Das ist das Neue Testament. Das sieht jetzt aus wie ein Buch. Ist natürlich auch ein Buch, gebunden und so weiter. Wenn man die Entstehung dieser Schrift anguckt, stellt man aber fest, dass es eigentlich 27 Einzelschriften sind. Was wie ein einziges Buch aussieht, ist im Grunde eine Schriftensammlung. Das war der Gedanke. Was ich in diesem Vortrag machen möchte, ist nichts anderes als Schritt für Schritt aufzuzeigen, wie diese Schriftensammlung entstanden ist. Das ist natürlich nur ein Überblick, aber ich hoffe, dass ich zumindest einen Eindruck geben kann, wie das funktioniert hat, was da passiert ist. Damit Sie auch wissen, wie verlässlich diese Schriften sind, wie stabil die Überlieferung ist, etc.
Die ältesten Schriften, die im Neuen Testament enthalten sind, sind ja bekanntlicherweise die Paulusbriefe. Aber wir müssen noch einmal eine Stufe weiter vorgehen. Alles begann ja eigentlich mit mündlicher Überlieferung. Denken Sie einfach an die Kultur der Antike. Das ist für uns heute manchmal ein echtes Problem, aber es ist nicht zu ändern. Wir befinden uns heute noch einmal im ersten Jahrhundert, wenn es um die Entstehung dieser Schriften geht. Im ersten Jahrhundert herrschte eine Kultur der Mündlichkeit vor. Ganz einfach deswegen, weil es kein Telefon gab, kein Fernsehen, keine Zeitung. Im schlimmsten Fall wurde vielleicht mal ein kaiserliches Dekret in Stein gemeißelt und ausgehängt. Aber gut, das war es dann aber eigentlich auch schon. Das heißt, man war im Grunde, wenn man Informationen weitergeben wollte, darauf angewiesen, dass man erzählt. Man musste sich alles gegenseitig erzählen. Und das hat man auch getan, überall in den Häusern, auf den Marktplätzen, in Herbergen, in Gaststätten, wo sich Menschen getroffen haben.
Da hat man erzählt. Deswegen konnte die Antike sozusagen auch ganz gut erzählen. Sicherlich ausgeprägter als heute. Und eine Erzählung ist auch noch einmal was anderes als eine kurze SMS, wo man wirklich nur noch ein paar Infos weitergibt. Beim Erzählen hat man vielleicht auch mal ein bisschen Zeit und kann Dinge wenig ausbauen und so weiter. Also man weiß, wie man erzählt in der Antike. Und das wird auch weitergetragen. Das haben sich natürlich auch die ersten Christen zunutze gemacht. Wir stehen jetzt irgendwo in der Zeit nach dem Tod Jesu. Und das geht weiter. Und wenn man jetzt irgendjemandem davon mitteilen möchte, bleibt einem eben auch nichts anderes übrig, als das, was man selber weiß, zu erzählen. Das ist im Grunde urchristliche Verkündigung. Das ist überhaupt nicht großartig katechetisch aufbereitet und in einen Katechismus gegossen oder sonst irgendetwas. Sondern das ist lebendige Erzähltradition. Und warum macht man das? Einfach deswegen, weil man offensichtlich davon überzeugt war, dass es mit dieser Gestalt Jesus von Nazareth etwas Besonderes auf sich hat.
Also es gab Kreise, kleine Kreise sicher, kleine Kreise von Menschen, die überzeugt waren, dieser Jesus ist irgendwie besonders wichtig für mein Leben. Und deswegen bin ich Jesus-Anhängerin oder Jesus-Anhänger und deswegen erzähle ich auch davon. Deswegen will ich das weitergeben. So beginnt urchristliche Verkündigung. Paulus verwendet für diesen Begriff des Erzählens dann den Ausdruck Evangelium. Das kennen Sie alle und wenn ich Sie jetzt fragen würde, was Evangelium ist, dann würden Sie wahrscheinlich sofort alle sagen, ja, das sind halt die ersten vier Bücher da im Neuen Testament, das sind die vier Evangelien. Sagt man heute auch so, stimmt. War aber in der Zeit der ersten Christen anders. Evangelium war ein Begriff aus der politischen Welt. Das heißt, man sprach von Evangelien, meistens dann im Plural, wenn im Leben des römischen Kaisers irgendetwas Besonderes passiert ist. Ein Sieg, der Regierungsantritt, Geburtstag, irgend sowas, was man halt, was irgendwie aufsehen erregt.
Das sind Evangelien und Evangelium heißt gute oder frohe Botschaft. Und warum ist der Geburtstag des Kaisers eine gute Botschaft? Naja, einfach deswegen, weil der Kaiser der Meinung ist, an ihm hängt das ganze Reich. Wenn es ihm gut geht, geht es dem ganzen Reich gut. Wenn er einen Sieger ringt, ist das ganze Imperium Romanum im Wohlstand und so weiter und in Frieden und so weiter. Und witzigerweise verwendet jetzt Paulus und wahrscheinlich auch schon Leute vor ihm genau diesen politisch aufgeladenen Begriff, um die Jesus-Botschaft zu charakterisieren. Das ist jetzt Evangelium. Da steckt natürlich auch der Einsage drin, dass es wichtig ist. Klar, ist eine wichtige Botschaft, zentral, weltweit, wie soll man sagen, weltweit bedeutsam, reichsweit bedeutsam. Und es steckt natürlich auch noch drin, dass dieser Jesus vielleicht doch eine andere Gestalt ist als der Kaiser. Und wenn man es zuspitzt, vielleicht auch eine Konkurrenzgestalt zu diesem Kaiser. Also vielleicht erfährt man halt doch nicht immer nur im römischen Kaiser das Heil, sondern doch in jemand anderem.
Das ist dann schon so etwas wie eine, wie soll man sagen, eine gewisse subversive Botschaft, die auch von Anfang an in der christlichen Verkündigung drinsteckt. Trotz allem, alles findet bis dahin mündlich statt. Die Frage, die wir uns dann vielleicht heute oft stellen, sowohl wissenschaftlich als auch für sich persönlich, wie glaubwürdig ist dann das Ganze? Wir kennen das ja heute durchaus, es gibt doch so ein nettes Spiel, das kennen Sie vielleicht alle, da sitzen wir in so einer Runde und einer flüstert dem anderen was ins Ohr und dann gibt man das so weiter und am Schluss kommt etwas völlig anderes raus, irgendein kompletter Quatsch oder sowas. Das wird immer gerne herangezogen, wenn man sagt, also mündlich über Lieferung, bitte. Da bleibt ja am Schluss gar nichts. Kann passieren. Sie kennen aber vielleicht andererseits auch die Erfahrung, da erzählt meinetwegen jemand einen Witz und Sie sagen oder irgendjemand sagt, den kenne ich doch schon. Das heißt, man muss diesen Witz offensichtlich so erzählen, dass er immer eine bestimmte Struktur hat.
Das ist immer irgendwie dieser Witz. Nur deswegen kann irgendein Fremder den auch erkennen, sonst funktioniert es nicht. Was ich damit sagen will, ist im Grunde mündliche Überlieferung hat zunächst einmal einfach zwei Seiten. Man kann natürlich was auf der Strecke bleiben, aber man kann auch sehr genau und sehr konzentriert mündlich weitergeben. Also mündlich alleine heißt noch lange nicht Fälschung oder irgend sowas, das will ich damit sagen. Und jetzt stellen Sie sich einfach vor, es geht ja um etwas Wichtiges, da erzählt ja nicht irgendjemand von irgendwas, sondern es geht ja um etwas existenzielles für Menschen der damaligen Zeit, die das weitergeben. Und da es dann natürlich darum geht, das auch authentisch weigern zu geben, liegt glaube ich relativ nahe. Deswegen gehe ich davon aus, dass diese mündliche Überlieferung durchaus stabil ist. Und es kommt noch ein Punkt dazu, es gibt auch sowas wie eine soziale Kontrolle. Das kennen wir heute vielleicht auch noch. Zum Beispiel, wenn jemand einem Kind immer wieder eine Geschichte erzählt, immer wieder irgendwie Vater, Mutter erzählen dem Kind eine Geschichte.
Und dann erzählt beim Sohn zuviel mal, erzählt er die Geschichte mal anders. Dann kommt das Kind sofort und sagt, Moment, du hast aber jetzt den Esel vergessen oder irgend sowas. Das ist soziale Kontrolle. Also nichts Schlimmes, nichts Böses, aber ein ganz normaler Prozess, wo dann jemand sagt, Moment mal, aber hat Jesus dieses Gleichnis nicht anders erzählt? Und dann müsste derjenige nachdenken und sagen, stimmt, ich habe ja den, was weiß ich, ich habe den Leviten vergessen, beim herzigen Samariter oder sowas. Okay, den Leviten gab es auch noch. Dann haben wir es schon wieder. Dann haben wir es im Grunde schon wieder. Also deswegen, ich erzähle Ihnen das nur so, weil wir natürlich auf mündliche Überlieferung heute keinen Zugriff mehr haben. Ich muss im Grunde einfach davon ausgehen, dass das 20 Jahre lang so funktioniert hat. Und ich kann nichts sagen oder ich kann nirgends einen Vlog einschlagen und sagen, so, da habe ich jetzt mein schönes Beispiel, das Gleichnis X war zum Zeitpunkt Y so erzählt, zehn Jahre später vielleicht anders, weiß ich auch nicht. Kann ich nicht. Ich kann also nur sozusagen nach natürlichen Gesetzen mündliche Überlieferung fragen.
Und da stelle ich fest, dass in der Antike da durchaus eine gewisse Zuverlässigkeit gegeben war. Was aber auf der anderen Seite auch gegeben war, war immer auch der Aspekt, ich wende etwas an. Also, zum Beispiel irgendein Jesuswort, ganz egal. Da mag jemand sofort einen Schritt weiter gedacht haben und gesagt haben, ja gut, das erzähle ich natürlich weiter, klar. Aber es interessiert mich natürlich auch, was das jetzt bedeuten soll. Ich erzähle es nicht einfach nur so weiter, weil ich gerade nichts anderes zu tun habe, sondern das hat vielleicht eine Bedeutung, auch jetzt meinetwegen 20 Jahre später für eine bestimmte Lebenssituation. Und das erzähle ich dann vielleicht gleich mit dazu. So wächst natürlich Überlieferung auch. Wir haben also beides im Grunde. Ich würde das alles nicht als Fälschung, das sind immer so die Labels, die man heute gerne über solche Prozesse stülpt, da kommen wir nachher auch noch mal drauf. Ich würde das nicht als Fälschung bezeichnen, sondern tatsächlich als Weitererzählung, vielleicht als Fortschreibung. Das hat es sicher gegeben. Denn eine Tradition, die man im Grunde nur statisch weiter überliefert,
sozusagen museal weitergibt, verliert irgendwann schnell die Bedeutung. Das kann man sich dann zwar noch erzählen, aber selbst ein Witz wird irgendwann alt. So Papstwitze oder so, und gibt es einen neuen Papst, dann ist der alte irgendwie nicht mehr so spannend. Also genauso ist es da auch. Und das haben die Christen natürlich gemacht. Sie haben aktualisiert, könnte man sagen. Ja, mündliche Überlieferung. Der nächste Schritt, und da haben wir jetzt tatsächlich was in der Hand, da fällt es mir jetzt wieder ein bisschen leichter, irgendwas zu sagen. Der nächste Schritt sind natürlich dann die Briefe des Paulus. Die kennen Sie alle, oder wissen zumindest, dass es die gibt. Die Briefe des Paulus. Warum schreibt man in der Antike Briefe? Wiederum, gleiche Situation, wie vorher schon gesagt. Was soll ich machen, wenn ich zum Beispiel, ich bin junger Mann, ich werde als Soldat zum Heer eingezogen, komme aufs Schiff und werde irgendwo hin verlegt.
Was soll ich machen? Heute würde ich einfach das Handy nehmen und meine Familie anrufen und sagen, ich bin jetzt gut angekommen, ich lebe noch oder sonst irgendwas. Was soll ein antiker Soldat machen? Er schreibt halt einen kurzen Brief und hofft, dass dieser Brief innerhalb von vier Wochen irgendwann dann auch mal bei seiner Familie ankommt. Dann wissen die zumindest, wo er vier Wochen hat dann auch gelebt. Und dann können die vielleicht zurückschreiben, dann weiß er uns und so weiter. Also man schreibt eigentlich Briefe zunächst mal ganz normal als Alltagskommunikationsmittel. Dem guten Paulus ging das nicht anders. Er hat mit anderen Leuten zusammen, Paulus hat immer im Team gearbeitet, er hat mit anderen Leuten zusammen Gemeinden gegründet, sind entstanden, kleine Gruppen, wirklich viel kleinere Gruppen im Grunde als Sie, die Sie heute hier sehen, die ersten Gemeinden, lassen Sie es 25, 30 Leute irgendwo gewesen sein, das war dann schon ganz ordentlich. Das war dann die erste Christengemeinde, die Thessaloniki oder so. Ja gut, und Paulus konnte auch nicht ewig bleiben, das heißt, er verließ diese Gemeinde nach kürzerer oder längerer Zeit wieder und die einzige Möglichkeit im Grunde,
die er hatte, und er hatte zwei Möglichkeiten, mit dieser Gemeinde in Kontakt zu bleiben, entweder er sammte irgendeinen Boten hin und her, das kann man natürlich machen, das war auch in der Antike üblich, davon wissen wir aber natürlich auch nicht mehr viel, weil der Bote hat ja in dem Sinne auch nichts überliefert, oder er schreibt einen Brief. Und das tut er an einigen Stellen, er tut es vor allem dann, wenn er das Gefühl hat, da ist jetzt in dieser kleinen Gemeinde irgendwas ungeklärt geblieben, da ist noch nicht alles klar, da fehlt noch was irgendwie, und da hat er dann, wahrscheinlich reist er dann durch die Gegend und macht sich so Gedanken und denkt, Mensch, ich hätte Dingen aber unbedingt noch sagen müssen, das und das und das. Oder er kriegt Nachrichten, dass irgendwas schiefläuft und denkt, Mensch, das kann doch nicht wahr sein, jetzt gehen die völlig in eine andere Richtung, da muss ich doch irgendwas machen. Er kann aber nicht ständig hin und her, das dauert ja in der Antike auch eine Weile, fahren Sie mal von Griechenland nach Ephesus und von dort aus dann irgendwie nach Antioche, das dauert ja alles. Also, langer Rede, kurzer Sinn, Paulus setzt sich hin und schreibt einen Brief.
Und in diesem Brief versucht er eben das mitzuteilen, was er mitteilen möchte. Wir haben von Paulus, also darin ist sich die Forschung halbwegs einig, wir haben von Paulus auf jeden Fall sieben echte Briefe, das ist gar nicht so viel, aber es sind zum Teil auch lange Briefe, also immerhin, und wir wissen auch ziemlich genau, wann diese Briefe geschrieben worden sind, nämlich in den Jahren zwischen 50 und 56. Der Älteste ist der erste Thessalonicher Brief, ungefähr 50, 51, der Jüngste ist wahrscheinlich der Römerbrief im Jahr 56. Also im Grunde eine relativ kurze Zeit, in der diese Briefe entstanden sind, woher wissen wir das? Keiner dieser Briefe trägt ein Datum, also wir müssen das auch wieder erschließen. Das ist schön, da haben auch so Wissenschaftler wie ich irgendwie eine Aufgabe, dann kann man sich fragen, wie kann man denn jetzt diese Briefe und so, was macht man eigentlich? Naja, man versucht überhaupt so eine Chronologie, so eine Lebensbiografie des Paulus zu erstellen, da hat man ja zum Glück auch noch die Apostelgeschichte,
und man hat so an ein paar wenigen Stellen, hat man das Glück, dass zum Beispiel in der Apostelgeschichte etwas erzählt wird, was man auch aus der Antikengeschichte einordnen kann. Also zum Beispiel den Aufenthalt des Paulus in Korinth, da wird ein Stadthalter genannt, der heißt Gallio, und von diesem Gallio weiß man glücklicherweise aus irgendwelchen Inschriften, wann der Stadthalter in Korinth war. Das ist natürlich ein, wie soll man sagen, ein super Befund, weil ich dann ziemlich genau sagen kann, Paulus war etwa 50 bis 52 in Korinth. Das ist super genau für antike Verhältnisse, wirklich super genau. Leider sind nicht alle Daten so genau, das heißt, das Gerüst an sich funktioniert einigermaßen, im Detail wird es dann schwierig, aber zumindest kriegen wir so etwas wie ein grobes Gerüst und da kann man diese Briefe einordnen und das ist auch unsere Möglichkeit, sie zu datieren. Dann weiß ich halt ungefähr, wann Paulus in Rom und so weiter und so weiter und kann die Schlüsse ziehen. Daher kommen im Grunde die Datierungen. Das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, ist auf jeden Fall eine sehr anerkannte Datierung, also zwischen 50 und 56. Wenn jemand weiß machen will, dass die Briefe schon in den 30er Jahren entstanden sind,
kann ich nur sagen, schauen Sie genau hin, ob die Argumentation schlüssig ist. Meistens ist es das dann nicht unbedingt. Ja, gut. Wie auch immer. Auch diese Briefe des Paulus haben noch etwas ganz stark mündliches. Im ersten Thessalonicher Brief am Ende schreibt Paulus, ich beschwöre euch beim Herrn, dass ihr diesen Brief allen Geschwistern vorlesen lasst. Was hat man also gemacht, wenn so ein Brief von Paulus kam, der war ja nur einmal da, man kann den auch nicht durch einen Kopierer jagen, das wird man vielleicht heute machen, oder einscannen, per E-Mail rumschicken, okay, jeder hat den. Geht nicht. Und Abschreiben geht im Grunde auch nicht. Schreiben Sie mal so einen Brief ab. Das macht keinen Spaß. Also, was macht man? Man versammelt sich und es wird vorgelesen. Und wenn man den Eindruck hat, das hat man jetzt noch nicht so ganz verstanden, dann versammelt man sich ein paar Tage später nochmal und es wird nochmal vorgelesen.
Und dann wird darüber diskutiert. Damit gewinnt der Brief plötzlich sowas auch wieder wie Mündlichkeit. Da ist einer da, der liest den Brief vor. Das ist fast so, als würde er es selber erzählen. Nur natürlich mit dem Unterschied, man weiß, dass es jetzt von Paulus. Aber gut. Diese Briefe haben in gewisser Weise auch schon so eine kleine Tendenz zur Literatur, würde ich sagen. Also es sind jetzt nicht nur so Briefe, wo vielleicht grinschen würde, also schön, dass ich bei euch war, war eine gute Zeit, jetzt bin ich in Korinth angekommen, macht's gut. Solche Briefe sind überhaupt nicht erhalten. Vielleicht hat es die gegeben, ich weiß es nicht. Aber sie sind jedenfalls nicht erhalten. Alle Briefe, die erhalten sind, haben immer irgendwie einen inhaltlichen Schwerpunkt, haben ein Thema. Der Römerbrief hat sogar ein ewig langes Thema, das sind 16 Kapitel. Das ist eine richtig, richtig lange Behandlung verschiedener Fragen. Also alle diese Briefe haben theologische Gehalte.
Und die sind auch durchgestylt. Das merkt man, wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt. Dummerweise muss man es halt auf Griechisch lesen, da hilft dann alles nichts. Aber dann merkt man, wie das im Grunde rhetorisch gestylt ist. Also jetzt nicht in so einem völlig übertriebenen Maße oder sowas, aber man merkt, da hat sich jemand was dabei gedacht. Ein Satz, der ist bewusst formuliert, der ist nicht nur einfach irgendwie hingerotzt oder sowas, sondern der saß da eine Weile und hat sich das überlegt, wie kann ich das schreiben, wie ist das sauber sozusagen, auch theologisch sauber, wie versteht man es. Und das meine ich, wenn ich sage, diese Briefe haben schon so eine Tendenz zur Literatur und das ist auch der Grund, warum man die heute noch lesen kann. So irgendeinen winzigen Brief, wo Paulus um Geld bittet, den würde niemand mehr lesen wollen. Das ist auch völlig unergiebig. Aber das ist ein theologischer Gedanke und so, die kann man heute immer noch lesen. Und man kriegt auch immer noch was raus, wenn man möchte. Das macht die Paulusbriefe natürlich für heute noch ganz spannend.
Okay, die Geschichte geht weiter. Paulus stirbt, an ziemlicher Wahrscheinlichkeit Anfang 60er Jahre sind wir da jetzt schon. Paulus stirbt. Nun gibt es zu der Zeit, als Paulus stirbt, schon eine ganze Menge, einige Gemeinden, die sich auf Paulus berufen, die irgendwo von ihm selbst gegründet worden sind oder von Schülern von ihm oder so, auf jeden Fall, die mit Paulus zusammenhängen. Und jetzt, wenn die Zeit weitergeht, entwickeln sich neue Situationen, neue Fragen entwickeln sich und man überlegt sich, ja, was sollen wir denn jetzt machen, wenn wir weiterhin sozusagen Paulus-Gemeinden bleiben wollen. Oder anders gefragt, was würde eigentlich Paulus jetzt tun, wenn er noch bei uns wäre. Wir haben ein Problem. Irgendwie funktioniert es nicht. Wir kommen mit unserer Umwelt, mit unseren Mitbürgern nicht klar. Wir sind Christen, die anderen sind nicht Christen. Es wird immer schwieriger. Die meiden uns, die hassen uns, verachten uns. Was sollen wir jetzt machen?
Dummerweise, was hätte man früher gemacht? Man hätte Paulus gefragt. Dummerweise ist Paulus tot. Man kann ihn nicht mehr fragen. Und was man jetzt versucht, ist ganz einfach, man versucht im Duktus, in den Bahnen, in den Gedankengängen des Paulus weiterzudenken. Und daraus, weil man das auch niedergeschrieben hat, daraus entstehen dann diese Briefe, die man sozusagen die deuteropaulinischen Briefe nennt, also Pseudepigraphepriefe. Pseudepigraphie heißt ganz einfach, es wird im Namen des Paulus geschrieben, obwohl es Paulus nicht selbst ist, der das schreibt. Das ist ein Sonderfalt von Pseudonymität. Das gibt es natürlich immer, dass man unter einem Pseudonym schreibt. Das kann ich auch machen, das ist kein Problem. Schwierig wird es nur, wenn ich ein Pseudonym nehme, das es schon gibt sozusagen. Wenn ich unter dem Namen Angela Merkel schreibe, dann kriege ich ganz schnell gewisse Probleme, wenn ich irgendwelche linken Gedanken vertrete oder sowas. Das geht nicht. Was hier in der Antike getan wird, ist auch so eine Form von Pseudepigraphie, aber eben im Namen des Paulus.
Die Frage ist jetzt, das muss ich vielleicht doch ein Wort dazu sagen, wie kommt man da überhaupt drauf? Also wenn Sie jetzt das Neue Testament nehmen, ich weiß nicht, wie Ihre Vorkenntnisse in der Richtung sind, aber nehmen wir an, Sie nehmen einfach das Neue Testament, blättern so durch, sehen so und so viele Briefe, über alle 13 Briefe steht Paulus als Verfasser. Da werden Sie doch wahrscheinlich sagen, naja, also klar, das sind alle 13 von Paulus, was denn sonst? Der steht doch da. Deswegen die große Frage, und das ist auch in der Wissenschaft im Übrigen umstritten, das ist auch ganz witzig eigentlich. Gerade US-amerikanische Autoren halten viel mehr Briefe für echt paulinisch als zum Beispiel deutsche Bibelwissenschaftler. Komischer Befund, hängt vielleicht auch mit gewissen Akzeptanzen zusammen. Wenn ich sagen würde, der Epheserbrief ist wirklich von Paulus, dann lächeln meine Kollegen milde. Wenn ich das in den USA sage, sagen die, ja, kann gut sein. Also mag damit durchaus zusammenhängen. Trotz allem, selbst US-amerikanische Kollegen, ich will da jetzt nichts Falsches sagen,
gibt es genug, die der Meinung sind, es gibt natürlich pleutepegrafe Briefe des Paulus. Deswegen die Frage, wie kommt man eigentlich darauf, wenn es nicht da steht? Wie kommt man darauf? Ganz einfach, man vergleicht die Briefe untereinander und stellt fest, in manchen Briefen haben wir zum Beispiel schon mal eine ein bisschen andere Sprache. Da werden plötzlich Gedanken, Gänge, Begriffe verwendet, die meinten wirken im ersten Korintheprief, im Römerbrief etc. überhaupt nicht verwendet werden. Das fällt schon mal auf. Und dann, und das ist noch gewichtiger, stellt man fest, es entwickelt sich offensichtlich was weiter. Also man arbeitet jetzt mit anderen Modellen, man hat offensichtlich andere Probleme und versucht, die jetzt zu bearbeiten. Und wenn man diesen Eindruck hat und wenn dieser Eindruck stabil ist, nicht nur so eine vage Idee, sondern man das wirklich zeigen kann, dann, meine ich, hat man ein gutes Argument zu sagen, ja, das ist jetzt wirklich ein Pseudepigraphabrief, da versucht man in den Bahnen des Paulus weiterzudenken. Das funktioniert ganz gut.
Ein ganz einfaches Beispiel sind die Pastoralbriefe, die sogenannten Pastoralbriefe. Ich weiß nicht, ob Sie sie schon mal gehört haben. Das ist der erste Timotheusbrief, zweiter Timotheusbrief, Titusbrief. Drei so Briefe, die zusammengehören. Und was tun diese Briefe? Die entfalten eine ganz starke Gemeindestruktur, also sowas wie Ämter in den Gemeinden. Da gibt es dann einen Episkopos und dann gibt es Presbyteroi und dann gibt es Diakonoi. Also das ist Dingen, die offensichtlich den Herzens anliegen, in den Gemeinden solche Strukturen zu etablieren. Jetzt lesen Sie mal dagegen Paulus. Da haben Sie im ersten Korintherbrief das Bild des Leibes, also Leibkörper. Ein Körper mit vielen Gliedern, naja, da braucht man seinen eigenen Körper angucken, dann weiß man, was da so alles ist. Und Paulus vergleicht dann einfach die einzelnen Gemeindemitglieder mit den einzelnen Teilen des Körpers. Es ist eigentlich eine ganz einfache Vorstellung. Und die Quintessenz ist mal, jeder von euch hat eine bestimmte Begabung, hat eine bestimmte Aufgabe.
Die Hand ist halt nun mal kein Fuß und der Bauch ist kein Kopf, aber alle sind wichtig. Ohne Kopf geht es genauso schlecht wie ohne Bauch. Und ja, ihr müsst eben eure Begabungen annehmen und akzeptieren und zusammenarbeiten und dann funktioniert der Körper. Kein allzu komplizierter Gedanke, nur eine amtliche Leitungsstruktur steckt da nicht drin. Da ist niemand da, der sagt, du bist Hand und du bist Fuß, obwohl eigentlich er Kopf ist und er Bauch. Da ist niemand da, der das irgendwie sagen würde, sondern jeder muss es selbst wissen. Und da zum Beispiel merkt man, finde ich ganz klar, da ändert sich was. Und das ist auch ein ganz natürlicher soziologischer Prozess. Eine Gemeinschaft, die sich gründet, die zuerst ganz kleines, braucht keine großen Strukturen, braucht keine Ämter, vielleicht einen Sprecher oder sowas. Lassen Sie mal eine Generation ins Land gehen, lassen Sie die Gruppen größer werden, automatisch, automatisch bilden sich Strukturen. Das ist immer so. Das sind Gesetzmäßigkeiten. Das muss auch so sein, sonst funktioniert es nicht mehr.
Wenn Sie 100 Leute haben, muss halt einer mal sagen, komm wir treffen uns dann und dann und so weiter und so weiter. Das ist nun mal so. Insofern passt das eigentlich sehr, sehr gut ins Bild und wenn man meinetwegen die Paulusbriefe in den 50er Jahren, dann können wir die Pastoralbriefe in den 90er Jahren, meinetwegen im 100 ansetzen, haben wir eine wunderbare soziologische Struktur. Das ist jetzt natürlich ein sehr, sehr markantes Beispiel. Bei anderen Briefen ist es nicht ganz so deutlich. Da muss man ein bisschen mehr kämpfen und überlegen und so weiter. Aber ich glaube, die Grundstruktur ist Ihnen klar. Ja, wie soll man es beurteilen? Das ist vielleicht noch die größere Frage. Sie würden vielleicht aus dem Bauch raus jetzt sagen, das ist doch irgendwie Fälschung. Das geht halt gar nicht. Ich kann nicht einfach Paulus um den Brief schreiben. Gut, wenn ich an die ganze Plagiatsdiskussionen denke in den letzten Jahren, selbst, ich muss gestehen, selbst an unserer Fakultät hat es kürzlich so einen Fall gegeben, der zum Glück rechtzeitig entdeckt worden ist.
Tja, dann wird man vielleicht schon ein bisschen nachdenklich und fragt sich, was soll man davon halten? Ich würde sagen, man muss einfach in die Antike gucken. Das sind halt nur mal Antikeschriften. Was geht in der Antike oder was geht nicht? Und in der Antike, natürlich hat auch die Antike ein Gefühl für geistiges Eigentum. Das sind ja keine Idioten. Das ist auch keine unterentwickelte Gesellschaft oder irgend so was. Natürlich wissen die, das ist jetzt das Gedankengut von dem und dem. Aber es gibt sozusagen eine größere Offenheit, mit diesem Gedankengut umzugehen. Es gibt zum Beispiel in Philosophenschulen die Möglichkeit, den Versuch zu machen, die Gedanken des Schulhauptes einfach weiter zu schreiben. Zum Beispiel die Kynika, diese kynischen Philosophen, die haben das gemacht. Und da haben wir das große Glück, dass wir heute noch eine ganze Reihe von Briefen haben, zum Beispiel von Diogenes, von Gratis und so weiter, die nie von Diogenes oder Gratis geschrieben worden sind, sondern immer später.
Und die haben sich auch nichts Böses dabei gedacht. Die wollten auch den Gratis und den Diogenes nicht fälschen oder sowas. Im Gegenteil, man hat einfach versucht genau zu überlegen, was würde denn unser Schulhaupt, unser großer Meister, zu dem wir irgendwie unzugehörig fühlen, wie würde der denn heute weiter denken? Was würde der denn jetzt sagen, wenn er sehen würde, wie der römische Kaiser heute agiert? Was würde der dazu sagen? Würde er es gut finden? Kann er doch gar nicht. Ja, aber was würde er denn sagen? Ja gut, dann überlegt man sich, was er vielleicht sagen würde. Und wenn man es dann auch schwarz auf weiß hat, schreibt man halt einen Brief im Namen des Diogenes zum Beispiel. Das war nicht weiter schlimm. Das sollte auch gar keine Fälschung sein. Und vermutlich wussten das auch alle, dass dieser Brief nicht von Diogenes ist. Wenn es diese Praxis gibt, dann kann es die auch bei den ersten Christen geben. Und vermutlich, das würde ich auch wieder vermuten, wussten die meisten in der Gemeinde, dass das nicht unbedingt ein echter Paulusbrief ist. Das war gar nicht das Problem. Das Problem war eher, schafft der Autor die Gedanken des Paulus weiterzuführen oder schafft er es nicht?
Das ist die Frage, um die man sich dann vielleicht streiten konnte. Aber auf jeden Fall liegen auf diese Weise eben diese deuteropraulinischen Briefe vor. Oder so sind die entstanden. Und sie sind auch insofern wichtig. Ich habe auch, wie soll man sagen, selbst in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit, habe ich auch immer einen großen Bogen um die gemacht, weil ich immer gedacht habe, naja, das ist halt doch nicht mehr Paulus, das ist halt alles nur sekundär. Das ist aber vielleicht nicht richtig so zu denken. Denn ich meine, die Paulus-Tradition, die hätte auch ganz schnell verschwinden können. Sieben Briefe, die können schnell mal irgendwo in der Truhe vergammeln und dann wären die einfach weg. Also im Grunde war es total wichtig, dieser Prozess, dass man diesen Paulus weiter gedacht hat. Nur so ist er erhalten geblieben und nicht verloren gegangen. Und deswegen schätze ich heute auch die deuteropraulinischen Briefe zum Beispiel. Und ich sage einfach, ja, total spannend, wenn ich sehe, wie geht es weiter, wie denken die weiter?
Und dann habe ich ja immer noch die Möglichkeit zu sagen, was finde ich jetzt besser. Finde ich jetzt meinetwegen das Bild des Körpers für die Gemeinde besser, was Paulus macht, oder finde ich die Ämter der Pastoralbriefe besser? Da muss ich darüber streiten. So, damit soll es mit den Briefen jetzt mal genug sein. Jetzt schauen wir mal zu den Evangelien. Das ist ja auch ein ganz wichtiger und ganz großer Teil, die Hälfte ungefähr, dieses Neuen Testament, sind ja diese Schriften über Jesus. Wann entstehen die? Wie entstehen die? Warum entstehen die? Denken Sie noch mal dran, was ich gerade gesagt habe. Paulus stirbt etwa im Jahr 60, ein bisschen später oder so. In diesen Jahren, in den 60er Jahren, stirbt überhaupt die erste christliche Generation. Also die ganzen Menschen, die mit Jesus unterwegs waren, so ein Petrus zum Beispiel oder so, die sterben alle etwa ungefähr in dieser Zeit. Das heißt, es gibt dann nach den 60er Jahren im Grunde keine Augenzeugen mehr.
Wir können niemanden mehr fragen, wenn es darum geht, Mensch, was hätte, was hat denn Jesus und so weiter. Bis dahin konnten wir immer noch hoffen, da kommt mal einer vorbei, den kann man dann fragen, und der erzählt dann noch mal eine Geschichte von Jesus oder so was. Das hört dann definitiv auf. Und jetzt stellt sich die Frage, was soll passieren? Die Gefahr ist, dass die Jesus-Tradition dann so langsam mal irgendwie mehr oder weniger versickert oder verloren geht. Das will natürlich niemand. Und deswegen ist es meines Erachtens kein Zufall, dass etwa im Jahr 70 dann tatsächlich diese erste Jesu-Erzählung entsteht, nämlich das Markusevangelium. Da hat sich also dann tatsächlich in dieser Zeit mal jemand hingesetzt, der offensichtlich auch eine gewisse theologische und literarische Begabung hatte und hat eine Jesu-Erzählung verfasst. Wir nennen das dann heute die Evangelien. Am Anfang hieß das nicht so. Evangelium ist noch mal keine Literaturgattung. Das sind schlicht und ergreifend Jesus-Biografien. Biografien gibt es in der Antike auch schon.
Und der Autor, der Markus, keine Ahnung wer das war, aber dieser Markus-Autor hat im Grunde auch so eine Biografie über Jesus geschrieben. Die hat halt den großen Vorteil, er kann im Grunde eine ganze Menge von einzelnen Jesu-Traditionen in dieser Biografie unterbringen. Da passen Worte rein, da passen Wunder rein, da passt die Passionserzählung rein. Das kann man alles in einen sinnvollen, geordneten Aufbau bringen. Und man hat eine gute, eine klare Erzählung über das Leben Jesu von Nazareth. Das passiert etwa im Jahr 70 nach Christus. Indem dieser Markus das tut, erreicht er noch etwas zusätzliches. Er bewahrt nicht nur die Tradition vor dem Vergessen, sondern er arbeitet auch noch die Bedeutung dieses Jesus heraus. Normalerweise schreibt man in der Antike nicht über jeden Menschen eine Biografie. Das macht man heute ja eigentlich auch nicht, obwohl es heute schon ein bisschen inflationärer geworden ist. Ich sage jetzt aber keinen Namen da.
Ich will niemandem zu nahe treten. Aber Sie wissen dann, was man da so denken kann. In der Antike war Schreibmaterial etwas teurer und das wissen Sie auch nicht so gut vom Markten. Und insofern gibt es da nur eine, wie soll man sagen, gezählte Anzahl an Biografien. Aber auf jeden Fall immer über Menschen, die irgendwie von Bedeutung waren. Über römische Kaiser, über Feldherren, vor allem aber auch über Geistesmänner, über Philosophen, über bedeutende Leute, von denen man annahm, es ist wirklich wichtig, dass jeder weiß, das hat der und der gemacht. Das ist ein Vorbild, da kann man dran lernen, das muss man weitergeben. Und genauso schreibt man die auch. Der gute Blutarch, das ist ein römischer Autor, erstes Jahrhundert. Der schreibt mal, ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder. Ein ganz wichtiger Satz. Ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder. Das heißt, es geht ihm gar nicht darum, Archivmaterial zu sammeln und zusammenzustellen, sondern er möchte etwas zeigen.
Er möchte zeigen, zum Beispiel über Alexander den Großen, da fällt der Satz. Er möchte zeigen, was steckt eigentlich hinter dem Aufstieg Alexanders. Was bedeutet das? Warum ist das so wichtig? Warum hat das so funktioniert überhaupt? Warum ist er nicht untergegangen? Und so weiter und so weiter. Und was können wir daraus lernen? Sollen wir uns auch so machen oder sollen wir lieber aufpassen? Lebensbilder. Das sind Lebensbilder. Und nichts anderes macht im Grunde der Markus auch mit seinem Evangelium so zu sein. Er zeichnet im Grunde ein Bild von Jesus, das Bedeutung vermittelt. Wer das liest, stellt zumindest fest, der Autor, der das schreibt, ist davon überzeugt, dieser Jesus ist wichtig. Der hat eine Bedeutung, der ist entscheidend. Und dann kommen diese ganzen Dinge, die haben alle sicher schon mal ins Markus-Evangelium reingelesen. Dann kommt zum Beispiel diese Aussage, Jesus ist Sohn Gottes. So geht das schon los. Sohn ist Gottes. Evangelium ist Sohn ist Gottes. Frohe Botschaft ist Sohn ist Gottes. Ja, was heißt das? Mit Sohn Gottes ist Jesus natürlich ganz nah an Gott dran.
Unmittelbare Nähe zu Gott. So geht es schon los. Also das ist einfach ein hoher Anspruch, den Markus da aufstellt. Ganz am Anfang schon. Dieser Mann ist sozusagen in unmittelbarer Nähe zu Gott. Und alles, was jetzt passiert, hängt damit zusammen, dass er Gott vermittelt. Kann natürlich durchaus sein, dass nicht jeder dieser Meinung war, aber es ist auf jeden Fall ein hoher Anspruch. Und dann geht das Evangelium weiter. Zum Beispiel dieses Nachfolgemotiv. Dem soll man nachfolgen. Warum soll man dem nachfolgen? Ja, weil er eben genau der ist, von dem Markus sagt, er ist Sohn Gottes. Und, auch ganz wichtig, die Passionsgeschichte. Im Markus Evangelium nimmt ja in ganz breitem Raum die Passionsgeschichte ein. Warum ist das so wichtig? Ja, weil man halt schon Anfang an ein Problem hat damit. Der Kreuzestod ist ja normalerweise, also das ist für jeden unmittelbar einsichtig. Der Kreuzestod ist im Grunde eine Katastrophe. Das ist nicht nur einfach grausam und absolut entwürdigend, sondern auch gesellschaftlich eine Katastrophe.
Wer im Kreuz stirbt, ist einfach raus. Der ist weg. Der hat keine Bedeutung mehr. Und jetzt kommen die Christen und sagen, ja, aber Jesus, der Sohn Gottes und so weiter und so weiter. Wie passt das zusammen? Das geht eigentlich nicht. Also muss sich Markus ganz viel Mühe geben, das zu integrieren und zu zeigen, doch, doch, das geht schon. Und es ist auch ganz klar Absicht Gottes, so muss die Sache laufen. Da ist nichts passiert, da ist nichts schießgegangen, das ist kein Unfall, sondern das ist genau so gedacht gewesen. Das alles versucht Markus in seiner Jesus-Biografie unterzubringen. Und Sie wissen ja selber, er ist nicht der einzige, der das tut. Kurze Zeit später kommen noch andere dazu, also das Matthäus-Evangelium, Lukas-Evangelium, Johannes-Evangelium. Die Frage, wie diese ganzen Schriften zusammenhängen, ist eine schwierige Frage. Da will ich jetzt auch gar nicht zu lange darauf eingehen. Sie kennen ja vielleicht dieses Modell, haben Sie bestimmt schon mal gehört, dieses noptische Modell, also dass Markus das älteste Evangelium ist und von ihm schreiben Lukas und Matthäus ab.
Da konstruiert man meistens noch eine sogenannte Logienquelle, die vor allem Reden Jesu enthalten hat. Die haben dann Matthäus und Lukas auch benutzt. Das ist ein gängiges Modell der heutigen Exegese. Ich halte es auch nach wie vor für halbwegs plausibel, sagen wir so, zumindest auch nicht weniger plausibel als alle Alternativen. Deswegen würde ich davon ausgehen, dass es vielleicht tatsächlich so gelaufen ist. Und das heißt halt im Klartext, da haben ein paar Jahre später weitere Autoren das Gefühl gehabt, sie sollten jetzt den Versuch wagen, mit Jesus' Tradition umzugehen, Jesus' Tradition zu sammeln und darzustellen. Nehmen sie denn Markus, nehmen sie noch etwas dazu und bauen ihre eigenen Erzählungen. Und da haben wir genau wieder den Punkt. Weil es eben nicht nur darum geht, Archivmaterial zu sammeln, sondern weil es darum geht, Bedeutung herzustellen, deswegen haben wir auch verschiedene Erzählungen. Deswegen sind die Evangelien so verschieden. Denken Sie nur an die Geburtsgeschichten.
Was da bei Matthäus passiert und was bei Lukas passiert, das ist fast was völlig anderes. Da gibt es kaum, also außer Bethlehem, den Namen der Eltern, witzigerweise die Idee der Jungfraungeburt, sonst haben sie eigentlich kaum etwas Gemeinsames zwischen diesen Geschichten. Das ist doch erstaunlich, oder? Klar hat man, man findet schon immer eine Möglichkeit, das dann irgendwie zusammen zu bringen, ja, der eine betont halt mehr das, der andere, nee, das ist gar nicht das Problem. Sondern es geht einfach darum, jeder versucht, in die Geburt Jesu einen Sinn reinzubringen. Zu sagen, ja, deswegen ist dieser Jesus für uns so sinnvoll. Und der eine macht's so und der andere macht's anders. Und das Johannesevangelium, das funktioniert nochmal ein bisschen anders. Ich weiß nicht, ob Johannes die drei anderen gekannt hat, da streitet man sich rum, ich weiß es am besten nicht, ich vermute eher nein, aber egal. Johannes legt den Fokus einfach noch stärker auf die Selbstoffenbarung Jesu von Nazareth. Also bei Johannes, da spricht eben der gute Jesus, der spricht kilometerweise, ne?
Der redet und redet und redet, fast das ganze Evangelium durch, immer wieder redet er kapitelweise. Und was redet er? Eigentlich immer über sich selbst. Das könnte man jetzt irgendwie, nein, aber der Sinn der Sache ist ganz einfach. Man versucht halt eine bestimmte Deutung Jesu sozusagen, ja, Jesus selbst aussprechen zu lassen. Da mag auch durchaus historische Erinnerung drin sein, das ist nochmal eine andere Frage, ne? Da kommen wir beim zweiten Vortrag drauf über den historischen Jesus. Aber die Darstellungsweise ist einfach eine ganz andere. Da unterscheidet sich Johannes ganz deutlich. Trotzdem muss man nicht unbedingt, finde ich, jedenfalls so weit gehen, dass man genau ins zweite Jahrhundert steckt. Ich würde Johannes auch am Ende des ersten Jahrhunderts irgendwo ansetzen. Ja, vielleicht noch ein Wort. Nein, eins ist mir noch wichtig, das wollte ich vielleicht noch gerne sagen. Was für uns vielleicht heute auch kaum noch hörbar wird, diese ganzen Schriften, über die ich jetzt gesprochen habe, Paulusbriefe, Pseudepigraphen, Jesusbiografien, diese ganzen Schriften funktionieren im Grunde immer noch im Raum des Judentums.
Das vergessen wir auch oft ganz, ganz schnell, weil wir sie halt so sehr christlich kennen und weil wir sie selbst christlich empfangen haben, ne? Und aus unseren Kirchen oder was weiß ich woher kennen diese Schriften. Für uns sind das christliche Schriften. Ist ja auch nicht ganz falsch. Aber die ersten Christen waren halt nun mal im Grunde noch im Raum des Judentums verankert. Die lebten da, die kamen da her, Jesus war Jude, Petrus war Jude, Paulus war es auch. Die kommen alle aus dem Judentum. Und die streifen sozusagen mit ihrer Christwerdung das Judentum nicht einfach ab wie ein alter Mantel, sondern die bleiben Juden. Die bleiben einfach Juden. Und wenn Sie die Schriften durchgucken, in alle fünf Pfiffe, begegnet Ihnen irgendein Jüde ein Zitat aus dem Alten Testament oder eine Anspielung oder ein Hinweis oder das... Nehmen Sie das jüdische Gottesbild. Um welchem Gott geht es denn da? Geht es nicht um Zeus, geht es auch nicht um Jupiter, geht es nicht um Isis, es geht um den Gott Israels. Also das muss man sich auch noch mal klar machen einfach, wie stark diese Schriften noch jüdisch funktionieren. Dann ergeben sich auch schon für die Auslegung, für das Verständnis manchmal noch mal so bestimmte Hinweise.
Also man geht nicht so schnell in die falsche Richtung. Also alles jüdische Schriften. Ja, ein Wort zu den Verfassern vielleicht an dieser Stelle. Sie wissen, dass diese Schriften von uns alle mit Namen belegt werden, Markus, Matthäus, Lukas, Johannes. Diese Namen sind aber alle spätere Zuschreibungen. Im Grunde sind die Verfasser alle absichtlich, wohl absichtlich anonym geblieben. Es wäre kein Problem gewesen, einen Namen reinzuschreiben am Anfang oder am Ende der Schrift. Ist ganz einfach, muss man nur eine Zeile. Haben die aber nicht gemacht, blieben bewusst anonym. Und ich frage mich natürlich, warum tun die das? Also warum setzen die einen Namen nicht ein? Ich würde sagen, einfach hat vielleicht zwei Gründe. Einmal, weil sie wirklich tatsächlich ihr Buch sozusagen in den Vordergrund stellen wollen, also die Geschichte Jesu. Und zum anderen, weil sie in der biblischen Tradition stehen. Gucken Sie sich die biblischen Bücher an, da sind auch ganz viele nicht namentlich gekennzeichnet.
Daran bastelt man ja heute auch noch rum, wer hat diese Sachen geschrieben? Haben Sie vielleicht gestern gehört. Weiß man oft einfach nicht. Wir wissen es leider auch nicht, wer die Bücher genau geschrieben hat. Die Namen, die wir kennen, das sind spätere Zuschreibungen. Und die werden dann nötig, wenn sie mehr als eines haben. Und wenn sie nur eine Jesusgeschichte haben, können sie sagen, es ist die Jesusgeschichte. Also meinetwegen ist es die Markusevangelierung. Sobald sie zwei oder drei oder vier haben, müssen sie ja irgendwas unternehmen, um diese Schriften unterscheiden zu können. Und dann kommen diese Zuschreibungen zustande. Nach Markus, nach und so weiter und so weiter. Die Formulierung ist witzig. Das heißt tatsächlich auch im Griechischen, Eugenion, Katar, Johannem oder irgend sowas. Nach Johannes, nicht des Johannes. Warum? Weil man genau weiß im Grunde, es geht um die eine Jesusgeschichte. Und die ordne ich jetzt sozusagen in verschiedenen Fassungen verschiedenen Leuten zu. Nach Johannes und so weiter. Daher kommt das. Warum hat man diese Namen gewählt?
Man hat ja natürlich schon eine gewisse Absicht damit. Die Absicht ist ganz einfach auch, diese Schriften Leuten zuzuschreiben, die möglichst nahe an der Jesusgeschichte dran sind. Das ist auch wieder klar. Also Markus zum Beispiel galt dann in der alten Kirche als Petrusbegleiter. Ob er das wirklich war, weiß ich nicht. Ist für mich auch völlig belanglos. Denn Überlieferung funktioniert wie vorher gesagt über mündliche Weitergabe. Und wer es dann letzten Endes aufschreibt, ist dann nochmal eine ganz andere Frage. Scheint mir nicht entscheidend zu sein. Aber in der alten Kirche war das eben ein Gesichtspunkt zu sagen, ja, die Autoren waren ganz nahe an Jesus dran, ergo sind sie glaubwürdig. Eine ganz schwierige Frage ist die Frage nach der Datierung dieser Schriften. Da gibt es wirklich eine ganze Menge an Möglichkeiten sozusagen. Ich würde es so sagen, das plausiveste, oder es gibt ganz wenige Hinweise, sagen wir es mal so. Es gibt eigentlich ganz wenige Indizien, die mir wirklich mal was in die Hand geben,
damit ich sagen kann, ja, wann ist zum Beispiel das Markus-Evangelium jetzt wirklich entstanden. Und ein Indiz ist die Anspielung auf die Zerstörung Jerusalems. Wissen Sie vielleicht im Jahr 70 nach Christus haben die Römer Jerusalem erobert, den Tempel zerstört. Das war wirklich eine Katastrophe für das jüdische Volk. Und da hat man natürlich auch die Übermacht Roms mal leibhaftig erfahren müssen. Und man hat sich die Frage gestellt, ja, warum hilft denn unser Gott, warum greift er nicht ein. Das war also ein einschneidendes Ereignis. Und ich finde im Markus-Evangelium und in allen anderen Evangelien Stellen, die darauf anspielen, das scheint mir zumindest relativ klar zu sein, im Markus 13, 13. Kapitel zum Beispiel, Anspielungen auf diese Tempelzerstörung. Das sind so die wenigen Indizien, die ich habe, wo ich sagen kann, ja, dann ist es aber doch wahrscheinlich so ungefähr um 70. Was für mich aber auch noch wichtig ist, ist halt die Frage, es passt eben auch gut so in die Entwicklung der Geschichte des Ur-Christentums.
Eben einfach deswegen, weil ich zuerst eine Phase mündlicher Überlieferung habe und es braucht ja einen Grund, warum man dann plötzlich sagt, jetzt fangen wir aber anders auf zu schreiben. Und diesen Grund hätte man eben, wenn die Augenzeugen, also die erste Generation ausstört. Und das wäre ungefähr um diese Zeit, das würde also genau zusammenpassen. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo man sagt, jetzt müssen wir irgendwas tun. Dann schreibt man. Deswegen bin ich auch immer ganz skeptisch, was bestimmte Frühdatierungen betrifft. Es gibt schon so Versuche, wo man sagt, ja, die Evangelien sind um 40 entstanden oder so. Aber wenn Sie mal so etwas lesen, gucken Sie genau hin, meistens steckt dahinter auch eine bestimmte, ich sage jetzt mal, ideologische Absicht oder dogmatische Absicht oder sowas. Und die Absicht ist ganz einfach, das ist sozusagen die Formel, je früher, desto glaubwürdiger. Ich würde aber ganz klar sagen, diese Formel ist falsch. Also wenn Sie behaupten wollen, dass alles Fälschung ist, was im Neuen Testament steht, dann brauchen Sie dafür ungefähr 14 Tage. In 14 Tagen kann jemand alles Mögliche fälschen.
Dann erzähle ich halt irgendwas. Und wenn das mir einer glaubt, umso besser. Und dann schreibt er es auf. Also auch im Jahr 40 kann jemand schon fälschen. Da hilft uns alles nichts. Da müssen wir uns eher damit beschäftigen, wie mögliche Überlieferung fungiert und wie stabil die ist. Und deswegen habe ich persönlich auch gar kein Interesse daran, eine Frühe, eine Späte oder sonst was Datierung zu entwickeln. Sondern ich versuche das halt irgendwie einzuordnen, was plausibel sein könnte. Und da halte ich halt diese 70-80-Datierung immer noch für plausibel. Da bin ich auch nicht der einzige, sagen muss man es so. Das gibt es eigentlich nicht. Okay, die Sache geht weiter. Ich weise nur noch mal kurz darauf hin, es gibt ja auch noch andere Schriften im Neuen Testament. Was ist passiert sozusagen? Wir haben jetzt die Braulusbriefe, wir haben die Jesuserzählungen, wir haben deutoropolenische Briefe. In der zweiten, dritten Generation entstand jetzt offenbar die Notwendigkeit oder auch der Wunsch,
ganz einfach in bestimmte Richtungen weiterzudenken. Und deswegen entstehen eben auch noch andere Schriften. Zum Beispiel die Apostelgeschichte, die kennen Sie wahrscheinlich auch alle. Die Apostelgeschichte ist vom selben Autor wie das Evangelium des Lukas, aber beschreibt jetzt einfach den Weg sozusagen des Christus, des Evangeliums weiter in die Welt hinein. Also offensichtlich hatte der Lukas so die Frage im Kopf, wie glaubwürdig ist es eigentlich, dass die Jesusgeschichte bis zu uns weitergegeben worden ist? Wie glaubwürdig ist das? Wie hat das eigentlich funktioniert? Oder anders gesagt, woher wissen wir eigentlich, woher wir kommen? Setzen wir nicht irgendeinen großen Irrtum auf? Glauben wir nicht irgendeinen Unsinn oder sowas? Können wir uns eigentlich darauf verlassen, auf das, was uns da jetzt so überliefert worden ist? Und Lukas will diese Frage sozusagen nicht nur mündlich beantworten und sagen, ja, das ist schon alles okay, sondern er möchte es sozusagen wirklich stabil zeigen. Und dazu beschreibt er die Apostelgeschichte. Und diese Apostelgeschichte macht im Grunde nichts anderes,
als den Weg des Evangeliums nachzuzeichnen und von Jerusalem tot Jesu bis Rom, bis Paulus nach Rom kommt, kurz vorher stirbt. Also wirklich ungefähr Ende 50er Jahre. Das macht er sehr ausführlich, sehr ordentlich, schöne Erzählungen sind da drin. Also der kann auch schreiben, der Lukas. Für antike Verhältnisse kann er ganz gut schreiben und erzählen. Aber am Schluss kommt eben raus, da gibt es eine verlässliche Kontinuitätslinie, an der kann man sich orientieren. Was der Lukas natürlich nicht macht, ist, solche Dinge zu erzählen, die eben, ich soll mal sagen, diese Kontinuität so ein bisschen in ein weniger gutes Licht werfen. Also wir wissen zum Beispiel aus den Paulusbriefen, dass es mal eine ganz böse Auseinandersetzung gegeben hat zwischen Petrus und Paulus. Da haben die sich richtig in die Haare gekriegt, haben richtig gestritten, um die Frage, dürfen jetzt Juden und Heiden zusammen essen? Das geht eigentlich nicht, da muss man sich an die Speisegebot hinzu weiterhalten. Bei den Christen ging es aber eigentlich doch.
Und dann kam Petrus und hat gesagt, ah, Vorsicht, vielleicht doch lieber nicht, lassen wir mal lieber, Vorsicht, Vorsicht. Und dann hat Paulus offensichtlich, da ist ihm der Hut hochgegangen, und da hat er offensichtlich richtig reingehauen. Da hat er mit Petrus Kräfte gestritten, die sind dann auch auseinandergegangen, im Zorn, und haben sich vermutlich nie wieder getroffen, und haben dann sozusagen ihr eigenes Ding gemacht. Davon erzählt Lukas natürlich nichts, denn das spricht ja nicht gerade für den Kontinuitätsbogen, den er schlagen möchte, das erzählt uns Paulus im Gallaterbrief. Trotz allem muss man nicht davon ausgehen, dass das alles, was Lukas da schreibt, irgendwie unglaubwürdig ist. Es ist nur perspektivisch, wie jede Geschichtsschreibung in der Antike. Man versucht eine Linie nachzuzeichnen, und die zeichnet man halt nach. Und den Rest lässt man weg. Das macht einen Tacitus auch nicht anders, ganz klar. Völlig legitim. Das macht einen heutigen Historiker ein bisschen anders, aber vielleicht auch nicht völlig anders. Ja, dann ganz kurz noch, die katholischen Briefe gibt es.
Da sage ich jetzt gar nicht viel dazu. Habt ihr das schon mal gehört? Das ist der Jakobusbrief, Judasbrief, 1.2. der Petrusbrief, 1.2. der 3. Johannesbrief. Die nennt man die katholischen Briefe. Also nicht, weil sie dazu katholischen Köchen gehören oder sowas, sondern katholisch auf griechisch heißt einfach allgemein. Die Bezeichnung ist auch erst später dazu gekommen. Der Witz an den katholischen Briefen ist eigentlich folgender. Es gab bei den ersten Christen, wie wir schon gesehen haben, eine ganz starke Paulus-Tradition. Der Brief der diese Paulus-Tradition offensichtlich, zumindest in bestimmten Kreisen, immer weiter weg vom Judentum und immer näher in die griechisch-römische Welt hinein. Das hat bestimmten anderen Gruppen weniger gut gefallen. Und die sagen, Vorsicht, Vorsicht, das geht ja völlig raus. Und die versuchen dann sozusagen ein gewisses Gegengewicht zu setzen. Das sind die katholischen Briefe. Die sind gar nicht gegen Paulus, die versuchen nur den Paulus wieder so ein bisschen einzunorden
in ihren Augen eine mittige Linie, bleiben wir doch in der Nähe des Judentums, das ist doch besser, da kommen wir her, dann haben wir eine klare Traditionslinie. Und deswegen heißen die auch Hetrusbrief und Jakobusbrief und so. Das sind Leute, die für eine jüdische Richtung stehen. Auch eine ganz interessante Entwicklung übrigens für uns heute, dass man sieht, das erste Christentum, es war nicht so eine einförmige Bewegung, da war eh alles klar und die waren sich alle einig und so und immer nur friedesfreier und so weiter. Sondern die waren auch schon, gab es auch schon Richtungen und Auseinandersetzungen, die einen finden das gut, die anderen mögen lieber diese Richtung, man weiß nicht so recht, was jetzt richtig ist. Also man setzt sich auch schon auseinander. Genau das haben wir heute auch. Dann haben wir noch den Hebräerbrief und die Offenbarung. Dazu sage ich jetzt im Einzelnen, aber nichts mehr, weil ich lieber noch einen kleinen Schritt weiter gehen möchte. Und zwar hinsichtlich der Frage, wie kommen diese Schriften jetzt eigentlich zu dem, bis jetzt sind es ja immer noch Einzelschriften sozusagen, was ich Ihnen gesagt habe. Aber wir wollten ja eigentlich irgendwann am Schluss hier beim Neuen Testament rauskommen.
Das versuche ich jetzt auch. Der Prozess, der dahinter steht, ist eigentlich ein ganz einfacher Prozess. Man sammelt. Man sammelt Schriften zusammen. Das sieht man zum Beispiel schon daran, dass zum Beispiel so etwas wie die Pastoralbriefe entstehen. Offensichtlich sind diese, also habe ich vorher gesagt, 1, 2, Demodius, Titus, sind drei Briefe, die gehören irgendwie eng zusammen, die beziehen sich aufeinander und so weiter. Vermutlich waren diese drei Briefe schon als Abschluss von der Paulusbriefsammlung gedacht. Also man hat schon Paulusbriefe, auch mehrere, nur einen, mehrere zusammen und versucht die jetzt sozusagen unter eine bestimmte hermeneutische Perspektive zu stellen. Das machen die Pastoralbriefe. Dann weiß man, okay, so sollen wir die Paulusbriefe insgesamt verstehen, die gehören zusammen, dann haben wir einen Abschluss. Und so finden sich Sammlungen immer wieder. Ich lese Ihnen bloß mal aus dem Kolossabriefensatz vor, einfach damit Sie sehen, was da passiert.
Also es ist vermutlich ein deuteropolinischer Brief, der Kolossabrief. Und wenn der Brief bei euch vorgelesen worden ist, sorgt dafür, dass er auch in der Gemeinde von Lauditia bekannt wird. Und dass ihr auch den von Lauditia lest. Also was heißt das? Nix anderes als Briefaustausch. Die haben einen, die haben einen, austauschen. Was macht man? Wahrscheinlich, man schreibt den einmal ab. Also da macht man sich dann die Mühe, da hilft wohl nichts. Aus der Hand geben will man ja auch nicht. Man schreibt den also halt dann mit viel Mühe einmal ab, bringt ihn nach Lauditia, nimmt dann wieder einen mit, hat ja auch was davon sozusagen. Das sind ganz einfache Sammlungsbewegungen. Ich kürze es jetzt einfach ab, weil die einzelnen Stationen weiß man eh nicht so genau. Also eines ist auf jeden Fall klar. Mit der Ende zweites Jahrhundert hat man dann die Briefe, zum Beispiel die Paulusbriefe, zusammen. Und auch im zweiten Jahrhundert fängt man ganz so langsam an, Evangelien auszutauschen. Zunächst sind einzelne Gemeinden einfach damit zufrieden, dass sie eins haben.
Wir haben unsere Jesusgeschichte, Matthäus, Markus und so weiter. Passt völlig. Aber irgendwann will man doch andere auch haben. Ja und was macht man? Fragt mal an, ob man nicht vielleicht doch das Evangelium der Nachbargemeinde haben könnte. Das macht natürlich jetzt richtig Arbeit. Versuchen Sie mal auf Griechisch, na gut, also egal, aber versuchen Sie mal das Lukas-Evangelium abzuschreiben. Da sitzen Sie eine Weile. Da sitzen Sie echt eine Weile. Also da muss schon Power dahinter sein, dass man sowas macht. Aber irgendwann kam der Wunsch einfach auf und hat man gesagt, ja gut, komm wir haben doch jemanden, der kann das. Wenn wir zusammen liegen, können wir den mal vier Wochen finanzieren, der soll dahin gehen, soll ich es abschreiben. Und dann hat man es. Ja und wenn Sie das ein paar Mal machen, dann haben plötzlich einige Gemeinden, meinetwegen alle vier Evangelien. Und dann kriegen die auch diese Überschriften, Evangelium nach und so weiter und so weiter. Und dann haben wir diese Sammlungsprozesse. Das reicht aber immer noch nicht, um die Sache zu einem Kanon zu bringen.
Im Übrigen, was ich vielleicht noch zum Sammlungsprozess sagen muss. Für die ersten Christen waren diese Schriften immer noch keine heiligen Schriften. Sondern wenn man wirklich aus der Schrift zitiert, dann zitiert man immer aus dem, was wir heute altes Testament nennen. Das ist die heilige Schrift. Und zwar ganz lange, auf jeden Fall im ersten Jahrhundert bis ins zweite Jahrhundert rein. Und da kippt es dann manchmal so ganz langsam, aber erst so Mitte, Ende zweites Jahrhundert. Da fängt man an, dann vielleicht tatsächlich auch mal sich auf ein Evangelium zu berufen. Aber ganz selten, ganz anfanghaft. Heilige Schrift, das ist völlig klar, die Schriften Israels. Wie geht diese Entwicklung zum Kanon weiter? Man fragt sich ja jetzt, warum gerade diese 27 Schriften? Man hätte weniger nehmen können, im Übrigen auch mehr, man hätte auch mehr nehmen können. Warum macht man das? Und dann gibt es drei ganz interessante Anstöße. Das werde ich versuchen, Ihnen kurz zu sagen.
Sobald man mal mehrere Schriften hat und sobald man merkt, die sind wichtig, die kommen aus einer frühen Zeit usw., sobald man das hat, fragt man sich natürlich so, welche sind jetzt verlässlicher? Welche soll man sich berufen? Und dann kommt es natürlich auch auf die Richtung an oder auf den Standort, wo man steht. Und da gab es jetzt Mitte des zweiten Jahrhunderts in Rom einen Mann namens Markion. Ich weiß nicht, ob Sie von dem schon mal was gehört haben. Ah, gestern? Brauche ich eigentlich gar nichts dazu sagen, oder? Dann wissen Sie, was der gute Markion gemacht hat, nämlich etwas, was eigentlich meinen Redner von gestern noch viel mehr verärgern müsste als mich. Er hat das Algetestament rausgelassen. Er wollte einfach das Algetestament nicht haben. Das Gottesbild passte ihm nicht. Das ist nicht das Gottesbild Jesu. Das ist das falsche Gottesbild sozusagen. Ein Gott der Gerechtigkeit, schön und gut, aber wir haben einen Gott der Liebe. Und den findet man leider nur bei Jesus.
Das ist Markion. Ich sage jetzt nicht mehr dazu. Das ist natürlich, und das werden Sie selber, das wird übrigens auch von Anfang an klar sein, also was Markion dann macht, daraus ist Ihnen dann auch klar, er nimmt im Grunde ja nur noch das Lukas-Evangelium und Zinpaulusbriefe. Der Rest fällt weg. Das ist eine sehr, sehr enge Auswahl. Eine sehr enge Auswahl. Darauf muss man reagieren. Was noch dazukommt, ist die Entstehung weiterer Schriften. Das wissen Sie vielleicht. Also diese sogenannten gnostischen Schriften. Sie haben sicher alle schon mal was von der Gnosis gehört. Also so eine etwas intellektualisierende, spiritualisierende Geistesrichtung, die dann so langsam im zweiten Jahrhundert entsteht und Schriften produziert. Das sind im Grunde elite Schriften. Das ist was für Leute, die sich vom einfachen Volk etwas abgehoben fühlen und eine besondere geistliche Begabung für sich in Anspruch nehmen. Das ist die Gnosis. Das versteht nicht jeder. Die anderen haben es halt nicht. Die haben den Lichtfunken nicht gesehen, so blöd. Die kommen da nicht drauf. Da geht nichts.
Also wir sind die Auswahlwählten. Okay. Und in dieser Hinsicht werden Schriften geschrieben. Zum Beispiel das Thomas-Evangelium. Das ist eine Frühform davon. Das geht noch einigermaßen. Das Judas-Evangelium, Philippus-Evangelium. Solche Schriften. Die haben Sie schon mal irgendwo im Hinterkopf gehört. Dieses Judas-Evangelium hat man ja vor kurzem entdeckt. Egal. Auf jeden Fall entsteht eine ganze Menge anderer Schriften. Und auch da stellt sich natürlich die Frage, wie soll man die bewerten? Sind die alle gleichwertig mit unseren vier Evangelien oder sind sie es nicht? Letzter Punkt, haben Sie vielleicht gestern auch schon gehört. Es gab den Versuch, weil wir ja vier Evangelien haben und weil diese vier Evangelien ja nicht gerade einheitlich sind, sondern zum Teil große, zum Teil wenig große Unterschiede aufweisen, gab es den Versuch, die zu vereinheitlichen. Das ist dieses Diatessaron des Tatjans. Haben Sie gestern gehört? Ah, das haben Sie super. Gut, dann haben wir noch etwas Neues. Diatessaron, da steckt Tetra drin. Vier. Also der geht sozusagen durch die vier Evangelien durch.
Das heißt, er schreibt im Grunde einfach alles zusammen. Alles zusammen. Dann kommt mal ein bisschen Matthäus, ein bisschen Lukas, ein bisschen Markus, ein bisschen Johannes und so weiter. Alles zusammen. Hat natürlich den großen Vorteil, sie haben eine wunderschöne einheitliche Geschichte. Hat den großen Nachteil, alle Eigenheiten der Evangelien werden völlig eingeebnet und nivelliert. Es ist eigentlich eine völlig hirnrissige Geschichte, die da entsteht. Und trotzdem war dieses Diatessaron bis ins fünfte Jahrhundert im syrischen Raum die meistgelesene Bibel sozusagen. Also das kam an. Das hat gefallen. Das hat man verwendet im Gottesdienst und so weiter und so weiter. Nicht die Evangelien, sondern das Diatessaron. Warum? Kann man natürlich nur mutmaßen, aber ich würde sagen wahrscheinlich deswegen, weil es einfach Einheitlichkeit in sich trägt. Also in der Antike gilt Einheit von etwas als Ausweis von Authentizität, von Glaubwürdigkeit. Dann ist es plausibel, wenn es einheitlich ist.
Ja und das konnte natürlich das Diatessaron des Tatians. Das war eine Geschichte. Durchgesetzt haben sich alle diese Strömungen, ich würde es von meiner persönlichen Meinung aus sagen, zum Glück nicht. Es gab etliche andere Autoren, zum Beispiel Justine, Mitte zweites Jahrhundert, Irenaeus von Lyon und so weiter, die ganz stark machen, nein, unsere Überlieferung hat zum Beispiel vier Evangelien, wir haben 13 oder Paulusbriefe und so weiter und so weiter. Also die halten da ganz stark daran fest und ein wichtiges Argument dafür, warum man an diesen Schriften festhält, ist eigentlich ein ganz pragmatisches Argument, also gar nicht großartig theologisch oder sowas, weil es von verschiedenen, von den meisten Gemeinden im Gottesdienst verwendet wird. Das sind die glaubwürdigen Schriften, die verwendet werden. Das ist natürlich in gewisser Weise ein zweischneidiges Argument, aber finden Sie mal ein besseres.
Wie wollen Sie es nachweisen, zum Beispiel nehmen Sie ein altes Argument. In der Antike weiß man das nicht so genau, da arbeitet man nicht unbedingt mit diesen, mit so genauen Datierungen, wie wir das heute machen in der Geschichtswissenschaft. Kommt der Kondagnostische, da kommt dann, sagt man, das ist Judasevangelium, hier steht doch, Judas, ist doch genauso alt. Damit hat sich die Sache. Verfasserargumente greifen auch nicht, weil man die Verfasser nicht so genau kennt. Natürlich versucht man es, aber es funktioniert nicht immer. Also was bleibt letzten Endes? Es gibt auch witzigerweise noch keine kirchliche Autorität. Was würde man heute machen? Ich bin katholisch, den Papst fragen. Der Papst sagt dann, ja, die und die und die und die andere nicht. Na ja, geht in der Antike leider auch nicht. Also kann man eigentlich nichts anderes machen, als zu sagen, okay, was wird denn verwendet? Von diesen, von jenen, da und da und da. Ja, dann kommt man genau auf diese Schriften, die wir heute im Grunde auch noch haben. Interessant an der Kanonentwicklung ist halt vor allem die Tatsache, dass tatsächlich,
also das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass tatsächlich an diesem, was wir heute, Altes Testament, festgehalten worden ist. Also manche sagen dann auch erstes Testament, um die Sache nicht abzuwerten oder so. Es ist mir jetzt völlig egal, wie sie sagen. Aber auf jeden Fall, dass die heiligen Schriften Israels Teil unseres Kanons geworden sind. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich glaube, das muss man sich auch mal klar machen. Das hätte auch anders funktioniert. Markian hat es vorgemacht. Es wäre auch anders gegangen. Aber die Tatsache, dass das drin ist, sagt uns ja etwas über unsere Herkunft aus. Und im Grunde, ja, es ist auch die Aufgabe der Christen, sich das immer wieder klar zu kriegen. Das ist der Großteil sogar. Nehmen Sie mal eine volle Bibel, da sind drei Viertel, das ist ein Altes Testament und ein Viertel ist Neues Testament ungefähr. Das sind unsere Wurzeln, und zwar bis heute festgehalten. Also ein ganz wichtiger Punkt. Und dann natürlich die vier Evangelien und die Gesamtheit der Briefe.
Wenn ich jetzt mehr Zeit hätte, würde ich noch gerne ein bisschen mehr über die weitere Entwicklung des Kanons sagen. Vielleicht nur noch zwei Gesichtspunkte oder zwei kleine Aspekte, weil ich die selber ganz interessant finde. Das eine ist, wann haben wir denn wirklich zum ersten Mal genau die Schriften, die wir heute auch im NT haben, als Kanon genannt? Und das ist tatsächlich im Jahr 367 der Fall. 367, das ist schon ein bisschen Zeit vergangen. Athanasius schreibt einen Brief zum Osterfest und da zählt er genau diese Schriften auf. Natürlich auch gegen Gnostika und so klar. Diese Schriften sind verlässlich und die anderen halt nicht. Und deswegen ist es für mich interessant. Er formuliert zum ersten Mal so etwas wie ein Kanonprinzip. Er schreibt nämlich in diesen Schriften, in ihnen allein wird die göttliche Lehre verkündet. Niemand soll ihnen etwas hinzufügen oder etwas von ihnen wegnehmen. Das ist ein klares Kanonprinzip.
Und damit ist auch klar, wer diesen Kanon hat, der gehört zu uns, und wer ihn nicht hat, gehört nicht dazu. Und der zweite Aspekt, den ich noch ganz interessant finde, jetzt springe ich in die Reformationszeit. Da wird nämlich die Frage nach dem Kanon auch noch mal interessant. Martin Luther übernimmt natürlich den Denkanon des Neuen Testaments so wie er ist. Der kann da nicht einfach, oder will er vielleicht auch nicht, irgendwelche Schriften dazu oder weg oder so was. Das geht nicht mehr. Aber was Luther macht, ist, er stellt ein wenig um. Und es gibt ein paar Schriften, die ihm offensichtlich theologisch fragwürdig erscheinen. Das ist der Hebräerbrief, der Jakobusbrief, der Judasbrief und die Offenbarung. Von denen hält er nicht allzu viel. Diese vier. Und was macht er? Er macht einen Anhang. Die vier kommen in den Anhang. Das ist bis heute in der Lutherbibel so. Nur in der Lutherbibel. Da sehen Sie, wie Kanon und Identität einer Glaubensgemeinschaft zusammengehören. Über Kanon kann ich ganz viel über Identität aussagen. Wenn ich das Alge Testament weglasse, ist auch schon was gesagt.
Wenn ich die Schrift in den Anhang packe, ist auch klar, von denen hält man eben nicht. Wer viel von den Händen hält, der gehört nicht zu uns. Das Konzil von Trient hat dann natürlich geantwortet und hat die Sachen im katholischen Sinne richtiggestellt. Ein paar Jahre später. Das musste dann natürlich kommen. Witzigerweise, aber das finde ich auch ganz interessant, erst 1546, also vorher gab es eigentlich keine klare katholische, päpstliche, wenn Sie so wollen, Konzilsdefinition des Kanons. Erst die Reformation hat da eine gewisse Unruhe reingebracht und dann war man offensichtlich der Meinung, jetzt muss man Klartext reden. Und dann wird der Kanon, obwohl es schon längst klar war, dass es dieser Kanon ist, dann wird er definiert, sozusagen offiziell definiert. Ich möchte jetzt so langsam zum Ende kommen. Vielleicht mit der Bemerkung, was dieser Kanon, so wie wir ihn heute haben, eben auch heute noch für eine Bedeutung haben könnte,
was ich jedenfalls meine, was daran noch einmal bemerkenswert ist. Es fällt, finde ich, auf, dass in diesem Kanon eine ganz starke Pluralität herrscht. Das scheint mir eines der Grundprinzipien dieser Kanonentwicklung zu sein. Es wird eben nicht nur eine einlinige Auswahl getroffen. Es wird aber andererseits auch nicht eine x-beliebige Pluralität zugelassen. Das wäre die andere Möglichkeit gewesen. Also Markie und das wäre die ganz klare Linie, ganz enge Auswahl. Alle Schriften zusammen, meinetwegen, mit gnostischen Schriften und so weiter, das wäre sozusagen die x-beliebige Variante. Alle Schriften, die älter als Völkers, Jungherz und Sint sind, unser Kanon oder so, hätte man auch machen können. Keines von beiden ist das Prinzip, das gegangen wird. Es wird Pluralität zugelassen und es wird Pluralität begrenzt. Das ist das Kanonprinzip. Diese Entscheidung ist, glaube ich, insofern wichtig, wenn man nochmal soziologisch denkt.
Es ist, also wenn man Sekte jetzt als soziologischen Begriff, nicht wertend, sondern Sekte als soziologischen Begriff, für eine Sekte ist es charakteristisch, dass sie Homogenität schafft. Die Mitglieder einer Sekte müssen sozusagen ganz klar der Richtung der Gruppe folgen. Und es gibt nichts außerhalb, eine ganz klare abgegrenzte Richtung. Eine Kirche wiederum im soziologischen Sinn, eine Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass sie eben Plural ist. Nicht beliebig, aber Plural. Das heißt, in einer Kirche müssen mehrere Strömungen Raum haben. Das scheint mir ganz wichtig zu sein. Vor allem, wenn ich in meine eigene Kirche gucke, über andere will ich nichts sagen, aber über meine eigene Dativität will ich etwas sagen. Man wahrnimmt gewisse Tendenzen einer Verengung. Man mag es nicht mehr, wenn in diese oder jene Richtung zu viel gedacht wird. Das kommt nicht sonderlich gut an. Das kann man auf der einen Seite verstehen, weil man dann natürlich eine klare Linie kriegt.
Aber auf der anderen Seite besteht die große Gefahr, dass diese Pluralität, die in Christentum angelegt ist, mir auf der Strecke bleibt. Dann wird Kirche ein ganz enger Korridor und keine weite Gemeinschaft mehr. Da war die frühe Kanonbildung irgendwie klüger, würde ich sagen, indem sie nicht nur Paulus, sondern auch die katholischen Briefe und die Deuteropolingen zugelassen haben. Indem sie vier Evangelien zugelassen haben und die Offenbarung ist auch noch drin, die ganz anders tickt. Und der Hebräerbrief und so weiter. Also da ist eine gewisse Bandbreite gegeben. Und vielleicht eine letzte Bemerkung. Diese Kanonbildung ist definitiv auch kein institutionell gesteuerter Prozess. Das ist auch ganz wichtig. Das ist eben nicht einfach eine Gruppe von Kirchenführern, die sich hingesetzt hat und gesagt hat, das ist jetzt der Kanon. Sondern der Kanon geht aus dem tatsächlich lebendigen Gebrauch der Gemeinden hervor.
Auch das ist wieder ein Plädoyer für Kirche als Gemeinschaft, die tatsächlich auch von unten mitwächst. Also nicht nur hierarchisch organisierte Gemeinschaft, auch wiederum kritisch gesehen meiner eigenen Kirchengemeinschaft gegenüber. Sondern eine Gemeinschaft, die eigentlich zumindest auch von unten wachsen sollte. Auch da gibt es Entwicklungen, die mir heute in meiner Gemeinschaft Sorgen machen.
Die Entstehung des Neuen Testaments | 4.3.1
Was wie ein Buch aussieht, ist eigentlich eine Sammlung von 27 Büchern. Wie ist daraus bloß das neue Testament entstanden? Stefan Schreiber eröffnet auf den Entstehungsprozess lauter überraschende Perspektiven. Er deutet die Evangelien als sich durchaus widersprechende Jesus-Biografien, erläutert warum und wie die neutestamentliche Forschung zwischen echten und nicht-originalen Paulus-Briefen unterscheidet, berichtet, wie das Christen- aus dem Judentum erwuchs. Sein Vortrag ist eine Reise in das Werden »des zweiten Teils« eines der meistgelesenen Bücher der Welt, die Neuentdeckung eines Jahrhunderte alten Buchs.