Münze. Die interpretieren sich gegenseitig. Wenn Jachwe die Uroffenbarung Gottes ist, dann ist die Zuwendungslust das Göttliche an Gott. Nichts Autoritäres, nichts Angstmachendes. Wo du Jachwe sagen kannst, da bist du heim, da bist du geborgen. Denn die Grundlage ist, der ist für dich da und wird für dich da sein.
Das ist sein Wesen. Also, soweit mal, spürt ihr ein Stück weit, dass Jachwe nicht mit Vater wiedergegeben kann? Guckt mal die ganzen Väter an, die Herren dieser Welt, die Profis der Unterdrückung, vor denen man Angst haben muss. Du kannst doch keinen Hausvater mit Jachwe anreden. Welcher Hausvater würde von sich sagen, ich bin für dich da? Das wäre ein schöner Hausvater, wenn das der passende Name für einen Hausvater wäre. Also, das ist der Stand in der Thora. In der Thora wird das Vateridol getötet. Streng beseitigt, es muss weg. Die Exodus-Erfahrung, die die Identität Israels bedeutet, kann man mit dem Vaternamen nur kaputt schlagen. Deswegen muss er weg. Und so war es lange Zeit. Jetzt kommt eine geheimnisvolle Stelle, die bespreche ich jetzt kurz.
Dann komme ich zu Jesus aus Nazareth. Ohne diesen Anlauf werdet ihr nicht spüren können, die Tragweite dieser Dinge. Es gibt einen geheimnisvollen Augenblick in der israelitischen Religionsgeschichte. Sie ist in der wissenschaftlichen Theologie vor einigen Jahrzehnten entdeckt worden. Die großen Liebhaber der Bibel, die bescheiden jahrzehntelang, weil sie die Bibel so lieben, mit gründlicher wissenschaftlicher Sorgfalt forschen. Und die haben Folgendes herausgefunden. Bei Hosea beginnt etwas Neues. Bis zu Hosea ist die Vaterbezeichnung völlig unmöglich in Israel. Im Unterschied zu allen Religionen der Welt, was Sigmund Freud leider nicht wusste. Bei Hosea beginnt folgendes. Ihr müsst mal, wenn euch das interessiert, lest mal in Hosea 1 bis 3, die ersten drei Kapitel bei Hosea. Hosea bezeichnet Gott noch nicht als Vater.
Der Erste, der es macht, ist Jeremia. Das könnt ihr da in den Stellen nachlesen. Hosea noch nicht, aber bei Hosea beginnt Folgendes. Dass Gott in den Gottesreden an Hosea Israel als seine Frau bezeichnet. Dann ist er ja indirekt der Mann. Und dass er Israel als Sohn bezeichnet. Dann ist er indirekt der Vater. Bei den prophetischen Schriften ist mal das Allerwichtigste, dass man Folgendes unterscheidet. Es gibt in jeder prophetischen Schrift Gottesreden. Und dann gibt es in jeder prophetischen Schrift Prophetenreden, wo der Prophet spricht. Das Theologisch Zentrale sind immer die Gottesreden. In den Gottesreden wendet sich Gott an den Propheten. Er offenbart sich ihm, spricht ihn an, überfällt ihn, ohne dass der Prophet es will oder planen kann. Plötzlich hört er diese Stimmen. Und da steckt das Entscheidende drin. Die Reden der Propheten an Israel, an die Könige, an die Oberschicht,
das ist die Schlussfolgerung aus den Gottesreden. Und deswegen ist es ganz klar, in allen prophetischen Schriften sind die Gottesreden an den Propheten die Grundlage. Alles andere ist dann die Konsequenz. Und diese Dinge stehen nur in den Gottesreden bei Hosea. Also da wendet sich Gott, wenn das alles so stimmt, das setze ich jetzt einfach mal voraus, nach Darstellung des Hosea-Buches wendet sich Gott an Hosea. Und zwar merkwürdig. Er sagt nämlich in Hosea 1 bis 3, er nennt Israel Ephraim. Das ist typisch für das Hosea-Buch. Ephraim ist einfach das Wort für Israel. Einer meiner Doktoranden heißt Ephraim. Sag ich damit immer. Also da heißt es in den hoseanischen Reden, meldet sich Gott bei Hosea und sagt, Ephraim, meine Frau, er meint Israel, ist mir weggelaufen. Die ist mir weggelaufen. Die läuft zu anderen Männern.
Und dann sagt er auch, Ephraim, mein Sohn, die Bilder gehen ineinander über. Israel wird mehrfach als Frau bezeichnet, mehrfach als Sohn. Und dann sagt Gott zu Hosea, oh, Ephraim, Israel, mein Sohn hat sich von mir abgewandt. Ich bin keine Autorität mehr für ihn. Er hat sich mir abgewandt, er hat sich mir entzogen. Und das ist das Schlimmste im Orient, was es für Patriarchen, für Hausväter gibt, wenn die Frau abhaut. Das ist die Blamage im Orient. Wenn ein Mann sagen muss, meine Frau ist abgehauen. Die ist zu anderen Männern. Bei anderen Männern ist Unterschlupf. Dann ist Hohn und Spott dir aber für die nächsten zehn Jahre sicher. Und wenn dein Sohn, vielleicht sogar dein ältester Sohn, sich von dir abwendet, hast du als Vater versagt. Und jetzt, das ist eine Vatererfahrung. Ich darf euch sagen, dies hat es noch nie in der Welt gegeben. Dass ein Gott sich an einen Menschen so wendet.
Der jammert ja fast. Der verletzte Vater, der gedemütigte Vater. Nicht der patriarchalische Vater, der die Puppen tanzen lässt. Also, Hosea hört eine Stimme in den Gottesreden. Und damit wird gesagt, das hat sich kein Mensch ausgedacht. Welcher Mensch könnte von Gott so reden? Du Blamabler, du bist hier angeschmiert worden. Deine Frau ist weggegangen, dein Sohn hat sich abgewandt. Jetzt stehst du aber schön im Regen. Der Mensch dürfte so von Gott reden, ausgeschlossen. Aber Gott stellt sich Hosea so vor. Das ist eine neue Vatererfahrung. Der gedemütigte Vater, der Verletzte, der Blamierte. Der Blamierte. Gott meldet sich bei Hosea als der Blamierte. Ob das Einbildung ist? Wer will sich denn so was ausdenken? Jetzt ist interessant, was Gott sagt zu Hosea.
Ich kann trotzdem Ephraim nicht aufgeben. Ich kann ihm nicht böse sein. Ich will ihn nicht hergeben. Das ist eine Liebe. Das ist der Beginn einer neuen Vatererfahrung, die religionsgeschichtlich einmalig ist. Es gibt kein religiöses Dokument auf der Erde, in der ein Gott sich einem Menschen so vorstellt. Es gibt ein in der Ehe von einem Vater, der sich sich sehr beeinflusst, wie er sich befreit. Er ist ein Schüler von Hosea, nicht ein Direktor. Da geht es jetzt los, dass man Gott als Vater bezeichnet. Aber jetzt stark von der Exodus-Erfahrung. Unser Vater, unser Befreier. Unser Vater, unser Befreier. unser Befreier. Jetzt kommt ein letzter Punkt zum Alten Testament, den Sie unbedingt brauchen,
um diese Hoffnungsgeschichte, dieses Abenteuer innerlich mitvollziehen zu können. In allen 15 Stellen im Alten Testament oder in allen 17 Stellen, da wird zwar Gott als Vater bezeichnet, sehr selten, und hauptsächlich bei den Propheten. In der Thora gar nicht, oder vielleicht einmal, bei den Psalmen zweimal. Aber jetzt kommt der Hammer von allem, auch das hat irgendwann mal ein Alttestamentler, ist ihm bewusst geworden. An keiner dieser Stellen, lesen Sie mal in dem nächsten Arbeitsblatt, die Stellen alle durch, an keiner dieser Stellen wird Gott als Vater angeredet, an keiner. Im ganzen Alten Testament nicht. Er wird nur als Vater bezeichnet. Und selbst in den zwei Stellen, Jesaja 63, Jesaja 64, lesen Sie mal diese Stellen danach, da ist die Vaterbezeichnung in einem Gebet. Es ist das einzige Mal im Alten Testament, dass in einem Klagelied Gott direkt
angerufen wird, aber nicht als Vater, sondern es heißt, du bist doch unser Vater, unser Befreier. Das ist immer noch eine Aussage über Gott. Zwar im Gebet, aber kein Gebet im Alten Testament fängt an, Vater, keins. Gott wird nie als Vater angeredet, selbst in den Gebeten nicht, unser Vater, unser Befreier. Das ist immer noch eine Bezeichnung. Ich will euch mal ein Beispiel geben, wo mir das selber bewusst geworden ist. Ich habe mal eine Konfirmationsfahrt gemacht mit den Konformanten, zusammen mit einem Religionslehrer an den Lago Maggiore, wir haben den Konformanten Wasserscheib beigebracht und andere nützliche Dinge. Da habe ich gemerkt, dass der Lorenz, hieß der Religionslehrer, sehr netter Typ, so 30 Jahre alt, ein Herz für junge Leute. Also war eine spannende Konfirmationsfahrt, Konformantenfahrt, von der die noch lange geredet haben. Und da sage ich mal, einem Atem zu dem Lorenz,
du Lorenz, also ich habe dich ein bisschen beobachtet, wir haben uns sehr gut verstanden. Ich glaube, die Katja, das ist ein bisschen dein Schätzle. Er hat ein bisschen gestutzt und hat gesagt, ja, ja, das stimmt schon, das ist ein bisschen mein Schätzle. Der würde aber nie hingehen und zur Katja sagen, Schätzchen. Das würde er nicht machen. Er kann über Katja reden und sagen, ja, ja, die Katja ist mein Schätzchen. Aber er würde nie zu ihr hingehen und sagen, Schätzchen. Und das ist der Unterschied zwischen einer Bezeichnung und einer Anrede. Gott wird niemals im Alten Testament mit Vater angeredet. Warum nicht? Weil alle anderen Religionen ihn so anreden. In Jeremia sagt er, die, die zum Stein sagen, mein Vater, und zum Holz, du hast mich geboren. Das heißt, im Alten Testament ist klar, bewusst, die Vateranrede für Gott ist die heidnische Anrede für Gott. Alle die reden so
von Gott, das dürfen wir nicht. Und deswegen ist das so eine Scheu. Und jetzt muss ich zu Jesus aus Nazareth zügig gehen und das Wichtigste euch noch sagen, aber ich kann ja da morgen Fortsetzung machen. Nach dem Alten Testament, im Judentum zweites, erstes Jahrhundert, bleibt die Vaterbezeichnung nach wie vor selten und immer noch keine einzige Anrede. In den gesamten Kumranschriften, das sind hunderte von Schriften, wird Gott ein einziges Mal als Vater bezeichnet, in keiner Stelle angeredet. Im Islam übrigens heute noch nicht. Die Vaterbezeichnung im Islam für Gott ist verboten. Gott darf nicht als Vater bezeichnet werden. Das ist alles aus dieser Entwicklung hier zu erklären. In den anderen jüdischen Schriften, die wir die Apokryphen nennen oder die Pseudepigraphien, da kommt die, in all diesen Schriften mit hunderten von Seiten, kommt die Vaterbezeichnung für Gott sechsmal vor. Das heißt, auch in der Zeit bleibt es noch ganz zurückhaltend. Und jetzt aber tritt
eine neue Entwicklung ein, vor Jesus aus Nazareth, und zwar bei den Pharisäern, von denen ihr schon merkt, dass ich die sehr gut leiten kann. Ich habe ein sehr sympathisches Verhältnis zu den Pharisäern, fühle mich mit ihnen sehr verwandt. Und bei diesen Pharisäern, so ungefähr ab 100 vor Christus, sie entstehen ja 150 vor, ungefähr, man kann es auf 20, 30 Jahre nicht sagen, verinnüglich sich die Gottesbeziehung. Es wird jetzt zum ersten Mal gesagt, Gott ist unser Vater im Himmel. Zum ersten Mal, das ist ein Produkt der Pharisäer. Gott wird auch jetzt erstmals angeredet, mein Vater, dein Vater, unser Vater, sein Vater. Gott wird persönlicher. Im Alten Testament ist Gott der Vater immer für ganz Israel, nicht für einzelne Israeliten, sondern für das Volk als ganzer. Aber in der pharisäischen Frömmigkeit verpersönlicht sich die Gotteserfahrung, Gott wird mein Vater,
aber man sagt immer im Himmel. Vater ohne Zusatz gibt es bei den Pharisäern nicht. Bei den Pharisäern entsteht zum ersten Mal die Gottesanrede. Und zwar im Sirach-Buch, bei den Apokryphen, heißt es zum ersten Mal, ich habe die Stelle hier irgendwo notiert, erste Anrede, ist nicht bei Jesus, heißt unser Vater, unser König. Das ist aber jetzt hier als Anrede gemeint, aber ergänzt durch unser König. Also es entsteht jetzt im pharisäischen Judentum eine intimere, persönlichere Art, mit Gott zu reden, Vater im Himmel. Und Gott wird auch jetzt als Vater angeredet, aber es bleibt selten. Die Bezeichnung bleibt selten, die Anrede bleibt selten. Es gibt zwei jüdische Gebete in Neujahrsliturgie, da wird Gott als Vater angeredet. Also das beginnt jetzt. Aber interessant ist, immer mit Zusätzen, unser Vater, unser König, damit es nicht zu vermenschlicht wird, immer eine
Hoheitsbezeichnung, unser Vater in den Himmeln, unser Vater, Gebieter der Welten. Vater allein, ohne Zusatz, gibt es nicht. Kein einzigen Beleg im gesamten Judentum der Antike. Heute ist ein bisschen anders geworden. Und jetzt gehen wir mal zu Jesus aus Nazareth. Während im Alten Testament die Gottesbezeichnung die seltenste ist in der Bibel, im Alten Testament 15 oder 17 Mal, und Gott kein einziges Mal als Vater angeredet wird, redet Jesus in den Evangelien 170 Mal von Gott als Vater. 170 Mal, ist eine Explosion. Jesus ist der erste Jude, für den die Vaterschaft Gottes nicht eine Eigenschaft Gottes neben vielen anderen ist, sondern die Eigenschaft Gottes. Er ist der
erste Jude, der Gott ganz von seiner Vaterschaft her versteht, völlig in den Mittelpunkt stellt. Jetzt schaut mal Arbeitsblatt Nummer vier, die Gebete Jesu, lest die mal so nebenbei durch. Auch bei den Gebeten Jesu werdet ihr merken, er bezeichnet Gott nur als Vater, ohne Zusatz. Eine einzige Stelle hat er mal Vater in den Himmeln, das ist typisch jüdisch, aber in den anderen Gebeten immer nur Vater. Ohne jeden Zusatz. Und die anderen Anredeformen, unser König, Gebieter der Welten, König der Welten, Herrscher, Herr, die prüskiert Jesus. Obwohl Jesus in einem Volk aufwächst, das eine reiche Gebetsliteratur hat, mit einem reichen Schatz an Gottes Anreden, konzentriert Jesus sich ganz auf die Vateranrede. Einzige Ausnahme ist ein Gebet am Kreuz, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das ist die einzige Ausnahme und das ist ja kein Gebet Jesu, sondern
ein Zitat von Psalm 22. Aber alle Gebete, die Jesu spricht, haben Vater. Und mit einer Ausnahme nur Vater, sonst gar nichts anders. Und jetzt kommt die entscheidende Entdeckung, die hat 1947 Professor Joachim Jeremias gemacht in Göttingen. Man hat 50 Jahre inzwischen über diese Entdeckung geforscht und im Entscheidenden hat sie sich bestätigt. Heute kann man das noch viel genauer sagen, aber Joachim Jeremias 1947 war der erste Mensch, der das entdeckt hat. Nämlich, Jesus hat, wenn im griechischen Vater steht, Pater, Hopater, hat Jesus, der hat ja Aramäisch gesprochen, nicht griechisch. Unser griechisches Neues Testament ist schon eine Übersetzung der Sprache Jesu ins Griechische und deswegen müssen wir auch das Vater uns und so weiter ins Aramäische zurück übersetzen.
Und das hat Jeremias gemacht und er hat herausgefunden mit satten Gründen, es ist Konsens heute darüber, weil die Gründe sind dermaßen gut, die man da anführen kann. Immer wenn in den Gebeten Jesu von Vater die Rede ist, hat Jesus Abba gesagt. Abba. Im Gethemae Perikope sagt Jesus Abba, nicht im Himmel, einfach nur Abba. Alles ist dir möglich, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Abba. Und dieses Wort Abba muss so eingeschlagen haben, es ist so neu, es hat noch niemand bis dahin für Gott benutzt, dass sogar Paulus, lest man in diesem Arbeitsblatt unter den Gebeten Jesu, Paulus sagt sogar in seinem Römerbrief an eine Gemeinde in Rom, in der er noch gar nicht war, sagt er, wir haben nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, sondern den Geist der Kindschaft, er sagt Abba. Und im Galaterbrief sagt er auch Abba. Mitten im griechischen Paulusbrief an die römische Gemeinde, an die Galatergemeinde
kommt auf einmal das aramäische Wort Abba. Und da merkt man, wie dieses Wort gesessen ist. Es ist so neu, so auffällig. Das Vater Unser, das wir beten nach dem Matthäusevangelium, ist schon ein bisschen judaisiert von Matthäus. Er sagt, unser Vater in den Himmeln, dein Name werde geheiligt. Aber das ist nur die Fassung bei Matthäus. Die Urfassung des Vater Unser steht bei Lukas, die wir gar nicht so kennen, in Lukas 11, das wird da irgendwo stehen auf diesem Blatt. Und diese Urfassung des Vater Unser, da kommen die Johannesjünger und sagen, du, Johannes lehrt seine Jünger beten, lehrt du uns auch mal beten. Und dann sagt Jesus, also wenn ihr betet, ihr, Jesus selber hat das Vater Unser nie gebetet. Das ist ein Gebet nur für seine Jünger. Wenn ihr betet, dann betet Abba, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme. Nämlich Abba, das Reich des Abba,
der Name des Abba. Jetzt zu diesem Namen noch ein paar Schlussbemerkungen. Das Wort Abba ist die Zärtlichkeitsform von Vater. Ein jüdisches Kind, auch heute noch in Israel, die zwei ersten Worte, das ein jüdisches Kleinkind lernt, ist Imah, das heißt Mama, und Abba, das heißt Papa. Imah, Abba. Aber diese Zärtlichkeitsform aus der Kleinkindersprache, die gibt es im Judentum niemals auf Gott. Nie. Es gibt kein einziges Gebet, wo Gott mit Abba angeredet wird. Abba, das ist zu familiär. Mein Abba lebt im gleichen Haus, der geht aufs gleiche Klo, der atmet die gleiche Luft. Das ist ein ganz intimes, zärtliches Wort. Der Professor Joachim Jeremias ist deswegen
drauf gekommen, dass Jesus immer von Gott als Abba geredet hat. Also nicht einfach als Vater im allgemeinen Sinn. Arv heißt es im Hebräischen. Arv heißt Vater, aber Abba heißt Papa. Er ist deswegen drauf gekommen, weil das Wort Abba ist eine Lallform, die kann man nicht deklinieren. Du kannst von Abba nicht den Nominativ, den Genitiv und den Plativ bilden. Es geht nicht. Du kannst Lallwörter nicht deklinieren. Und Herr Jeremias hat als Erster herausgefunden, dass in den Gebeten, wo ja im griechischen Vater steht, pater, sich die Evangelisten nie einig sind, sollen wir Nominativ oder Optativ, das gibt es auch, oder Genitiv. Der eine sagt hoppater, der andere sagt pater. Es ist eine auffällige Unsicherheit. In den griechischen Texten der Evangelien wissen die Leute nicht, wie man Vater deklinieren soll. Warum? Weil eigentlich das arameische Wort Abba stand und
viele andere solche Entdeckungen. Und damit will ich jetzt schließen, Abba ist Jesu Version von Jahwe. Denn das Wort Jahwe darf ein Jude gar nicht mehr benutzen. Es wird nicht mehr ausgesprochen, bis heute nicht. Aber bei Abba ist es wieder so, nichts Angst erzeugendes, nichts Autoritäres, nichts Unterdrückerisches, sondern Abba ist der Inbegriff von Zärtlichkeit, Nähe, Zuwendung, Geborgenheit, Urvertrauen, Unbeschwertheit. Wo ich Abba sagen kann, brauche ich keine Bücklinge mehr. Abba ist ein intimes Wort, das erträgt nicht offiziell Gesetze, Normen. Es ist ein sehr intimes Wort der Nähe. Abba, so ein Wort aus der Kinderwelt. Damals im Judentum haben nicht nur Kleinkinder Abba gesagt, sondern manchmal auch 20-, 30-Jährige, aber selten. Und wenn ein
20-Jähriger, ein 30-Jähriger, der muss normalerweise ihr sagen, sie zu Vater, weil er ist auch der Hausherr, aber wenn sie mal selten trotzdem mal Abba sagen, dann denken sie nicht an die patriarchalische Macht des Vaters, sondern dann fühlen sie sich von diesem Vater verstanden und dann ist eine intensive Nähe zu spüren. Mit diesem Wort Abba gibt Jesus der patriarchalischen Vaterreligion den Abschied. Abba ist gekennzeichnet durch Zärtlichkeit, Nähe, Verstehen und Geborgenheit. Wo ich Abba sagen kann, da ist Heimat. Das ist die Korrektur, die Jesus anbringt in seiner Gotteserfahrung. Jesus muss auf irgendeine Art und Weise Gott so erfahren haben, dass ihm ein für alle Mal klar geworden ist, Gott ist nicht die oberste Spitze eines totalitären Systems. Er ist
kein autoritärer Unterdrücker. Er wertet die Frauen nicht ab. Er prügelt keine Kinder. Du kannst nicht unter Berufung auf Gott unterdrückerisch wirken, sondern Abba ist gekennzeichnet durch Nähe, Zärtlichkeit und Verstehen. Und nur die Autorität, die durch Zärtlichkeit, Nähe und Verstehen gekennzeichnet ist, nur diese Autorität darf sich auf Gott berufen. Jede andere Autorität kommt an Gott zu Fall. Man kann sich schon fragen, diese Werte Nähe, Zärtlichkeit, Verstehen, Geborgenheit, Urvertrauen sind für die Antike eher weibliche Werte. Das Wort Abba ist zwar grammatisch gesehen männlich, aber das, wofür Abba steht, sind nicht die typisch männlichen Werte. Und Jesus war auch ein Mann, der das Weibliche erstaunlich integriert hat. Zum Schluss will
ich nur folgende Frage noch stellen. Wie lange wird der Mensch leben, der Gott als erster Mensch der Welt mit Abba angeredet hat? Werden die Menschen sich freuen? Werden sie dankbar sein, es sofort integrieren? Oder werden sie werden sie sich in Frage gestellt fühlen mit ihrer bisherigen männlich-väterlichen Machtstrukturen? Wie lange lebt der? Er hat nicht lange gelebt. Jesus hat mit seiner Abba-Erfahrung Neuland betreten. Er ist in ein Niemandsland gegangen, in dem es noch keine ausgetretenen Pfade gibt. Aber das Wesen dessen, des Phänomens, des Geheimnisses ist in dem Wort Abba ausgedrückt. Das ist sein neues Wort. Es hat noch keiner bis dahin benutzt. Jesus redet Gott immer
mit einem Wort an, das keiner bisher benutzt hat. Da muss irgendwas passiert sein.
Die Gotteserfahrung des Jesus aus Nazareth als zentraler Aspekt des christlichen Glaubens | 1.2.2
Es ist schon merkwürdig: Obwohl man über 90 Prozent seines Lebens nichts Genaues weiß, wurden über keinen anderen Menschen mehr Bücher geschrieben als über Jesus Christus. Und es wird noch mysteriöser, wenn man bedenkt, dass er nichts Schriftliches für die Nachwelt hinterlassen hat, weltlich gesehen weder Ruhm noch Macht erlangt hat und seine entscheidenden Jahre im Prinzip als Landstreicher verbracht hat. Diesen Mann umgibt zweifellos ein tiefes Geheimnis. Denn da muss irgendetwas passiert sein, dass so jemand nicht in der Bedeutungslosigkeit der Geschichte versinkt, sondern zu ihrer beachtesten Persönlichkeit wird.
Mit Scharfsinn und aller wissenschaftlicher Redlichkeit nähert sich Siegfried Zimmer im ersten Teil der Jesus-Trilogie dem Phänomen Jesus aus Nazareth über seine Gotteserfahrung an und bringt so etwas Licht ins Dunkel der Geschichte. Entstanden ist so ein absoluter Basisvortrag, der das »Wort« nennt, das vor Jesus niemand so benutzt hat.