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In diesem zweiten Vortrag schauen wir uns jetzt zunächst ein paar Texte an, von denen man, denke ich, vernünftigerweise annehmen kann, dass sie von Jeremiah selbst stammen und etwas darüber zu erkennen geben, wie Jeremiah seine eigene Umwelt erlebt hat und was er deshalb im Auftrag Gottes seinen Zeitgenossen zu sagen hatte. Ein Beispiel im fünften Kapitel, die ersten sechs Verse. Zieht durch Jerusalems Straßen, schaut genau hin und forscht nach. Sucht auf seinen Plätzen, ob ihr irgendeinen findet, ob einer da ist, der Recht übt und auf Treue bedacht ist. Dann will ich der Stadt vergeben, spruch Jahwees. Doch selbst wenn sie sagen, so wahr Jahwe lebt,

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das heißt, wenn sie schwören, dann schwören sie dennoch einen Meinheit. Jahwe, sind deine Augen nicht auf Treue gerichtet. Du hast sie geschlagen, aber es tut ihnen nicht weh. Du hast sie vernichtet, aber sie haben sich geweigert, Züchtigung anzunehmen. Sie haben ihre Stirn härter gemacht als Stein. Sie haben sich geweigert, umzukehren. Ich aber dachte, nur die geringen Leute, nur die handeln töricht, weil sie den Weg Jahwes halt nicht kennen, das Recht ihres Gottes. Ich will doch lieber zu den Großen gehen und zu ihnen reden, denn die kennen ja den Weg Jahwes, das Recht ihres Gottes. Doch sie haben gemeinsam das Juch zerbrochen, die Stricke zerrissen. Darum schlägt sie der Löwe des Waldes, der Städtenwolf überwältigt sie. Vor ihren Städten

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lauert der Panther. Alle, die herauskommen, werden zerfleicht, denn zahlreich sind ihre Verbrechen schwer wiegt ihre Abtrünnigkeit. In diesem Prophetenwort wird das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, die von Lug und Tug durchdrungen ist, die voll ist von Kriminalität. Selbst wenn die Leute sich frommgeben und schwören und dabei bei Jahwe schwören, Jahwe als ihre Garantiemacht anrufen, bringen sie doch nur Meineide hervor, also nur Heuchelei. Zwar meint Jeremia, dass die Judeer eigentlich schon Erfahrungen gemacht haben, die sie als göttliche Warnung begreifen müssten, aber das hat nichts geholfen. Du hast sie geschlagen, aber es tut ihnen nicht weh. Du

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hast sie vernichtet, aber sie haben dich geweigert Züchtigung anzunehmen. Bei all dem, wenn das gilt auch sonst für das alte Testament, gilt Jahwe als ein Gott mit einem ausgeprägten Rechtswillen. Das heißt, das ist ein Gott, der größten Wert darauf legt, dass es bei seinem Volk nach Recht und Ethos zugeht, nach Treue und Glauben. Ein Gott, der deshalb auch Verstöße dagegen nicht einfach tatenlos auf sich beruhigen lässt und der, wenn es zu schlimm wird, strafend eingreift. Was Jeremia in seiner Umwelt laut diesem Passus noch ganz besonders empört, ist seine Erfahrung, dass die Eliten des Volkes, die Gebildeten, die auch schon mal Texte lesen, die später in unsere

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Bibel eingegangen sind, diese Leute, die eigentlich als Vorbilder dienen sollten, die sind keinen Deut besser. Im Gegenteil, wenn sie als Vorbild dienen, dann ausgerechnet zum Schlechten. Und deshalb bleibt so das Fazit des Passus, Jahwe gar nichts anderes üblich als strafend einzugreifen. Oder ein anderes Beispiel, da springe ich mal ins neunte Kapitel, da finden wir eine sogenannte Gottesklage. Das ist eine literarische Gattung, die auch für das Jeremia Buch typisch ist, wo Jahwe selbst zu Wort kommt und über die Zustände in seinem Volk klargeführt. Der Sprecher ist also Jahwe und der hat laut Jeremia über sein Volk folgendes zu sagen. Hätte ich doch eine Herberge in der Wüste, dann könnte ich mein Volk verlassen und von ihm weggehen, denn sie sind

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alle Ehebrecher, eine Rotte von Treulosen. Sie machen ihre Zunge zu einem gespannten Bogen, Lüge, Nicht-Wahrhaftigkeit herrscht im Land. Ja, sie schreiten von Verbrechen zu Verbrechen, mich aber kennen sie nicht, spruch Jahwe es. Nehmt euch in Acht vor eurem Nächsten, keiner trau seine Bruder, denn jeder Bruder betrügt und jeder Nächste verleumdet. An jeder täuscht seinen Nächsten, die Wahrheit reden sie nicht. Sie haben ihre Zunge gelehrt, Lügen zu reden, sie handeln verkehrt, zur Umkehr sind sie zu trägen. Überall Unterdrückung, nichts als Betrug. Sie weigern sich, mich zu kennen, spruch Jahwe es. Darum, so spricht Jahwe der Herrscher, siehe, ich werde sie schmelzen und prüfen, denn wie sollte ich sonst verfahren mit der Tochter meinem Volk? Ein tödlicher Pfeil ist ihre Zunge, Betrug redet sie. Mit seinem Mund sagt

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man Friede zum Nächsten, doch mit seinem Innern legt man ihm den Hinterhalt. Sollte sie dafür nicht heimsuchen, spruch Jahwe es, und an einem solchen Volk nicht Vergeltung üben. Wieder so ein Panorama über den Zustand der judäischen Gesellschaft zur Zeit Jeremias. Wobei dieses Beispiel hier noch etwas konkreter ist als das vorhergehende. Es sagt etwas genauer, welche Missstände Jeremias in seiner Umgebung wahrnimmt. Da fallen eben die Stichworte Ehebruch, Lüge, Betrug und Unterdrückung. Dabei ist es eigentlich ganz interessant zu beobachten, was dem Volk nicht vorgeworfen wird. Und damit treffen wir hier beim Jeremias auf einen Zug, der für die Prophetie des

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Alten Testament ziemlich typisch ist. Den Leuten wird keineswegs mangelnde Frömmigkeit vorgeworfen. Im Gegenteil, was die Propheten vor allem zu bemängeln haben, sind die sozialen Verwerfungen, die sich in der Gesellschaft abgespielt haben. Ihr Hauptthema ist die Sozialkritik, Lug, Betrug, Unterdrückung. Und das tun die Propheten immer mit dem Verständnis, dass soziales Unrecht nicht einfach bloß schlimm ist, sondern dass dieses soziale Unrecht in Jahwes Volk das Gottesverhältnis dieses Volkes prinzipiell in Frage stellt. Damit läuft das Volk Gefahr, sein Schutzverhältnis zu diesem Gott völlig zu verlieren und damit dem Untergang geweiht zu sein. Die soziale Gerechtigkeit

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ist keine Nebensache, sondern das ist ein Kernelement der Verpflichtungen, die Jahwe sein Volk auferlegt. Welche Konsequenzen zieht Jeremias daraus? Was wird ihm aufgetragen zu sagen? Und dabei ist eine Ankündigung für das Jeremiabuch typisch, die sich auf das Ankommen eines anonymen Feindes aus dem Norden bezieht. Es werde also ein Eroberer kommen, dessen Name nicht genannt wird, von dem wir lediglich erfahren, dass er aus dem Norden kommt und dass er eine unwiderstehliche militärische Übermacht darstellt, eine Übermacht, die das kleine Judah einfach niederwalzen und von der Landkarte fegen wird. Ich stelle Beispiele dafür vor, etwa Kapitel 4, Verse 5 bis 8.

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Meldet es in Judah, lasst es hören in Jerusalem und sagt, stoßt im Land ins Widerhorn, ruft aus voller Kehle und sagt, sammelt euch, wir wollen ziehen in die befestigten Städte. Stellt ein Feldzeichen auf nach Sion, flüchtet, bleibt nicht stehen, denn Unheil bringe ich von Norden und großes Verderben. Der Löwe hat sich aus dem Dickicht erhoben, der Völkervernichter ist aufgebrochen. Er hat seinen Ort verlassen, um dein Land zur Wüste zu machen. Deine Städte werden zerstört und niemand wird mehr darin wohnen. Darum legt Trauerkleider an, klagt und heult. Nein, der glühende Zorn Jahwes hat sich nicht von uns abgewarnt. Sie können daran die Merkmale

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ablesen, die ich angekündigt habe. Ein Angreifer kommt vom Norden. Den Namen erfahren wir nicht. Von ihm wird nur bildhaft gesprochen. Er heißt der Löwe und der Völkervernichter. Und was wir an Konkretem von ihm erfahren, sind eben die beiden Punkte. Denn Unheil bringe ich von Norden und großes Verderben. Er kommt aus dem Norden und Unheil bringe ich Jahwe von Norden. Dieser Völkervernichter kommt nicht einfach aus eigener Machtvollkommenheit, sondern das ist ein Werkzeug Gottes. Der ist von Jahwe geschickt und bevollmächtigt und beauftragt, das zu tun, was er an Juder anrichten wird. Oder ein anderes Beispiel. 5. Kapitel, Verse 15 bis 17. Siehe, ich bringe über euch ein Volk aus der Ferne, aus Israel, Spruch des Herrn. Ein unüberwindliches

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Volk ist es, ein uraltes Volk. Ein Volk, dessen Sprache du nicht kennst und dessen Rede du nicht verstehst. Sein Köcher ist wie ein offenes Grab. Sie alle sind Helden. Es frisst deine Ernte und dein Brot. Es frisst deine Söhne und Töchter. Es frisst deine Schafe und Rinder. Es frisst deinen Weinstock und Feigenbaum. Es zerschlägt mit dem Schwert deine befestigten Städte, auf die du vertraust. Auch hier kommt wieder zur Geltung, dieser Eroberer kommt nicht aus eigener Machtvollkommenheit, er wird von Jahwe geschickt. Ich bringe über euch ein Volk aus der Ferne. Und dabei wird dann auch gesagt, von Ferne kommen diese Angreifer her und sie reden unverständlich. Sie reden eine Sprache,

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die nicht aus der Nachbarschaft Israels stammt. 6 Kapitel, Verse 1 bis 8. Flieht ihr Leute von Benjamin hinaus aus Jerusalem, stoßt in Tekoa ins Wiederhorn und richtet über Bethkerem ein Zeichen auf, dessen Ortschaften, die südlich von Jerusalem liegen, das heißt, das soll nach Süden geflohen werden, weil, Sie ahnen es, der Angreifer von Norden kommt. So geht es auch weiter. Denn von Norden droht Unheil und großes Verderben. Die Schöne und Verwöhnte, die Tochter Sion, ich vernichte sie. Hirten kommen zu ihr mit ihren Herden, sie schlagen rings um sie ihre Zelte auf, jeder weidet seinen Bereich ab. Das heißt, er frisst die Gegend kahl. Verhängt gegen sie und den Krieg, auf, greifen wir an am Mittag. Weh uns, schon neigt sich der Tag, die Abendschatten

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strecken sich. Auf, greifen wir an in der Nacht, zerstören wir ihre Paläste. Denn so spricht Yahweh der Heerscharen, fällt ihre Bäume und warft einen Wall auf gegen Jerusalem. Das ist die Stadt, die heimgesucht werden muss. Alles in ihr ist unter Drückung. Wie ein Brunnen sein Wasser sprudeln lässt, so lässt sie ihre Schlechtlichkeit sprudeln. Von Gewalttat und Unrecht hört man in ihr. Ständig sind mir vor Augen Leid und Misshandlung. Lass dich warnen, Jerusalem, sonst trenne ich mich von dir. Sonst mache ich dich zur Wüste, zum Land ohne Bewohner. Der Text ist vielleicht beim Zuhören etwas schwer zu verstehen, weil da ständig die Sprecher wechseln. Wir haben hier ein Beispiel des sogenannten prophetischen Hörspiels vor uns. Das ist eine literarische Darstellungsweise, die funktioniert wie Hörspiele im Radio, wobei ich

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nicht weiß, ob Ihnen solche literarischen Erzeugnisse jemals untergekommen sind. Jedenfalls gab es das mal im Radio, dass dramatische Stoffe zu Hörspielen aufbereitet werden und dann hört man verschiedene Stimmen, die man dann von den Sprechern her unterscheiden kann, ohne dass man dazu sagen muss, jetzt spricht der und dann spricht jener. Genauso funktioniert auch hier dieser Text. Die Stimmen werden einfach gemischt und es wird den Hörern überlassen, dass sie den auf Verarbeitungsaufwand treiben, zu identifizieren, wer hier gerade redet. Wir haben die Angreifer, wir haben die Verteidiger und wir haben Jahwe, der sich immer wieder einmischt. Und die Angreifer geben zu erkennen, dass sie sich selber für so übermächtig halten, dass sie zu Tageszeiten angreifen, die normalerweise die Verteidiger begünstigen würden. Denn das funktioniert ja

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bei Angriffen bis heute oft so, dass man das am frühen Morgen macht, beim allerersten Licht. Wenn man denkt, dass die Angegriffenen gerade in den Tiefschlaf versunken sind und dann größte Mühe haben, ihre Verteidigung zu organisieren. Und man muss als Angreifer diesen Überraschungseffekt ausnutzen. Hier werden die Angreifer mit Stimmen zitiert, die zu erkennen geben, dass ihnen diese Regel egal ist. Sie sind nicht darauf angewiesen, weil sie sowieso gewinnen, deshalb können sie am Mittag angreifen. Aufgreifen wir an am Mittag, dann wenn die Verteidiger besonders gut sehen können und man deren Pfeilen ausgesetzt ist. Egal, damit werden wir fertig. Oder man will sogar in der Nacht angreifen, wenn es ganz dunkel ist und nur die Verteidiger im Vorteil sind, die Allersterren

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kennen. Diese Angreifer sind übermächtig und wir beobachten auch hier wieder, Jahwe selbst feuert diese Angreifer an, was Hörer in damaliger Zeit als besonders provozierend empfinden mussten. Und hier wird auch nochmal ausdrücklich gesagt, warum Jahwe sowas inszeniert. Der Grund ist eben das grassierende soziale Unrecht in Jerusalem und Judah, das eben so groß ist, dass Jahwe sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als Jerusalem zu zerstören. Der Angreifer ist auch hier anonym, aber es ist natürlich klar, die Menschen, für die diese Texte ursprünglich bestimmt waren, wussten selbstverständlich, wovon die Rede war. Es konnte sich natürlich nur um die Babylonier handeln, denn so politisch informiert war man ja, dass man wusste, dass die Babylonier im Anmarsch

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waren. Deren Kernland liegt zwar, wenn man auf die Landkarte schaut, genau genommen östlich von Israel, aber wenn man den direkten Weg von Babylonien nach Israel wählen wollte, dann hätte man die arabische Wüste durchqueren müssen. Das ging mit einem Heereszug nicht, dann musste man immer den Umweg über den gesamten fruchtbaren Halbmond wählen. Man zog also zunächst nach Nordmösser, Petamien, dann durch Syrien und den heutigen Libanon nach Süden. Das bedeutete, für die Israeliten kam dieser Angreifer aus dem Norden. Man wusste, worum es sich handelt, trotzdem hat ihn Jeremia nicht beim Namen genannt. Das dürfte einen wichtigen Grund gehabt haben. Es kam darauf an zu betonen, dass das kein eigenmächtiger Angreifer war, sondern dass das

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ein Werkzeug Yahwehs gewesen ist. Der eigentliche Angreifer, der wird wohl beim Namen genannt, das ist nämlich Yahweh. Und die Babylonier sind nur ein in sich eigentlich austauschbares, gleichgültiges Werkzeug. Deshalb vermeidet Jeremia die Babylonier beim Namen zu nennen, obwohl alle wussten, um wen es geht. Ich sagte bereits, das muss natürlich sehr provozierend geklungen haben. Yahweh selbst rüstet gegen sein eigenes Volk. Und das Jeremia-Buch macht auch keinen Hehl daraus, wie diese Botschaften von Jeremias Zeitgenossen aufgenommen worden sind. Und das wäre nun ein weiteres schönes Teilthema, wie nämlich Jeremia nach der Schilderung des Buches mit seinen zeitgenössischen Gegnern zusammengestoßen ist. Und da möchte ich Ihnen auch ein paar Beispiele

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vorstellen. Ich brauche Ihnen nicht groß zu erklären, dass Botschaften, wie die eben zitierten, nicht gerade populär gewesen sind. Wie also wurden die von Jeremias Zeitgenossen aufgenommen? Und bei dieser Gelegenheit kann ich nochmal an diese ominösen Sätze am Ende des ersten Kapitels erinnern. Ich hatte das da schon zitiert. Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen, denn ich bin mit dir, um dich zu retten. Und jetzt sollten wir etwas darüber erfahren, was damit gemeint war. Ein Beispiel, auf ein Beispiel habe ich im ersten Vortrag sogar schon einmal kurz angespielt. Da habe ich ja davon berichtet, wie der König Joachim laut Kapitel 36 eine Schriftrolle mit Prophezeiungen Jeremias öffentlich und demonstrativ verbrannt hat. Das

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ist eine wunderschöne Geschichte, die Sie selbst mal nachlesen sollten. Ich beschränke mich hier nur auf ein kurzes Zitat aus dieser Geschichte, in der berichtet wird, wie dieser König Joachim die Verbrennungsaktion, die Bücherverbrennung begründet haben soll. Und zwar in dem prophetischen Strafwort, das dann über Joachim ergeht, wird zitiert, wie er diese Verbrennung begründet haben soll. So spricht Jahwe, du hast diese Rolle verbrannt und gesagt. Warum hast du darauf geschrieben, der König von Babel werde bestimmt kommen, dieses Land verhehren und Mensch und Vieh darin vernichten? Das ist eine Kurzformel für dasjenige, was wir eben aus Beispielen von Jeremia-Prophezeiungen

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gehört haben. Der König von Babel wird kommen und das Land vernichten. Eine solche Botschaft war dem König von Israel Grund genug, diese Schriftrolle zu vernichten. Sowas darf nicht gesagt werden, das war aus seiner Warte Gottes Lästerung, das muss unterbunden werden. Tatsächlich enthält das Jeremia-Buch in seinen Wiederspiegelungen von Opposition gegen Jeremia auch zahlreiche Hinweise und Berichte, die klarstellen, dass Jeremia damals eben nicht der einzige Prophet auf der öffentlichen Bühne gewesen ist. Es hat damals ziemlich viele Propheten gegeben und darunter namentlich solche,

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die gerade das Gegenteil dessen verkündet haben, was Jeremia gesagt hat. Dazu nimmt das Jeremia-Buch auch Stellung und Jeremia selbst musste Stellung dazu nehmen. Das finden wir etwa in Kapitel 6, dort die Verse 13 bis 14, wo es heißt, Sie alle von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten sind nur auf Gewinn aus. Beachten Sie, wenn er dann nennt, vom Propheten bis zum Priester betrügen Sie alle. Den Schaden meines Volkes möchten Sie leicht hinheilen, indem Sie sagen, Frieden, Frieden! Aber da ist kein Frieden. Hier ist von den Leuten die Rede, die in Israel prophezeit haben, die Orakel erteilt haben, die beansprucht haben, im Namen Jahwes zu sprechen. Das waren nicht nur

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Propheten, sondern auch Priester und diese Leute hatten zu Jeremias Zeiten vor allen Dingen eine Botschaft, das radikale Gegenprogramm zu dem, was er gesagt hat, nämlich Frieden. Euch wird nichts passieren. Ihr werdet ungeschoren aus all dem herauskommen. Und was Jeremia dazu bemerkt, ist beachtlich. So ist der Schaden meines Volkes nicht zu heilen. Das geht nicht so billig. Da muss sehr viel mehr passieren, damit der Schaden des Volkes geheilt wird und dann tatsächlich die Bedrohung durch äußere Feinde abgewehrt wird. Oder noch ein anderes Beispiel. In Kapitel 23 geht das Buch auch kurz darauf ein, ebenfalls in einen poetischen Text, der mit großer Wahrscheinlichkeit von Jeremia stammt. Da heißt es in den Phasen 16 bis 17, so spricht Jahwe der Herr Schaden,

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hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch prophezeien. Sie betören euch nur. Sie verkünden Visionen, die aus dem eigenen Herzen stammen, nicht aus dem Mund Jahwes. Immer zu sagen sie denen, die mich verachten. Jahwe hat geredet, das Heil ist euch sicher. Und jedem, der der Verstocktheit seines Herzens folgt, versprechen sie, kein Unheil kommt über euch. Diese Art von Prophetismus muss also zurzeit Jeremias sehr stark gewesen sein. Da gab es viele Leute, die erklärten, viele Propheten und Priester, die erklärten, euch wird nichts passieren. Diese Bedrohung durch die Babylonier wird sich in Luft auflösen. Und deine Lebensführung ist in Ordnung. Da gibt es nichts zu kritisieren. Jeremias sah das völlig anders. An dieser Stelle sollte man vielleicht kurz die Frage beantworten, wie diese prophetischen Gegner Jeremias eigentlich zu ihrer Heilsgewissheit

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gekommen sind. Die haben sich ja auch ihre theologischen Gedanken gemacht. Und wie kamen sie zu ihrem extremen Optimismus? Diese Bedrohung, die da mit den Babyloniern heranrückte, würde Jula nichts anhaben. Auf diese Weise werfen wir auch einen Blick in die theologische Welt, mit der es Jeremia seinerzeit zu tun hatte, weil diese theologische Welt damals tonangebend in Judah gewesen ist. Und um Ihnen das kurz zu veranschaulichen, ziehe ich einen Schlüsseltext dieser theologischen Welt heran. Und das ist der Psalm 48. Ich lese zunächst einmal einen Teil daraus, um dann daran zu erläutern, welche typischen Züge des theologischen Denkens,

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der theologischen Mehrheitsmeinung daran zu erkennen sind. Groß ist Jahweh und hoch zu loben in der Stadt unseres Gottes. Sein heiliger Berg ragt herrlich empor. Er ist die Freude der ganzen Erde. Der Berg Sion liegt weit im Norden. Er ist die Stadt des großen Königs. Gott ist in ihren Palästen als sichere Burg erwiesen. Denn sie, Könige, traten zusammen. Gemeinsam rückten sie näher. Sie sahen auf. Da erstarrten sie. Sie waren bestürzt und flohen. Dort packte sie Zittern, wie wehen eine Gebärende. Mit Sturm aus dem Osten zerbricht du die Schiffe von Tarschisch. Wie wir es gehört, so haben wir es gesehen in der Stadt Jahwes, der Heerscharen, der Stadt

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unseres Gottes. Gott macht sie fest auf ewig. Was haben wir hier vor uns? Das ist ein Psalm, der die Qualitäten des Sion preist, also des Berges, auf dem Jerusalem liegt. Das bedeutet, hier wird faktisch von Jerusalem gesprochen. Und dann wird hervorgehoben, dieser Berg Sion ist die Stadt des großen Königs. Diese Worte fallen hier. Und da sollten wir sagen, das ist Jahwes Residenz auf Erden. Jahweh wohnt zwar auch im Himmel, aber er hat auch eine irdische Residenz. Und die haben wir auf dem Sion im Tempel. Und dieser Jahweh hat sich in den Palästen Jerusalems als sichere Burg erwiesen. So wird er festgestellt. Und was das konkret bedeuten soll,

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das entfalten dann die Verse, die ich aus diesem Psalm zuletzt gelesen habe, wo ein militärischer Angriff auf Jerusalem geschildert wird. Und dieser militärische Angriff ist keine Kleinigkeit, sondern da marschiert eine mächtige Koalition von mehreren Königen an. Könige im Plouin. Also eine Streitmacht, der Jerusalem normalerweise nichts entgegenzusetzen hätte, nach menschlichen Maßstäben. Aber was passiert dann? Was wird hier erzählt in dem Psalm? Diese Könige mit ihren Streitkräften rücken an Jerusalem heran, werden des Sion ansichtig. Und was passiert? Es erfasst sie Panik. Sie stieben einfach kopflos davon. Es kommt überhaupt nicht zum Gefecht.

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Sondern auf diese Leute fällt eine Urangst und sie treten selbst den überhasteten Rückweg an. Und die Beter des Psalms sagen sogar, dass dieses Erlebnis ihren eigenen Erfahrungen entspräche. Wie wir es gehört, so haben wir es gesehen in der Stadt Jahwes, der Herrscharn, der Stadt unseres Gottes. Hier in diesem Psalm 48 haben wir ein Schlüsselzeugnis für eine theologische Richtung vor uns, die die Umgebung, die Gegenwart Jeremias seinerzeit in den letzten Jahrzehnten vor dem Exil durchgreifend geprägt hat. Und dafür gibt es den Fachausdruck die Sionstheologie. Die Sionstheologie ist ein theologischer Denkkomplex, der sich mit den religiösen

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Eigenarten des Sion befasst hat, mit seinen religiösen Eigenschaften und die Konsequenzen davon ausgemalt hat. Und dazu gehört eben dasjenige, was dieser Psalm 48 so lebhaft ausmalt, die Vorstellung, dass dieser Sion wegen seiner Eigenschaft als Königsresidenz Jahwes militärisch unverwundbar sei. Wenn es tatsächlich jemand unternehme, diesen Sion anzugreifen, dann würde das passieren, was der Psalm schildert, nämlich dann würde Jahwe einen numinosen Schrecken über die Feinde ausgießen und sie würden eben das tun, was hier erzählt wird, sie würden kopflos davonstieben, ohne dass es überhaupt zum Kampf kommt. Und wir können nun beobachten, dass dieses Denken gerade in der Zeit vor dem babylonischen Exil in Jerusalem und Judah eine Hochkonjunktur erlebt hat. Damals galt ein glaubensfester

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Jahwe-Verehrer, ist unerschütterlich überzeugt, dass die Babylonier, so mächtig die auch sind, den Judäern nichts anhaben können. Die Judäer sind wegen des Sion militärisch unverwundbar. Das war damals das Mehrheitsdenken, nicht das einzige, aber das Mehrheitsdenken. Und Sie können sich selber denken, die Botschaft Jeremias hat natürlich auf eine solche theologische Landschaft gepasst, wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Und das hatte für Jeremias auch seine Konsequenzen. Von der Verbrennung der Schriftrolle habe ich schon kurz erzählt. Jetzt gehe ich mal auf Erzählungen ein, die von Zusammenstößen Jeremias mit solchen

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von der Sionstheologie geprägten prophetischen Gegnern berichten. Da stütze ich mich auf die Kapitel 27 und 28 und fange jetzt zunächst einmal aus dem Anfang von Kapitel 27 was vorzulesen. Im Anfang der Regierung Jojakims, des Sohnes Joschias, des Königs von Judah, erging von Jahwe folgendes Wort an Jeremias. So sprach Jahwe zu mir. Mach dir Stricke und Jochölzer und leg sie dir auf den Nacken. Dann schick eine Botschaft an den König von Edom, den König von Moab, den König der Ammoneter, den König von Tyrus und den König von Sidon. Durch die Gesandten, die zu Zidkia, dem König von Judah, nach Jerusalem gekommen sind. Gib ihnen folgenden Auftrag an ihre Gebieter. So spricht Jahwe, der Heerscharen der Gott Israels.

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Sagt so zu euren Gebietern. Ich bin es, der die Erde erschaffen hat, samt den Menschen und den Tieren, die auf der Erde leben, durch meine gewaltige Kraft und meinen hoch erhobenen Arm. Und ich gebe die Erde dem, der recht ist in meinen Augen. Jetzt habe ich alle diese Länder in die Hand des Königs Nebuchadnezzar von Babel, meines Knechtes, gegeben. Selbst die Tiere des Feldes mache ich ihm dienstbar. Alle Völker sollen ihm dienen, ebenso seinem Sohn und seinem Enkel, bis auch für sein eigenes Land die Zeit kommt, dass große Völker und mächtige Könige es knechten. Und es wird sein, wenn ein Volk oder Reich ihm, Nebuchadnezzar,

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dem König von Babel, nicht dienen und seine Nacken nicht unter das Juch des Königs von Babel beugen will, so werde ich dieses Volk mit Schwert, Hunger und Pest heimsuchen, bis ich es aufgerieben habe durch seine Hand. Soweit. Moment, nehmen wir noch zwei Phasen dazu. Ihr aber hört nicht auf eure Propheten, Wahrsager, Träumer, Zeichendeuter und Zauberer, wenn sie zu euch sagen, ihr werdet dem König von Babel nicht untertan sein. Denn Lüge prophezeien sie euch, damit sie euch vertreiben von eurem Ackerboden und ich euch verstoße und ihr zugrunde geht. Das Volk aber, das seinen Nacken unter das Juch des Königs von Babel beugt und ihm dient, das lasse ich auf seinem Ackerboden. Es kann ihn bebauen und auf ihm wohnen. Ich

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muss vielleicht kurz ein paar wichtige Züge hervorheben, was hier eigentlich dargestellt wird. Der Hintergrund ist derjenige, das kommt nun mal indirekt zur Sprache, dass sich in Jerusalem eine diplomatische Konferenz versammelt hat. Da sind Vertreter von Nachbarstaaten gekommen bei König Zedkia. Geland werden Edom, Moab, Amon, Tyrus und Sidon, alles kleine Staaten aus der Umgebung von Judah. Und es wird nicht erklärt, was die da wollen. Der Text ist geschrieben für Leute, die das noch wussten. Und wir heute können das leicht aus bestimmten Indizien und der Gesamtsituation erschließen, um was es ging. Man war eben allesamt babylonischer Vassal und wünschte, das zu ändern. Man hat also zusammen Möglichkeiten ausgelotet, um

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sich von diesem babylonischen Joch wieder zu befreien. Und während dieser diplomatischen Konferenz soll Jeremia im Auftrag Jahwes nun eine prophetische Zeichenhandlung durchführen. Ich muss kurz erklären, was das ist. Wir stellen uns Propheten immer so vor, dass sie reden gehalten haben. Aber das war nicht ihre einzige Aktivität. Auch die Propheten haben sich schon auf Mediennutzung verstanden im Rahmen ihrer damaligen Möglichkeiten. Und das hatte zur Folge, dass sie oft auch darstellerische, theatralische Mittel eingesetzt haben, um ihre Botschaft an die Adressaten zu bringen. Diese prophetischen Aktivitäten sind gut belegt im Alten Testament und man hat sie nicht ganz unzutreffend auch mit Straßentheater verglichen. Die Propheten haben schon damals solche öffentlichkeitswirksamen Mittel eingesetzt, um sich Gehör zu verschaffen. Und ebenso soll nun Jeremia sich einen Joch nehmen, wie man es benutzt hat in der Landwirtschaft

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zum Ziehen von Pflügen und Wagen. Und es sollte sich das selber über den Hals hängen. Außerdem soll er noch weitere solche Joche nehmen und an diese Diplomaten schicken und in einer mündlichen Botschaft erklären, was es damit auf sich hat. Und diese Botschaft wird dann zitiert und sie besagt, Jahweh ist der Schöpfer der Welt und deshalb auch ihr souveräner Eigentümer. Er kann deshalb mit der Welt tun, was er möchte. Er kann sie geben, wem er will. Und jetzt hat er beschlossen, jetzt gebe ich diese ganze Welt dem König Nebuchadnezzar von Babylon. Alle Völker, die sich diesem Entschluss Jahwehs nicht unterwarfen,

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auf die warten Schwerthunger und Pest. Wer sich dagegen unterwirft, der muss die Herrschaft der Babylonier erdulden, aber er braucht wenigstens keine Deportation zu fürchten. Wie gesagt, das gehörte zu den entscheidenden Instrumenten der Machtsicherung. Völker, die bereit sind, sich zu unterwarfen, diesem Beschluss Jahwehs, die können wenigstens ihren eigenen Ackerboden, ihre eigene Scholle bebauen. Dabei fliegt dieser Erzählung noch eine eigene Warnung vor Falschprofeten ein. Propheten, die die genau gegenteilige Botschaft vertreten,

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die zitiert werden mit dem Satz, ihr werdet dem König von Babel nicht untertan sein. Und diese Erzählung setzt voraus, dass es solche Propheten keineswegs nur in Judah gegeben hat, sondern die gab es auch im Ausland. Das ist einfach eine verbreitete Strömung gewesen. Hier wird das nur angedeutet, wie Jeremia mit diesen Propheten im Konflikt gestanden hat. Hier handelt es sich ja um ausländische Propheten, aber im nächsten Kapitel bekommen wir dann ein schönes narratives Beispiel für einen heftigen Zusammenbrall Jeremias mit einem solchen Propheten. Ich lese wieder einen größeren Teil daraus. Kapitel 28, Verse 1 bis 11. Im selben Jahr, im Anfang der Regierung Zetkias, des Königs von Judah,

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im fünften Monat des vierten Jahres, sagte der Prophet Hananya, der Sohn Asuas aus Gibeon, dem Haus Yahwehs vor den Augen der Priester und dem ganzen Volk zu mir. So spricht Yahweh der Herrscher und der Gott Israels. Ich zerbreche das Jo des Königs von Babel. Noch zwei Jahre und ich bringe alle Geräte des Hauses Yahwehs, die Nebuchadnezzar, der König von Babel, von diesem Ort weggenommen und nach Babel gebracht hat, wieder an diesen Ort zurück. Auch Joachim, den Sohn Joachims, den König von Judah samt allen Verschleppten aus Judah, die nach Babel kamen, bringe ich an diesen Ort zurück, sprach Yahweh, denn ich zerbreche das Jo des Königs von Babel. Der Prophet Jeremia antwortete dem Propheten Hananya vor den

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Augen der Priester und vor den Augen des ganzen Volkes, die im Haus Yahwehs standen. Der Prophet Jeremia sagte also, ganz recht mag Yahweh so tun. Yahweh, erfülle deine Worte, die du verkündet hast und bringe die Geräte des Hauses Yahwehs und alle Verschleppten aus Babel zurück an diesen Ort. Doch höre das Wort, das ich dir und dem ganzen Volk in die Ohren rufe. Die Propheten, die vor mir und dir seit jeher waren, die prophezeiten Krieg, Unheil und Pest gegen viele Länder und mächtige Reiche. Der Prophet aber der Heilprophezeit, an der Erfüllung des prophetischen Wortes erkennt man den Propheten, den Yahweh wirklich gesandt hat. Da nahm der Prophet Hananya das Jo Holz vom Nacken des Propheten

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Jeremia und traf es in zwei. Vor den Augen des ganzen Volkes sagte Hananya, so spricht Yahweh. Ebenso zerbreche ich binnen zwei Jahren das Jo Nebuchadnezes des Königs von Babel vom Nacken aller Völker. Der Prophet Jeremia aber ging seines Weges. Nochmal kurz zur Erinnerung, vor welchem politischen Hintergrund diese Szene sich abspielt. Wir sind immer noch in der Zeit Zidkias, des letzten Judäischen Königs, also in der Zeit nach der Exilierung. Und auf deren Konsequenzen wird ja mehrfach angespielt. König Joachim und die Tempelgeräte befinden sich in Babylon. Die erste Exilierung hat stattgefunden, von der zweiten Exilierung

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weiß man noch nichts. Und vor diesem politischen Hintergrund ergeht die Botschaft des Propheten Hananya und zwar, wie der Text mehrfach betont, vorgetragen im Haus Yahwehs vor den Augen der Priester und des ganzen Volkes, also in aller Öffentlichkeit. Die Botschaft lautet, in zwei Jahren ist dieser Spuk vorbei. Dann werden Joachim und die Tempelgeräte wieder im Land zurück sein. Und man kann sich zurechtlegen, dass das faktisch eine Ankündigung gewesen ist, dass das Babylonischen Reich binnen zwei Jahren in sich zusammenstürzen würde. Denn anders war schwer vorstellbar, dass alle diese Dinge wieder nach Jerusalem zurück kämen. Das ist also das exakte Kontrastprogramm zu der Botschaft Jeremias gewesen. Und dieser

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Hananya dürfte der Stimmführer von einer breiten Schicht von Propheten und Theologen gewesen sein. Wie reagiert dann Jeremia? Er wird hier damit zitiert, dass er erklärt, er wünschte sich das eigentlich auch. Es wäre doch wunderschön, wenn Joachim und die Tempelgeräte wieder zurückkehren würden und das möglichst bald. Aber Jeremia muss betonen, schaut man in der Vergangenheit, dann stehen die Chancen schlecht. Und dann erfahren wir nebenbei übrigens auch noch, dass Jeremia auch in dieser Geschichte weiterhin seine prophetische Zeichenhandlung durchführt. Wir erfahren nämlich, dass er ein solches Joach auf seinem Brücken trägt. Und dann wird erzählt, wie Hananya auf ihn zugeht und dieses Joach ihm wegreißt und

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zerbricht. Wobei Hananya interessanterweise diesen Gewaltakt ebenfalls als eine prophetische Zeichenhandlung deklariert. Er sagt ja, so zerbreche ich, Jahwe, das Joach des Königs von Babel. Das ist auch eine prophetische Zeichenhandlung gewesen, mit der Hananya versucht hat, die Zeichenhandlung Jeremias zu übertrumpfen und dadurch ungültig zu machen. Und dann ist interessant, wie jedenfalls der Abschnitt endet, den ich vorgelesen habe. Der Prophet Jeremia aber ging seines Weges. Er räumt einfach stumm die Wahl statt. Er sagt nichts, er

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wird mit nichts zitiert, er geht einfach stumm von dann. Dann muss ich noch mal daran erinnern, was hier erzählt wird, soll in aller Öffentlichkeit passiert sein. Und damit gesteht diese Erzählung offen ein, dass Jeremia einmal vor aller Augen eine Kraftprobe mit einem prominenten prophetischen Gegenspieler schmählich verloren hat. Und wenn betont wird, dass er in aller Öffentlichkeit passiert, dann wird man sich ausmalen können, dass für diese Niederlage Jeremias auch die Stimmung in der Bevölkerung eine Rolle gespielt hat. Denn die haben natürlich die beiden Gegner angefeuert, aber die Hananya-Partei war deutlich stärker. Die Zuschauer haben offenbar auf der Seite Hananyas gestanken.

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Aber wenn wir uns dann an den Psalm 48 zurückerinnern, dann müssen wir einfach zugeben, dass nach dem Standard dieses Psalms, das heißt nach dem Standard der Zionstheologie, Hananya der glaubensfeste Jahwe-Verehrer gewesen ist, nicht Jeremia. Jeremia hat angekündigt, nein, die Jeremia werden uns in die Tasche stecken. Im Sinne der Zionstheologie war das nicht. Jeremia war der Ausverkäufer des Jahwe-Glaubens. Hananya war der stramme Gläubige, der glaubte, zu wissen, was Jahwe mit seinem Volk vorhatte. Jeremia 28 erzählt also von einer abgrundtiefen öffentlichen Blamage Jeremias. Es bleibt dann in dieser Geschichte nicht ganz dabei, er

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wird dann beauftragt, diesem Hananya ein Gotteswort auszurichten. Aber typischerweise ist dann nicht mehr davon geredet, dass er in der Öffentlichkeit passiert. Was in der Öffentlichkeit passiert ist, war die Niederlage Jeremias. Und wir haben gute Gründe anzunehmen, dass das ziemlich typisch gewesen ist für die faktische prophetische Existenz Jeremias. Ich füge noch eine weitere Vignette aus diesem Bereich hinzu. Im nächsten Kapitel in Jeremia 29 lesen wir nämlich von einem Brief, den Jeremia in demselben politischen Rahmen damals an die Exilanten in Babylon geschickt habe. Wir sind also wieder in der Zeit vor der zweiten Exilierung und haben die selbe Rahmen-Situation wie in Kapitel 28. Und dieser Brief wird hier

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wie folgt zitiert. Das ist der Wortlaut des Briefes, den der Prophet Jeremia aus Jerusalem an den Rest der Ältesten der Verbanden, an die Priester, die Propheten und das ganze Volk sandte, das Nebuchadnezzar von Jerusalem nach Babel verschleppt hatte. Nachdem der König Juyaqin, die Herrin, die Königin, die Hofbeamten, die Fürsten von Judah und Jerusalem sowie die Schmiede und Schlosser aus Jerusalem fortgezogen waren. Er schickte den Brief durch Elasa, den Sohn Schafans und Gemaria, den Sohn Hilkias, der König von Judah nach Babel zu Nebuchadnezzar, dem König von Babel, Sante. Sorry, da gibt es einfach viele Zungenbrecher. So spricht Yahweh, der Herr Scharren, der Gott Israels, zu allen Verbanden, die ich von Jerusalem nach Babel weggeführt habe. Yahweh hat das gemacht, nicht die Babylonier. Die ich von Jerusalem nach Babel weggeführt

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habe. Baut Häuser und wohnt darin. Pflanzt Gärten und esst ihre Früchte. Nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter. Nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären. Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern. Sucht das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zu Yahweh. Denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl. So weit. Sie sehen, das ist wirklich das radikale Gegenprogramm zu der Botschaft Hananias. Das Exil wird noch lange dauern. Deshalb sollen sich die Exilanten auf eine lange Verweildauer in der Fremde einstellen. Sie sollen Häuser

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bauen, sie sollen Gärten anlegen und sie sollen sich fortpflanzen. Und wenn man versucht, sich in die Situation dieser Adressaten hineinzudenken, dann muss dieser Brief für die exilierten Judäer eine gute und eine schlechte Nachricht eingeschlossen haben. Erst die gute Nachricht. Die gute Nachricht kommt immer zuerst. Auch hier. Die gute Nachricht lautete, wenn die Judäer hier aufgefordert werden, alles zu tun, um zu überleben, dann lautet die unausgesprochene Implikation eigentlich, das lohnt sich alles nur, wenn es irgendwann eine Heimkehr geben wird. Die Leute sind zwar im Exil, aber sie sollen alles tun, damit sie am Leben sind, wenn sich die Tür zur Heimkehr öffnen wird. Es wird irgendwann ein Ende des Exils geben.

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Das war die gute Nachricht. Jetzt kommt die schlechte. Sie werden auch aufgefordert, sich fortzupflanzen. Und das hat natürlich die Implikation, Leute, es kann sehr lange dauern. Die Dauer des Exils kann sich nicht nach Jahren, sondern nach Generationen bemessen. Trag bitte Sorge, dass auch dann noch Judäer wieder nach Judaa zurückkehren können. Die schlechte Nachricht lautet dann eben, ihr unmittelbaren Adressaten des Briefes, ihr, die ihr jetzt diesen Brief lest oder hört, ihr müsst euch darauf einstellen, dass ihr selber eure Heimat nicht mehr wiedersehen werdet. Und im selben Kapitel wird dann erzählt, dass dieser Brief in Judaa selbst ein Nachspiel hatte. Und dieses Nachspiel sagt uns etwas über die Provokation,

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die solche prophetischen Äußerungen in Jeremias Umgebung ausgelöst haben. Da heißt es, zu Shemaya aus Nehelam sollst du, angesprochen ist Jeremias, sagen, so spricht Yahweh, der Heerscharen der Gott Israels, weil du in deinem Namen Briefe an das ganze Volk in Jerusalem und an den Priester Zephaniah, den Sohn Maaseas sowie an alle Priester geschickt hast. Der Herr, also Yahweh, hat dich anstelle des Priesters Jojadat zum Priester bestellt, damit es Aufseher gibt im Namen im Haus Yahwehs für jeden verrückten Propheten und damit du ihn in den Block und ins Halseisen legst. Warum bist du also nicht gegen Jeremias aus Anathot eingeschritten, der sich bei euch wie ein Prophet gebärdet? Deshalb hat er auch an uns nach Babel die

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Botschaft geschickt, es wird noch lange dauern, baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und genießt ihre Früchte. Der Text ist am Anfang etwas verworren, das kommt manchmal vor in der Bibel, weil sie auch eine lange Überlieferungsgeschichte hatte, sodass man hier vielleicht nicht aufhandhiebt beim Hören versteht, um was es hier geht. Da gibt es einen Priester, der bei den Exilanten in Babylon lebt, weil er selbst deportiert worden ist und der schreibt nun an Kollegen in Jerusalem einen Brief und zwar an Kollegen, die zuständig sind für den Tempelordnungsdienst. Das heißt also, es gab Leute, die darauf geachtet haben, dass es auf dem Tempeltaran immer mit rechten Dingen zuging und denen schreibt er nun der Sache nach, hört mal, seid ihr eigentlich verrückt geworden? Ihr lasst diesen Schwätzer Jeremia einfach so ein Zeug reden und das noch auf dem Tempelgelände. Was ist eigentlich

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in euch gefahren? Jetzt tut mal gefälligst euer Job und setzt dem ein Ende. Und seid bitte bei der Wahl eure Mittel nicht allzu zimperlich, denn da ist ja davon die Rede, dass man ihn in den Block und ins Halseisen legen soll. Das muss so eine Art Pranger gewesen sein, wo man dann jemanden festgeschlossen hat, damit die Leute sich über ihn lustig machen konnten und ihn auch gegebenenfalls ein bisschen durch Fuß tritt oder dergleichen misshandeln konnten. Das war die Behandlung, die Jeremia laut dem Priester unter den Empfängern des Briefes in Babylon verdient hätte. Man sieht daran, kirchliche Zensurversuche haben eine uralte Tradition. Das sind Beispiele dafür, wie es Jeremias seinerzeit ergangen

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ist. Und zu den Reizen des Jeremia Buches gehört nun weiterhin, dass es auch Texte enthält, die die Ich-Perspektive Jeremias einnehmen und die, wie ich meine, auch von Jeremias selbst stammen und etwas darüber erkennen geben, wie er eigentlich seine eigene Situation selbst erlebt hat. Das ist eine Textgruppe, die traditionell in der Bibelauslegung unter dem Namen Die Konfession Jeremias bekannt ist. Der Titel ist natürlich entlehnt von dem Kirchenvater Augustinus, der in seinem berühmten Werk Die Konfession seinen eigenen Glaubensweg nachgezeichnet hat. Und diesen Titel hat man dann traditionell auf Jeremia übertragen, auf diese Textgruppe. Aber man muss zugeben, das ist kein sehr treffender

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Titel. Es handelt sich ja nicht eigentlich um Bekenntnisse, sondern es handelt sich einmal um Klagen, wo Jeremia über seine eigene Lebenssituation Klage führt. Und diese Klagen richten sich an Jahweh, das heißt, es sind Gebete. Deshalb sollte man sie treffender die Klagegebete Jeremias nennen, denn damit ist präziser erfasst, worum es sich hier handelt. Und ich komme mit einem ersten Beispiel in Kapitel 20, die Verse 7 bis 10. Du hast mich betört, Jahweh, und ich ließ mich betören. Du hast mich gepackt und überwältigt. Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag,

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an jeder verhöhnt mich. Ja, so oft ich rede, muss ich schreien. Verwalt und Unterdrückung muss ich rufen, denn das Wort Jahweh bringt mir den ganzen Tag nur Hohn und Spott. Sagte ich aber, ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen. So brannte in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es auszuhalten, vermochte es aber nicht. Ich hörte die Verleumdung der vielen grauen ringsum, zeigt ihn an, wir wollen ihn anzeigen. Meine nächsten Bekannten warten alle darauf, dass ich stürze. Vielleicht lässt er sich betören, dass wir ihn überwältigen und an ihm Rache nehmen können. Das ist ein ganz beachtliches Bild, das hier vom Innenleben eines Propheten gezeichnet

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wird. Und auch ein sehr drastisches Bild. Wie Jeremia hier erklärt, fühlt er sich von Gott hereingelegt, betört, hereingelegt und überwältigt, wie von einem Feind. Und das ist nicht alles. Von der Gegenseite kommt es genauso schlimm, denn von seinen Zeitgenossen fühlt er sich in die Isolation getränkt, verhöhnt und verachtet. Und das sagt er dann Gott auch. Wie er hier erklärt, muss er immer fort Gewalt und Unterdrückung schreien. Gemeint ist damit, die Situation in Judas ist so, dass ihm gar keine andere Wahl bleibt, als immer fort gegen soziales Unrecht zu protestieren. Aber seine Proteste tragen ihm bei der Mehrheit keineswegs Anerkennung und Unterstützung

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ein, sondern vor allem hohen Spott und regelrechte Rache gelüste. Deshalb ist ihm faktisch seine eigene Botschaft selber zuwider. Wegen der Konsequenzen, die es ihm einträgt. Und dann erklärt er hier ganz offen, er würde am liebsten den Bettel hinschmeißen. Sagte ich aber, ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen. Ja, die Fortsetzung sagt dann, was passiert ist, als er versucht hat, den Bettel hinzuschmeißen. So brannte es in meinem Herzen wie ein Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen. Ich bemühte mich, es auszuhalten, vermochte es aber nicht. Eremia schaut dabei auf die Erfahrung zurück, dass er selber versucht hat, das Prophetenamt

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abzuschütteln. Dieser lastlos zu werden, aber wie er hier mitteilt, hat er bei dieser Gelegenheit, bei diesen Gelegenheiten entdeckt, dass er faktisch doch wie unter einem inneren Zwang handelt. Es gibt etwas in ihm, das ihm keine andere Wahl lässt, als weiter zu prophezeien. Er kann gar nicht anders. Aber dieser Widerspruch quält ihn unausgesetzt. Wir springen mal ins Kapitel 12, Verse 1 bis 5, auch ein Text, der zu diesem Klagegebet Eremias zählt. Du bleibst im Recht, Yahweh, auch wenn ich mit dir streite. Dennoch muss ich mit dir rechnen. Warum haben die Frevler Erfolg?

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Warum können alle Abtrünnigen sorglos sein? Du hast sie eingepflanzt und sie schlagen Wurzeln. Sie wachsen heran und bringen auch Frucht. Nahe bist du ihrem Mund, aber fern von ihrem Inneren. Du jedoch, Yahweh, kennst und siehst mich. Du hast mein Herz erprobt, ob es bei dir ist. Raff sie weg wie Schafe zum Schlachten. Sondere sie aus für den Tag des Mordens. Wie lange noch soll das Land vertrocknen, das Grün auf allen Feldern verdorren? Wegen der Bosheit seiner Bewohner schwinden Vieh und Vögel dahin, denn sie sagen, er sieht unsere Zukunft nicht. Ihr Remiar bekennt sich hier zu einer Erfahrung und schreit sie auch Yahweh ins Gesicht.

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Eine Erfahrung, die wir in der einen oder anderen Form alle machen. Es gibt nun einmal keinen festen Zusammenhang zwischen der moralischen Qualität von Menschen und ihrem konkreten Ergehen. Sie werden es bestätigen können, oft geht es denen besonders gut, von denen wir meinen, das ist eigentlich gerade nicht verdient haben. Das beobachtet auch Ihr Remiar und er findet, das Ganze ist sogar noch schlimmer. Wegen der Verbrechen dieser Leute geht es dem Land schlecht, nicht den Verursachern selber, aber dem Land, wegen der Bosheit seiner Bewohner schwinden Vieh und Vögel dahin und so weiter. Und das empfindet er naturgemäß als eine krasse Ungerechtigkeit und er scheut sich nicht Yahweh dafür verantwortlich zu machen. Nochmal Vers 2.

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Du hast sie eingepflanzt und sie schlagen Wurzeln, sie wachsen heran und bringen auch Frucht. Nahe bist du ihrem Mund, du fällst auf das rein, was sie reden, aber fahr'n von ihrem Inneren, du durchschaust sie gar nicht, du fällst auf sie rein. Wachten Sie, das sagt ein Prophet zu Gott und die Juden fanden es eine gute Idee, so etwas in ihrer Heiligen Schrift aufzunehmen. In diesem Beispiel kommt nun auch eine Besonderheit der Konfessionen, der Klagegebete Jeremias zum Zuge und eine Besonderheit, die diese Klagegebete Jeremias von anderen Gebeten im Alten Testament, wie im Psalter, unterscheidet. Und die Besonderheit besteht darin, es wird zitiert, wie Yahweh antwortet.

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Und diese Antwort fällt einigermaßen überraschend aus. Wenn schon der Wettlauf mit Fußgängern dich ermüdet, wie willst du dann mit Pferden um die Wette laufen? Wenn du nur im friedlichen Land dich sicher fühlst, wie wirst du dich verhalten im Dickicht des Jordan? Man könnte vielleicht erwartet haben, dass Yahweh den Propheten nach einer solchen Klage bestärkt und tröstet, aber nichts davon. Yahweh weist ihn ziemlich barsch zurecht. Stell dich nicht so an. Eigentlich müsstest du noch viel mehr aushalten können. Und du wirst es auch müssen. Das Schlimmste steht dir noch bevor. Reiß dich zusammen. Hier wird ein Gott gezeichnet, der mit seinem auserwählten Werkzeug sehr harsch umgehen

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kann. Und die Menschen, die das Alte Testament gesammelt haben, fanden es eine gute Idee, das in ihre Heilige Schrift aufzunehmen. Denn offenbar hat ihnen die Grundidee imponiert, die hier zum Wort kommt. Ein Berufener darf nicht erwarten, dass er ein bequemes Leben führt. Den menschlichen Werkzeugen Gottes wird immer wieder Unverständnis, Hass und Gewalt entgegenschlagen. Wen Gott beruft, der muss einfach bereit sein, dafür zu leiden und darf nichts anderes erwarten. Vor allem keine schnellen Erfolge. Und das ist für die Wirkungsgeschichte des Jeremia Buchs besonders bedeutsam gewesen. Denn auf diese Weise ist es späteren Leuten leichter geworden, ein anderes Leiden etwas

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besser zu verstehen. Und Sie erraten natürlich, wovon ich rede. Es geht um das Leiden Christi. Das hat natürlich den Zeitgenossen Jesu auch enorme Verständnisprobleme aufgehalst. Und dieses Ergehen Jeremias ist dann wenigstens ein Modell aus ihrer Heiligen Schrift gewesen, an dem sie sich orientieren konnten und an dem sie eine Verständnishilfe erhalten haben. So viel zu Texten aus dem Jeremia Buch, die mit einiger Wahrscheinlichkeit von Jeremia selbst stammen. Ich greife noch einen weiteren, jüngeren Text heraus nach dem Berufungsbericht. Und das ist nun gerade der berühmteste Text des Alten Testament, nämlich die Verheißung des Neuen Bundes in Jeremia 31, Verse 31 bis 34.

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Siehe Tage kommen, spruch Jahwes, da schließe ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juna einen neuen Bund. Er ist nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, an dem Tag, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen. Obwohl ich ihr Gebieter war, spruch Jahwes. Sondern so wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe. Ich habe meine Weisungen in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein. Keiner wird mir den anderen belehren. Man wird nicht zueinander sagen, erkennt Jahwe. Denn sie alle, vom Kleinsten bis zum Größten, werden mich erkennen, sprucht Jahwes.

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Denn ich vergebe ihre Schuld an ihre Sünde, denke ich nicht mehr. Das ist für die frühen Christen ein ganz wichtiger Text gewesen und eine ganz wichtige Handhabe, um eben das Christusereignis zu deuten. Deshalb ist das auch derjenige Text des Alten Testaments, der das längste Zitat des Alten Testaments im Neuen hervorgebracht hat. Dieser Passus ist nämlich im Hebräerbrief in voller Länge wiedergegeben. Dieser Passus ist getragen von der Überzeugung, dass mit dem Gottesverhältnis Israels bisher etwas grundlegend verkehrt war. Die Verfassung dieses Gottesverhältnisses war der Bund, den Jahwe mit den Vätern Israels

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beim Exodus geschlossen hatte. Aber so wird hier festgestellt, dieser Bund ist unrettbar beschädigt wegen der Sündhaftigkeit Israels. Darin artikuliert sich die Erfahrung der Israeliten, die sie ständig gemacht haben, dass ihr Gott Jahwe an sie Forderungen stellt, denen sie schlichtweg nicht gewachsen sind. Weil sie ständig daran scheitern, müssen sie schlimmste Konsequenzen dafür in Kauf nehmen. Nachdem man die Exilkatastrophe durchgestanden hatte, nachdem man gesehen hatte, wie das Nordreich Israel von der Landkarte verschwunden war, musste man sich natürlich die Frage stellen, musste sich nicht sowas notwendigerweise irgendwann wiederholen, würde nicht auch Judah irgendwann von der Welt verschwinden. Und da hat irgendjemand, wohl bald nachexilig, diese Verheißung vom neuen Bund aufgeschrieben.

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Sie sagt, keineswegs wird Israel verschwinden. Jahwe würde sicherstellen, dass das nicht passiert und er würde dazu zu einer ganz außergewöhnlichen Maßnahme greifen. Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und ich werde sie auf ihr Herz schreiben. Jahwe würde also nichts weniger tun, als sozusagen eine Operation am offenen Herzen als durchzuführen, indem er seine Weisung, die vorher nur auf Stein oder Papyrus geschrieben war, den Israeliten direkt aufs Herz schreibt. Er würde also die Israeliten in ihrer Personmitte ganz durchgreifend verändern, der Gestalt, dass er aus Menschen, die sich bisher immer unfähig erwiesen haben, die Weisung Jahwes

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zu befolgen, solche Menschen machen würde, die unfähig sind, seine Weisung nicht zu befolgen, ihr zu wiederhandeln, weil sie eben die Torah in ihrem eigenen Körper auf ihrem Herzen haben. Das heißt, Jahwe wird mit seiner Gnade den dauerhaften Bestand Israels sicherstellen. Jahwe ist zwar ein extrem fordernder Gott, aber das letzte Wort hat bei ihm immer die Gnade, das Erbarmen und das ist besonders schön ausgesprochen in Jeremia 31,20. Ein Vers, der wohl von Jeremia selbst stammt und wo er Jahwe mit folgenden Worten zitiert, ist mir denn Ephraim, ein anderes Wort für Israel, ist mir denn Ephraim ein so teurer Sohn oder mein Lieblingskind? Denn so oft ich ihm auch Vorwürfe bache, muss ich doch immer wieder an ihn denken.

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Dann kommt es. Deshalb tobt es in meinem Inneren, ich muss mich einfach seiner erbauen. Typisch prophetisch nimmt sich hier ein Prophet das Recht heraus, uns einen Blick zu eröffnen in das Innere Gottes selbst. Und dann erfahren wir, was sich in diesem Inneren Gottes abspielt. Gott macht an sich eine Entdeckung, die ihn selber überrascht. So viel es auch an Israel auszusetzen gibt. Und sobald Jahwe so gereizt ist, dass er Israel vernichten möchte, dann bäumt sich etwas in Gott, gegen Gott selber auf.

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Gott entdeckt hier auf seine Weise, dass er in seiner eigenen Art und Weise gar nicht allmächtig ist. Es gibt eine innere Schranke in ihm, die ihn hindert, gegenüber Israel bis zum Letzten zu gehen. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Gott kann gar nicht anders, als sich schließlich seines Volkes zu erbauen. Ja, um ein kurzes Fazit zu ziehen. Wenn man das Jeremia-Buch insgesamt charakterisieren wollte, dann würde ich hierzu das Wort Krisenbewältigungsliteratur vorschlagen. Manche Leute finden auch im Jeremia-Buch eine Art Traumatherapie. Das Buch ist ein groß angelegter literarischer Versuch, mit dem Trauma des Exils zu Rande zu kommen.

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Welche Größenordnung das hatte, habe ich Ihnen ja geschildert. Dieses Buch Jeremia hat den Israeliten geholfen, dem schlimmsten Trauma ihrer Geschichte in alttestamentlicher Zeit einen Sinn beizulegen. Es hat erklärt, warum das passiert ist. Die Sündigkeit des Volkes. Aber es hat auch darüber hinaus Hoffnung gestiftet. Was wie das Ende ausgesehen hat, war gar nicht das Ende. Im Gegenteil hat es die Erfahrung geschert, dass das definitive Ende des Gottesvolkes niemals kommen wird. Weil bei Gott trotz seiner immensen Forderungen das Erbauen immer das letzte Wort hat. Und diese Botschaft hat bis heute ihre Gültigkeit behalten. Sie ist in unsere Heilige Schrift eingegangen. Und ich denke, es wäre ein gutes Schlusswort, nochmals den Vers von Zueben zu zitieren.

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Deshalb tobt es in meinem Inneren. Ich muss mich einfach seiner erbauen. Spruch Jahwes.

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Das Jeremia Buch (Teil 2) | 10.2.2

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 9. Mai 2020 von Prof. Dr. Hermann-Josef Stipp

Die Assyrer hatten sie eingeführt, die Babylonier perfektioniert: jene perfiden Methoden, um ganze Völker zu erobern, zu assimilieren und auszulöschen. Es wurde verfolgt, gemordet und entführt. Im 7. und 6. Jahrhundert vor Christus erlebte Israel durch die Babylonier das größte Trauma vor der Zerstörung des Reichs durch die Römer mehr als ein halbes Jahrtausend später: König und Oberschicht waren verschleppt, die Geräte aus dem Tempel geraubt, der Gott der Juden schien besiegt. Viele Propheten zogen durchs Land, trösteten das Volk mit frohen Botschaften: Die Verbannung werde nicht mehr lange dauern, König und Priester bald wieder zurückkehren. Und dann war da noch Jeremia, der verkündete: So billig kommt ihr nicht davon. Das Exil wird noch ziemlich lange dauern, die Juden sollten sich in Babylon niederlassen. Schließlich kommt es zum Showdown, Jeremia gegen einen anderen jüdischen Propheten. Jeremia verliert. Wie er reagierte und warum es Jeremia trotzdem ins Alte Testament schaffte, erzählt Hermann-Josef Stipp. Und er beschäftigt sich mit einem Dilemma, das heute noch manchen umtreibt: Warum geht es den Menschen, die egoistisch und boshaft handeln, oft besser als jenen, die versuchen, gut und anständig zu leben?

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.